Mittwoch, 22. Juni 2011

The Go-Between


GO-BETWEEN, The, GB 1971 An unsually close transcription of a novel in cinematic terms, 'The Go-Between' maintains the dislocated time structure of L.P. Hartley's book as well as describing the action entirely through the experiences of the narrator. LOSEY reveals his own favourite themes in the text - intrusion, initiation, class differences - and expresses them with subtlety and elegance: The nuances indicated in his Hollywood work, operating through physical gesture as much as through dialogue, here reach a remarkable degree of accomplishment. The film was awarded a richly-deserved Grand Prix at CANNES. (Oxford Companion to Film)

My sagacious readers will not need to be told that a film of a novel is to be judged on its merits as a film and not on fidelity to its original, schrieb Dilys Powell (Bild) 1943 in ihrer Kritik zu Jane Eyre. Diese en passant gemachte Bemerkung ist sicher auch ein Programm der Filmkritikerin gewesen, die in ihrer 50-jährigen Tätigkeit für die Sunday Times (1939-1989) der Filmkritik eine neue Dimension gegeben hat. Und die nicht müde wurde, den Status der neuen Kunstform Film gegenüber der alten Kunstform Literatur zu verteidigen. Ich möchte mir Powells Zitat als Programm borgen und dem Leser damit auch eine endlose und unfruchtbare allgemeine Abhandlung zum Thema Literatur/Film ersparen. Wenn Sie die Theorie zum Thema Literaturverfilmung nicht interessiert, springen Sie einfach ein paar Absätze weiter.

Seit Lester Asheims Dissertation (1949) und George Bluestones Klassiker Novels into Film (1957) ist hier eine kaum noch überschaubare Literatur entstanden, die selbst von einer so ausführlichen Bibliographie wie der von Harris Ross (1987) kaum vollständig wiedergegeben wird. Als konziseste Einführung in die Problematik kann Franz-Josef Albersmeiers Einleitung zu dem interdisziplinären Suhrkamp-Band Literaturverfilmungen (1989) empfohlen werden. Vergriffen, aber sehr gut (und sicher ist auch Joachim Paechs Buch in der Sammlung Metzler hilfreich). Ohne theoretische Arbeiten wie z.B. Irmela Schneiders Der verwandelte Text: Wege zu einer Theorie der Literaturverfilmung (1981) herabwürdigen zu wollen, kann man mit Albersmeier konstatieren: So sinnvoll solche Typologien sind, so schwer tun wir uns mit ihnen, wenn es gilt, eine konkrete Literaturverfilmung einzuordnen. Da sollte man ein Ausrufezeichen machen. Der größte Teil der Theorie ist für nix gut. Praktikable Wege zur Vermeidung der Theorie-Falle scheinen Bücher wie z.B. Brian McFarlanes Novel to Film: An Introduction to the Theory of Adaptation (1996) zu bieten, in dem anstelle der Theoriediskussion eine Anzahl von case studies die Mechanismen der Adaption verdeutlich, wenn man so will, eine Rückkehr zum guten alten Bluestone. Übrigens ein Buch, was jeder lesen kann, der nichts von Filmtheorie versteht.

Eine objektive Diskussion zum Thema Literatur/Film wird durch einige insinuierte oder ausgesprochene Grundannahmen, die immer wieder vorgebracht werden, erschwert. Immer und immer wieder ist von Werktreue die Rede, immer wieder wird die Literaturvorlage als künstlerisch überlegen und der Film als inferior dargestellt (oder in den Augen von Cineasten vice versa). Und immer wieder scheinen die Theoretiker im alleinigen Besitz der Wahrheit zu sein. Nur sie wissen, wie das jeweilige Werk zu lesen ist und wie es verfilmt werden soll. Vielleicht wären diese Theoretiker mit dem glücklich, was James Agee einmal beiläufig und ironisch als a good faithful adaption of Adam Bede in sepia, with the entire text read offscreen by Herbert Marshall bezeichnet hat. Das wäre dann wohl auch das Richtige für den Lateinprofessor gewesen, den ich mal auf einer akademischen Party traf und der mir sagte: Ich habe gehört, Sie beschäftigen sich mit dem Film. Das ist sicherlich interessant, ich habe meinen Sohn auch einmal zu einer Jugendvorstellung in ein Filmtheater begleitet. Als Pfeiferaucher hat man es in solchen Augenblicken leicht: man kann sich intensiv mit dem Stopfen der Pfeife beschäftigen. Ansonsten ist auch das genaue Studium der sorgfältig polierten Kappen der englischen Schuhe, die man trägt, sehr zu empfehlen.

Ich möchte im folgenden die Verfilmung von L.P. Hartleys The Go-Between unter ausgesuchten Aspekten nachzeichnen, um die Probleme einer Romanverfilmung zu verdeutlichen. Ich habe The Go-Between als Beispiel gewählt, weil hier der Weg vom Buch zum Film ungewöhnlich und einmalig ist (an unusually close transcription of a novel in cinematic terms so der Oxford Companion to Film), und ich habe mit der Auswahl auch im Auge, daß man Roman, Drehbuch und Film durchaus im Unterricht behandeln kann. Falls jetzt Studienräte unter den Lesern sind, dann ist das hier Pflichtlektüre.

L.P. Hartleys Roman The Go-Between (1953) erhielt 1954 den Heinemann Foundation Prize der Royal Society of Literature, und der Roman ist (woran die Verfilmung vielleicht nicht ganz unschuldig ist) beim Lesepublikum der beliebteste Roman eines heute leider ein wenig unterschätzten Autors geblieben. Der Roman entführt uns in das Jahr 1900, eine recherche du temps perdu. Nicht nur die für eine Epoche symbolische Jahreszahl markiert das Thema "Zeit": The past is a foreign country: they do things differently there ist der erste Satz des Romans. Die vergangene Zeit ist ein Thema, das Hartley mit Proust und Anthony Powell (A Dance to the Music of Time) gemein hat.

Mit an Henry James und Proust geschulter psychologisch feiner Charakter- und Detailschilderung entwirft Hartley das Bild des dreizehnjährigen Leo Colston, der im heißen Sommer des Jahres 1900 von Marian, der Schwester seines Schulfreundes Marcus Maudsley, zu einem postillon d'amour, einem go-between zwischen dem Landsitz der Maudsleys und dem Farmer Ted Burgess gemacht wird. Klassengegensätze der edwardianischen Gesellschaft, Landschafts- und Naturbeschreibungen, die Schilderung eines Cricketspiels zwischen Brandham Hall und den Dorfbewohnern: der Roman vereint alle Klischees der edwardianischen Englishness, die uns heute von Merchant/Ivory auf Celluloid präsentiert werden.

