Donnerstag, 25. Oktober 2012

William Merritt Chase


Dies Selbstportrait malt er ein Jahr vor seinem Tod (er ist am 25. Oktober 1916 gestorben), er ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Schon seit Jahrzehnten. Seit der Duveneck Boy aus München zurückgekommen ist. Ebenso wie ➯Childe Hassam ist er ein amerikanischer Impressionist. Gemessen an seinem Erfolg ist Chase, wenn er überhaupt Impressionist ist, Amerikas Impressionist No. 1. Als ➯Albert Bierstadt pleite war, hatte er dessen riesiges Studio in New York übernommen, musste aber nach ein paar Jahren feststellen, dass das selbst für einen erfolgreichen Impressionisten ein klein wenig größenwahnsinnig war. Zumal seine Familie immer weiter wuchs, und es ihn seit einigen Jahren jeden Sommer nach Long Island zog, wo er auch ein Haus und ein Studio hatte.

Der amerikanische Kunsthistoriker Nicolai Cikovsky, Jr. interpretiert in dem Katalog William Merritt Chase: Summers at Shinnecock 1891-1902 das Selbstportrait als ein Krisenbild. Er ist der Meinung, dass der berühmte Dandy William Merritt Chase etwas heruntergekommen wirkt und man auf dem Bild, das er malt, nicht sehen könnte, was es werden wird. Weil Chase nicht mehr weiß, was er malen soll. Heruntergekommen? Die Frage stellt sich natürlich anders: welche Malerfürsten stehen im Frack vor der Leinwand? Selbst der große Dandy Whistler malt sich als Arrangement in Grey: Portrait of the Painter mit ➯Malerkittel. Diese Joppe von Chase über dem Anzug ist doch wirklich praktisch. Und fangen nicht alle Bilder eines Künstlers mit dem Chaos auf der Grundierung an, wie das Bild von Chase? Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Wenn er sich in die feine Gesellschaft begibt, dann sieht der Mann, der Whistler (den er auch gemalt hat) in vielem kopiert, natürlich so aus wie auf dem ➯Selbstportrait oben.

Oder wenn ihn ein Kollege wie John Singer Sargent malt, dann darf der ihn etwas wirklichkeitsfremd in großer Pose (die schon beinahe eine Karikatur ist) als Dandy mit Pinsel und Palette malen. Dies Bild war ein Geschenk seiner Schüler. Schüler hat er viele, er unterrichtet gerne, Damen der High Society und angehende Künstler. Und obgleich er von all der Kunst, die nach dem Impressionismus kommt, überhaupt nichts hält (darin ähnelt er ➯Frank Duveneck und Childe Hassam), werden doch eine Vielzahl von amerikanischen Malern der Moderne einmal Schüler von Chase gewesen sein: Charles Demuth, Marsden Hartley, Joseph Stella, Georgia O'Keeffe, John Marin, ➯Edward Hopper und Norman Rockwell. Er war als Lehrer berühmt, was die Chicago Post zu dem nationalistischen Satz veranlasste: William Merritt Chase's teaching, like the British drumbeat is heard round the world.

Klingt ein wenig militaristisch, aber der Kern ist wohl wahr: er ist ein guter Lehrer. Er nimmt seine Studenten auch mit nach Spanien (wo er nicht aufhören kann, Velasquez zu kopieren) und nach Italien. So wie er mit Frank Duveneck und den Duveneck Boys in immer neuer Umgebung gemalt und gelernt hatte. Dieses Selbstportrait hat er den Uffizien geschenkt, die von ihm ein Portrait erbeten hatten. Das ist die wohl größte Ehre, die ein amerikanischer Maler erhalten konnte. Und natürlich stellt er sich für diese Gelegenheit anders dar als auf dem Bild The artist in his study ganz oben.

Nicolai Cikovsky, Jr. sieht in dem letzten Selbstportrait den Höhepunkt einer artistic disintegration. Und dann sagt er über das nicht gemalte Bild im Bild: And, in the painting's most revealing part, the large canvas before which he stands, Chase depicted the explanation of his condition. For its scrumbled forms and scribbled lines, intended though they may be as a shorthand notation of an object or the act of painting, are inescapably the image of confusion - of uncertainty and lost subject which is all the more touching and telling because, according to the logic of the picture, the image on the canvas should be Chase himself. Das ist so das Geschwafel, für das man Kunsthistoriker hasst. William Merritt Chase hat das Bild für das ➯Richmond Art Museum gemalt. Und in einem Brief an die Direktorin ➯Ella Bond Johnston schreibt er: I painted that picture for you people in Richmond. I thought you deserved something good. I have been interested in what you have been doing in the west for art. Und in Bezug auf die leere Leinwand, vor der er steht, sagt er, dass dies the great picture I am going to paint someday sei.

Das Studio, das er 1895 aufgab, war in dem Tenth Street Studio Building, es war zu einem Zentrum des künstlerischen und gesellschaftlichen Lebens New Yorks geworden. War so etwas Ähnliches wie Andy Warhols Fabrik. Aber bei Chase sah es anders aus als bei Andy Warhol. Viktorianischer Ausstattungsplüsch, Kunstwerke und Bric-à-Brac bis zum Abwinken. Alles hübsch dekoriert, damit sich die Klientele da zu Hause fühlt. Die Klientele sind die Reichen des Gilded Age. Die auch von John Singer Sargent oder ➯Anders Zorn gemalt werden, um nur einmal zwei Konkurrenten von Chase zu nennen (die beide besser malen als der etwas oberflächliche Chase). Sein amerikanischer Zeitgenosse Winslow Homer, der auch einmal ein Studio im Tenth Street Studio Building hat, malt diese Welt nicht, der malt die Welt draußen, nicht die Schickeria von New York. Aber wenn man nun gerne die Fifth Avenue in Frack und Zylinder entlanggeht und dabei ein paar Wolfshunde an der Leine führt, dann will man der Gesellschaft imponieren. Es ist eine ähnliche Geste wie die Hirsche vor Fürst Pücklers Kutsche.

