Sonntag, 27. Februar 2011

Leyendecker


Ich gucke mir diese Talkshows im Fernsehen oder den Polit-Talk eigentlich grundsätzlich nicht an. Aber in der letzten Woche habe ich einmal eine Ausnahme gemacht. Ich war vor einer Woche zehn Minuten bei Anne Will als Zuschauer. Die Sendung habe ich noch nie gesehen, ich merkte schnell, dass ich auch nie etwas verpasst hatte. Das intellektuelle Niveau war unterirdisch. Bei Frau Maischberger war das Niveau wesentlich höher, dafür sorgten Jutta von Ditfurth, Werner Schneyder und Arnulf Baring. Die beiden Bayern in dieser Runde, der unnachahmliche Norbert Geis und die ebenso unnachahmliche Frau von Bayern, zogen das Niveau ein wenig herunter. Man wünschte sich eigentlich, dass es in allen Parteien mehr Leute vom Kaliber eines Thomas Oppermann gäbe.

Und kaum war diese Sendung verklungen, da kam mit Hart aber Fair schon die nächste Diskussionsrunde. In der ich von jemandem namens Alexander Dobrindt erfuhr, dass er Altlateiner ist - was ist das bitte? - und einen Herrn namens Nikolaus Blome von der Bild Zeitung kennenlernte. Das ist das Blatt, das uns versichert, dass 87% der Deutschen hinter Herrn Guttenberg stehen. Und über den ich in einem Blog den schönen Satz Zyniker, wie Blome, sind für mich der Abfall einer Gesellschaft gelesen habe. Was mich aber irritierte, war die kleine Tafel, die von Zeit zu Zeit unter Hans Leyendecker von der Süddeutschen eingeblendet wurde und auf der Enthüllungsjournalist zu lesen war. Hätte sein Name und der Name der Zeitung nicht gereicht? Warum dieses Enthüllungsjournalist? Die Methoden der Bild Zeitung färben überall hin ab. Ich habe nichts gegen Herrn Leyendecker, ich lese ihn mit Interesse. Dass er vor Jahren die Blogger attackiert hat, habe ich gelesen, aber damals wußte ich noch gar nicht, was ein Blogger ist. Heute würde ich ihm das natürlich übel nehmen. Aber wenn wir Herrn Leyendecker und einige andere nicht hätten, hätten wir vielleicht schon italienische Verhältnisse.

Das Tagesgeschehen wurde natürlich auch in anderen Sendungen kommentiert. Im Norddeutschen Rundfunk beschrieb Udo in Frühstück bei Stefanie den Verlust seines Führerscheins mit den gleichen Worten, die Herr Dr. von Guttenberg beim Verlust seines Doktortitels fand. Das war schon sehr komisch. Udo ließ auch einen anderen Verlust nicht aus: das Ganze wird teuer für Guttenberg. Mindestens 28 Euro für 'nen neuen Perso.

Und Ulrich Priol nahm Herrn Pelzig in Neues aus der Anstalt den Hut vom Kopf - als der Priols Rede beinahe wortwörtlich wiederholt hatte - und setzte ihm dafür einen Doktorhut auf. Am Freitag versetzte Oliver Welke in seiner Heute Show dem ehemaligen Doktor strg+c. dann noch den kabarettistischen Todesstoß. Aber so nett alle Satire ist, es ging zuerst ja eigentlich um die Frage der Moral. Aber damit halten wir uns heutzutage nicht mehr lange auf. Was soll uns Kants kategorischer Imperativ, wenn uns diese Lichtgestalt aus Bayern, die neue Lady Diana der Regenbogenpresse, vormacht, wie man summa cum fraude zum Dr. jur. promoviert wird?

Die Absolution für die Sünden wird ja heute von der Bild Zeitung und Herrn Blome schnell erteilt, da hilft einmal in der Öffentlichkeit geheuchelte Reue. Ein Verfahren, das man aus Amerika importiert hat, wo es seit den Tagen der Puritaner und spätestens des Great Awakening en vogue ist. Das wird vorher ordentlich mit einem Berater geübt und dann aufgeführt. Da stehn die Amis ja drauf - ein paar Tränen verdrücken, bisschen was von Reue faseln und schwupps geht's weiter wie vorher, schreibt ein Kommentator im Internet, er meinte nicht die kriminellen US Banker, nicht Tiger Woods oder Bill Clinton mit ihren Sexaffären. Nein, das bezog sich auf das wilde Partyleben einer ehemaligen Miss USA. Die natürlich auch tränenreiche Reue zeigte. Aber das Muster bleibt immer das gleiche.

Doch so schaurig-schön die Boulevardisierung der Politik in der vergangenen Woche war, die Erheiterung über das, was ja eigentlich eine Tragödie ist, war für mich noch nicht zu Ende. Mein Freund Volker brachte mir die Süddeutsche Zeitung der letzten zehn Tage vorbei. Es war sehr instruktiv für das Studium der politischen Rhetorik, wie hier scheibchenweise von Tag zu Tag ein wenig von der Wahrheit ans Licht kam. Und wie sich scheibchenweise die Sprache des Stabsunteroffiziers d.R. (ein Titel, den er weiter führen darf) veränderte. Ich sehe da schon die ersten Dissertationen im Entstehen, die die politische Rhetorik Guttenbergs untersuchen und mit der ☞Checkers Rede von Richard Nixon und der ☞Ehrenwort Erklärung von Dr.Dr. Barschel vergleichen. Ich habe das Wort Tragödie im ersten Satz dieses Absatzes mit Bedacht gewählt. Die klassische Tragödie kennt die Fallhöhe, ein Begriff, der von den Kommentatoren bisher noch nicht verwendet wurde. Denn anders als im Drama ist das Scheitern des Helden in der Tragödie unausweichlich; die Ursache liegt in der Konstellation und dem Charakter der Figur. Der Keim der Tragödie ist, dass der Mensch der Hybris verfällt und dem ihm vorbestimmten Schicksal durch sein Handeln entgehen will. Haben Sie's gemerkt? Die letzten beiden Sätze (und nur diese) sind geklaut. Sie stehen im Wikipedia Artikel zur Tragödie.

Als ich mich über das Wort Enthüllungsjournalist unter dem Namen von Leyendecker ärgerte, fiel mir ein anderer Leyendecker ein. Nämlich Joseph Christian Leyendecker, der mit seinen Eltern von Montabaur in die USA auswanderte und zum bekanntesten Illustrator der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts wurde. Mit seinen Bildern habe ich heute diesen Post illustriert. Er ist, wenn man so will, ein Vorläufer von Norman Rockwell, und ich finde ihn eigentlich sehr interessant. Ich schreibe vielleicht noch einmal länger über ihn, wenn diese ganze schmutzige Guttenberg Affäre vorbei ist und der Baron sich der Verwaltung des Grund- und Forstbesitzes derer von und zu Guttenberg widmet. Und falls wir unbedingt Lichtgestalten brauchen, nehmen wir doch einfach diesen Harvard Studenten mit seinem schicken Rollkragenpullover.

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