Montag, 19. Juli 2010

Krönung


Am 19. Juli 1821 wurde der englische Prinzregent zum König gekrönt, der Freund vom Dandy George Brummell war jetzt George IV. Es war die teuerste Krönung in England, sie hat 243.000 Pfund gekostet. Den größten Teil zahlen die Franzosen, weil die den Krieg verloren haben (die Veteranen und Invaliden aus Wellingtons Armee wären glücklich, wenn sie etwas von dieser Summe abbekommen hätten). Allein der Krönungsornat von Georgie hat 24.000 Pfund gekostet (hundert Jahre vorher hat das Longitude Board 20.000 Pfund für die genaue Bestimmung des Längengrads ausgelobt). Wenn man bedenkt, was das Pfund damals wert ist (es wären heute ungefähr zehn Millionen Euro), könnte man dafür heute schon die halbe Savile Row kaufen. Also, die Londoner Schneider verdienen damals gut an dem dicken George (Taillenumfang 127 Zentimeter), der so gerne ein Dandy sein möchte.

Nein, das ist kein Bild von den Feierlichkeiten. Das ist die Königin Victoria mit ihrer Familie bei der Eröffnung der Weltausstellung im gerade gebauten Crystal Palace. Ich habe das nur in den Text getan, weil ich diese kleine Geschichte mal eben loswerden muss. Sehen Sie den kleinen Chinesen in der Figurengruppe vorne rechts? Ein Abgesandter des Kaisers von China. Dachte man jedenfalls. Victoria spricht in ihrem Tagebuch von einem chinesischen Mandarin:

God bless my dearest Albert, and my dear Country, which has shown itself so great to-day. One felt so grateful to the great God, whose blessing seemed to pervade the whole undertaking. After the National Anthem had been sung, Albert left my side and at the head of the Commissioners,- a curious assemblage of political and distinguished men- read the Report to me, which is a long one, and I read a short answer. After this the Archbishop of Canterbury offered up a short and appropriate prayer, followed by the singing of Handel's Hallelujah chorus, during which time the Chinese Mandarin came forward and made his obeisance. This concluded, the Procession of great length began, which was beautifully arranged, the prescribed order being exactly adhered to...

Der chinesische Mandarin ist in Wirklichkeit ein sailor, der sich unter die Festgäste geschmuggelt hat. Er heißt Hee Sing und hat eine chinesische Dschunke, die auf der Themse ankert. Der Maler Henry Courtney Selous hat es jetzt aber für alle Ewigkeit festgehalten. Ich finde das wunderbar komisch.

Bei den Krönungsfeierlichkeiten von George IV gibt es keine Chinesen, die sich da rein schmuggeln. Alles ist bestens durchorganisiert, weil es toller (und teurer) werden soll als die Krönung Napoleons. Georges Vater, der König George III (den wir aus dem schönen Film The Madness of King George kennen), hatte keinen so aufwendigen Lebensstil. Er war der dritte Hannoveraner auf dem englischen Thron, aber der erste, der in England geboren wurde und Englisch als Muttersprache sprach. Er liebte seine Familie und das Landleben, weshalb man ihn auch Farmer George nannte. Sein missratener Sohn, war ihm immer ein Ärgernis. Der war gerade mal siebzehn, als sich sein Vater genötigt sah, ihm in einem Brief zu schreiben:

An Sonn- und Donnerstagen kannst Du in Deinem Apartment Abendessen geben, aber häufiger kann ich mir dies nicht leisten […] Teilnahme an Bällen und Gesellschaften, die in Privathäusern stattfinden, werde ich nicht gestatten […]. Was Maskeraden betrifft, ist Dir bekannt, dass ich diese für dieses Land unpassend finde […] Sollte ich morgens ausreiten, erwarte ich von Dir, dass Du mich dabei begleitest. Ich habe keine Einwände, wenn Du an den anderen Tagen alleine ausreitest, vorausgesetzt, es ist der Übung wegen und dient nicht dazu, im Hyde Park herumzulungern

Vielleicht hätte der König doch einmal Lord Chesterfields Letters to his Son lesen sollen, die heute als Klassiker der Richtlinien für eine Erziehung zum Gentleman gelten, aber wahrscheinlich hätte das bei seinem Sohn auch nichts geholfen. Für diejenigen, die die Serie Blackadder kennen, sei gesagt: da taucht George als dim-witted upper-class twit auf, gespielt wird er von dem Schauspieler, den wir als Dr House kennen.

Über George sagt aber auch niemand etwas Nettes, die Brüder Leigh und John Hunt verspotteten ihn, als er noch Prince of Wales war, in ihrer Zeitung wegen seiner Körperfülle als The Prince of Whales. Brachte ihnen eine Geldstrafe ein, wie kann man nur arme Wale beleidigen? Als George IV starb schrieb die Times: nie ist ein Mann weniger von seinen Mitmenschen betrauert worden als dieser verstorbene König. Welche Augen haben um ihn geweint? Welches Herz hat aus selbstloser Trauer um ihn geseufzt? […] wenn er auch nur einen Freund, einen ergebenen Freund egal aus welcher Schicht hatte, dann beteuern wir, dass wir niemals seinen Namen vernommen haben.

So wie ihn George Cruikshank 1819 gezeichnet hat, hat er sich nicht gerne gesehen. Aber so wie Thomas Lawrence ihn hier unten skizziert hat, so hätte er sich wohl gerne gesehen: halb antike Büste, halb Byronic Hero. Und dann noch in der Uniform eines englischen Feldmarschalls. Im Felde war er nie.

Jahre nach der Krönung wird unser deutscher Fürst Pückler-Muskau, dem wir die wunderbaren Reisebriefe aus England verdanken (die unter dem Titel Briefe eines Verstorbenen erschienen sind), den König im vollen Ornat bei der Parlamentseröffnung sehen, und er wird den Auftritt theatralisch und lächerlich finden. In der Tat erinnerte die ganze Szene des Ein- und Ausgangs wie das Kostüm des Königs frappant an die Art, wie hier die historischen Theaterstücke aufgeführt zu werden pflegen, und es fehlte bloß der obligate flourish (Tusch der Trompeten), der das Kommen und Gehen eines Shakespearschen Königs stets begleitet, um die Täuschung vollkommen zu machen. Pückler ist jetzt vier Jahre lang in England, hat sich von seiner Frau pro forma scheiden lassen und will in der High Society eine reiche Erbin suchen, um seine Schulden loszuwerden. Es wird leider nichts draus, aber dafür haben wir die wunderbaren Briefe aus der englischen Gesellschaft (und über englische Landschaftsgärten). Es ist schade, dass er nicht schon früher in England war, denn seine Beschreibung der Krönungsfeierlichkeiten, die hätte ich gerne gelesen.

Das teuerste Kleidungsstück bei dem ganzen Rummel ist der golddurchwirkte Krönungsmantel, der eindrucksvoller sein musste als der von Napoleon. Wobei der, nach den Worten eines Spötters, wie eine wandelnde Eistüte ausgesehen hatte. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ein großer Teil der Kosten der Krönung aus den französischen Reparationsleistungen bezahlt wird. Nach dem Tode von George IV verhökert seine königliche Verwandtschaft seine ganzen Klamotten auf zwei Auktionen. Der Mantel bringt 133 Pfund und 7 Shilling. Heute besitzt ihn Madame Tussaud's, er ist schon etwas brüchig geworden.

Die Verschwendungssucht des Kronprinzen und späteren Königs ist gut für die Londoner Schneider, die sich jetzt in der Savile Row (und den umliegenden Straßen) etablieren. George fördert auch die Künste, und London wird jetzt, dank Architekten wie John Nash, zu einer eleganten Großstadt. Die Zeit von Georges Regentschaft wird zum Epochenbegriff, Regency heißt jetzt das elegante Zeitalter. Es ist aber auch der Höhepunkt der politischen Karikatur, die es in England dank William Hogarth schon seit dem 18. Jahrhundert gibt. In dieser kolorierten Zeichnung von Thomas Rowlandson sehen wir den Prinzen von Wales 1785 beim Bordellbesuch. Aber auch Rowlandsons Kollegen wie James Gillray (im unteren Absatz) oder George Cruikshank lassen ihren spitzen Federn freien Lauf. Ihre Karikaturen werden massenhaft verbreitet, und bis zu seinem Lebensende wird sich George durch diese Karikaturen verletzt fühlen. Sollte er uns wirklich leid tun?

Das schönste Buch (mit 700 Abbildungen) über diese Zeit (das auch einen langen Essay über die Krönung enthält) ist der voluminöse Ausstellungskatalog der Villa Hügel Essen Metropole London: Macht und Glanz einer Weltstadt 1800 bis 1840. Man kann das Buch noch antiquarisch bei Amazon Marketplace finden. Ebenso antiquarisch leicht zu finden sind noch Christopher Hibberts George IV: Regent and King und Sir Arthur Bryants The Age of Elegance. 1812-1822. Beides sind Bücher von Historikern, die für ihren gut lesbaren Stil berühmt und beim Leser beliebt sind. Man kann natürlich auch Jane Austen lesen, um ein Bild von der Zeit zu bekommen. Oder den Royal Pavilion in Brighton besuchen.

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