Der Entwicklungsroman hat mit dem Jahr 1952 eine zweite Zeitebene:

When I came upon the diary, it was lying at the bottom of a rather battered red cardboard collar-box, in which as a small boy I kept my Eton collars. Someone, probably my mother, had filled it with treasures dating from those days. There were two dry, empty sea-urchins; two rusty magnets, a large one and a small one, which had almost lost their magnetism; some negatives rolled up in a tight coil; some stumps of sealing-wax; a small combination lock with three rows of letters; a twist of very fine whipcord; and one or two ambiguous objects, pieces of things, of which the use was not at once apparent: I could not even tell what they had belonged to. The relics were not exactly dirty nor were they quite clean, they had the patina of age; and as I handled them, for the first time for over fifty years, a recollection of what each had meant to me came back, faint as the magnets’ power to draw, but as perceptible. Something came and went between us: the intimate pleasure of recognition, the almost mystical thrill of early ownership—feelings of which, at sixty-odd, I felt ashamed.

Wenn wir solche Sätze lesen, sind wir schon mitten drin im Problem der Literaturverfilmung. Soll der Film diese Passage wiedergeben? Durch einen Erzähler im Off? In dem Augenblick, in dem man den Praxistest macht und einen Roman mit den Augen eines Drehbuchautors liest, werden einem die Schwierigkeiten einer Literaturverfilmung klar. You can’t simply transfer a book to the screen. It doesn’t work, for reasons which should be obvious. In a film, you have to go for the essence of the story, to give the film its focus, with the other elements contributing to that focus, hat Harold Pinter gesagt.

Auf dieser Zeitebene von 1952 wird der 65-jährige Lionel Colston bei einem Besuch in Brandham zum letzten Mal zu einem
go-between, um zwischen Marian und ihrem Enkel zu vermitteln (die Inhaltsangabe von Kindlers Literatur Lexikon ist an diesem Punkt leider sehr irreführend. Entweder hat die Autorin den letzten Absatz des Romans nicht gelesen oder ihn nicht verstanden). Kritiker wie John Betjeman und Walter Allen haben den komplexen Roman gelobt und ihn in der great tradition englischer Romankunst gesehen.


Dank der Bemühungen der BBC und des Gespannes Merchant/Ivory werden Bildschirm und Leinwand seit Jahren mit "Kostümfilmen" überflutet, die uns mehr oder weniger akkurat eine spezifische Epoche wiedergeben, und die in den meisten Fällen Literaturverfilmungen sind (die auch dafür sorgen, daß Autoren wie Jane Austen oder E.M. Forster neue Leser finden). Häufig täuschen die Ausstattungsorgien darüber hinweg, daß die Bilder leer bleiben, die Literaturverfilmung wird, wie z.B. bei Russells Lady Chatterley's Lover, auf eine Art Photoroman reduziert.

Als Joseph Losey The Go-Between dreht, befindet er sich in direkter Konkurrenz zu Visconti, Tod in Venedig erscheint gleichzeitig mit The Go-Between in den Kinos. Visconti hatte schon 1963 mit Il Gattopardo eine maßstabsetzende Literaturverfilmung vorgelegt und damit eine Art Retro-Kino begründet, gleichzeitig war in England Tom Jones erschienen. Bo Widerbergs Elvira Madigan (1967) wurde zu einem Welterfolg, der das Publikum nach schön photographierten vergangenen Epochen geradezu lechzen ließ. Literaturverfilmungen wie Far from the Madding Crowd (Schlesinger 1967), Women in Love (Russell 1969), The Virgin and the Gypsy (Miles 1970), The Devils (Russell 1971), The Hireling (Bridges [nach dem Roman von L.P. Hartley] 1973) und Barry Lyndon (Kubrick 1975) entstanden in rascher Folge.

The Go-Between kann als ein Teil einer neuen Retro-Bewegung des englischen Kinos verstanden werden, die über The French Lieutenant's Woman (Reisz 1981), Chariots of Fire (Hudson 1981), Amadeus (Forman 1984) und The Shooting Party (Miles 1984) direkt zu Merchant und Ivory führt. Allerdings haben nicht alle Filme die kritische Distanz, die Losey zu seinem Gegenstand entwickelt. Pauline Kael spricht hier von Losey's need to condemn the decadence that attracts him. In Frankreich wird Bertrand Tavernier, der zu Loseys frühesten und wortgewaltigsten Bewunderern zählt, den Stil von Loseys intellektuellem period piece mit Un dimanche à la campagne (1984) weiterführen. Bei diesem Film könnte man filmhistorisch auch den Einfluß von Renoir annehmen, muß aber hinzufügen, daß Renoir auch als Einfluß für Losey (und vielleicht auch für Hartley) gesehen werden kann. Die Kritik hat immer wieder auf den Zusammenhang von La règle du jeu (1939) und The Go-Between hingewiesen. Und wenn man beide Filme hintereinander sieht, leuchtet das auch ein.

Beinahe alle Spielfilme sind in irgendeiner Weise "Literatur"-Verfilmungen, da sie, wenn sie nicht die Klassiker der Weltliteratur verfilmen, eine irgendwie geartete literarische Basis haben, eine Kurzgeschichte eines unbekannten Autors, ein Theaterstück von Amateurschriftstellern (Casablanca), ein Motiv aus einer literarischen Vorlage. Seit der Entstehung des Films als neuer Kunstform schielen die Autoren nach Hollywood, machen sich filmische Techniken zu eigen (John Fowles hat das in seinen Notizen zur Entstehung von The French Lieutenant's Woman ausgeführt) oder schreiben Romane so, daß die einkalkulierte Verfilmung keine große Schwierigkeiten bereitet. Publisher's Weekly sprach schon 1917 von cinema novels. James Joyces Ulysses verdankt dem Kino viel.

Albert Van Nostrand, der 1960 mit The Denatured Novel den Niedergang des Romans beklagte, hat hier mit Hollywood Pay-Off ein lesenswertes Kapitel über das Verhältnis der Schriftsteller zur Filmindustrie. Autoren können versuchen, in ihren Verlagsverträgen die Filmrechte an ihre Zustimmung und beratende Mitwirkung zu binden (je berühmter sie sind, desto besser werden die vertraglichen Konditionen sein). Die Mitarbeit des Autors an einer Literaturverfilmung kann zu einer gelungenen Verfilmung führen, man denke an Fowles' Rolle bei der Verfilmung von The French Lieutenant's Woman, Volker Behrens hat in seiner interessanten Dissertation (für die er auch John Fowles interviewte) diesen Aspekt sorgfältig dokumentiert.

