Montag, 7. Mai 2012

Nebelmeer


Der Mahler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch was er in sich sieht. Sieht er aber nichts in sich, so unterlasse er auch zu malen, was er vor sich sieht. Sonst werden seine Bilder den Spanischen Wänden gleichen, hinter denen man nur Kranke und Tote erwartet, sagt Caspar David Friedrich. Was sieht dieser Wanderer in dem dem Nebelmeer vor sich? Alle schleswig-holsteinischen Politiker können sich heute in diese Betrachterfigur hineindenken. Das Bild Der Wanderer über dem Nebelmeer ist zu einem der bekanntesten Bilder von Caspar David Friedrich geworden, dabei kennt es die Öffentlichkeit noch gar nicht so lange. Erst seit dem Jahre 1970 ist es im Besitz der Hamburger Kunsthalle, die zwanzig Jahre davor hatte es dem Backpulverkönig Rudolf Oetker gehört.

Wie so viele Bilder Friedrichs gibt es Rätsel auf. Wir wissen nicht einmal, wer der Dargestellte ist. Caspar David Friedrich selbst? Goethe? Oder ein sächsischer Forstbeamter namens von Brincken? Wo war das Bild zwischen 1818 und 1939, als es zum ersten Mal in der Galerie von ➱Dr. Wilhelm August Luz in Berlin auftauchte? Eigentlich wollte ich heute nichts schreiben, aber dann sah ich, dass heute der Todestag von Caspar David Friedrich ist. Und da mir gestern beim Aufräumen das lange vermisste Buch von László F. Földényi Caspar David Friedrich: Die Nachtseite der Malerei wieder begegnete, nehme ich das mal als Fügung. Ich bewundere diesen ungarischen Autor, von dem ich das Buch über die ➱Melancholie und das unübertroffene Buch zu ➱Heinrich von Kleist gelesen habe. Als ich ➱hier über C.D. Friedrich schrieb, hatte ich das Buch noch nicht gelesen, aber heute würde ich es gerne empfehlen. Ich habe sogar ein Häppchen Text aus dem Buch:

Friedrich war wahrscheinlich der erste in der Geschichte der Malerei, der die Theorie der "reinen" oder "gegenstandslosen Empfindung" (Malewitsch) vorwegnahm und diese Imponderablien - das Unwägbare also, das nicht aus dem Gegenstand folgt, sondern auch diesem voraus ist- zum einzigen wirklichen Thema macht. Damit ließ er sich jedoch auf nicht weniger ein, als das zu malen, was nicht malbar ist.
Auch der mittelalterliche Maler mußte das Unmalbare malen; doch die unanfechtbare Gewissheit der Existenz Gottes machte den Widerspruch überbrückbar. Die Abstraktion und die sinnliche Ausführung konnten so sinnlich nebeneinander leben. Auch Friedrich wollte Gott malen, doch sein Gott hatte das All verlassen und war ins Herz gezogen. Die das Herz durchdringende Unfaßlichkeit wurde zur sinnlichsten Wirklichkeit, das durch nichts auszufüllende Fehlen zur elementaren Erfahrung. Nur in einer solchen Situation kann überhaupt das Bedürfnis erwachen, dem Unfasslichen zuliebe alles zu vernachlässigen.
In Friedrichs Bildern wird der Mensch ständig von der Natur hinters Licht geführt: sie schwindelt uns vor, wir würden Gott ebenso finden wie uns selbst, während sie uns gleichzeitig immer weiter von beiden wegführt. In Wirklichkeit macht sie nur der Sehnsucht den Weg frei, von der der Mensch, nachdem er auf der Suche nach Gott und sich selbst auf Irrwege geraten ist, nicht weiß, worauf sie sich richtet.



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