Donnerstag, 18. Februar 2010

Anders Zorn


Horatio Alger schreibt Romane, immer die gleichen, aber Amerika liest sie gerne. From Rags to Riches heißt die Formel, vom Straßenjungen zum Millionär. Die Formel des American Dream kommt an in einer Gesellschaft, in der jetzt viele ein Millionenvermögen machen. Wo es der Präsident Lincoln from log cabin to White House geschafft hat. Und die Millionen von armen Einwanderern, die in die schöne neue Welt kommen, glauben an diese puritanische Zauberformel. Mark Twain hat diese Zeit das Gilded Age genannt, kein goldenes Zeitalter, nur ein vergoldetes. Anders Zorn wird sich bei seinen zahlreichen Amerikaaufenthalten in der Gesellschaft der Neureichen robber barons sehr wohl fühlen. Die sind wie er: sie haben mit nichts angefangen, jetzt sind sie Millionäre.

Anders Zorn ist heute vor 150 Jahren in Mora in Schweden geboren worden. Ein uneheliches Kind der Bauerntochter Grudd Anna Andersdotter und des aus Deutschland nach Schweden gekommenen Bierbrauers Leonard Zorn, den er nie kennenlernen werden wird. Wenn er 1920 stirbt, wird er ein Millionenvermögen hinterlassen. Er ist einer der berühmtesten Maler seiner Zeit. Er hat als Maler der High Society nur einen Konkurrenten, der heißt John Singer Sargent. Aber der hat nur zwei amerikanische Präsidenten gemalt, ich habe drei gemalt, pflegt Zorn zu sagen. Er hat nicht nur Präsidenten gemalt, auch Könige zählen zu seinen Kunden. Anders Zorn ist nach seinem Tode als Maler schnell vergessen worden. Wenn der ehemalige Direktor des Zornmuseums in Mora, Erik Forssman, nicht 1976 in Freiburg eine Ausstellung des graphischen Werkes gemacht hätte und wenn nicht ➱Jens Christian Jensen 1989 eine Zorn Retrospektive in Kiel organisiert hätte, würde ihn hier in Deutschland niemand mehr kennen. Um die Jahrhundertwende kannte ihn jeder in Deutschland. Er hätte sogar beinahe zu seinen vielen Orden noch den Pour le Mérite bekommen, aber davor schreckte Wilhelm II doch zurück, zu viele nackte Schwedinnen auf den Bildern.

Anders Zorn hat Glück, er landet nicht wie Oliver Twist im Armenhaus. Die Eltern seiner Mutter nehmen ihn auf, die Gemeinde Mora kümmert sich um ihn. Sein früh verstorbener Vater, dessen Namen er eines Tages annimmt, hinterlässt ihm ein Erbteil, und die Bierbrauerfreunde seines Vaters finanzieren ihm das Studium. Er will zuerst Bildhauer werden, wendet sich dann aber der Malerei zu. Sein großes Talent wird überall schnell erkannt, seine Bilder verkaufen sich. Er bereist ganz Europa, London, Paris, Madrid, Venedig. Er freundet sich mit vielen Künstlern an, auch mit Max Liebermann (den er auch malt). Er scheint am Anfang seiner Karriere noch unsicher zu sein, wie er malen soll. Er imitiert den in England geschätzten James Tissot in seinem Bild Auf der Themse (1883). Und die Liebesnymphe (ein Aquarell, auch darin wird Zorn ein Meister sein) von 1885, die ein wenig nach Richard Dadd schmeckt, wollen wir lieber auch vergessen. Obgleich sie damals beim viktorianischen Publikum ein riesiger Erfolg war.

Irgendwann malt er wie Liebermann, dann wie John Singer Sargent. Aber wenn er auch nicht ein solches Meisterwerk wie Die Töchter von Edward Darley Boit malt, kann man den Einfluss von Velasquez, der Sargent auszeichnet, auch bei ihm nicht leugnen. Seine Palette wird grautonig wie bei Sargent, das schönste Beispiel ist sicher das Bildnis des Schauspielers Coquelin Cadet (1889) im oberen Absatz. Aber in die Monochromie kommt auch immer wieder ein roter Farbfleck. Wie bei den Spitzenklöpplerinnen von 1894 oder dem Selbstbildnis mit Modell von 1896. Zorn wird auch, so ganz nebenbei, ein Meister der Radierung. Wenn er 1890 als Neujahrsgruß eine Karte verschickt, die ihn (mit elegantem Zylinder), seine Frau und seine Mutter zeigt, dann radiert er auch noch einen kleinen Rembrandt mit auf die Karte. Er selbst betrachtet die Radierungen eher als eine Spielerei, bei seinem Publikum stehen sie in einem hohen Kurs.