Joseph Losey suchte, wie bei all seinen Filmen, schon früh den Kontakt zu dem Autor (getting relevant additional material from L.P. Hartley), und Hartley hatte ihm in einem Brief die autobiographische Basis des Sommers in Norfolk im Jahre 1911 erläutert: The house where I actually stayed as a boy was Bradenham Hall [oben] in Norfolk, somewhere between Wendling and East Dereham...It belonged to the Rider Haggard family, who had let it to some well-known coal merchants called Moxey: their son was my school friend, who asked me to stay... All I can remember of the house was a double staircase, the cedar tree in the garden, and the Deadly Nightshade in an outhouse.

Informationen dieser Art sind sicherlich reizvoll, aber ist das relevant additional material wirklich so relevant? Ohne mit neumodischen Theorien den Tod des Autors apostrophieren zu wollen, könnten wir bei Literaturverfilmungen, die wie bei The Go-Between einen extrem der Werktreue verpflichteten Drehbuchautor und Regisseur (Kritiker haben Losey immer wieder vorgeworfen, daß er sich infolge seiner engen Zusammenarbeit mit den Autoren geradezu abhängig von ihnen machte) haben, sicher auf den Autor verzichten. Die groß publizierte Anwesenheit des Autors bei den Dreharbeiten dient häufig nur Werbezwecken. Hartley konnte einer Aufführung von Pinters The Dumb Waiter und The Room, zu der man ihn eingeladen hatte, damit er das Werk des Drehbuchautors kennenlernte, nichts abgewinnen. Er war aber später von Pinters erstem Drehbuchentwurf (1964) sehr beeindruckt und verfolgte die Dreharbeiten mit lebhaftem Interesse. Wirklich verstanden haben sich Harold Pinter und Hartley nicht.

Literaturverfilmungen sind kommerzielle Unternehmungen, ein Aspekt, der von den Theoretikern der Literaturverfilmung gerne ausgeklammert wird. Selbst wenn Regisseur, Drehbuchautor und Kameramann sich nur der reinen Werktreue-Vision des Philologen verschrieben haben (und The Go-Between wäre eins dieser seltenen Beispiele), muß doch das Vorhaben finanziert werden. Studio, Produzent, Literaturagenten etc. bringen ihre eigenen Forderungen mit - und plötzlich haben wir in der Stummfilmfassung von Moby-Dick eine Liebeshandlung, die wir in Melvilles Text nicht entdecken können. Die amerikanische New Yorker Autorin Lillian Ross hat mit ihrem Buch Picture (1952) die Entstehung von John Hustons Literaturverfilmung The Red Badge of Courage in allen Details verfolgt und nachgezeichnet. Die Lektüre dieses Buches kann immer wieder empfohlen werden, um die Dimensionen des Einflusses zu verdeutlichen, die der Kommerz auf die Werktreue-Vision hat.

Für Losey war The Go-Between ein acht Jahre langer Kampf gegen Literaturagenten, Besitzer von Anteilsrechten, Produzenten und Studiobosse. Ursprünglich hatte Alexander Korda die Rechte gekauft, aber wie Hartley vermutete: he never meant to make a film of the book[...] I was so annoyed when I learned this that I put a curse on him, and he died almost the next morning. Offensichtlich besaß Hartley ähnliche Fähigkeiten im Bereich der Magie, die seinen jugendlichen Helden im Roman auszeichnen. Losey war schon bevor The Servant in the Kinos kam, an Pinter herangetreten und hatte ihm Hartleys Roman ans Herz gelegt.

Pinter antwortete damals: I think The 'Go-Between' is superb...it's wonderful. But I can't write a film script of it. I can't touch it. It's too painful, too perfect, if you know what I mean. Pinter begann einen ersten Entwurf, aber im Sommer 1964 kam das Projekt zum Stillstand, da sich (ähnlich wie bei der Visconti-Verfilmung von Tod in Venedig) ein neuer Besitzer der Rechte meldete. Der Prozeß um die Filmrechte wurde erst 1968 beendet. Ein Jahr der schwierigsten Finanzierungsverhandlungen sollte folgen, bevor die Dreharbeiten beginnen konnten. Der Drehbuchautor Pinter verdiente an dem Film mit 75.000 Pfund mehr als der Regisseur (20.000) und alle Nebendarsteller (30.000) zusammen. Wir haben hier den für Literaturverfilmungen seltenen Fall, daß die Posten story rights und writers mit 145.000 Pfund den größten Teil des Filmbudgets ausmachen. Der Darsteller des kleinen Leo Colston, Dominic Guard, erhielt lediglich 1.000 Pfund. L.P. Hartley war war mit seinem Honorar nicht zufrieden, mußte sich aber von Losey zurechtweisen lassen, daß Regisseur und eine großer Teil der Schauspieler für no cash at all gearbeitet hätten und daß Hartley ja noch mit Neuauflagen und Neuübersetzungen rechnen könne. Was denn ja auch eintrat.

Losey hatte 1964 Julie Christie (hier mit Harold Pinter) für die Rolle der Marian haben wollen, 1970 erschien sie ihm trotz a kind of freshness that might work zu alt. Aber der Finanzier des Filmes, der spätere Lord Delfont, bestand auf dem Weltstar Julie Christie, die nun mit dreißig eine Zwanzigjährige spielen mußte. Wenn wir Julie Christie in diesem Film mit der Rolle der Marian Maudsley identifizieren, dann ist das sicher ein Glücksfall. Was hätte passieren können, wenn der EMI-Chef Delfont eine andere Schauspielerin favorisiert hätte? Unzählige Literaturverfilmungen sind dadurch ruiniert worden, daß Produzenten ihre Freundinnen im Film unterbrachten.

Aber auch der 75jährige Hartley (links), der seine Beteiligung an den Filmarbeiten sichtlich genoß, wurde nicht müde, alle möglichen Blondinen aus seinem Bekanntenkreis für die Rolle der Marian anzuschleppen. Der wunderbare Name Bernard Delfont kann nicht über den etwas zweifelhaften Charakter des Mannes hinwegtäuschen, dessen eigentlicher Name Boris Winogradsky war und der neben seinem Bruder Lew Grade (dem späteren Lord Grade of Elstree) der mächtigste Mann in der englischen Filmindustrie war. Im Gegensatz zu seinem Bruder, der große Verdienste als Finanzier des englischen Films der 70er Jahre hatte, war Delfont kaum an künstlerischen Dingen interessiert. Losey hat Delfont immer gehaßt (der Fairness halber sollte man sagen, daß Lew Grade in seiner Autobiographie Still Dancing das Bild eines liebenswerten Lord Delfont zeichnet). Eine kleine Episode am Ende der Dreharbeiten mag Delfonts Geiz beleuchten: er organisierte eine Royal Premiere in Norwich mit der Anwesenheit der Königinmutter, Hartleys und Pinters, stellte dann aber die Kosten der Mitorganisatorin Lady Harrod vom Council for the Protection of Rural England in Rechnung.

