Montag, 18. Juni 2012

La Belle-Alliance


Viel mehr war da wohl nicht, ein Gehöft an der Straße von Brüssel nach Genappe, das den Namen La Belle-Alliance hat. Nach der Schlacht vom 18. Juni 1815 waren eine Vielzahl von Künstlern unterwegs, um das Haus abzubilden, das plötzlich berühmt geworden war. Ursprünglich ein Gehöft, war es irgendwann eine kleine Kneipe geworden, die am Sonntagmorgen ihren berühmtesten Gast im Schankraum hatte. Einen gewissen Napoleon Bonaparte. Der hat nämlich angeblich hier übernachtet und morgens um acht mit einigen seiner Generäle gefrühstückt. Wenigstens war es hier trocken, es hat die ganze Nacht geregnet. Der Rest seiner Armee ist klitschnass, seine Gegner natürlich auch. Aber ist Napoleon wirklich hier gewesen? In seinen Memoiren, die er im Exil von St Helena diktiert, spricht er davon, dass er das Frühstück um acht Uhr in seinem Zelt eingenommen hat.

So schön diese Geschichte ist, mit der der Feldherr betont, dass er das einfache Leben seiner Soldaten teilt, sie ist leider nicht wahr. Ebenso wenig wie die Geschichte mit dem Hauptquartier Napoleons im Gasthaus Belle-Alliance. Napoleon war in der Nacht hier, in dem Gehöft von Le Caillou. Das Haus ist heute ein ➱Museum, man hat es wieder aufgebaut, weil die Preußen es nach der Schlacht von Waterloo abgefackelt hatten. Das war natürlich eine symbolische Handlung. La Belle-Alliance wurde nicht angezündet.

Auf dieser farbigen Aquatintaradierung von Joseph Constantine Stadler (der für den berühmten ➱Ackermann arbeitete), die eine Woche nach der Schlacht entstanden sein soll, ist man immer noch dabei, die Toten zu beerdigen. Dennoch hat die ganze Szene etwas romantisch Pittoreskes, wie es der Engländer liebt. Das Bild oben ist (einschließlich der Löcher im Dach) viel ernüchternder. Jedoch kann man auf dem Bild nicht diesen kleinen Höhenrücken erkennen, der Wellington am Vortag darüber nachsinnen ließ, ob er hier sein Hauptquartier aufschlagen sollte. Allerdings hatte sein Generalquartiermeister Colonel DeLancey sich gegen La Belle-Alliance entschieden und war anderthalb Kilometer weiter nach Norden geritten. Wellington, gerade auf dem Rückmarsch von Quatre-Bras, guckt sich die Gegend noch einmal an und gibt dann den Plan auf, die Schlacht hier zu schlagen. Die nächste Hügelkette ist genau so gut. Soll Napoleon Belle-Alliance haben.

Am gleichen Morgen um zehn Uhr schickt der Marschall Blücher aus Wavre einen Brief an Wellington (genau genommen an den General von Müffling, den preußischen Verbindungsoffizier in Wellingtons Stab): E.H. ersuche ich namens meiner dem Herzog Wellington zu sagen, daß, so krank ich auch bin, ich mich dennoch an die Spitze meiner Truppen stellen werde, um den rechten Flügel des Feindes sogleich anzugreifen als Napoleon etwas gegen den Herzog unternimmt. Er glaubt zwar nicht ganz, dass Napoleon wirklich an diesem Sonntagmorgen die Schlacht sucht, marschiert aber sicherheitshalber schon einmal los. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass er die Schlacht von Wavre zwei Tage zuvor gerade mal eben überlebt hat. Aber er kann nicht ruhen, sein sporadisch auftauchendes Irresein hat ihn wieder einmal ergriffen, er glaubt, dass der Boden unter seinen Füßen siedendheiß ist.

Knapp 20 Kilometer südlich von Wavre ist der Marschall Grouchy dabei, ein verspätetes Frühstück einzunehmen. Es werden leckere Erdbeeren mit Sahne serviert, dazu gibt es Champagner. Er hört den Kanonendonner in der Ferne, die Schlacht von Waterloo hat begonnen. General Gérard fordert ihn auf, sofort in Richtung des Kanonendonners zu marschieren, aber Grouchy (hier auf einem Jugendbild) hat jetzt erst einmal die Erdbeeren im Kopf. Und das eine Wort, das er aus den widersprüchlichen Befehlen seines Kaisers herausgehört hat. Und das heißt Wavre, da will er hin. Er soll Blücher vernichten. Doch als er endlich Wavre erreicht, ist da nur noch der General Thielmann mit der Nachhut, Blücher ist längst auf dem Schlachtfeld von Waterloo.

