Sonntag, 14. Oktober 2012

Johan Christian Clausen Dahl


Der (deutsch-) norwegische Maler Johan Christian Clausen Dahl ist heute vor 155 Jahren in Dresden gestorben. Den Maler mag ich sehr, er malt so schöne Himmel und ein so schönes Mondlicht. Dies Bild zeigt den Hafen von Kopenhagen, es hängt in der ➱Kunsthalle Kiel und ist mir immer eine Augenfreude (in Dresden besitzt man eine ➱Kopie des Bildes aus dem Dahl-Umkreis). Das Bild ist erst seit 1990 in Kiel, damals hat der Direktor Jens Christian Jensen es mit Mitteln der Kulturstiftung des Landes von der Sammlung Schäfer erworben. Das Museum Georg Schäfer in Schweinfurt hat ja leicht und locker die bedeutendste Sammlung deutscher Malerei des 19. Jahrhunderts, und Jens Christian Jensen hat bei seinen ausgezeichneten Beziehungen zu Schweinfurt immer mal wieder Teile der Sammlung Schäfer in Kiel gezeigt. Leider haben die Schweinfurter ihn eines Tages als Direktor abgeworben. Das war für die Kunsthalle Kiel ein unwiederbringlicher Verlust, denn die nächsten beiden Direktoren... nein, reden wir lieber nicht davon.

Da ich bei Bildern mit Mondlicht bin, hätte ich natürlich noch eins von Johan Christian Clausen Dahl. Es ist wieder der Hafen von Kopenhagen, dies Bild hängt im Metropolitan Museum in New York. Die haben bestimmt mehr Geld dafür bezahlt als die Kieler Kunsthalle. Bei dem Kieler Bild stellt sich natürlich die Frage, ist es Der Kopenhagener Hafen im Mondschein (wie der Katalogtitel lautet)? Oder ist dies ein Andachtsbild? Ist es so etwas wie bei Dahls Dresdener Freund ➱Caspar David Friedrich, für den es bei der Landschaftsmalerei nicht in erster Linie um die Wiedergabe der Natur ging: Nicht die treue Darstellung von Luft, Wasser, Felsen und Bäumen ist die Aufgabe des Bildners, sondern seine Seele, seine Empfindung soll sich darin widerspiegeln. Den Geist der Natur erkennen und mit ganzem Herzen und Gemüt durchdringen und aufnehmen und wiedergeben, ist die Aufgabe des Kunstwerks. ... Ein Bild soll nicht erfunden, sondern empfunden sein. An anderer Stelle sagt Friedrich, daß die Kunst nicht eine bloße Geschicklichkeit ist und sein soll, wie selbst viele Mahler zu glauben scheinen; sondern so eigendlich, und so recht eigendlich, die Sprache unserer Empfindung, unserer Gemüthsstimmung, ja selbst unserer Andacht unser Gebeth sein sollte.

Helmut Börsch-Supan hat bei der Überarbeitung des Caspar David Friedrich Kataloges 1973 - den Karl Wilhelm Jähnig erstellt hatte - das Katalogwerk mit einem bizarren Symbolgeflecht überzogen: wir können fortan sicher sein, dass bei Caspar David Friedrich kein Piepmatz durchs Bild fliegt, der nicht eine symbolische Bedeutung hat. Aber manchmal ist eine Zigarre nur eine Zigarre, wie schon Freud wusste, und es ist mir ein wenig zuwider, jedes Schiff und jeden Anker im Hafen als ein christliches Symbol zu sehen. Eine ähnliche Interpretationssucht hatte auch schon einmal die amerikanische Literaturkritik befallen, die damals alles, was länger als breit war, als Penissymbol interpretierte. Dieses sicherlich symbolische Bild von Friedrich hat übrigens Johan Christian Clausen Dahl einmal besessen, für eine würdigere Bestimmung für die Kgl. Gemälde-Gallerie hat er es der Dresdener Gemäldegalerie geschenkt.

Natürlich wissen wir, dass der Kopenhagener Hafen nachts so wie auf diesem Photo aussieht; in Nyhavn, wo das Rotlicht das Mondlicht ersetzt, muss ja jeder Kopenhagen Tourist einmal nachts gewesen sein. Dahl hat nicht nur Kopenhagen bei Nacht gemalt, er hat auch stimmungsvolle Ansichten von Dresden gemalt. Und obwohl der Vater der norwegischen Malerei sein halbes Leben in Dresden gelebt hat, hat er seine Heimat nie vergessen.

Da hat er dann solche Bilder gemalt. Dieses 1823 gemalte Bild hängt auch in der Kunsthalle Kiel. Als Dahl es malte, war er gerade aus Italien zurückgekehrt, wo er auch einen ➱Ausbruch des Vesuvs beobachtet und gemalt hatte (im Gegensatz zu ➱Joseph Wright of Derby, der nur einen Ausbruch gemalt aber keinen gesehen hatte). Aber Italien war nichts für ihn, er sehnte sich zurück nach der elementaren Natur seiner Heimat. Die romantische Landschaftsmalerei hat es damals noch nicht so leicht, sich als akzeptierte Kunstform gegenüber der vorherrschenden Historienmalerei zu etablieren.

So schreibt der Dresdener Kunstsammler und Kritiker Johann Gottlob von QuandtDahingegen hatte sich die Zahl leicht hinwörfener Landschaften ungemein vermehrt; denn sehr viele junge Maler eignen sich in diesem Fache rasch die nötigen Geschicklichkeit an, um ein Bild auf die Leinwand hinzuwerfen, dass der Natur ungefähr ähnlich sieht und wohl auch Bewunderer gewisser Art findet, die selbst die Natur wie genau Angesehen haben, bedenken aber nicht, dass was sie liefern darum, weil es Luft und Erde vorstellt, noch keine Landschaft, viel weniger ein Kunstwerk ist... Während Maler wie Constable oder Turner mit einem Abbild der Natur zufrieden sind, will der deutsche Kunstkritiker immer mehr als Luft und Erde. Die Schönheit der Natur können wir in Deutschland anscheinend nur ertragen, wenn sie mit symbolischem Tiefsinn à la Caspar David Friedrich garniert wird.

Die Probleme, die die Kritiker mit der Landschaftsmalerei haben, resümiert auch dieses Ausstellungskritik aus dem Jahre 1823: Landschaften, ... wir reden von einem Kunst-Zweige, dass, so neuer auch in seiner gegenwärtigen Ausbildung ist, doch mit immer grösserer Vorliebe von der Mehrzahl der Beschauer betrachtet wird, weil er seinem einfachen Naturstimmen allgemeiner verständlich ist, als die die so vielfach beziehungsreiche historische Kunst, und noch überdies Manchem eine werthe Erinnerung zu grosse Freude ins Gedächtnis zurückruft. Es wird diese Kunst häufig, und sie ward es ursprünglich allein, historisch geübt, indem sie für eine bestimmte innerliche Stimmung, gleichsam durch einen geheimen Contrapunkt, die harmonischen Töne der Natur findet und darstellt. Aber immer häufiger versucht sie jetzt ganz in das Leben einer besonderen Natur, und bildet ihr nach, was bedeutend ist und was sprechend ist. Die letzte Richtung ist darum noch keine Prospekt-Malerei, sie wird noch nicht alle Zufälligkeiten sklavisch nachahmen, weil sie am bestimmten Orten und in einzelnen Momente sich zusammen finden, aber das Bezeichnende hervorheben, und so zu verbinden suchen, dass das ganze Kunstwerk durchaus lebendig und einig erscheint. Wo also diese Uebersicht einer Gegend gefordert wird, da ist der Künstler, der in diesem Sinne zu Werke geht, nicht an die Punkte gebunden, die Reisende und Lustwandler zu besuchen pflegen, er ist vielmehr aufgefordert, die bedeutenden willkürlich zu wählen, ja er hat sogar, um den Blick einzuführen und zu sammeln, die Freiheit, den Vorgrund sich an Character des Ganzen zu komponieren.

1823 ist auch das Jahr, in dem ➱Carl Blechen den Maler Johan Christian Clausen Dahl kennenlernt. Wenn man diese Ölskizze von Dahl betrachtet, die eine Gewitterwolke über Dresden zeigt, dann kann man sich vorstellen, welchen Einfluss Dahl auf Blechen gehabt hat. Dahl hatte mit diesen ➱alla prima Skizzen in der freien Natur schon 1814 angefangen, als er noch an der Kopenhagener Akademie studierte. (Falls Sie mit dem Begriff alla prima nichts anfangen können, schauen sie doch einmal Bob Ross bei der Arbeit zu, wie er alla prima ➱Wolken malt). Gut, in Skizzen ist ein Maler freier als in einem ausgeführten Gemälde, aber zwischen diesen beinahe impressionistischen Wolken und dem religiös-historischen Kitsch der Nazarener - die damals den Zeitgeschmack bestimmen - liegen doch Welten. Und dann sollten wir natürlich bedenken, dass die Engländer diese Art einer beinahe impressionistischen Licht-Malerei längst entdeckt hatten. Da lohnte sich schon mal ein Blick auf die Ölskizzen des lange vernachlässigten ➱Thomas Jones.

Adolph Menzel wird in seinen künstlerischen Anfängen etwas Ähnliches machen, wird aber diesen Teil seines Werkes sein Leben lang verbergen. Falls Sie einmal Bilder von Christen Kœbke gesehen haben (der schon in diesem ➱Post vorkam), und Sie diese Dresdener Wolkenstudie an Kœbke erinnert, dann liegen Sie völlig richtig. Auf diesen dänischen Maler hat Johan Christian Clausen Dahl großen Einfluss gehabt. Nicht nur auf ihn, wie Niels Laurits Høyen (Dänemarks erster Kunsthistoriker) 1851 in seinem Buch Konsten i Danmark resümiert, die ganze dänische Malerei nach Eckersberg verdankt Dahl viel.

Erstaunlicherweise kann man heutzutage zu diesem interessanten Maler so gut wie keine Literatur finden, der deutsche Wikipedia Artikel ist négligeable (der englische Artikel ist gar nicht schlecht). Während es zu Caspar David Friedrich Bücher bis zum Abwinken gibt, sucht man die zu Dahl vergebens. Könnte es daran liegen, dass uns der Maler nicht tiefsinnig genug erscheint? Wer Gemsen auf dem Bild vom Lyshornet (oben) plaziert, statt da einen ➱Wanderer über dem Nebelmeer plakativ hinzustellen, der hat die deutsche Sehnsucht nach Symbolik nicht begriffen. Und die Pferde an der Elbe bei dem Nachtbild von Dresden im Mondschein, was sollen die da? Da würde es auch Helmut Börsch-Supan nicht gelingen, hier eine Symbolik zu sehen.

Die Sprache der Natur soll also der Künstler reden lernen, und der Hörsaal, wo ein solcher Unterricht von ihm empfangen werden kann, ist nur die freie Natur selbst. [...] Ist nun aber die Seele durchdrungen von dem innern Sinne dieser verschiedenen Formen, ist ihr die Ahnung von dem geheimen göttlichen Leben der Natur hell aufgegangen, und hat die Hand die feste Darstellungsgabe sowie auch das Auge den reinen, scharfen Blick sich angebildet, ist endlich die Seele des Künstlers rein und durch und durch ein geheiligtes, freudiges Gefäß, den Lichtstrahl von oben aufzunehmen, dann werden Bilder vom Erdenleben einer neuern, höheren Art, welche den Beschauer selbst zu höherer Naturbetrachtung heraufheben, und welche mystisch, orphisch in diesem Sinne zu nennen sind, entstehen müssen, und die Erdlebenbildkunst wird ihren Gipfel erreicht haben. Das ist jetzt nicht von Börsch-Supan, das ist aus den ➱Briefen über Landschaftsmalerei von Carl Gustav Carus, der wie Friedrich und Dahl in Dresden wirkt.

Ich habe das Buch natürlich auch im Regal stehen, es ist mir aber ein bisschen zu viel. Und die Erdlebenbildkunst von Carus ist auch ein zu schillernder Begriff. Da ist mir der Rezensent lieber, der 1830 über Blechens Bilder aus der Campagna Romana (wie zum Beispiel dieses hier) schreibt: Und wie hat Blechen gemalt? Wenn man von Rubens sagen darf, daß er seinerzeit geschmiert hat, so muß man hier sagen: es ist geklext. Fühlbar dick sind die Farben auf die Leinewand geworfen, die Bäume scheinen gespritzt, der Himmel mit einer Quaste angefärbt und jede Figur mit zehn Strichen zu Ende gebracht zu sein. Es ist wunderbar, und doch so viel Wirkung, so viel Wahrheit, so viel Vortrefflichkeit! Es ist, als müsse die Manier auf Kosten der Fehler Glück machen.

Wir können ja Johan Christian Clausen Dahl, Carl Blechen (und ➱John Constable) dafür dankbar sein, dass sie geklext haben.

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