Theaterstücke erleben vielfältige Realisationen, jede Inszenierung ist eine eigene Interpretation des Textes, jede Inszenierung hat andere Darsteller, die unserer Vorstellung von der idealen Rollenbesetzung entgegenkommen oder nicht. Romane werden meist nur ein einziges Mal verfilmt, selten können wir aus mehreren Verfilmungen eine ideale Verfilmung auswählen. Opernfreunde haben die Wahl aus einer Vielzahl von Inszenierungen auf CD, bei Romanen müssen wir mit einer Verfilmung vorliebnehmen, auch wenn sie uns als eine Ansammlung von Fehlbesetzungen erscheint. Spätestens seit Wolfgang Iser wissen wir, daß die Eigenart des Vorstellungsbildes... sich dort besonders fassen [läßt], wo man die Verfilmung eines gelesenen Romans sieht. Denn hier habe ich eine optische Wahrnehmung, die vor dem Hintergrund meiner Erinnerung an Vorstellungsbilder steht. Der spontane Eindruck, der sich bei der Verfilmung von Tom Jones einstellt, beinhaltet eine gewisse Enttäuschung über die relative Armut der Figur im Vergleich zu jenem Bild, das man sich von ihr bei der Lektüre gemacht hatte.

Chandler stellte sich Philip Marlowe eher wie Cary Grant vor, wir kennen ihn als Humphrey Bogart. James Bond ist bei Fleming sicherlich ein anderer als Sean Connery, aber an den haben wir uns so gewöhnt, daß wir Moore, Lazenby, Dalton und Brosnan als schlechte Kopien empfinden. Basil Rathbone erscheint uns als Sherlock Holmes akzeptabel, Heinz Rühmann als Maigret nicht. Robert Redford könnte Jay Gatsby sein, aber ist Tim Roth Conrads Kapitän Marlow? Wir haben bei der Lektüre eines Romans feste Vorstellungen von unseren Romancharakteren, allerdings hat jeder Leser seine eigenen Vorstellungen. Im Gegensatz zur Oper, wo uns the willing suspension of disbelief unsäglich dicke Primadonnen als Susanna nur wegen der Stimme ertragen läßt, sind wir bei Romanverfilmungen nicht zu Kompromissen bereit, ein Punkt, den viele Adaptionstheorien aussparen.

Für Leo/Lionel Colston bietet The Go-Between mit dem 16jährigen Dominic Guard und dem 62jährigen Michael Redgrave in beiden Fällen eine gute Wahl. Wir können akzeptieren, daß der Film durch die Wahl des Darstellers das Alter von Leo etwas ändert, die Ebene der Initiationsgeschichte wird durch das Pubertätsalter (Hartley war in jenem Sommer in Norfolk sechzehn - Dominic Guard, der heute Kinderpsychologe ist, war fünfzehn) noch akzentuiert. Michael Redgraves abweisende Körpersprache, seine regungslose Mimik, illustrieren den foreigner in the world of emotions. Nebenrollen in Literaturverfilmungen sind häufig besser besetzt als die Hauptrollen, hier kann der Regisseur noch auswählen, die Hauptrollen schreibt ihm meistens das Studio vor.

Die Nebenrollen von The Go-Between sind ohne Zweifel hervorragend besetzt: Margaret Leighton als Mrs. Maudsley (die eine Oscar-Nominierung erhielt und zu Recht Deborah Kerr vorgezogen wurde), Michael Gough als Mr. Maudsley und Edward Fox als Lord Trimingham. Der Sohn von Loseys Agenten Robin Fox - sein Bruder spielte die Hauptrolle in The Servant - ist von nun an für den Rest seiner Karriere die Inkarnation des aristokratischen Engländers, auch wenn die Narben des Maskenbildners die Entstellung durch die Verletzung im Burenkrieg von Viscount Trimingham ein wenig schönen. Der Schauspieler Alan Bates ist einer der wenigen, denen der Übergang von Bühne zum Film jederzeit gelungen ist, sein Ted Burgess wurde von allen Kritikern gelobt. Bates kam mit Losey, der wahrlich kein Regisseur war, der gut mit Schauspielern umgehen konnte, sehr gut zurecht, er empfand auch Loseys und Pinters Rollenvorgaben als hilfreich.

Das einzige Problem bei der Besetzung stellte Julie Christie dar (die schon mit Bates in einer anderen viktorianischen Liebesgeschichte, Far from the Madding Crowd, gespielt hatte), denn sie war inzwischen für die Rolle zu alt und lehnte aus diesem Grund den Part der Marian zunächst ab (1964 war sie bereit gewesen, die Rolle zu spielen). Sie hatte 1965 schon einen Oscar für ihre Rolle in Darling erhalten, die Verfilmung von Doctor Zhivago machte sie zum Weltstar. Losey hat sich in Interviews herablassend über ihre Schauspielkunst geäußert (Dirk Bogarde war da anderer Meinung), aber es gibt kaum Schauspielerinnen, über die sich Losey nicht negativ geäußert hätte. Julie Christie erhielt mit 50.000 Pfund Gage mehr als alle anderen Schauspieler zusammen. Aber auch noch vierzig Jahre nach der Premiere kann man sagen, daß sie das Geld wert war, da sie die Schönheit und sexuelle Berechnung sicherlich besser zum Ausdruck bringt als Mia Farrow, eine von Loseys Wunschkandidatinnen, es gekonnt hätte. Es ehrt Losey, daß er vom Starsystem der Studios weg wollte und den Film mit gänzlich unbekannten Schauspielern drehen wollte, aber er hat in The Go-Between wie schon zuvor in The Servant eine ideale Kombination von Stars und Neulingen gefunden.

Der Amerikaner Joseph Losey (1909-1984) wurde nach dem Erfolg von The Servant (1963) und Accident (1967) in Europa zu einem Kultregisseur. Zu diesem Zeitpunkt konnte er schon auf eine lange Karriere als Schauspieler, Theaterregisseur (man denke an seine Galileo Galilei-Inszenierung mit Charles Laughton im Jahre 1947), Hollywoodregisseur und Opfer der McCarthy-Hexenjagd zurückblicken. England als selbstgewähltes Exil brachte für die Filme des Gesellschaftskritikers eine Thematisierung des englischen Klassensystems. Und der Zusammenarbeit mit Harold Pinter, für den die absurden Nuancen der englischen Gesellschaft ein ständiges Thema sind, verdanken wir neben The Go-Between zwei weitere hervorragende Literaturverfilmungen, The Servant und Accident.

