Dienstag, 13. April 2010

Sängerkrieg


Der Sängerkrieg auf der Wartburg, der im 13. Jahrhundert stattgefunden haben soll, heißt heute Poetry Slam. Überall wird jetzt gedichtet, vor allem im Internet. Während Gedichtbände bei den Verlagen ein Nischendasein führen, ist das Netz voll von poetischen Websites, die www.gedichte.com heißen. Oder poetenladen, fixpoetry, lyrikwelt, lyrikecke, dichterplanet, lyrikline. Auch auf YouTube gibt es schon massenhaft Lyrik. Wenn Gedichte bei www.zeno.org, der größten deutschen Volltextbibliothek publiziert werden, dann ist der Dichter meistens schon tot. Tote Dichter haben es geschafft, ihr Status ist etabliert. Ob sie gelesen werden (oder ob sie wirklich gute Gedichte geschrieben haben), ist eine andere Frage. Da braucht es schon eines Robin Williams in Dead Poets Society, um Schüler dazu zu bekommen, auf den Tisch zu steigen und Walt Whitman zu deklamieren.

Meistens haben Schüler in der Schule Angst vor Gedichten, bis auf diejenigen, die heimlich schreiben. So einen gibt es in jeder Klasse. Lehrer haben auch Angst vor Gedichten. Aber die haben eine Geheimwaffe, sie haben sich alles über Reim, Versmaß und Gedichtform angelesen und quälen Schüler damit. Von A bis Z, Anapäst bis Zäsur, das ganze Repertoire der antiken Rhetorik. Danach haben Schüler noch mehr Angst vorm Gedicht. Und über das, was im Gedicht steht, wird nicht mehr geredet. Früher wurden im Deutschunterricht Gedichte der Höhenkammliteratur auswendig gelernt. Ganze Generationen wurden mit Schillers Glocke gequält. Thomas Mann konnte über einen Hofschauspieler, der sich beim Deklamieren verhaspelte, schreiben: Er war der Einzige im ganzen Saal, der in der Glocke nicht ganz sicher war. Als Hans Magnus Enzensberger beim Insel Verlag Schillers Gedichte herausgegeben hat, hat er die Glocke einfach weggelassen. Gab einen Aufschrei in der Presse. Schüler rächen sich an ihren Lehrern, indem sie nur noch Pop Lyrik, Nonsense Verse oder Underground Gedichte lesen. Oder gar nicht mehr lesen.

Früher bekamen junge Menschen zu Konfirmation oder Kommunion den gefürchteten Echtermeyer/von Wiese geschenkt, der heute vom Großen Conrady abgelöst worden ist. Diese Sammlungen verkaufen sich heute immer noch gut, und auch Hans Magnus Enzensbergers revolutionäre Anthologie museum der modernen poesie ist immer noch erhältlich. Enzensberger hat mit seinem Titel das Museale der Dichtung betont. Wenn es Dichtung geschafft hat, kommt sie zwischen zwei Buchdeckel ins Museum und kriegt einen Aufkleber unbegrenzt haltbar. Im Internet ist man in Bezug auf das Verfallsdatum nicht so sicher, deshalb möchten hoffnungsvolle Dichter auch lieber zwischen die Buchdeckel. Zum Beispiel in die voluminösen Bände Lyrik und Prosa unserer Zeit, die im Karin Fischer Verlag Jahr für Jahr erscheinen. Da verdient der Dichter nix, er muss noch dafür bezahlen, es sieht aber sehr gut aus. Gedichtbände von richtigen Dichtern (also bevor sie berühmt werden und in jeder Anthologie sind) sind häufig sehr schmal, werden aber von Jahr zu Jahr wertvoller. Manche auch nicht, Makrelen für Kalliope, ein Band von Studentenlyrik, den Karl Otto Conrady an der Universität Kiel 1966 initiierte, kostet heute bei Amazon 7,50€. Müsste viel teurer sein, da sind Gedichte drin von Leuten, die noch richtig berühmt geworden sind:

Wenn Menschen an dir vorübereilen,
dann lächle nicht -
dein Lächeln könnte ihre Eile stören.

Wenn Menschen an dir vorübereilen,
dann bleibe stumm,
behalte deine Fragen,
denn Antwort bekommst du nicht.

Die Verfasserin wird keine Antwort auf die Frage bekommen, wer ihr vor Jahren seine Stimme bei der Wahl zur Schleswig-Holsteinischen Ministerpräsidentin verweigert hat, so dass sie bei RTL bei Let's Dance auftreten musste. Wenn jetzt Heide Simonis über dem Gedicht stehen würde, dann wäre es doch gleich bedeutend. Oder? Der englische Literaturwissenschaftler I.A. Richards hat in den zwanziger Jahren ein Experiment gemacht und Studenten Gedichte gegeben, bei denen er den Namen des Dichters weggeschnibbelt hatte. Ohne den Dichternamen ist der studentische Interpret hilflos. Gedichte der Weltliteratur werden als grässlicher Kitsch interpretiert, wenn das Warnschild bedeutende Dichtung nicht dabei steht. An deutschen Universitäten wird nicht so viel gedichtet, in Amerika ist das anders. Da gibt es creative writing classes, und viele Universitäten haben einen Writer in Residence. Da wohnt der Dichter auf dem Campus und bringt den Studis bei, wie man richtig dichtet. Was zu erstaunlichen Ergebnissen führen kann. Eine Anthologie, wie die von Edward Field herausgegebene A Geography of Poets, zeigt, dass hier ein ungeahntes Reservoir an Dichtung ist. Im Land der Dichter und Denker haben wir so etwas nicht. Conrady war mit seiner gesammelten Studentenlyrik schon auf dem richtigen Weg. Und deshalb gibt es zum Schluss noch ein Gedicht aus Makrelen für Kalliope. Es heißt trotz und ist von Bernhard Glienke, der ist Professor in Cambridge geworden, ist aber früh gestorben. Dichter sterben immer früh. Aber zwischen den bräunlichen Pappdeckeln lebt er immer noch, was bleibet aber, stiften die Dichter.

nun malen wir rot
das boot und das fährhaus
den brennenden leuchtturm
die feuerwehr
blume und kleid
des fliehenden mädchens.

o weh unser blut
wird dunkel wird hart wird
unansehnlich.

nun geben wir das malen auf
rot um des roten willen
nun sehn wir gemälde an
in der kostbaren malstunde
die uns verbleibt
uns ist nicht zu helfen.

1 Kommentar:

  1. Hallo Jay,

    nicht direkt ein Kommentar zu Ihrem wie immer sehr lesenswerten Beitrag (ich bin immer wieder verblüfft, wie brillant Sie Bezüge herzustellen zu wissen):

    Ich habe am Wochenende einen neuen Blog eingerichtet (http://morgenlaenders-notizbuch.blogspot.com), der die alten Blogs ablöst. Schauen Sie mal vorbei!

    Viele Grüße
    Morgenländer

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