Oder Belle-Alliance. So soll die Schlacht heißen, sagt Blücher. Da haben sich Wellington und Blücher auch in der Nacht getroffen. Wie auf diesem rührend naiven Bild im National Army Museum. Das Wirtshaus hat plötzlich drei Schornsteine bekommen, so viele waren es bei Stadler nicht. Aber immerhin hat der Maler die Sache mit dem Mond richtig hinbekommen, Vollmond ist am 21. Juni. Auf dem Bild von dem sagenumwobenen Treffen zwischen Blücher und Wellington von ➱Daniel Maclisle für das House of Parliament (14 Meter mal 3,70) ist von La Belle-Alliance kaum noch etwas übrig, so verändern die Maler die Wirklichkeit.

Aber hat das Treffen wirklich vor dem Wirtshaus von La Belle-Alliance stattgefunden? Es gibt Historiker, die das bezweifeln und das Treffen auf die Straße zwischen Ronsomme (Napoleons letztem Hauptquartier) und Belle-Alliance verlegen. Auf dieser von dem Schützenkönig Friedrich Wilhelm Tschirner 1815 gestifteten ➱Schützenscheibe knutscht Wellington in roter Uniform (er trug einen blaue!) gerade Blücher ab. Wir wissen, das kann nicht sein. Ein reservierter Engländer wie Wellington knutscht nicht. Blücher umarmt in diesen Tagen häufig. Am Vortag bekommt das Sir Henry Hardinge leidvoll zu spüren. Blücher umarmt ihn mit den Worten Mein lieber Freund, obwohl Hardinge gerade der halbe Arm amputiert wurde. Blücher fügt dann noch den Satz Ich stinke etwas hinzu. Sein Arzt hat ihn mit einem Gemisch von Branntwein, Gin, Rhabarber und Knoblauch eingerieben, um die Blutergüsse zu bekämpfen, die er sich zugezogen hatte, als nach dem Sturz sein Pferd auf ihn gefallen war.

Wellington möchte die Schlacht lieber nach seinem Hauptquartier Waterloo nennen. In Preußen wird sie noch lange die Schlacht von Belle-Alliance heißen. Blücher fand den Namen so schön symbolisch, eine belle alliance zwischen England und Preußen. Ein Jahr nach der Schlacht erscheint Walter Scotts Paul's Letters to his Kinsfolk. Und da können wir eine ganz andere Bedeutung des Namens finden:

The march and advance of the Prussians crossed the van of the British army, after they had attacked the French position, about the farm-house of La Belle Alliance, and there, or near to that spot, the Duke of Wellington and Prince-Marshal Blucher, met to congratulate each other upon their joint success and its important consequences. The hamlet; which is said to have taken its name from a little circumstance of village scandal, came to bear an unexpected and extraordinary coincidence with the situation of the combined armies, which inclines many foreigners even now to give the fight the name of the Battle of La Belle Alliance. Here, too, the victorious allies, of both countries exchanged military greeting,— the Prussians halting their regimental band to play 'God save the King' while the British returned the complimient with three cheers to the honour of Prussia.

Hinter village scandal gibt es ein Zeichen für eine Anmerkung(*), und diese lautet: A woman who resided here, after marrying two husbands in her own station of creditable yeomanry, chose to unite herself, upon her becoming a second time a widow, to her own hind or ploughman; and the name of La Belle Alliance was bestowed on her place of residence in ridicule of this match. Belle-Alliance ist also ironisch gemeint, ist eine Mesalliance. Wenn das der Blücher gewusst hätte, hätte er vielleicht nicht auf dem Namen bestanden. Muss die Geschichte umgeschrieben werden? Der französische Wikipédia Artikel zu ➱La Belle-Allliance ist zwar sehr informativ, wirft aber leider mehr Fragen auf als er beantwortet. Dieser Post auch. Das Haus, das ➱La Belle-Alliance heißt, steht immer noch. Es hat aber seit dreißig Jahren den Namen Le Rétro und ist eine Disco, Einlass ab 22 Uhr.

Waterloo in diesem Blog:➱Waterloo, ➱Stendhal, ➱Briefe, ➱Sigrid Combüchen. ➱Regenschirme

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