Sonntag, 10. Januar 2010

Regenschirme


Es gefällt dem Herzog von Wellington nicht, dass seine Offiziere Regenschirme benutzen. Kein Soldat auf der Welt käme heute auf die Idee, einen Regenschirm aufzuspannen. Das ist gegen alle Regularien aller Armeen. Regenschirme sind etwas für Weicheier, Soldaten sind tough. In meinem Infanteriebataillon wurden die Jeeps vom 1. April bis zum 1. Oktober offen gefahren. Nun sind die im 18. Jahrhundert in England in Mode gekommenen Regenschirme weniger der Ausdruck der Zugehörigkeit zur grünen Insel, wo es immer regnet, als ein unentbehrliches ➱Accessoire eines englischen ➱Dandies. Die sind ja jetzt in England große Mode, es gab sie auch schon in Frankreich, da hießen sie Incroyables, weil niemand glauben wollte, dass man solche Mode tragen kann. Es ist die Zeit der kleinen Gesten.

Wenn Napoleon (der gar nicht so klein war, wie ihn ein Übersetzungsfehler gemacht hat) auf manchen Bildern eine Hand in der Weste hält, dann ist das kein Zeichen einer Magenkrankheit (oder der Milz, der Leber etc.). Dandies nehmen in dieser Zeit solche Posen an. Und Dandies tragen Regenschirm. Der Herzog von Wellington übrigens auch, sein Schirm ist etwas kleiner und eleganter als der gewöhnliche Regenschirm, aber er hat ihn ständig am Sattel seines Pferdes. Wellington ist selbst ein eleganter Mann, aber wenn er irgendetwas hasst, dann sind es die jungen reichen Dandies, die sich jetzt in den Garderegimentern breitmachen. Die haben ein halbes Dutzend Diener dabei, Stallknechte für die Fourage. Haben eigene Köche und speisen besser als ihr Feldherr. Manche haben einen Packwagen für ihre Garderobe. Ein Dandy muss ja im Feld auch immer elegant gekleidet sein. Es gibt Gardeoffiziere, die sich ihre Hundemeute aus England nachkommen lassen, um Fuchsjagden in den Pyrenäen zu veranstalten. Wird natürlich etwas peinlich für die Gentlemen, wenn der verfolgte Fuchs in die französischen Linien hinein flieht.

Wellington hasst diesen ganzen Ärger, den ihm die Gentlemen der Garde machen. Obgleich er weiß, dass er genau so wäre, wenn er noch so jung wäre. Aber jetzt ist er der englische Oberkommandierende, da beschränkt sich sein Dandyismus auf neue Bestellungen von eleganten Reitstiefeln in London (natürlich bei ➱Hoby, dem Hoflieferanten, der bei seinem Tode ein Millionenvermögen hinterlässt) und neuen Hosen und Röcken bei seinem Schneider. Stiefel heissen noch heute nach ihm, allerdings sind das Gummistiefel. Und die green Wellie brigade ist nichts Militärisches, das sind die Sloane Ranger, die außerhalb Londons in der Uniform der Landedelleute herumrennen. Uniform trägt Wellington kaum, jeder in der Armee weiß, wer er ist. Er lässt es auch zu, dass in der Armee nicht mehr so streng auf die Einhaltung der Bekleidungsvorschriften geachtet wird, die Armee ist ihm dankbar dafür. Aber nun die Regenschirme. Wellington hasst den Regen auch, I never get wet when I can help it. Aber bei Waterloo trägt er ein blaues Cape über seiner Zivilkleidung, keinen Regenschirm, lediglich die goldene Schärpe eines spanischen Feldmarschalls deutet etwas Militärisches an. Dennoch erkennt man ihn auch im Pulverdampf, auch wenn man ein Franzose ist. Als er einen vorbeireitenden Offizier zu Ende der Schlacht nach etwas fragt, bekommt er die Antwort: Je suis desolé, monsieur le Duc, mais je ne parle pas un mot d'anglais.

