Sonntag, 25. Juli 2010

John Schlesinger


Er hat gerne immer wieder mit denselben Schauspielern gearbeitet, Julie Christie (die durch ihn berühmt wurde und nicht durch Dr. Schiwago), Alan Bates, Peter Finch. In Far from the Madding Crowd hatte er Christie, Bates und Finch in einem Film (und dann noch Terence Stamp als Sergeant Troy). Das war sein erster Farbfilm, A Kind of Loving, Billy Liar und Darling Anfang der sechziger Jahre waren noch Schwarzweißfilme. Milieustudien, mit denen er sich seinen Platz im nun neuen englischen Kino der sechziger Jahre sicherte. Obgleich er niemals wirklich revolutionär war, wie die Filmemacher des Free Cinema Lindsey Anderson, Karel Reisz und Tony Richardson. Und die Kritiker bescheinigten ihm auch gerne eine gewissen Oberflächlichkeit, man mag das in England nicht, wenn jemand vom ersten Film an Erfolg hat.

Far from the Madding Crowd (Schlesingers vierter Film) ist die Verfilmung von Thomas Hardys viertem Roman, hieß auf deutsch Die Herrin von Thornhill. Das hätte Thomas Hardy nicht gefallen, der sich seinen Romantitel mit Bedacht aus Thomas Grays Elegy Written in a Country Churchyard gewählt hatte. Wenn Sie sich den Film anschauen, legen Sie sich eine Packung Tempotaschentücher bereit. Ich bekomme da immer Tränen in die Augen. Ist ja keine Schande, auch Thomas Mann hat ihm Kino geweint, hat er seinem Tagebuch anvertraut. Der Film hält sich getreu an den Roman (als Drehbuchautor fungierte wieder Frederic Raphael, der für das Drehbuch von Darling einen Oscar bekommen hatte), und er kann viele Zuschauer dazu bringen, Thomas Hardy zu lesen. Denn das lohnt sich unbedingt, denn er ist einer der besten englischen Romanciers, auch wenn er sich eigentlich eher als Dichter gesehen hat.

Nach diesem Film ist Schlesinger nach Amerika gegangen, hat Midnight Cowboy und Marathon Man gedreht, aber was ich von ihm mag, sind diese englischen Themen, für die er immer wieder nach England zurückkommt und für die er es auch nicht verschmäht, für das Fernsehen zu arbeiten. Ich meine solche Filme wie Sunday, Bloody SundayAn Englishman Abroad, A Question of Attribution und Cold Comfort Farm.

Ich weiß schon, dass Sunday, Bloody Sunday (nach dem Skript von Penelope Gilliatt) ein Farbfilm ist, aber es ist ein so trister Film über zwei Menschen, die beide den gleichen Kerl lieben, dass er eigentlich ein Schwarzweißfilm ist. Es ist auch sein persönlichster Film, in dem Schlesinger seine eigene Homosexualität anspricht. Damals waren auch die Filmkritiker, die seine Filme für nicht sehr tiefgehend hielten, sehr ruhig. Vincent Canvy von der New York Times urteilte: 'Sunday, Bloody Sunday' ist Schlesingers (Darling, Asphalt-Cowboy) klügster, am wenigsten sentimentaler Film, eine fast vollkommene Realisierung des Original-Drehbuches Penelope Gilliatts, dass, so denke ich, das beste Original-Drehbuch seit Éric Rohmers 'Claires Knie' ist. Es sei nur am Rande vermerkt, dass damals der junge Daniel Day-Lewis (Sohn des Dichters und Krimiautors) einen jugendlichen Hooligan spielen und Autos demolieren durfte, er erinnert sich immer noch gerne daran.

Aber ich möchte noch einmal auf Far from the Madding Crowd zurückkommen, einfach deshalb, weil ich sentimentalen Kitsch liebe. Wenn dies sentimentaler Kitsch ist, wie manche Kritiker meinten. Der Film markiert nämlich den Beginn einer Art von englischem Retro-Kino (es fällt mir gerade kein besserer Ausdruck ein), einer Sorte Kostümfilm, an dessen Anfang Schlesingers Hardy Verfilmung und Richardsons Fielding Verfilmung Tom Jones (1963) stehen. Und diese Entwicklungslinie einer Sorte Film, die die Engländer perfektionieren, führt dann geradewegs zu den Merchant und Ivory Produktionen (Room with a View, Maurice, Howard's End) und den Jane Austen Verfilmungen. Irgendwo in der Mitte sind noch solche Filme wie Joseph Loseys The Go-Between und Karel Reisz' The French Lieutenant's Woman. Die Engländer sind bei dieser Bewegung nicht allein, Visconti hatte mit Der Leopard (1963) vielleicht diese Kostümfilmbewegung ausgelöst, aber auch Bo Widerberg steuerte mit Elvira Madigan einen Welterfolg bei. Und dann kam natürlich noch Tod in Venedig von Visconti dazu.

Es ist ein interessantes Phänomen in diesen unruhigen Sixties, dass es jetzt in England eine Art Nostalgiekino gibt, während in Frankreich die Nouvelle Vague die Bildsprache des Kinos verändert. Und während Lindsay Anderson in seinem Film If... der counterculture huldigt und eine ganze Public School, in Flammen aufgehen lässt, kehrt Schlesinger ins viktorianische England, in die Heimat der Englishness zurück. Es war ja nicht nur Nostalgie (es gab auch englische Volkslieder im Soundtrack), es war auch eine brillante Kameraarbeit von Nicolas Roeg (der im Jahr zuvor Truffauts Fahrenheit 451 photographiert hatte). Wenn Sie jetzt immer noch nicht überzeugt sind, dass Sie sich den Film unbedingt kaufen müssen, dann schauen Sie doch mal eben zwei Minuten hier hinein.

Leider gibt es meine Lieblingsfilme An Englishman Abroad und A Question of Attribution, beide für die BBC gedreht und beide nach Theaterstücken von Alan Bennett überhaupt nicht mehr auf dem Markt, aber ein dritter Film für die BBC wird zu einem Bestseller. Er heißt Cold Comfort Farm und ist die Verfilmung (Drehbuch von Malcolm Bradbury) eines Buches von Stella Gibbons aus dem Jahre 1932. Wieder einmal das englische Landleben, wieder einmal ein period piece. Aber diesmal (wie auch der Roman) die schönste Satire, ein bisschen Bronte Sisters, ein bisschen Thomas Hardy, aber hochkomisch. Es ist der ironische Abgesang auf alle Kostümfilme. Mit der schnuckeligen Kate Beckinsale und der großartigen Joanna Lumley, mit Ian McKellen und Stephen Fry, und und und. Völlig verschroben, schräg und skurril, typisch englisch.

John Schlesinger ist am 25. Juli 2003 in Palm Springs gestorben, es gibt einen schönen Nachruf auf der World Socialist Web Site. Der Dramatiker Alan Bennett hat in seiner Trauerrede auf dem Memorial Service eine komische kleine Geschichte erzählt, die vielleicht typisch für Schlesinger ist: John was so aware of his sexuality that he managed to detect a corresponding awareness in the unlikeliest of places. On this occasion Her Majesty the Queen had a momentary difficulty getting the ribbon round his sizeable neck, whereupon she said "Now, Mr. Schlesinger, we must try and get this straight," the emphasis according to John very much hers and which he took as both a coded acknowledgement of his situation and a seal of royal approval.

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