Joseph Losey ist als Regisseur für Literaturverfilmungen sicherlich ein Glücksfall, ein vielseitig begabter und belesener Intellektueller, der schon im Todesjahr von Proust Du cotê de chez Swann las, der den ganzen Joseph Conrad gelesen hatte (viele Kritiker fühlten sich bei Losey-Filmen an Conrad erinnert) und davon träumte, Nostromo zu verfilmen. Der davon träumte, das Unmögliche zu versuchen und Prousts A la recherche du temps perdu zu verfilmen. Joseph Losey ist niemals an actor's director gewesen, jemand, der auf die Sorgen und Nöte der Schauspieler einging. Von all seinen Darstellern ist wahrscheinlich Dirk Bogarde sein einziger Freund geblieben. Losey war ein Regisseur, der abstrakt in Bildern denken konnte. Er brauchte für seine Filme kein story board als Vermittlungsinstanz zwischen Text und Bild wie viele seiner Kollegen (die Funktion des story board  als eine erste Verbildlichung von Literatur wird bei Theorien der Literaturverfilmung viel zu wenig beachtet). Losey wußte als Regisseur auch genau, was die Kamera konnte, und die Zusammenarbeit mit seinen Kameraleuten wie Douglas Slocombe (The Servant) und Gerry Fisher (Accident, The Go-Between, M. Klein) ist ihm sehr wichtig gewesen. Losey zeigt in den 60er Jahre die Handschrift eines auteur, der die vollständige Kontrolle über alle Bereiche des Films hat, sein Kontrollieren der kleinsten technischen Details konnte seine Crew zur Verzweiflung bringen.

Er wird zum Liebling der französischen Filmkritik, insbesonders der junge Bertrand Tavernier propagierte den Ruhm seines Idols und ist später als Regisseur nicht unbeeinflußt von Losey geblieben (man vergleiche The Go-Between mit Un dimanche à la campagne - und vielleicht ist Daddy Nostalgie mit Loseys Lieblingsschauspieler Dirk Bogarde auch eine Hommage an Losey). In Deutschland galt man 1968 in cineastischen Zirkeln nichts, wenn man nicht mindestens dreimal Accident gesehen hatte. Die deutsche Begeisterung für Losey ist von Georg Alexander, Peter W. Jansen und Wolfram Schütte in dem Joseph Losey-Band der Reihe Hanser liebevoll dokumentiert. Losey hat Tom Milne (1967), Wolfram Schütte (1976) und Michel Ciment (1979) in langen Interviews als Interpret seines Werkes zur Verfügung gestanden. Die umfang- und detailreichste Biographie, Joseph Losey: A Revenge on Life, von David Caute ist 1994 bei Faber erschienen.

Drehbuchautoren genießen kein großes Ansehen, ein gescheiterter Drehbuchautor, F. Scott Fitzgerald, hat das mit seiner literarischen Figur Pat Hobby deutlich gemacht. Manchmal können Romanciers Drehbücher schreiben, Faulkner wäre ein Beispiel. Häufig fällt es Dramatikern leichter, Ben Hecht und Charles MacArthur haben das gezeigt. Aber es gibt auch berühmte Drehbuchautoren wie Dalton Trumbo, die zuvor nicht literarisch hervorgetreten sind. Und sicherlich gibt es auch Filmregisseure, die ihre eigenen Drehbücher schreiben, was Losey selbst als ein Unding empfand. Drehbücher gehörten lange Zeit schon deshalb nicht zu einer literarischen Gattung, weil sie nicht veröffentlicht wurden; die französische Reihe l'Avant-Scène war viele Jahre lang das einzige, auf das Cineasten zurückgreifen konnten. In den letzten 30 Jahren hat hier eine radikale Umwälzung stattgefunden, man kann sich beinahe vor publizierten Drehbüchern nicht mehr retten (sogar das Internet enthält ganze Skripts wie z.B. Tarrantinos Pulp Fiction). Das Drehbuch hat als "Lesefilm" literarischen Rang bekommen, und Harold Pinter, dessen erste fünf Drehbücher im gleichen Jahr wie The Go-Between erschienen, steht wegbereitend am Anfang der Neubewertung einer unterbewerteten Literaturform. Pinters Zusammenarbeit mit Losey von The Servant bis zu dem nicht realisierten Proust-Projekt, von dem wir allerdings Pinters Drehbuch besitzen (The Proust Screenplay, 1977), ist eine erstaunliche künstlerische Symbiose zweier grundverschiedener Charaktere.

Pinter entdeckte in dieser Zusammenarbeit, daß seine Art Theaterstücke zu schreiben, ihn für bestimmte Literaturverfilmungen prädestinierte. Insbesonders Schauspieler waren von seinen Drehbüchern angetan. So schrieb Dirk Bogarde: Pinter doesn't give you instructions like a packet of instant minestrone. The instructions are implicit in the words he offers so sparingly for his characters to speak. There is a popular and far too widely-held belief among many actors, and directors too (not to mention critics) that Pinter writes pauses. I don't think that he does. But I do think that he is one of the few writers who are brilliant in the text they don't write. His pauses are merely the time-phases which he gives you so that you may develop the thought behind the line he has written, and to alert your mind itself to the dangerous simplicities of the lines to come...

Allerdings mußte Pinter auch mitansehen, daß seine hochpolierten literarischen Kunstwerke, wie sie uns in der gedruckten Form begegnen, nicht immer vom Regisseur (oder Produzenten) honoriert wurden. Die Geschichte der Zusammenarbeit von Pinter und Losey ist auch eine Geschichte von heftigen künstlerischen Auseinandersetzungen. Für die Wiedergabe der beiden Zeitebenen des Romans hatte Pinter ein komplexes System ersonnen, das die die Handlung der 50er Jahre durch Bilder oder Ton im Off in den Film interpolierte - bei dem Drehbuch zu The French Lieutenant's Woman sollte er ähnlich vorgehen. Das hatte Losey an dem Film besonders gereizt: what interested me primarily was the possibility of representing 1900 using shots from the present, not in a chronological, but in an almost subliminal sequence, superimposing voices from the present, so that threads which started off parallel gradually intertwine, and in the end past and present are one and the same. As you know, I am fascinated by the concept of time, and by the power the cinema has suddenly to reveal the meaning of a whole life from the age of 12 to 60, and by the effect that those few weeks lived at the age of 12 are to have on the grown man.

