Sonntag, 11. April 2010

Textil/Text


Als die US Navy das T-Shirt einführte (als Nachfolger der Trikot Leibchen der Sailors), da war dieses Unterhemd noch weiß. Bei der Army war es khakigrün, aber es war immer noch ein Unterhemd. Heute ist es ein fester Bestandteil der Herrenoberbekleidung geworden, mit dem sich jeder cool vorkommen kann, nicht nur Marlon Brando 1954 in The Wild One. Mit einem Schiesser Doppelripp U-Hemd aus den fünfziger Jahren gelingt das nicht jedem. Nur den schönen Männern in den italienischen Filmen des Neorealismus der fünfziger Jahre.

Das Unisex Leibchen ist inzwischen Werbeträger und Plakatfläche für mehr oder weniger eindeutige Botschaften, T-Shirts mit dem Aufdruck I fucked Paris Hilton sind nicht mehr so in, auch den Aufdruck man muß noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können, sieht man nicht mehr so häufig. Ganz selten ist ein T-Shirt, das ich einmal geschenkt bekam, auf dem steht: Ich kann lesen! Das hat nicht jeder, und immer weniger dürften so etwas tragen. An  diesem Vormittag gibt es bei ebay 1.098.972 T-Shirts in der Abteilung Herrenbekleidung. In der Damenbekleidung sind es nur 161.073. Bei der Kinderbekleidung ist das Angebot mit je 49.000 für Jungen und für Mädchen ausgeglichen.

An einem schönen Sommertag durch die Fußgängerzone einer deutschen Großstadt schlendernd, entdeckte ich einmal auf dem blass lila T-Shirt der jungen Dame vor mir die Zeilen:

Souvent pour s'amuser, les hommes d'equipage
prennent des albatros, vastes oiseaux des mers,
qui suivent, indolent compagnons de voyage,
le navire glissant sur les gouffres amers.

A peine les ont-ils déposées sur les planches,
que ces rois de l'azur, maladroit et honteux,
laissent piteusement leur grandes ailes blanches
comme des avirons traîner à côté d' eux.

Le voyageur ailé, comme il est grande et veule!
Lui, naguère si beau, qu'il est comique et laid!
L'un agace son bec avec un brûle-gueule,
l'autre mime, en boitant, l'infirme qui volait!

Le Poète est semblable au prince des nuées
qui haute la tempête et se rit de l'archer;
exilé sur le sol au milieu des huées,
ses ailes de géant l'empêchent de marcher.

Der Designer hatte nur die Hälfte des Baudelaire Textes auf dem Mädchenrücken plaziert, wenn man das Shirt extra large gekauft hätte, hätte es vielleicht den ganzen Albatros gegeben. Ich hielt die junge Dame für eine Romanistikstudentin und sagte an der nächsten roten Ampel zu ihr Das ist von Baudelaire, nicht? Worauf ich die Antwort bekam: Nein, von Diesel. Das ist der culture clash des täglichen Lebens.

Stefan George ist einer der Übersetzer von Baudelaires L'Albatros gewesen, seine Übersetzung verhält sich zum Original wie seine Photos im Vergleich zu den Aufnahmen, die Nadar von Baudelaire gemacht hat. Hier der strenge Deutsche, leicht dandyesk altertümelnd inszeniert, eine Mischung von Goethe und Gerhard Hauptmann. Dort der Künstler, der Dandy als Bohemien. Bei Baudelaire heißt es über das Schiff glissant, da ist Bewegung drin. Bei George ist alles so verknotet wie das Plastron auf seinen Portraitphotos: ....wenn auf seinen zügen/das schiff sich durch die schlimmen klippen zwängt. Das muss man mal laut lesen. Lediglich die letzte Strophe ist George gelungen, vielleicht hat er sich da mehr Mühe gegeben, weil er sich da selbst im Text wieder fand:

Der dichter ist wie jener fürst der wolke
er haust im sturm - er lacht dem bogenstrang
doch hindern drunten zwischen frechem volke
die riesenhaften flügel ihn am gang.

Ich gebe ja gerne zu, dass sich Baudelaire auch inszeniert hat. Aber nicht in dem Maße, in dem George und der George-Kreis sich zu einem Gralshüter von Deutschtum und Kultur gemacht haben. Als mir ein Freund vor kurzem die Lektüre von Ulrich Rauffs Kreis ohne Meister: Stefan Georges Nachleben empfahl, habe ich ihm geantwortet, dass ich noch immer darunter litte, mal ein Konvolut aller Schriften von Norbert von Hellingrath gekauft zu haben. Nichts gegen seine Verdienste als Hölderlin Herausgeber, aber überall, von der Kleidung bis zum Stil des Schreibens scheint diese große deutsche, heilige (und letztlich selbstgefällige) Bedeutung durch, die die Geisteselite des George Kreises auszeichnet. Der Baudelaire auf den Photos, die sein Freund Nadar gemacht hat, könnte Gauloises oder Gitanes rauchen. Für George wäre das sicherlich schrecklich.

1 Kommentar:

  1. Hallo Jay,

    "Das ist von Baudelaire, nicht? Worauf ich die Antwort bekam: Nein, von Diesel."

    Danke für das erste Lächeln an diesem Frühlingssonntag.

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