Der Bauernsohn aus Dalarna hat sich seinen Platz in der großen Welt hart erarbeitet. Er wird ein großer Dandy werden. Malt sich 1915 in einem roten Anzug, und im gleichen Jahr in einem mächtigen Wolfspelz. Wenn man die Reichen und Schönen malt, die nur auf Äußerlichkeiten acht geben, muss man diese modischen Äußerlichkeiten beherrschen. Anders Zorn hat das Glück, dass er ➱Otto Gustaf Bobergh kennenlernt. Der hatte zuvor mit Charles Frederic Worth in Paris das Haute Couture Haus Worth begründet, jetzt ist er in Stockholm. Und ähnlich wie in Paris der Londoner Hofmaler Franz Xaver Winterhalter mit dem berühmten Worth zusammenarbeitet, wird Bobergh jetzt Anders Zorn alles über elegante Kleidung beibringen. Er wird auch zum "Hofschneider" von Zorn, der jetzt alle Geheimnisse der Schneiderkunst kennt. Sein Bild von König Gustav V. ist das Bild eines eleganten Dandys im Frack. Sehr monochrom, nur die blaue Ordensschärpe über der Frackweste hebt sich aus dem Schwarz und Weiß heraus. Das Bild ist vergleichbar mit Munchs Bild von Harry Graf Kessler in Charlottenburg (1906), ist nur nicht so gelb. Solch revolutionäre Malerei liegt Zorn gar nicht.

Anders Zorn wird aus der großen Welt immer zu seinen bäuerlichen Wurzeln nach Mora zurückkehren, kauft dort Grundstücke, baut ein Haus, tut gute Werke. Und wird zu einem Maler einer ewigen schwedischen Mittsommernacht, wie in Mitternacht (1891) und Mittsommertanz (1903). Anstelle der Damen des amerikanischen Gilded Age kommen nun nackte Schwedinnen auf seine Leinwand. Nicht mehr kaum verhüllte Römerinnen wie bei den prüden Viktorianern. Seine Malerei erinnert jetzt manchmal an Lovis Corinth. Aber diese Frauenbilder (für die Zorn neben Skizzen auch von dem Photoapparat Gebrauch machte) sind für viele der prüden Betrachter (wie Wilhelm II) auch ein Stein des Anstoßes. Viele sehen in der Aktmalerei einen Ausdruck von Altherrenphantasien, Zorn gibt das in seinen autobiographischen Aufzeichnungen auch freimütig zu. Er hat niemals die zeremonielle Art und die gekünstelten Sitten der europäischen Stadtmenschen recht ertragen können. Er träumt von einer schwedischen, pangermanischen Einfachheit. Rausch und Sinnlichkeit sind immer die Devise des urwüchsigen Schweden gewesen. Wenn er 1920 stirbt, wird er seine Kunstsammlungen, sein Werk und sein zweistelliges Millionenvermögen dem schwedischen Staat hinterlassen. Da ist die moderne Kunst (an die er als einer der großen Realisten nie geglaubt hat) schon längst an ihm vorbeigezogen. Man wird ihn schnell vergessen. Nicht in seinem Heimatort, wo es ein Anders Zorn Museum gibt. Er ist In allem und jedem - ein Mann von seltener Kraft, seltener Energie und seltenen Fähigkeiten gewesen, wie Walter Leistikow vor über hundert Jahren urteilte.

Ich habe vor zwanzig Jahren anlässlich der großen Kieler Zorn Ausstellung einen Artikel über Zorn in einer kleinen skandinavistischen Zeitschrift namens norröna geschrieben. Das brachte zwar kein Honorar, aber eine Handvoll Freiexemplare. Eins davon habe ich dem Mann geschenkt, der mir meine sauteure HiFi Anlage installierte. Der war ein großer Anders Zorn Fan, es gibt sie also irgendwo, die Anders Zorn fans. Ich bekam von ihm einen wunderbaren kleinen Plüsch Waschbären namens Knudsen von der dänischen HiFi Firma Dynaudio. Wanda und Carlo lieben ihn. So ist Anders Zorn irgendwie immer noch in meinem Wohnzimmer, wenn ich schon kein Bild von ihm besitze.


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