Studio und Geldgeber wollten diese Stellen bis zuletzt aus dem Film streichen, einige Passagen, die durchaus sinnkonstituierend waren, wurden geopfert. Dieses irritierende Sich-Einmengen eines "zweiten Films" in die Filmhandlung des ersten 1900-Handlung geht weit über eine konventionelle Rahmenerzählung hinaus, ist aber durch den Text, der ja Erinnerung thematisiert, gerechtfertigt. Es spricht für Losey und seinen Respekt gegenüber Pinters Drehbuch, daß er von Pinters Konzeption, die dem Zuschauer einiges abverlangt, so viel wie möglich gegen den Widerstand des Studios gerettet hat.

Doch Losey wußte auch, was er an Pinter hatte, selbst wenn der mittlerweile weltberühmte Dramatiker als Drehbuchautor noch ein Novize war. Losey hat immer wieder betont, daß die Drehbücher, die Pinter für ihn geschrieben habe, besser als seine übrigen Drehbücher seien. Und obgleich er Pinter visuelles Denken absprach (I don't think he has any visual sense at all), betonte er: his writing is always visually evocative, but at the same time it gives me a great deal of room. Offensichtlich enthält der Text nicht nur kreative Pausen für den Schauspieler, sondern auch jene Leerstellen, die den visuell denkenden Regisseur herausfordern. Kino ist neben den Bildern eine Welt der Emotionen, Kafka hat im Kino geweint (Im Kino gewesen. Geweint), Thomas Mann hat im Kino geweint (Sagen Sie mir doch, warum man im Cinema jeden Augenblick weint oder vielmehr heult wie ein Dienstmädchen). Pinters scheinbar objektiv-kühler Text täuscht über die Emotionen des Schriftstellers hinweg. Pinter hat bei der ersten Lektüre von The Go-Between geweint und hatte sich vor dem Drehbuch gefürchtet, weil er dann über Monate hinaus dauernd in Tränen aufgelöst wäre: [The novel] had such a tremendous impact on me that I actually broke down. Nothing less than tears. So I couldn’t see how, feeling as I did, I could write a screenplay. Then a month or so later, Joe talked me into it.

Die Erzählperspektive eines Romans im Film widerzugeben, ist eins der größten Probleme einer Literaturverfilmung. Man kann in The Go-Between verfolgen, wie stark sich die Kamera an der Perspektive des kleinen Leo orientiert, und geradezu voyeurhaft Gesellschaft und Raum erkundet. Die erste Begegnung Leos mit Marian zeigt in komplizierten Einstellungen ein schüchternes Annähern. Das Bild Marians taucht später, unvermittelt in den Film montiert, als bleibende Erinnerung Leos wieder auf (und es wird am Filmende ebenso verwendet werden). Losey ist ein Regisseur, der mehr auf das Stilmittel der mise-en-scène als auf das der Montage vertraut, was an manchen Stellen sehr komplizierte Kombinationen von crane shots und Zoom-Einstellungen verlangte. Lange Kameraeinstellungen geben ein Gefühl von Ruhe, lediglich die nervöse Sensibilität des Zooms zeigt die trügerische Ruhe, in der sich die selbstgefällige edwardianische Gesellschaft bewegt. Die Kamera präsentiert, wie die Perspektive des Romans das Außen, das der Außenseiter Leo sieht. Dieses "Außen" wird derart enervierend perfekt dargeboten, daß der Zuschauer für die Welt dahinter sensibilisiert wird: because all these sensual details are so physically realized you end up hearing the unsaid, seeing the unseen.

Komplizierte Erzählperspektiven wie bei Henry James, Joseph Conrad oder William Faulkner empfand Losey als Herausforderung für das Kino: But it's the kind of thing the cinema can do, and the cinema is rarely used for the things it's cut out to do. And that's what interests me. Losey war sich darüber im klaren, daß sein persönlicher Erzählstil mit langen Kamerafahrten, mise-en-scène und dem Verweilen auf Räumen, die die Personen längst verlassen haben, ein Publikum überfordern könne. Aber als ein selbstloser Diener der literarischen Vorlage bestand er gleichzeitig auf der Ausschöpfung der Möglichkeiten der Sprache des Films, und glaubte auch daran, durch den Einsatz von experimentellen Mitteln innerhalb einer traditionellen Struktur das Publikum erziehen zu können. Loseys Stilmittel haben ihm nicht nur positive Kritiken beschert. Manche Kritiker empfanden seine filmischen Mittel als manieriert, wobei sie verkennen, daß Losey immer nur auf der Suche nach einer kinematographisch-visuellen Wahrheit war: I think more and more the film medium is...not a novel, not the conventional Hollywood screenwriter's form, it is a visual form...In other words a form in which images take the place of words...And you never use a word when you can use an image.

Kameraleute haben (ähnlich wie Drehbuchautoren) lange Zeit im Verborgenen leben müssen, sie waren kein Teil von Hollywoods Starsystem. Aber ohne Gregg Toland wären Wuthering Heights und Citizen Kane nicht die Kunstwerke, die sie sind. Ohne Eugen Schüfftan gäbe es den "poetischen Realismus" von Marcel Carné nicht: die Liste der Kameraleute, die Filme stärker als der Regisseur geprägt haben, ist lang. Dem versierten Techniker Losey ist immer bewußt gewesen, welche Leistung seine Kameraleute (sowohl der director of photography als auch der camera operator) erbrachten, und er hat sich in den Interviews mit Milne, Schütte und Ciment sehr ausführlich und detailversessen über die technisch-handwerklichen und künstlerischen Qualitäten seiner Kameraleute ausgelassen. Dem Kameramann von The Go-Between, Gerry Fisher (oben), schrieb Losey nach den Dreharbeiten: In fact I think it is the best photographic work of its kind that I have ever seen. Losey hatte in seinen Arbeitsnotizen für den Film folgende Vorgabe: The picture should look hot and like a slighty faded Renoir or Constable - the colours mostly gold and brown, the green minimized as much as possible under the circumstances. The skies and their clouds and the peculiar light of Norfolk...also the chiaroscuro of the corridors and secret passages...the present day sequences should stand out photographically. Whether this is done by filter or optically or with a change of raw stock...They should all at least be in dull weather...cold in tone...as against the dream-like quality of the 1900 story.

