Freitag, 25. Juni 2010

Stil


Jogi Löw ist eine Stilikone, lese ich. Denke zuerst, die haben sich vertan und meinen Yogi Bear, aber nein, es war Löw. Weil er immer schwarze Hosen und weiße Hemden trägt, so stylish. Noch nie war es so leicht, mit so wenig einen Stil zu haben. Und weil das natürlich nicht irgendwelche schwarzen Hosen oder weiße Hemden sind, sondern weil sie von Strenesse sind, steht auch dabei. Wenn man stylish ist, muss man natürlich immer einen Markennamen dazu sagen. Da kriegt der Journalist dann von Gabriele Strehle bestimmt ein stylishes weißes Hemd dazu.

Manche Markennamen gehen nun gar nicht. Also zum Beispiel Eterna. Christian Wulff trägt Eterna Schlipse. Stand in der Zeit vor 14 Tagen. Das ist schnell verdientes Geld, über einen so armen Kerl wie den Wulff herzufallen und ihn einer Stilkritik zu unterziehen. Erst dachte ich, es ist die silly season, und die haben da irgendeinen Volontär losgelassen. Habe mich aber dann belehren lassen müssen, dass Moritz von Uslar kein Pseudoym ist, sondern dass der Mann seit Jahren sein Geld mit Stilkritiken verdient. Wie schade, dass ich das noch nie gelesen habe. Vielleicht ist er ja ein zweiter Andreas (Leo) Lukoschik, der hatte ja immerhin studiert und mal einen Grimme Preis gekriegt. Und er war witzig, das ist von Uslar nicht. Er möchte so schreiben wie Benjamin von Stuckrad-Barre, aber das bringt er nicht. Häme über jemanden auszugiessen, der keine erkennbare Bildung und keinen erkennbaren Stil hat, ist ja eine sehr niveauvolle Sache fürs Feuilleton der Zeit.

Aber es ist symptomatisch. Was wäre aus Schröder geworden, wenn er nicht plötzlich zum wandelnden Werbeträger (erst Zegna, dann Brioni) mutiert wäre? Wollen wir unsere Politiker wirklich als Dressmen, die auch noch bei der erstbesten Gelegenheit so wie Schröder das Label ihrer Klamotten in die Kamera halten wie die Sapeurs im Kongo? Die Tochter von Wilhelm Kaisen hat ihrem Vater mal eine Kaschmirstrickjacke bei Stiesing in der Sögestraße gekauft, hat aber ihrem Vater nie erzählen dürfen, dass die von Stiesing war. Er hätte sie sonst nicht getragen. Die Gründergeneration der Republik legte keinen übertriebenen Wert auf sartoriale Feinheiten. Und Journalisten hatten noch andere Themen, als über die Schuhe und Schlipse von Politikern zu schreiben.

Harold Wilson hat einen Mantel der Firma Gannex getragen (links), und die Firma hat mit seiner Einwilligung mit ihm Reklame gemacht. Das galt in England als nicht fein, sowas Prolliges war natürlich typisch Labour. Zum Abschied aus dem Amt des Premierministers hat er den Gannex Firmenchef auf seiner berüchtigten lavender list auch noch zum Lord gemacht (Lord Kagan, nicht Lord Gannex). Wenig später war der wegen Betrugs im Gefängnis. Hat ein Politiker aus dieser Geschichte etwas gelernt? Musste Biedenkopf unbedingt an der Kasse von IKEA um Prozente betteln? Die Firma ➱Brioni hat verlauten lassen, dass Schröder (der auch bei Möller in Hannover Rabatt bekommt) für sie ein besserer Werbeträger gewesen sei als James Bond. Da kann sich der Gerd was drauf einbilden. Ich weiß nicht, ob die Firma IWC ihn noch als Werbeträger gebraucht (Schröders russischer Kumpel Putin trägt ja eine Patek, die genau so viel kostet, wie er im Jahr verdient). Die haben ja nicht so viel Glück mit ihren Vorzeigepromis. Jan Ullrich (Doping), Boris Becker (Besenkammer), Zinedine Zidane (Kopfstoß). Hoffentlich haben die nicht noch Nicolas Anelka unter Vertrag.

Früher, als sie noch eine seriöse Manufaktur waren, und sie äußerlich unscheinbare und technisch hervorragende Uhren machten, war alles anders. Da trugen noch Intellektuelle und gebildete Leute eine IWC. Aber seit Blümleins Tod hat sich die Firma verändert. Heute werden zu den Events der Luxusfirmen alle möglichen B-Promis eingeflogen. Aber garantiert keine Philosophen oder Intellektuelle. Und Leute mit Bildung würden nicht für alles Geld der Welt zu solchen Events gehen.

Es ist eigentlich ganz schön, dass zur Zeit auf 3sat Kir Royal läuft. Ist zwar schon ein Vierteljahrhundert alt (und viele die da mitspielten sind inzwischen tot), ist aber immer noch hochaktuell. Abgesehen davon, dass sich bei den bayrischen Amigos das Outfit inzwischen etwas verändert hat, aber dieser Drang, in der Gesellschaft jemand sein zu wollen, der ist geblieben. Hat sich irgendjemand in dem hochkomischen Prominentenzahnarzt in Folge Eins wiedererkannt? Oder in dem Generaldirektor Hafferloher (eine Paraderolle für Mario Adorf), der so gerne dazugehören möchte?