Aber dennoch findet William Merritt Chase als Maler zum Außen, zur Natur. Die Schickeria gibt er dabei nicht ganz auf. Er macht da einen genialen Schachzug als er sein Studio schließt und ein Jahr später allen Bric-à-Brac und alle Bilder verkauft: er gibt jetzt Malunterricht für die betuchte Gesellschaft auf Long Island. In einem Haus, das die Firma McKim, Meade und White gebaut hat. Darunter tut er es nicht. Falls Sie Doctorows Ragtime gelesen haben: Stanford White (mit dem Chase befreundet ist) kommt darin vor. Chase wird das neue Zuhause malen, so wie er das alte gemalt hatte. Bei diesem Bild aus Shinnecock sieht das Zimmer nicht so überladen aus wie bei den Interieurs aus New York, es schmeckt eher ein wenig nach ➯Carl Larsson und nach den Malern aus Skagen. Blaue Vasen scheinen damals chic gewesen zu sein, allerdings sind die auf dem Bild ➯The Daughters of Edward Darley Boit von John Singer Sargent noch etwas größer.

William Merritt Chase macht Shinnecock, Long Island, zu einem Ort der Kunst. Plein-Air Malerei ist seit Barbizon angesagt. Worpswede und Skagen kennen wir alle, aber es gibt in Europa noch viel mehr Orte, an denen sich Künstler zusammenfinden. Der hervorragende Katalog ➯Künstlerkolonien in Europa: Im Zeichen der Ebene und des Himmels ist beinahe 600 Seiten stark.

Auch in Amerika entstehen jetzt überall ➯Künstlerkolonien. Henry Twachtman wird es nach Cos Cob ziehen, Winslow Homer nach Gloucester in Massachusetts oder in die White Mountains von New Hampshire. Dort ist dieses witzige Bild von Winslow Homer entstanden, überall sitzen jetzt die Anhänger der Plein-Air Malerei in der Natur. William Merritt Chase zieht es für zwölf Jahre jeden Sommer nach Shinnecock auf Long Island.

Seine Palette hellt sich jetzt auf, die Braun- und Schwarztöne der Münchener Schule, die man bei seiner Rückkehr nach Amerika so bewunderte, finden sich jetzt kaum noch bei ihm. Man kann das bei diesem Bild, das eine seiner zahlreichen Töchter (er hatte insgesamt sechs Töchter und zwei Söhne) am Wegesrand zu dem Haus in Shinnecock zeigt, sehr schön sehen. Aber sich selbst sieht er nicht als Impressionisten: The school of the Impressionists has been an enormous influence upon almost every painter of this time. Most of this work I consider more scientific than artistic... the successful men like Monet succeede [sic] in rendering a brilliant and almost dazzling impression of light and air, schreibt er in seinen Notizen. Wirkliche Überzeugung eines Impressionisten für seine Malerei klingt anders.

Es wäre zum Schluss noch eine kleine Kuriosität hinzuzufügen. Chase hat seine ganze Malerkarriere lang Stillleben gemalt, meistens tote Fische. Die sich erstaunlich gut verkauften, zwischen tausend und zweitausend Dollar zahlten seine Kunden dafür. Das reichte fürs Haushaltsgeld. Gleichzeitig machte er sich aber Sorgen, dass er eines Tages nur als a painter of fish, a painter of fish in Erinnerung bleiben würde. Ich kann dazu wenig sagen, ich mag keinen Fisch, habe auch seit einigen Jahren eine Fischeiweißallergie, sodass es mir heute erspart bleibt, welchen zu essen - in meiner Jugend in Bremen leider nicht, das waren zwanzig Jahre lang jeden Freitag Fisch, da kennt man in Bremen gar nix.

Aber ich mag diese toten Fische von Chase überhaupt nicht. Wenn man schon Lebensmittel und Gemüse malt, dann sollte man das so machen wie Manet mit dieser ➯Spargelstange. Das ist einfach genial. Und das ist auch der Unterschied zwischen einem großen Maler und einem guten Maler, der technisch alles kann, aber letztlich wie Chase ein wenig oberflächlich ist. Das haben schon die Kritiker zu seinen Lebzeiten bemängelt. Es ist sicher alles gefällig, aber in der Kategorie, in der John Singer Sargent, James Whistler oder Winslow Homer sind, ist ➯William Merritt Chase nicht.

Aber er ist nicht vergessen, ist nicht nur a painter of fish geblieben. Es gibt bei der Yale University Press ein von Ronald G. Pisano begonnenes vierbändiges Gesamtverzeichnis, und die Bilder von Chase können bei Auktionen erstaunliche Ergebnisse bringen. Dies Bild hier, The Old Sand Road, wurde im letzten Jahr für mehr als eine Million Dollar verkauft. Es gibt Worpsweder, die besser sind. Da muss man schon ein großer Liebhaber von Sand und Heide auf Long Island sein. Wahrscheinlich wären die toten Fische billiger gewesen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen