Sonntag, 28. November 2010

Grand Ole Opry


Heute vor 85 Jahren hat die Radiostation WSM zum ersten Mal die Barn Dance Show ausgestrahlt. Die Sendung hieß später Grand Ole Opry und ist heute die älteste noch existierende amerikanische Radio-Musiksendung. Country Music. Mag ja nicht jeder. Floriert in Amerika immer noch. Garth Brooks, ein rhinestone cowboy aus der Retorte, stand vor wenigen Jahren mit seinen verkauften Platten weit vor Michael Jackson und Madonna.  C&W florierte auch mal in Deutschland, als die Band Truck Stop sang Ich möcht' so gern' Dave Dudley hör'n. Aber für richtige aficionados, die mit Hank Williams groß geworden sind, ist das natürlich nichts. Die brauchen dieses hohe Falsetto Genöle und diese engelsgleichen Sopranstimmen. Hören Sie mal Trio mit Emmylou Harris, Dolly Parton und Linda Ronstadt und raten Sie, wer wer ist.

Linda Ronstadt ist fett geworden, und Dolly Parton sieht aus wie eine Dolly Parton Imitation. Aber Emmylou Harris bleibt immer jung und schön. C&W ist ein sehr demokratisches Medium, hier singen Männer und Frauen, Kinder und ganze Familien. Sie können schön oder hässlich sein, dick oder dünn. Aber singen und Gitarre spielen, sollten sie schon können. Man braucht nicht aus Nashville zu kommen (aber die meisten Karrieren haben hier begonnen) oder aus den Blue Ridge Mountains. Obgleich das genau die Gegend ist, wo die Musik herkommt.

Die ganze Musik Amerikas kommt aus dem Süden. Aus dem Norden kommen nur die sittenstrengen Quälgeister von Puritanern mit ihrer selbstquälerischen Moral. Die bringen einige Kirchenlieder zu dem Music Mix Amerikas mit. Aber der Rest der Musik, der kommt aus dem Süden. Englische und schottische Balladen, die in den südlichen Appalachen die Jahrhunderte überdauert haben, Musik der schwarzen Sklaven, Kirchenmusik von deutschen Religionsgemeinsschaften, deutsche Polkamusik (mit Hohner Ziehharmonikas) in Texas, Cajun und Zydeco. Bluegrass, Spirituals, Blues und Jazz - alles kommt aus dem Süden. Und dann sollten wir die Musik nicht vergessen, die ohne Einreisegenehmigung von südlich der Grenze kommt und den Namen Tex-Mex bekommen hat.













I hear America singing, the varied carols I hear;
Those of mechanics—each one singing his, as it should be, blithe and strong;
The carpenter singing his, as he measures his plank or beam,
The mason singing his, as he makes ready for work, or leaves off work;
The boatman singing what belongs to him in his boat—the deckhand singing on the steamboat deck;
The shoemaker singing as he sits on his bench—the hatter singing as he stands;
The wood-cutter’s song—the ploughboy’s, on his way in the morning, or at the noon intermission, or at sundown;
The delicious singing of the mother—or of the young wife at work—or of the girl sewing or washing—Each singing what belongs to her, and to none else;
The day what belongs to the day—At night, the party of young fellows, robust, friendly,
Singing, with open mouths, their strong melodious songs.


Zugegeben, das gemeinschaftliche Musikerlebnis, das Walt Whitman so typisch für Amerika erschien, ist inzwischen ein klein wenig kommerzialisiert. Aber dennoch gibt es in vielen Kirchengemeinden des Südens immer noch eine Musikkultur, die sich seit dem 18. Jahrhundert kaum verändert hat, in der das lining out noch lebendig ist. Seit John und Alan Lomax Amerikas Lieder aufgezeichnet haben, seit Moses Asch sein Label Folkways gegründet hat, wird die Musik Amerikas von der Library of Congress und kleinen Labels (von Folkways/Smithsonian einmal abgesehen) durchaus gepflegt. Also Labels wie Rounder Records und tausenderlei kleine Independent Labels. Und dann gibt es solche Labels, die sich auf die Wiederveröffentlichung spezialisiert haben und sehr schöne Zusammenstellungen herausbringen. Wie Rhino Records oder Bear Family Records (die erstaunlicherweise nicht in Nashville oder Bakersfield sitzen, sondern in der Nähe von Bremen ihre Heimat haben).

Ich muss jetzt vorsichtig mit dem sein, was ich sage. Denn dezidierte Meinungen zu einzelnen Sängern oder Sängerinnen der Country und Western Musik zu haben, ist ein wenig so, als würde man eine Polka in einem Minenfeld tanzen. Wat den een sien Uhl, is den annern sien Nachtigal. Nirgendwo ist man so schnell beleidigt, wie in der Welt der C&W Fans. Nicht nur in der Welt der Sängerinnen. Ich habe auch nichts gegen Linda Ronstadt, aber sie sah besser aus, als sie noch schlank war. Wenn Sie sich mal diesen Wikipedia Artikel anschauen, dann können Sie sehen, welches Ansehen sie in Amerika hat - oder ihre Fanclubs haben kollektiv diesen Artikel geschrieben.

Man kann auch seinen Ruf als Intellektueller beschädigen, wenn man sich zu C&W bekennt. Also, wenn man nur schwarze Klamotten trägt, einen Dreitagebart pflegt, Gauloises raucht und welsche Modephilosophen in seinen Diskurs einfließen lässt, dann ist es natürlich für dieses mühsam aufgebaute Image absolut tödlich, zu bekennen, dass man gerne Tammy Wynettes Stand by Your Man oder Johnny Cashs Ring of Fire hört. Dann müssen Sie erzählen, dass sie John Cage hören. Oder Luigi Nono und so'n Zeuch. Und wenn Sie überhaupt an einen Countrymusiker denken, dann höchstens an Lyle Lovett. Nicht, weil der mal mit Julia Roberts verheiratet war oder weil er Deutsch kann, sondern weil er in schwarzen Armani Klamotten wie einer der so genannten Kreativen aussah.

Ich dagegen, immer ein enfant terrible jeder Art von intellektueller Szene, kann das hemmungslos bekennen: ich liebe Country&Western. Und ich habe eine große Kommodenschublade voller CDs (die LPs wollen wir mal gar nicht zählen). Ich kann aber auch sagen, dass ich mit dem Zeug aufgewachsen bin, im amerikanisch besetzten Bremen hatte man einen erstklassigen Empfang von AFN.

Man kann es nicht immer hören. Man kann auch nicht immer Schokolade essen. Man kann immer Mozart hören, aber Hank Williams (so sehr ich ihn mag) geht nach drei Tagen nicht mehr. Das high lonesome Gesinge hat leichte Abnützungseffekte. Aber man muss es natürlich einmal gehört haben. Und dann später immer wieder, wenn er I'm so lonesome I could cry singt.

Hear that lonesome whippoorwill
He sounds too blue to fly
The midnight train is whining low
I'm so lonesome I could cry

I've never seen a night so long
When time goes crawling by
The moon just went behind a cloud
To hide its face and cry

Did you ever see a willow weep
its leaves began to die?
That means he's lost the will to live
I'm so lonesome I could cry

The silence of a falling star
Lights up a purple sky
And as I wonder where you are
I'm so lonesome I could cry


Es gibt Augenblicke im Leben, da muss es einfach Country sein. Und man sollte immer bedenken: auch Elvis hat so angefangen. Wenn Sie sich diese Kompilation Golden Inspirations for the King kaufen (bei Zweitausendeins, die immer gute Sampler herausbringen und im Bereich Country gut sortiert sind, nur 4,99€), werden sie die country roots von Elvis kennenlernen. Natürlich kann der Beginner's Guide to Country, den es bei Zweitausendeins gibt, auch nicht schaden.


Aber bevor ich jetzt den ganzen ersten Adventssonntag, wo draußen Schnee liegt, und der Adventskranz so frisch im Wohnzimmer duftet, mit einer Aufzählung meiner C&W Lieblinge vertändle, höre ich jetzt lieber mal auf (natürlich gibt es auch Country Christmas Collections). Gebe Ihnen aber noch schnell drei Buchtips. Das Beste, was es zur Musik des Südens gibt, ist der aus der New Encyclopedia of Southern Culture von Charles Reagan Wilson ausgekoppelte Band Music von Bill C. Malone. Nicht ganz billig, aber es gibt nichts Besseres. Von Bill Malone gibt es auch Country Music, U.S.A, sicherlich ein Standardwerk, das in der überarbeiten Auflage von 1985 im Jahre 2002 wieder aufgelegt wurde. Und auch von der Wissenschaft wird C&W inzwischen ernst genommen, wie das schöne Buch High Lonesome: The American Culture of Country Music von der Professorin Cecelia Tichi zeigt. In Deutschland gibt es einen C&W Guru namens Walter Fuchs (seit 1974 Ehrenbürger von Nashville), der jahrelang für stereoplay geschrieben hat, und von dem Sie in diesem Blog einiges lesen können. Und die oben abgebildete CD Will the Circle be Unbroken von der Nitty Gritty Dirt Band sollte natürlich jeder besitzen. Und, da wir gerade bei bluegrass sind, sollte ich noch Allison Krauss erwähnen, die mit 27 Grammys mehr Auszeichnungen, Country oder Pop, bekommen hat als alle anderen (Michael Jackson hat nur acht bekommen).

1 Kommentar:

  1. Naja, Rhythm & Blues kommt aus Chicago (und damit ein wichtiger Teil des Rock'n'Roll und die gesamte Rockmusik), Bebop wurde in New York erfunden (und damit der gesamt neue Jazz), und die Musicaltradition? Da kenne ich mich nicht so aus, aber ich dächte doch, es wäre vielleicht auch eher New York...

    AntwortenLöschen