In der Schlacht von Bayonne schickte er einen Offizier zur Garde, um ihr mitteilen zu lassen (und dies ist nach einer alten Übersetzung von Captain Gronows Memoiren zitiert): Lord Wellington ist nicht damit einverstanden, daß Regenschirme aufgespannt werden, solange unsere Truppen im feindlichen Feuer stehen; er wünscht nicht, daß die Gentlemansöhne sich in den Augen der ganzen Armee lächerlich machen. Ein paar Tage später wird der Kommandeur der Garde gerüffelt: Seine Lordschaft bemerkte scharf: Wenn die Herren von der Garde in St. James Dienst tun, mögen sie meinetwegen zu ihrer Uniform Regenschirme tragen, wenn sie Lust haben; aber im Felde ist das nicht nur lächerlich, sondern geradezu unmilitärisch. Aber irgendwie hat sich das in der Armee bis zur Schlacht von Waterloo noch nicht herumgesprochen. Einer von Wellingtons Generälen (Sir Thomas Picton) trägt einen großen schwarzen Schirm, und in den Erinnerungen eines französischen Sergeanten findet sich der Satz: und dann klappten sie ihre Schirme zu, hängten ihn an den Sattel und galoppierten auf uns los.

Napoleon hat keinen Parapluie, der lässt sogar seinen Hut auf dem Felde zurück. Blücher behält diesen Hut, nicht weil er ein Andenken an Napoleon haben will, nein, weil er so schön weich ist. Den kann man prima als Kopfkissen in der Kutsche gebrauchen. Nach der Schlacht hat Blücher Wellington umarmt, geküsst und gesagt Mein lieber Kamerad! Quelle affaire! Das quel affaire sei das einzige Französisch, das Blücher gekonnt hätte, bemerkt Wellington später maliziös. Obgleich das nicht so sein kann, einige Zeit später unterhalten sich die beiden Herren lange in der Sprache des gemeinsamen Feindes. Etwas mehr als quelle affaire muss es bei Blücher doch gewesen sein. Je sens un éléphant là, sagt Blücher zu Wellington und deutet auf seinen Bauch. Er glaubt, dass er von einem französischen Grenadier geschwängert sei. Wellington kennt das schon, er macht so etwas wie noncommittal noises. Darin sind Engländer ja gut. Es steht nicht in den verherrlichenden Büchern über den Fürsten von Wahlstatt, aber der Marschall Vorwärts hat immer wieder Phasen wo er schlichtweg verrückt ist. Glücklicherweise ist das bei Waterloo auch so. Da glaubt er, dass die Erde glüht und er seinen Fuß nicht auf den Boden setzen kann. Vielleicht lässt er deshalb seine bei Ligny geschlagene Armee nicht ruhen und kommt Wellington zu Hilfe. Blücher war manchmal etwas verrückt, seine Spielsucht ließ ihn Haus und Hof verspielen, aber dumm war er nicht. Er hat in seinen Briefen und Aufzeichnungen eine höchst eigene Orthographie, aber diese schriftlichen Zeugnisse zeigen doch große Vernunft. Er hat nicht die Bildung Napoleons, aber dafür hat er jetzt seinen Filzhut.

Die Offiziere der englischen Garderegimenter werden sich an Wellingtons Befehl aus dem Jahre 1813 halten. Einmal im Jahr marschieren sie durch London, in dunklen Anzügen, einen schwarzen Bowler auf dem Kopf. Und einen schwarzen Schirm, geschultert wie ein Gewehr. Was braucht ein officer and gentleman (den Begriff gab es ja mal, bis er durch einen Richard Gere Film etwas entwertet wurde) mehr? Captain ➱Rees Howell Gronow, dem das 19. Jahrhundert so viele wunderbare Anekdoten verdankt, ist zur Zeit der Schlacht von Waterloo eigentlich schon wieder Zivilist. Aber er reist nach Brüssel und ist rechtzeitig zur Schlacht auf den Feldern zwischen ➱Waterloo und ➱La Belle-Alliance. Ohne Uniform und ohne Schirm. Aber rechtzeitig genug, um die Worte Guards, get up and charge! zu vernehmen. In seinen Memoiren verwirft er auch, dass Wellington Ich wollte es wäre Nacht oder die Preußen kämen gesagt hat. Nach ihm sollte es folgendermaßen in den Geschichtsbüchern heißen: Der Herzog saß unbeweglich auf seinem Schlachtroß. Ich hörte, wie er Oberst Stanhope nach der Zeit fragte. Stanhope zog die Uhr und erwiderte, es sei zwanzig Minuten nach vier. Der Herzog versetzte: Die Schlacht ist mein! Und wenn die Preußen kommen, so ist der Krieg zu Ende. Obgleich Gronow, damals noch Unterleutnant, nicht immer sehr verlässlich ist, aber in diesem Punkt wird seine Version der Geschichte stimmen.

1 Kommentar:

  1. Ich find es schade, wenn immer mehr Legenden durch untergeordnete Chargen, welche sich profilieren müssen, zur Sau gemacht werden. Auch wenn das Ergebnis eigentlich logisch ist.
    Man muss aber nicht ständig denken wie Mr. Spock.

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