Mittwoch, 7. April 2010

Kathedralen


Liverpool hat zwei Fußballvereine und zwei Kathedralen. Das mit den Fußballvereinen, FC Everton und FC Liverpool, weiß eigentlich jeder. Das mit den Kathedralen ist weniger bekannt. Die Fußballvereine sind auch älter als die Kathedralen. Als die katholische Kathedrale 1967 fertig wurde, schrieb Liverpools bekanntester Dichter Roger McGough ein Gedicht für dieses Ereignis. Das soll hier heute stehen und kann zu dem unbedeutenden Geschwätz, wie der Kardinal Sodano so schön sagte, der letzten Tage beitragen. Als Ignatius von Antiochien im 2. Jahrhundert schrieb, Denn da, wo Jesus ist, ist auch die katholische Kirche, meint er das ein wenig anders als es heute klingt. katholikos bedeutete für ihn noch das Ganze betreffend, allgemein gültig. Ähnlich verwendet die englische Sprache das Wort catholic (klein geschrieben) heute noch. In Deutschland genießt die Wortkombination von katholisch und Kirche einen Namenschutz (den die römische Kirche auch in Prozessen verteidigt), aber da bedeutet katholisch offensichtlich etwas anderes als allgemein gültig.

Die katholische Kathedrale in Liverpool hat ihre Ursprünge im 19. Jahrhundert. Seit eine halbe Million katholischer Iren nach Liverpool gekommen waren, um nach Amerika zu reisen, aber viele von ihnen in Liverpool geblieben waren, gibt es da einen Bischofsitz. Den ersten Entwurf machte Edward Welby Pugin, der Sohn des berühmtesten Baumeisters der Neugotik, Augustus Welby Pugin. Aber das, was man sich erträumte, kam nicht zustande. 1933 beauftragte man Sir Edwin Lutyens, der für seine Landhausbauten berühmt war, mit einem neuen Plan. Der wollte die größte Kirche der Welt bauen. Die katholische Kirche war damals neidisch auf den Neubau der anglikanischen Kathedrale durch Charles Gilbert Scott. Dieser Bau ist die größte Kathedrale Englands geworden, und sie ist immer noch eine der größten Kirchen der Welt. Witzigerweise war ihr Architekt Scott katholisch. Lutyens, der Architekt der katholischen Kathedrale war Anglikaner. Aber von Lutyens Plänen ist nur die Krypta fertiggestellt wurden. 1962 begann man nach einer weltweiten Ausschreibung wieder mit einem Bau einer Kathedrale. Richtig modern, scheußlich. Da findet man das neugotische Monstrum der Anglikaner schon wieder hübsch. Dennoch ist der Bau in seiner Modernität irgendwie eindrucksvoll. Das Gebäude hat im Volksmund witzige Beinamen bekommen, Mersey Funnel (in Analogie zu Mersey Tunnel und weil es so aussah wie ein umgedrehter Trichter) und Paddy's Wigwam (weil es ein wenig wie ein Zelt aussieht). Der Architekt Frederick Gibberd ist von einem kreisförmigen Bauplan ausgegangen, weil man damit den Forderungen des Zweiten Vatikanischen Konzils nach einer größeren Verflechtung und Gemeinschaft von Gemeinde und Geistlichen nachkommen wollte. Das ist ein schönes Ziel, an das sich die römische Kirche mal wieder erinnern sollte. Von der Bombardierung im Zweiten Weltkrieg sind beide Kathedralen erstaunlicherweise verschont geblieben, lediglich die Kirche von St. Luke wurde von Bomben getroffen. Man hat sie so stehen lassen, als ewiges Mahnmal.

Roger McGough ist in Liverpool geboren, er ist katholisch wie seine irischen Vorfahren. Sein Vater war Hafenarbeiter, Roger war der erste in der Familie, der studiert hatte. Ist Lehrer gewesen, hat dann aber umgesattelt auf Dichter. Er war auch Mitglied der Komiker Gruppe The Scaffold (Paul McCartneys Bruder auch), die mit Thank you very much und Lily the Pink ganz oben in den Charts waren. Mit Lily the Pink hat McGough mehr verdient, als er als Lehrer je verdienen konnte. McGough hat auch für die Beatles geschrieben und war Teil dessen, was man damals so schön als den Mersey Sound bezeichnete. Unter diesem Titel stellte der Penguin Verlag 1967 Adrian Henri, Roger McGough und Brian Patten im Band 10 der Penguin Modern Poets vor. Die fortan nur noch die Liverpool Poets hießen. Als sie vom British Council zur Lesereise nach Deutschland geschickt wurden, wurden die Liverpool Poets einmal mit einem Plakat irrtümlich als Little Poor Poets angekündigt. Der Band des Penguin Verlages ist ein Bestseller geworden, und seit mehr als vierzig Jahren lieben die Engländer ihren Dichter Roger McGough, so wie sie John Betjeman und Philip Larkin geliebt haben. McGough has done for British poetry what champagne has done for weddings, schrieb Time Out einmal. Wir haben in Deutschland ja keine Dichter, die wir lieben können. Wir haben zwar Goethe, aber den lieben wir nicht wirklich. Und der ist auch niemals so witzig gewesen wie Roger McGough. Es ist sicher nur verdient, dass er Orden wie OBE und CBE bekommen hat und vor kurzem Ehrenbürger von Liverpool geworden ist.

Roger McGough lebt schon lange in London, aber für die Einweihung der neuen katholischen Kathedrale in seiner Heimatstadt hat er es sich nicht nehmen lassen, ein Gedicht zu schreiben, das mit seinem utopischen Gehalt damals sicher die katholische Kirche in Rom erschreckt hat. Heute erst recht.

Poem for the opening of Christ the King Cathedral, Liverpool 1967

O Lord on thy new Liverpool address
let no bombs fall
Gather not relics in the attic
nor dust in the hall
but daily may a thousand friends
who want to chat just call.

Let it not be a showroom
for wouldbe good Catholics
or worse:
a museum
a shrine
a concrete hearse
But let it be a place
Where lovers meet after work
for kind words and kisses
Where dockers go of a Saturday night
to get away from missus
Tramps let kip there through till morning
kids let rip there every evening.

Let us pray there
heads held high
arms to the sky
not afraid and kneeling
let Koppites*
teach us how to sing
God's "Top of the Pops" with feeling

After visiting you
May traffic wardens let noisy parkers off
and policemen dance on the beat
Barrowomen knock a shilling off
exatheists sing in the street

And let the cathedral laugh
Even show its teeth
And if it must wear the cassock of dignity
Then let's glimpse the jeans beneath

O Lord on thy new Liverpool address
let no bombs fall
Keep always a light in the window
a welcome mat in the hall
That it may be a home sweet
home from home for all.

Wäre das so schlimm, wenn die Kirche wirklich so wäre, wie McGough sie sich vorstellt? Ist das, was sie jetzt mit ihrem pomp and circumstance und dem konsequenten Negieren der wirklichen Welt ist, wirklich besser? Vielleicht sollte man in Rom mal über McGoughs Gedicht nachdenken.

Ich habe Roger McGough einmal bei einer Dichterlesung erlebt, er trug einen cremefarbenen Leinenanzug und las die Klassiker, mit denen er berühmt geworden war. Wie Let me die a youngman's death. Nach der Lesung habe ich ihn gefragt, ob er mir meinen alten Penguin Band von The Mersey Sound signieren könnte, ich sei ein Fan der ersten Stunde. Was er denn auch mit einem Lächeln getan hat.

*Koppites sind die Fans vom FC Liverpool.

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