Gerry Fisher fühlte sich bei den Dreharbeiten an seine Kindheit auf dem Lande erinnert, und sicherlich ist ihm die Evokation einer pastoralen temps perdu technisch hervorragend gelungen. Für den Film ließ Losey Gerry Fisher viele Freiheiten, und bei der engen Zusammenarbeit von Regisseur und Kameramann läßt es sich schwer entscheiden, ob die Stilelemente des Films wie mise-en-scène, Einsatz des Zoom, lange Kamerafahrten und innere Montage auf Losey oder Fisher zurückgehen. Wenn das Kunstmittel des Zoom-Einsatzes - man kann hier beinahe von einem foregrounding sprechen - wohl auf Fishers Rechnung geht, so hat Losey dies Stilmittel (das er für nicht unbedenklich hielt) doch ästhetisch verteidigt.

Manche Romane enthalten Musik, Prousts A la recherche du temps perdu lebt von der wiederkehrenden Sonate von Vinteuil. Viele Romane enthalten keinerlei Musik, aber alle Literaturverfilmungen enthalten einen musikalischen Soundtrack. Filmmusik ist ein Relikt aus der Zeit des Stummfilms, als noch Orchester beschäftigt wurden, um die Verbindung zwischen den Bildern zu verdeutlichen und die dargestellten Emotionen zu unterstreichen - und vielleicht auch um das laute Geräusch des Filmvorführungsgeräts zu übertönen. Obwohl Filmmusik ein Wesensmerkmal des Spielfilms zu sein scheint, tun sich Theoretiker des Films mit ihr schwer, Theoretiker der Literaturverfilmungen gehen so gut wie nie auf das Phänomen ein. Losey hätte die Musik von Edward Elgar nehmen können (Visconti nimmt Mahler für Tod in Venedig), aber er will keine Musik aus der Zeit der Jahrhundertwende, er will etwas Modernes, Verfremdendes. Die Filmmusik von Richard Rodney Bennett, der die Musik für Far from the Madding Crowd und zwei Losey-Filme geschrieben hatte, wird verworfen. Losey schwebt abstrakte Jazzmusik vor, als er ➱Michel Legrand (der die Musik zu Loseys Eva geschrieben hatte) mit der Komposition beauftragt.

Regisseure brauchen nichts von Musik zu verstehen, Losey verstand etwas davon. 1936 hatte er das erste Jazzkonzert in der Carnegie Hall organisiert, durch seine Vermittlung erhielt Hanns Eisler ein Rockefeller-Stipendium, um sein Standardwerk über Filmmusik schreiben zu können. Am Ende von Loseys Schaffen steht eine vieldiskutierte Don Giovanni-Inszenierung. Legrands Variationen für zwei Klaviere und Orchester, die nicht nur Losey später an Legrands Musik für The Thomas Crown Affair erinnern sollte, funktioniert im Film niemals wie konventionelle Filmmusik. Die Musik, die beinahe autonom von der Handlung existiert, sogar gegen sie existiert, distanziert den Betrachter im gleichen Maße, wie sie die Gefühle von Leo verdeutlicht. Aber der Soundtrack enthält noch mehr. Neben der akustischen Markierung der Szenen des "zweiten" Films der 50er Jahre (die durch eine andere Aussteuerung zusätzlich zu der Bildebene den Zeitsprung markiert), präsentiert uns der Film dank der Leistung des Toningenieurs Peter Handford eine erstaunliche Geräuschkulisse. Man kann hier eine Erbschaft der Radiozeit von Losey sehen. Der Zuschauer wird neue Verfremdungseffekte entdecken (wie die Eisenbahngeräusche, die die pastorale Landschaft in Frage stellen): die Trennung von Bild und Dialog wird zu einem Stilmittel der späten Losey-Filme. Das Endprodukt (Musik, Dialog der 1900-Ebene on oder off, Dialog der 1952-Ebene on oder oder off, Außengeräusche der 1900- und 1952-Ebene) erreicht vielleicht nicht die Dichte der kontrapunktischen Stimmkollagen, die Glenn Gould für den kanadischen Rundfunk produzierte, hat aber ansatzweise deren Komplexizität.

Für die Kunsthistorikerin Anne Hollander, Autorin der Standardwerke Seeing Through Clothes und Sex and Suits, ist es keine Schwierigkeit, costume blunders im Film zu entdecken. Viele Zuschauer können das auch, ohne Kostümhistoriker zu sein. Plötzlich entdecken wir Armbanduhren an römischen Senatoren, tragen englische Seeoffiziere im 18. Jahrhundert Uniformen, die es nur in der Phantasie von Hollywooddesignern gibt (von den Phantasieuniformen der bösen Deutschen in Hollywoodproduktionen ganz zu schweigen). Greta Garbos Krönungsornat in Queen Christine ähnelt mehr einem Abendkleid der 30er Jahre, und von der Kleidung Robert Taylors in der Kameliendame, kann man kaum auf die historische Epoche schließen. Im 19. Jahrhundert widmen Schriftsteller dem Thema Kleidung als Zeichen von Rang, Status und Stil viel Raum, und L.P. Hartley tut das als ein legitimer Nachfolger von Henry James und Proust auch.

Der Roman ist durchzogen von Bemerkungen, die sich auf die codifizierte, ritualisierte Bedeutung der Kleidung für die edwardianische Gesellschaft beziehen. Only cads wear their school clothes in the holidays. It isn't done belehrt Marcus seinen Gast und fährt fort: And, Leo, you mustn't come down to breakfast in your slippers. It's the sort of thing bank clerks do. Und Leo erfährt weiter: ...there's another thing you mustn't do. When you undress you wrap your things up and put them on a chair. Well, you mustn't. You must leave them lying wherever they happen to fall - the servants will pick them up - that's what they're there for" Für Leo, den sein Norfolk-Jackett als gesellschaftlichen Außenseiter kennzeichnet, ist Marcus the arbiter of elegance and fashion.

Aber auch ohne Marcus erkennt er beim Cricketmatch die Klassenunterschiede: All our side were in white flannels. The village team...distressed me by their nondescript appearance; some wore their working clothes, some had already taken their coats off, revealing that they wore braces. Wenig später wird Leo Ted Burgess kaum wiedererkennen, weil auch der weiße Flanellhosen, die Insignien der upper middle class, trägt. Diese sozialen Feinheiten des Textes, die vestimentären Zeichen eines hochcodifizierten kulturellen Textes, sind bei Pinter in guten Händen. Und wenn der Amerikaner Losey auch ein Außenseiter (wie Leo) der englischen Gesellschaft sein mag, so konnte er in diesem Punkt Pinter und seinen Beratern, insbesonders Carmen Dillon und John Furness, vertrauen. Das Ergebnis ist makellos, selbst kleinste Details (z.B haben die Fräcke um 1900 noch keine Brusttaschen) wurden berücksichtigt. Losey hatte viel Wert darauf gelegt, die Kleidung natürlich wirken zu lassen: I think we had to make it appear as if the characters aren't wearing 'costumes' but the clothes of the day, which is today for the time you are watching the film...Most of the costumes were genuine; we made very few others. And we all lived in the house. They wore the clothes all the time and they ate as well as acted in their costumes...We got everything right. That's how it has to be, for once you've got the exact house, accessoires, costumes, something then springs to life.

