Dienstag, 23. August 2011

Meerjungfrauen + Waldnixen


Sieht das etwa wie die kleine Meerjungfrau aus? Die Dame passt doch eher in eine Inszenierung von Wagners Rheintöchtern. Sie ist von Vilhelm Pedersen, dem ersten Illustrator von Hans Christian Andersen. Wahrscheinlich bedeutet klein um 1849 in Dänemark etwas anderes als heute. Irgendwie kann Pedersen keine kleinen Mädchen zeichnen, das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern sieht aus wie eine Miniatur-Oma. Meistens sind ja die Bilder zu einem Text, den man gerade liest, eine Enttäuschung. Vor allem, wenn man klein ist und sich durch Andersens Märchen liest, ohne dass einem Erwachsene dabei helfen. Die Märchen leben davon, dass sie etwas Geheimnisvolles haben, was auch etwas Geheimnisvolles bleiben soll - und nicht durch platte Illustrationen seinen Reiz verlieren soll.

Dies hier, das ist wirklich geheimnisvoll. Heißt auch schon so: Waldgeheimnis. Ist von dem Dresdner Bildhauer Robert Diez. Der ist vielleicht ein wenig vergessen, aber sein berühmtester Schüler hat sich sehr positiv über ihn geäußert: Diez – nach meinem Urteil gibt es keinen besseren Lehrer – ist pflichteifrig, tolerant in geistiger Beziehung und dabei besonnen genug, ein wirklich gediegenes Können bei seinem Schülern zu erzwingen. … Diez [wies] mit dem Finger auf das kaum Merkliche im Verhalten der Natur hin und mit dem Nagel das Dürre und Fette, das Weiche, und Halbharte, das Versteckte und Verstohlene am studierten Modell beklopfte und umzirkelte, der immer eifrig die Kulturen seiner Schüler nach den verzagtesten Keimen von Eigenart absuchte und Hebammendienste bei jedem ehrlichen Vorhaben unserer Unreife leistete. Mir gönnte er manches väterlich ermunternde Wort. Der das in einem Brief schreibt, ist kein geringerer als Ernst Barlach. Diez hat noch andere Schüler gehabt, wie zum Beispiel Selmar Werner, der das Schillerdenkmal in Dresden und das Karl May Grabmal in Radebeul zu verantworten hat, aber das lasse ich jetzt mal weg.

Die bemalte Waldnixe mit den zwei (!) Fischschwänzen ist von dem Künstler selbst in Lindenholz geschnitzt und auf Silbergrund bemalt worden. Die Augen aus Bergkrystall eingesetzt, heißt es in einer älteren Beschreibung. Und Gold und Aluminium ist da auch noch auf dem Holz drauf, dieser Materialmix bereitete den Restauratoren vor Jahren bei der Arbeit einige Schwierigkeiten. Aber jetzt steht die Schönheit, frisch lasergereinigt, wieder im Dresdner Albertinum. Der Hamburger Karl Woermann, der Direktor der Dresdner Gemäldegalerie (der seinen Vornamen von Carl in Karl ändern musste, weil er nicht die väterliche Reederei Carl Woermann übernehmen wollte) schrieb über die Plastik: Wie die deutsche Waldromantik sich seinem Realismus fügt, zeigt sein kraus lebendiges, im Albcrtinum ausgestelltes „Waldgeheimnis", eine vom Meister selbst in Lindenholz geschnittene und auf Silbergrund bemalte Gruppe einer Nixe.

Der Gnom neben ihr flüstert ihr etwas ins Ohr, wir wollen mal hoffen, dass es nichts Unanständiges ist, so sexy wie sie dasitzt. Nein, im Ernst, er soll ihr angeblich die Geheimnisse aus dem Erdinneren zuflüstern, die die Waldnixe dann den Menschen weitererzählt. So entstehen unsere Märchen. Aber vielleicht ist es ja auch der böse Nöck Nickelmann? Man weiß es nicht genau, weil es ja ein Geheimnis ist. Wir besitzen in Sagen und Märchen ein geradezu unüberschaubares Repertoire von elbischen Wesen, werfen Sie doch einmal einen Blick auf diese Zusammenstellung des bayrischen Sagenforschers Friedrich Panzer.

Diez' geheimnisvolle Waldnixe taucht so ähnlich, aber in einem anderen Material auf dem Bechsteinbrunnen in Meiningen auf. Ist da aber lange nicht so schön und so geheimnisvoll. Für den Brunnen macht die volkstümliche Erklärung mit dem Zuflüstern der Geheimnisse aus dem Inneren der Erde natürlich einen Sinn. Als mir Astrid vor Monaten das Photo von dem Waldgeheimnis geschickt hatte, wusste ich überhaupt nicht, wer Robert Diez ist. Aber das Bild hat mich nicht losgelassen. Irgendwann schreibe ich vielleicht noch einmal mehr darüber, wenn ich mich durch die ganze freudlose feministische Sekundärliteratur zu Sirenen, Nixen Meerjungfrauen gequält habe. Oder ich lese einfach de la Motte Fouqués Undine noch einmal. Denn diese Geschichte hat auch Hans Christian Andersen beeinflusst. Robert Diez Waldgeheimnis ist aus dem Jahre 1894, damit liegt diese Waldnixe noch zwei Jahre vor Gerhart Hauptmanns Die Versunkene Glocke, wo wir auch eine Waldnixe namens Rautendelein haben. Waldnixen haben damals offensichtlich Konjunktur. Das Rautendelein gibt es dann auch als Illustration von Heinrich Vogeler, und irgendwie hat ihn das scheinbar nicht losgelassen. Denn jetzt taucht das Thema der fischschwänzigen Schönen immer wieder bei ihm auf, in der Melusine und in den Illustrationen zu Oscar Wildes Der Fischer und seine Seele (oben). Vogelers Melusine hat übrigens nicht den konventionellen Fischschwanz, den wir von Nymphen gewohnt sind, sondern hat an jedem Bein eine Flosse wie die Waldnixe von Diez.

Wie auch auf diesem doch leicht pornographischen Bild von einem gewissen Paul Hohmann. In der deutschen Romantik wären Waldnixen ja O.K., aber das massenhafte Auftauchen von Waldnixen zum Ende des 19. Jahrhunderts scheint doch eher pornographische Interessen eines ansonsten prüden Publikums zu befriedigen. Keine Abbildung habe ich leider von dem Gemälde Waldnixe aus dem Jahre 1862 eines gewissen Paul Victor Mohn, das aber Diez beeinflusst haben könnte. Denn Mohn war Professor in Dresden gewesen, Nachfolger seines Lehrers Ludwig Richter. Produzierte schlimmeren Kitsch als sein Lehrer. Ich weiß das, weil viele der Märchenbücher, mit denen ich aufwuchs, von Paul Mohn illustriert waren. Immer noch verbreitet ist Paul Mohns Illustration zu Sterntaler. Ich hatte das Bild Jahrzehnte nicht mehr gesehen, habe es aber sofort wiedererkannt. Ich nehme mal an, dass seine Waldnixe so ähnlich aussieht wie der ganze andere deutsche Waldeskitsch.

Dieser Kitsch ist künstlerisch nur graduell verschieden von der Kunst des Symbolismus und Jugendstils. Alle Sorten von Wassergeistern haben jetzt Konjunktur. Der Amerikaner Bram Dijkstra hat sie in seinem Buch Idols of Perversity: Fantasies of Feminine Evil in Fin-de-Siècle Culture sehr schön katalogisiert. Sie können so fröhlich und nett sein wie hier bei Arnold Böcklin. Die meisten sind es aber nicht. So sexy die Waldnixe von Robert Diez ist, überlegen Sie es sich zweimal, ob sie mit ihr in einem stillen Waldsee baden. Denn so hübsch diese Wesen sind, sie haben dunkle Geheimnisse.

Ich werde Dir einen Trank bereiten, mit dem mußt Du, bevor die Sonne aufgeht, nach dem Lande schwimmen, Dich dort an das Ufer setzen und ihn trinken, dann schwindet Dein Schweif und schrumpft zu dem, was die Menschen niedliche Beine nennen, ein; aber das thut wehe, es ist, als ob ein scharfes Schwert Dich durchdränge. Alle, die Dich sehen, werden sagen, Du seiest das schönste Menschenkind, was sie gesehen haben! Du behältst Deinen schwebenden Gang, keine Tänzerin kann schweben wie Du, aber bei jedem Schritt, den Du machst, ist Dir, als ob Du auf scharfe Messer trätest, als ob Dein Blut fließen müßte. Willst Du alles dies leiden, so werde ich Dir helfen!«
   »Ja!« sagte die kleine Seejungfrau mit bebender Stimme, und gedachte des Prinzen und der unsterblichen Seele.
   »Aber bedenke,« sagte die Hexe, »hast Du erst menschliche Gestalt bekommen, so kannst Du nie wieder eine Seejungfrau werden! Du kannst nie durch das Wasser zu Deinen Schwestern und zum Schlosse Deines Vaters zurückkehren, und gewinnst Du des Prinzen Liebe nicht, sodaß er für Dich Vater und Mutter vergißt, an Dir mit Leib und Seele hängt und den Prediger Eure Hände in einander legen läßt, daß Ihr Mann und Frau werdet, so bekommst Du keine unsterbliche Seele! Am ersten Morgen, nachdem er mit einer andern verheiratet ist, da wird Dein Herz brechen, und Du wirst zu Schaum auf dem Wasser.«
   »Ich will es!« sagte die kleine Seejungfrau und ward bleich wie der Tod.

Und damit komme ich zum Anfang zurück, zu der kleinen MeerjungfrauWenn Ihr Euer fünfzehntes Jahr erreicht habt,« sagte die Großmutter, »dann sollt Ihr die Erlaubnis erhalten, aus dem Wasser empor zu tauchen, im Mondschein auf der Klippe zu sitzen und die großen Schiffe, die vorbei segeln, zu sehen, Wälder und Städte werdet Ihr dann erblicken! Und so sitzt sie da auf der Klippe, nicht nur im Mondschein. Denn heute vor 98 Jahren wurde sie in Kopenhagen aufgestellt. Sie war ein Kompositum, der Kopf war der Ballerina Ellen Price nachgebildet, der Rest des Körpers war der Ehefrau des Bildhauers Edvard Eriksen nachgebildet. Bezahlt wurde das Kunstwerk vom Besitzer der Carlsberg Brauerei. Da kann man doch nur sagen: that calls for a Carlsberg.

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