Mittwoch, 17. Oktober 2012

Childe Hassam


Das Bild, das hier im Arbeitszimmer von Barack Obama hängt, ist von dem Maler Childe Hassam. Und bevor jetzt irgendjemand sagt, dass das ja typisch ist, dass bei Obama kein amerikanisches Bild an der Wand hängt, muss ich sagen: Vorsicht! Denn dieser Childe Hassam, der am 17. Oktober 1859 geboren wurde, ist Amerikaner durch und durch. Seine Familie war schon seit dem 17. Jahrhundert in Massachussetts; der erste, der urkundlich bekannt ist, ist ein William Horsham (der Name Hassam ist nichts als eine phonetische Schreibweise von Horsham), der 1684 in den Annalen von Manchester (Mass.) auftaucht. Das hat John Tyler Hassam, ein Cousin des Malers, der auch Mitglied der Massachusetts Historical Society war, herausgefunden. Frederick Childe Hassam war stolz auf seinen Stammbaum: all of my people for eight generations were obscure sailors and farmers and few could read or write. There was not one clerygman on either side. There was at least one pirate. Aber er fand es auch sehr witzig, dass man glaubte, er habe arabische Wurzeln. So etwas war damals chic, die Neuübersetzung der New Arabian Nights durch ➱Richard Francis Burton schlägt große Wellen. Seinen Vornamen Frederick legte er ab (das Fred erst recht) und behielt nur den middle name (nach einem Onkel) Childe. Childe Hassam klingt auf jeden Fall exotischer als Fred Horsham.

Childe Hassam ist einer der ersten Impressionisten Amerikas, zusammen mit Mary Cassatt und Henry Twachtman. Der kam hier schon einmal vor, ich wollte eigentlich über ihn schreiben, beschloß dann aber, über ➱Frank Duveneck zu schreiben. Hassam ist nicht nur einer der ersten amerikanischen Impressionisten, er ist auch ein Impressionist, der von seiner Malerei leben kann. Mary Cassatt kam aus einer sehr reichen Familie und war auf ihre Malerei nicht angewiesen, John Henry Twachtman hatte nie einen kommerziellen Erfolg. Und Erfolg ist in Amerika das, was zählt. Auf jeden Fall nach der Theorie von Max Webers Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus.

Eine richtige akademische Ausbildung hat Hassam nie gehabt, er hatte als kommerzieller Illustrator begonnen. Aber dann hatte ihn ein Freund nach Europa mitgenommen, und er hatte begierig alles aufgesogen, was er sah. Von William Turner bis zu den Impressionisten. Später war er noch einige Jahre in Paris, er mochte die Franzosen. Und er hatte den Ratschlag akzeptiert, den Jean-Léon Gérôme seinen amerikanischen Kollegen gegeben hatte: Look around you and paint what you see. Forget the Beaux-Arts and the models and render the intense life which surrounds you and be assured that the Brooklyn Bridge is worth the Colosseum of Rome and that modern America is as fine as the bric-a-brac of antiquity.

Und so wendet sich Childe Hassam der Straße zu, obgleich das bei ihm etwas anders aussieht als bei ➱John Sloane. Diese Ansicht von Boston sieht aus, als hätte ➱Gustave Caillebotte sie gemalt, allerdings hatte der seine Rue de Paris, temps de pluie schon elf Jahre früher gemalt. Hassam wird eine ganze Phase haben, in der er solche cityscapes malt, was einem Kritiker den Satz very pleasant, but not art abnötigt. Aber er wird auch richtige Landschaften malen, die sehr viel heller und lichterfüllter sind als seine cityscapes.

Er wird auch eine ganze Serie von Straßenbildern malen, die immer wieder amerikanische Flaggen zeigen. Das ist sein Beitrag zur Unterstützung Frankreichs im Ersten Weltkrieg, wo Präsident Wilson lange zögert, bevor er seine isolationistische Haltung aufgibt. Dreißig von diesen Bildern hat er gemalt, aus deren Erlös ein war memorial finanziert werden sollte. Ich weiß nicht, was sich Jasper Johns bei seinen amerikanischen ➱Flaggen (angeblich hatte er einmal eine Flagge im Traum gesehen und sie am nächsten Morgen gemalt) gedacht hat, aber so patriotisch wie Childe Hassam ist er sicherlich nicht gewesen.

Dies Bild hier heißt Allies Day, May 1917, es gehört zu der Serie der dreißig Flaggenbilder. Anfang Mai 1917, vier Wochen nachdem der US Kongress Deutschland den Krieg erklärt hatte. In den Tagen vom 9. bis zum 11. Mai hatte man die Fifth Avenue vorübergehend in die Avenue of the Allies umgetauft, um hier den Kriegseintritt mit Militärparaden zu feiern. Der Slogan Show your colors produzierte ein Meer von Flaggen, das Hassam von einem Balkon an der Ecke Fifth Avenue/Fifty-second Street eingefangen hat. Der Krieg sieht dann natürlich nicht so schön aus.

Das Bild von Hassam hat nicht immer im Oval Office gehangen. George Bush zum Beispiel war stolz, dieses Bild hier an der Wand zu haben: When you come into my office, please take a look at the beautiful painting of a horseman determinedly charging up what appears to be a steep and rough trail. This is us. What adds complete life to the painting for me is the message of Charles Wesley that we serve One greater than ourselves. Der Maler dieses Bildes, das man eher in Groschenheften von Western Stories als an der Wand des Oval Office vermutet, ist nicht in Amerika geboren, er kommt aus Schleswig-Holstein. Er heißt W.H.D. Koerner und hat seit Leben lang sein Geld mit der Illustration von Cowboygeschichten verdient. Das Bild heißt A Charge to Keep, George Bush hat den Titel des Bildes als Titel für seine Autobiographie genommen.

Das zweite Bild von George Bush in seinem Amtszimmer war Rio Grande von Tom Lea. Das hat Obama gleich als erstes abnehmen lassen (den Koerner hatte Bush mit nach Hause genommen, der gehörte nicht dem Weißen Haus) und durch das Bild The problem we all live with von Norman Rockwell ersetzt. Da das Bild ➱hier schon einmal erwähnt wurde, spare ich mir heute die Abbildung.

The Avenue in the Rain von Childe Hassam ist erst seit knapp einem halben Jahrhundert im Besitz des Weißen Hauses. Der Finanzier Thomas Mellon Evans hat es 1963 geschenkt, er konnte es entbehren, er besaß noch mehr Bilder von Hassam. Die Gattin von Präsident Kennedy hatte 1961 ein Special Committee for White House Paintings ins Leben gerufen und um Schenkungen gebeten. Das Bild von Hassam fand unter Kennedy allerdings nicht den Weg ins Oval Office. Aber als Jimmy Carter ins Weiße Haus zog, da wurde es gleich aus seiner Isolation in dem Raum, der einmal das Schlafzimmer Mrs Lincoln gewesen war, befreit und ins Oval Office gehängt.

Wird es da noch vier Jahre hängen? Oder wird es schlichte weiße Wände geben, falls Mitt Romney ins Weiße Haus einzieht. Dass er die Kunstförderung reduzieren will, das hat er ja schon mal verkündet, deep reductions werde es für das National Endowment of the Arts geben. Vor dem NEA hatte Obama im Februar verkündet: The arts and the humanities do not just reflect America, they shape America. And as long as I am president, I look forward to making sure they are a priority for this country. Romney könnte natürlich dieses Bild hier aufhängen. Das ist George Boscawen, der jüngste Sohn von Admiral Boscawen, der war bei Lexington dabei. Auf Seiten der Engländer. Gemalt wurde er von George Romney, den gab es ➱hier schon einmal im Blog. Und ob Sie es glauben oder nicht, der englische Maler und Mitt Romney sind miteinander verwandt. Mitt Romney soll angeblich sogar Bilder von George Romney besitzen. Aber alle Fragen nach dem Kunstgeschmack des Kandidaten blieben bisher unbeantwortet.

Sie glauben, so etwas würde er nicht hinkriegen? Als er in London war, hat er angekündigt, er würde die Churchill Büste von Jacob Epstein, die angeblich Obama aus dem Weißen Haus entfernt hätte, wieder zurück ins Oval Office bringen: You live here, you see the sites day in and day out. But for me, as I drive past the sculpture of Winston Churchill and see that great sculpture next to Westminster Abbey and Parliament and with him larger than life, the enormous heft of that sculpture suggesting the scale of the grandeur and the greatness of the man, it tugs at the heartstrings to remember the kind of example that was led by Winston Churchill. Wer schreibt dieser hölzernen Sprechpuppe diese Texte? Die Büste, die George Bush im Zimmer hatte, wurde zwar an England zurückgegeben, weil es eine persönliche Leihgabe der englischen Regierung an George Bush nach dem 11. September war. Aber das Weiße Haus besitzt seit den sechziger Jahren schon einen Churchill von Epstein. Und wenn ihm Obamas Abraham Lincoln Büste im Oval Office nicht gefällt, dann kann er ja den Winston Churchill da hinstellen.

Dieses schöne Bild der Kirche von Old Lyme von Childe Hassam könnte er auch nicht aufhängen, das ist nicht der Typ Kirche, der Romney angehört. Ach, ich glaube, es ist besser, dass Mitt Romney nicht gewählt wird. Dann kann Childe Hassams The Avenue in the Rain weiter an der Wand hängen bleiben. Und Big Bird (= Bibo) aus der Sesamstraße hätte auch noch Überlebenschancen. Das war ziemlich doof von Romney, in der Fernsehdiskussion anzukündigen, dass er dem Sender PBS (dem einzigen Kultursender der USA) den Geldhahn zudrehen will. Jetzt hat hat er alle ➱Sesamstraßen Fans gegen sich.

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