In der Mitte des Romans steht ein Cricketspiel, in dem Leo Colston als Ersatzmann das Match entscheidet: I remember walking to the cricket ground with the team, sometimes trying to feel, and sometimes trying not to feel, that I was one of them; and the conviction I had, which comes so quickly to a boy, that nothing in the world mattered except that we should win. Die Beschreibung des Spiels mag das Herz des englischen Lesers (wie das siebte Kapitel von A.G. Macdonnels England, Their England) erfreuen, für nicht-englische Leser kann es unverständlich wirken.

Aber das Cricketspiel ist auch (ähnlich wie in Ian Burumas Playing the Game) eine perfekte Metapher für die edwardianische Gesellschaft, und es akzentuiert die Personen und Handlungsebenen des Romans: Leo bleibt der Außenseiter (trotz seiner spielentscheidenden Leistung wird er auf dem Spielbogen nicht erwähnt, da er kein player sondern nur ein substitute ist). Lord Trimingham zeigt auch im Spiel die Überlegenheit und Eleganz des edwardianischen Gentleman, die Illustration dessen, daß das Empire on the playing fields of Eton entstanden ist. Mr. Maudsley beweist auch im Spiel seinen Charakter (The qualities that had enabled Mr. Maudsley to get on in the world stood by him in the cricket field). Ted Burgess' Spiel ist eine Illustration und Extension seines Charakters, es ist sicherlich symbolisch, daß er von Trimingham und Leo besiegt wird. But there was something else, something to do with Marian, sitting on the pavillion steps watching us, heißt es im Text, eine nicht zu übersehende sexuelle Komponente.

Pinter hat diese Szene liebevoll (wie schon die Cricket-Szene in Accident) gestaltet. Viele seiner Theaterstücke enthalten ja einen Verweis auf den englischen Nationalsport (und Pinter spielte in den 70er Jahren zusammen mit Tom Stoppard in einer Cricketmannschaft der englischen Dramatiker). Obgleich Losey Cricket haßte und die Geldgeber die Szene streichen wollten (The distributors wanted me to cut it: 'Americans don't understand cricket. You've already had cricket in Accident...Who wants to see a cricket match?'), behielt er die Szene nach langen Diskussionen mit Kürzungen (...Harold had included too much detail [he plays cricket], and it wasn't necessary) im Film. Instinktiv erkannte Losey, daß Pinter hier Hartleys Vorgabe noch pointiert hatte: ...the important thing in the cricket match was to build up the antagonism, jealousy and fears of the different characters, players and spectators, the mother, the father, the friend, the friend's brother, Ted, Marian, the villagers on the one side, the people from the manor on the other.

Pinter hatte die Cricketszene noch zusätzlich durch die Off-Stimmen von Marian und Lionel Colston mit dem Ende des Films in Verbindung bringen wollen, aber diese komplexe Verknüpfung fiel, wie viele von Pinters Akzentuierungen, dem editing zum Opfer.

England als Drehort für Kostümfilme bietet sich geradezu an, Landschaft, Landschaftsgärten und Architektur sind in vielen Gegenden seit Jahrhunderten unverändert. Dank freundschaftlicher Kontakte zu den Adelskreisen Norfolks (der Klasse, die der Marxist Losey im Film zum Gegenstand seiner Kritik macht), konnte Losey den gesamten Film on location drehen. Ein leerstehender Adelssitz, Melton Hall, aus dem Jahre 1660 wurde für den Film renoviert und von Carmen Dillon neu dekoriert, die Cricketszenen und die outhouses mit dem Deadly Nightshade wurden in der Nachbarschaft gefilmt (der Plan, den Film am Originalschauplatz von Hartleys autobiographischer Geschichte, Bradenham Hall mit seinen berühmten Gärten, zu drehen, konnte nicht realisiert werden). Auch bei der Wahl des Drehortes finden wir wieder Loseys Detailtreue, die, wie uns Dirk Bogarde versichert, bis zur Oberflächentextur aller gefilmten Gegenstände innerhalb des Raumes ging. Aber nur so erreicht er das an Caravaggio gemahnende chiaroscuro of the corridors and secret passages. In Loseys und Pinters Filmen werden die Innenräume zu handelnden Personen, Wolfram Schütte sieht die Personen durch das Etui der 'Behausungen' definiert und konstatiert eine Treppenmanie Loseys.

In der Tat könnte man über The Servant und The Go-Between sagen, daß die Treppe zu einer Art Hauptdarsteller des Films wird. Ein Stilmittel, das Losey mit Antonioni teilt, ist der vacated space. Wenn Leo von Marians Verlobung erfährt, bleibt die Kamera noch Sekunden auf dem Weg, den Leo und Marcus längst verlassen haben. Dieses Verharren auf Bildern des unbelebten Raumes gibt dem Zuschauer wie eine Pintersche Pause einen Augenblick Zeit zum Nachsinnen, betont aber die Bedeutung des Raumes, in dem die Personen manchmal Fremde sind, um so mehr. Georges Poulet hat mit seinem Buch L'Espace Proustien gezeigt, daß Prousts Roman nicht nur eine Suche nach der verlorenen Zeit, sondern auch eine Suche nach dem verlorenen Raum ist. Mit dieser Proustschen Dimension interpretiert der Film Hartleys Roman und kann so als Vorstudie zu Loseys Proust-Projekt verstanden werden.

Joseph Losey ist heute vor 27 Jahren gestorben. Ich habe diesen Artikel natürlich nicht von gestern auf heute geschrieben, er ist vor einem Jahrzehnt schon mal veröffentlicht worden. The past is a foreign country: they do things differently thereIch habe ihn auf einer alten Mac Diskette (ja sowas gab es mal) gefunden, so wie Leo Colston sein altes Tagebuch aus dem Jahre 1900 findet. Habe ihn für den Todestag Loseys ein wenig aufgerüscht. Die Fußnoten und den ganzen wissenschaftlichen Kram  rausgeschmissen, jetzt gefällt mir das Ganze noch besser. Der Film The Go-Between ist als DVD leicht erreichbar, es ist auch nach vierzig Jahren noch immer genau so gut wie vor einem Jahrzehnt, als ich ihn zwanzig Mal hintereinander gesehen habe. Danach war die VHS Cassette ruiniert. Das kann einem mit der DVD natürlich nicht passieren. Mit dem Computer auch nicht, Sie können den Film hier sehen.

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