Aber Stil kann man nicht kaufen, den erwirbt man sich im Leben. Oder auch nicht. Einen Lifestyle, den kann man sich kaufen. Als Arthur Miller in den fünfziger Jahren zum ersten Mal das Wort lifestyle hörte, gab er ihm keine so großen Überlebenschancen. Er musste zugeben, dass er sich geirrt hatte, steht so in seiner Autobiographie. Was wäre wir heute ohne diesen inflationär gebrauchten Begriff? Er interessiert ja nur die armen neureichen Aufsteiger und die Journalisten, im wirklichen Leben brauchten wir ihn nicht. Im wirklichen Leben brauchen wir auch keine Stilkritiker wie den Herrn von Uslar. Und es wäre schön, wenn wir Herr Wulff auch nicht brauchten, ob er nun seine Lloyd Schuhe in Sulingen im Fabrikverkauf kauft oder nicht. Über die Uhr von Herrn Wulff hat Herr von Uslar keine Auskunft bekommen: Der Herr Ministerpräsident möchte das nicht so gerne. Ist ihm zu intim. Na ja, seit sich der Kleinfeld bei Siemens seine ➱Rolex auf dem Photo hat wegpixeln lassen, achtet man schon auf sowas. Außer man heißt Silvio Berlusconi, dann trägt man eine Uhr, die mehr als eine halbe Million kostet. Irgendwie scheint für ihn auch der Satz zu gelten, der sich Ian Buruma einmal während der Olympischen Spiele in Seoul aufdrängte: je ärmer und unbedeutender das Land, um so protziger  (Uhren und Klamotten) kommen seine Funktionäre daher.

Wenn man früher Fußballtrainer war, dann sah man so aus wie Winni Schäfer. Oder auf jeden Fall irgendwie so wie Atze Schröder aussieht. Jetzt sehen die Fußballtrainer aus wie Dressmen, tragen irgendwelche (meistens schlechtsitzende) corporate identity Anzüge, für die sicher wieder eine Firma Werbung machen kann. Und die dann zuhause von irgendwelchen bezahlten Journalisten als sehr stylish beschrieben werden. Während wir alle am Bildschirm sehen konnten, wie grauenhaft das aussah. Irgendwie wünsche ich mir das wieder zurück, dass die Trainer wieder aussehen wie Winnie Schäfer oder Otto Rehhagel und nicht wie die Stilikone Yogi Bear. Und jetzt habe ich das doch wieder verwechselt, oder? Es gibt ja inzwischen schon ein Jogi Löw Hemd (Yogi Bear T-Shirts gab es schon länger), das kostet 149 € und besteht zu 77 Prozent aus Baumwolle, 18 Prozent Polyamid und 5 Prozent Elasthan. Und ist natürlich wahnsinnig stylish. Für den Preis kriegt man in London im Ausverkauf schon ein richtig gutes Oberhemd, und bei ebay UK könnte man in diesem Augenblick vier nagelneue Thomas Pink Hemden für den Preis kriegen. Man könnte natürlich auch einundfünzig Hanna Barbera (Hanna Barbera, nicht Luciano Barbera!) Yogi Bear Aufbügler für T-Shirts zum Stückpreis von 2,90 € kaufen und damit eine ganze Kita glücklich machen.

Das ist natürlich keine Kita, das ist die englische Nationalmannschaft. Die Anzüge kommen von Marks und Spencer, man kann sie jetzt überall in England kaufen. Der Anzug kommt in zwei Versionen, einmal normal und zum anderen in der scharfen engen Version. Das, was Beckham trägt. Das Design (schmales Revers, schräge Taschen etc.) stammt von Timothy Everest. Ist nett gedacht, aber so richtig passen tun die Teile ja nicht. Selbst Becks sieht damit manchmal unglücklich aus. Womit einmal mehr bewiesen wäre, dass zwischen der Savile Row und dem Savile Row Design von Marks und Sparks eine kleine Welt liegt. Auch preislich, der M&S Official FA Suit kostet 120 Pfund für das Jackett und 79 Pfund für die Hose (die optionale Weste 35 Pfund). Die Klamotten von Strenesse sind viel teurer. Wenn am Wochenende Mark&Spencer gegen Strenesse spielt, werden wir ja sehen, wer gewinnt.

Ich weiß nicht, ob Yogi Bear eine Uhr trägt (hatte Winnie-the-Pooh eine?), aber Jogi Löw trägt jetzt protzig eine IWC Da Vinci. Und die Firma stattet auch die Mannschaft mit einer speziellen Weltmeisterschaftsuhr aus.

Wozu sich im Internet hübsche Sätze fanden, wie dieser: Schlimm genug, dass ein Haufen Sonderschüler solche Gehälter bekommt, aber diese Uhr ist ebenso unnötig wie hässlich. Das sind doch alles Millionäre, die da über den Rasen laufen, die können sich ihre Uhren doch selbst kaufen. Für das Geld hätte die Firma auch in Südafrika irgendwelche guten Werke tun können. Wir scheinen in einer Welt zu leben, wo viele Sein und Design verwechseln. Statt Werbeträger für irgendein Produkt eines Designers zu sein, könnte man die Werke von Plato oder Aristoteles kaufen. Und lesen. Das Sondermodell für die deutsche Nationalmannschaft kostet 8.900 Euro, mit dem Geld könnten die Hilfsorganisationen für Afrika schon etwas anfangen. Und bevor man Jogi Löw zur Stilikone macht, sollte man vielleicht lieber Karlheinz Böhm zu seinem Vorbild machen. Das hätte Stil.

Falls ich jetzt jemanden in Bezug auf Stil und Geschmack verunsichert haben sollte, kann ich nur die Lektüre von Stephen Bayleys Taste: The Secret Meaning of Thing (Faber & Faber 1991) empfehlen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen