Montag, 5. April 2010

Schmutzige Lyrik


Nee, nicht das, woran Sie jetzt gerade denken. Das, was innen auf den Klotüren geschrieben steht, the writing on the wall. Ist auch längst erforscht, Peter Rühmkorf hat ein Buch darüber geschrieben, das Über das Volksvermögen heißt. Ich kannte mal jemanden, der während seines Studiums als research assistant für Peter Rühmkorf in deutschen Universitäten Klosprüche von den Türen abschrieb. Der ist später Germanistikprofessor geworden. War irgendwie zwangsläufig, in den sechziger Jahren interessierte sich die Germanistik ja mehr für die Analyse von Werbung und Todesanzeigen als für Walther von der Vogelweide. Also ich meine mit schmutzige Lyrik jetzt schon wirkliche Lyrik, die sich Gegenständen widmet, die wir im Gedicht nicht so gerne sehen.

Vor vielen Jahren, als die Sendung Drei nach Neun noch nicht von Giovanni di Lorenzo in die seichten Untiefen der Bedeutungslosigkeit gesteuert worden war, als man noch Moderatoren wie Wolfgang Menge, Marianne Koch, Gert von Paczensky, Karl-Heinz Wocker, Dagobert Lindlau (und wie sie alle hießen) hatte, da gab es in Bremen mal einen Goethe Abend. Da sollten Leute aus dem Publikum Goethe Gedichte aufsagen. Und da kam ein junger Mann ans Mikrophon, schwarze Lederjacke und ganz auf Krawall gebürstet. Und der sagte ganz furchtbaren Schweinkram auf, bis er von den Saalordnern aus dem Sendesaal entfernt wurde. Und die Zuschauer wieder in Ruhe das Heideröslein und den Erlkönig aufsagen konnten. Und dann geschah etwas Unerwartetes. Der Intendant von Radio Bremen trat an das Mikrophon. Und sagte, dass man vorhin dem jungen Mann bitter Unrecht getan hätte. Er hätte Anrufe von drei Germanistikprofessoren erhalten, die ihm alle glaubhaft versichert hätten, dass der Schweinkram vorhin original von unserem deutschen Dichterfürsten war. Peinliches Schweigen im Saal.

Zur gleichen Zeit trat in England eine Dichterin ins Rampenlicht der Öffentlichkeit, deren dichterische Produktion in einem Land, das no sex please, we are British im Wappen hat, eine Sensation bedeutete. Sie hieß Fiona Pitt-Kethley, und ihre Gedichtbände Sky Ray Lolly (1986), Private Parts (1987) und The Perfect Man (1989) zeigten den Engländern, dass es neben Margaret Thatcher noch wirkliche Frauen im Königreich gab. Frightfully rude, konstatierte die Presse, A wayward poet of all things impolite schrieb die Times. Aber der Observer sagte auch I don't see why a woman shouldn't talk dirt as readily as a man. Die Presse stilisierte sie zu einem weiblichen Lord Byron, über den Lady Caroline Lamb einmal gesagt hatte Mad, bad and dangerous to know. Aber das Publikum liebte die Verse von the most widely-read and controversial poet der achtziger Jahre. Und der Erfolg war verdient, sie ist wirklich eine sehr gute Dichterin. Die so ganz nebenbei für die Emanzipationsbewegung vielleicht mehr geleistet hat, als deren politische Vorzeigefiguren.

Ihre Karriere begann mit Absagen. Nach dem 86. Absagebrief begann sie, die Herausgeber und Literaturagenten mit beleidigenden Gedichten zu beschimpfen. Die wurden zu ihrer Überraschung gedruckt. Dann schrieb sie über verflossene Liebhaber und Männer im allgemeinen. Von nun an wurde alles von ihr gedruckt, im Observer, dem New Statesman, dem London Review of Books. Irgendwann schien man gemerkt zu haben, dass sie nicht nur eine Skandalnudel war, sondern dass sie witziger war als Monty Python und eine wirkliche Dichterin war. Ein völliges Gegenstück zu Emily Dickinson, die ihr Leben lang Haus und Hof nicht verlassen hat und über Vögelchen im Garten schrieb. Sie schrieb auch nicht immer nur über Männer und Sex. Ein Gedicht wie Gala Day (in Private Parts) könnte auch von Philip Larkin stammen, ist aber witziger als Larkin.

Ein schönes Beispiel für ihren Witz ist das Gedicht That Word. Dieses, im ganzes Gedicht nicht genannt Wort, ist natürlich ein four letter word, das mit dem Buchstaben F anfängt:

'I bet you're glad your daughter wasn't here
tonight to hear that word,' I hear one man
say to another man the night I read.
His hair looked dyed. His face red with rage
which made the bird tattoo flying down his neck
seem extra blue.

I rather wondered if he and his friend
that worded their own daughters at weekends.
Statistics prove lots of men do.

A vicar's girl taught all the class that word
when I was nine. I really took to it -
so easy to remember and pronounce
and good for rhymes. It's not a synonym -
an honest word that only means one thing.
I've used it ever since. Beside all that,
I rather like the short, sharp shock it gives
to men with daughters to protect.

Die Autorin, die 1988 im Independent ein Manifesto of a Female Casanova geschrieben hat, lebt heute nicht mehr in England. Sie hat geheiratet (einen englischen Schach Großmeister) und lebt mit Mann und Kind in Spanien. Die Spanier mögen die Engländer ja nicht so besonders, seit sie 1588 ihre Armada im Ärmelkanal verloren haben. Aber seit Wellington Spanien von den Franzosen befreit hat, sind ihnen die Engländer etwas sympathischer geworden. Viele Engländer machen in Spanien Urlaub, gefürchtet sind bei den Spaniern die englischen Fußballhooligans und Sauftouristen. Aber es gibt eben auch viele seriöse Engländer, die unter südlicher Sonne ihren Lebensabend verbringen. Ist wärmer als in Brighton.

Fiona Pitt-Kethley schreibt immer noch. Sie hat in den neunziger Jahren zwei Anthologien herausgegeben, einen Literary Companion to Sex (1994) und einen Literary Companion to Low Life (1995), was ihr von der Kritik als schamlose Vermarktung ihres literarischen Erfolgs ein wenig übelgenommen wurde. Finanziell hat sie ausgesorgt. Spätestens seit ihr Mann James Plaskett bei der ITV Show Who Wants to be a Millionaire? 250.000 Pfund gewonnen hat. Damals war sie sein Telephonjoker. Sie ist heute überall im Internet präsent und lässt uns an ihren Erlebnissen in Spanien teilhaben. Das ist immer noch witzig, aber irgendwie nicht mehr so toll wie in den achtziger Jahren.

Mein Gedicht des Tages ist heute das völlig schmutzfreie Bond Girl aus der Sammlung The Perfect Man:

Back in my extra days, someone once swore
she'd seen me in the latest James Bond film.

I tried to tell her that they only hired
the real glamorous leggy types for that.
(My usual casting was 'a passer-by'.)

I've passed the lot in Pinewood Studios.
It's factory-like, grey aluminium, vast
and always closed. Presumably that's where
they smash up all the speedboats, cars and bikes
we jealous viewers never could afford.

I quite enjoyed the books. Ian Fleming wrote well.
I could identify a touch with Bond,
liking to have adventure in my life.
The girls were something else. All that they earned
for being perfect samples of their kind -
Black, Asian, White - blonde, redhead or brunette,
groomed, beauty-parlourised, pleasing in bed,
mixing Martinis that were shaken not stirred
using pearl varnish on their nails not red -
was death. A night (or 2) with 007,
then they were gilded till they could not breathe,
chucked to the sharks, shot, tortured, carried off
or found, floating face downward in a pool.


Post scriptum: Es hat eine Anzahl von Fragen gegeben, wie denn so ein richtig schweinischer Goethe Text aussieht. Mit vornehmer Zurückhaltung habe ich den nicht zitiert. Aber wenn es unbedingt sein muss, hätte ich natürlich ein Beispiel:


Und hinten wo am Arsch die Hoden klunkern Das Rückgrad sich biegt die Beine sich anziehn Das rothe Stücklein aus der Scheide treibt Und der ganze Kerl herrlicher wird Beleckt jede Ihrer Brüste Hitzig, Der Schwanz sich krümmt Das Eingreifen der Pfoten Hächzen Der unendliche Ausdruck von Geilheit im Verbiegen und Verschmiegen der ganzen Natur Anbiegen und anschmiegen.

Lesen Sie ➱hier mehr, ich hoffe, das reicht jetzt zum Thema.

3 Kommentare:

  1. Und warum muss ich jetzt nach anzüglichen Goethe-Texten googeln? Sie helfen doch sonst immer gleich mit einem Link. ;)

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