Sonntag, 2. Februar 2014

Govaert Flinck


Das ist Margaretha Tulp, die Tochter des Amsterdamer Arztes Nicolaes Tulp (wenn Sie den Post ➱Anatomie gelesen haben, kennen Sie den Herrn schon). Das Bild der einundzwanzigjährigen Margaretha (die ihren Namen immer Margriet schrieb) wurde 1655 anlässlich ihrer Ehe mit Jan Six gemalt. Für diesen wohlhabenden Patrizier hat sie ihre Verlobung mit Johan de Witt gelöst, der einer der einflussreichsten Politiker der Niederlande werden sollte. War vielleicht gut so. Das eindrucksvolle, lebendige Bild von Govaert Flinck hängt heute in der Kasseler Wilhelmshöhe. Es ist in der gleichen Art gemalt, in der van Dyck ➱adlige Damen malte, das reiche holländische Bürgertum im  Goldenen Zeitalter der holländischen Malerei gefällt sich in der Rolle, in der sich die englische Aristokratie malen ließ. Hundert Jahre später lässt sich das englische Bürgertum so malen. Jetzt noch nicht, jetzt regiert da noch Oliver Cromwell.

Govaert Flinck, der am 2. Februar 1660 starb, konnte malen wie Rembrandt. Auf diesem Bild hier zeigt er uns das: er malt Rembrandt in rembrandtscher Manier. Das Kasseler Bild der jungen Dame mit Perlen und Tulpe gibt einige Rätsel auf. Selbst wenn wir nicht wüssten, dass dies Margaretha Tulp ist, würde uns ein Kunsthistoriker sogleich diesen Namen offerieren. Denn es gibt Hinweise im Bild: die auffälligen Perlen und die Tulpe. Für den Fall, dass Sie den Lateinunterricht geschwänzt haben sollten, Perlen heißen im Lateinischen margarita. Die Armorstatue des Brunnens rechts verweist natürlich auf Liebe und Ehe. Diesen Beweis hat der Holländer Dirk Vis in seinem Buch Een jonge vrouw - geschilderd door Govert Flinck - 1655 im Jahre 1986 geführt. Er wurde im gleichen Jahr durch den renommierten holländischen Kunsthistoriker Eddy de Jongh bestätigt. Und eine zehn Jahre später geschriebene deutsche ➱Dissertation zur holländischen Malerei nimmt diese Zuschreibung (ebenso wie natürlich der Kasseler Katalog) als sicher an.

Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Kunsthistoriker die letzten Geisteswissenschaftler sind, die noch auf die feinen Unterschiede achten. Der jungen Kunsthistorikerin Marieke de Winkel ist es in ihrer von der Kritik gelobten ➱Dissertation Fashion and Fancy: Dress and Meaning in Rembrandt's Paintings natürlich auch aufgefallen. Mode wird für Kunsthistoriker immer wichtiger. Aileen Ribeiro ist da sicher die erste gewesen, die das konsequent betrieben hat. Natürlich könnte man fragen, was ein Maler wie Govaert Flinck in einem Buch über Rembrandt zu suchen hat, aber da ist die Antwort leicht. Man verwechselt die beiden immer wieder.

Den Auftrag für das Hochzeitsbild hat Rembrandt allerdings nicht bekommen. Wahrscheinlich sagte sich Jan Six, dass er für den schon genug getan hatte. Denn im Jahr zuvor hatte er sich von Rembrandt malen lassen. Der hatte ihn in den Jahren zuvor schon mehrmals gezeichnet, Rembrandt ist für Auftraggeber wie den reichen Sammler Jan Six, der bei seinem Tod eine Bibliothek von beinahe zweitausend Büchern hinterlässt, dankbar. Er hat nicht die guten Beziehungen zum Hof der Oranier, die Govaert Flinck hat.

Govaert Flinck hat Margriet ein Jahr später noch ein zweites Mal gemalt, keine Tulpe, wenig Perlen. Das Bild ist Teil der Collectie Six, einer Art Privatsammlung der Familie Six, die seit Jan Six immer in der Familie weitergegeben worden ist. Man kann sie wochentags von zehn bis zwölf besichtigen, aber nur, wenn man sich vorher angemeldet hat (das Anmeldeformular finden Sie hier). Der jüngste ➱Jan Six (es ist Jan Six XI) ist Kunsthistoriker, was natürlich sehr praktisch ist, wenn man eine Privatsammlung hat, um die einen jedes Museum beneidet.

Der holländische Dichter Joost van den Vondel hat nach der Hochzeit von Jan Sixt und Margaretha Tulp ein Gedicht auf Margriet geschrieben. Es ist wohl auch ein Gedicht auf seinen Freund Govaert Flinck, dessen Kunst er ständig mit ➱Gedichten pries:

Margriete zag haar schijn in hare beek,
Gelijk een perle in 't klare water, leven;
Zo heeft de kunst haar nu met verwe en streek
Den ommetrek naturelijk gegeven.
Toen Six dit zag, ontvonkte 't hart van min.
Hij zag bekoord de schaduwe aan voor 't wezen
Van zijne Tulp en lieve Zanggoding;
Het bloed ontstak, en al zijne aders rezen.
Hij kuste 't beeld, en had het weergekust,
De schilder had zelf dien gloed geblust.

Aber nun kommt jemand daher und sagt uns, dass das Bild in Kassel gar nicht Margaretha Tulp zeigt. Ein junger Holländer namens Tom van der Molen, der die Codart Website managt, versichert uns, dass die Dargestellte in Wirklichkeit eine Suzanna van Baerle sei, die gerade einen Geeraerdt Brandt geheiratet hat. Diese Suzanna Brandt ist natürlich nicht die Frankfurter Kindsmörderin, die Goethe in seinen Faust hineingeschrieben hat, sie ist die Tochter von Caspar van Baerle, einem berühmten Amsterdamer Theologen.

Unglücklicherweise für die Argumentation des Herrn van der Molen, der noch an seiner Doktorarbeit schreibt, gibt es in der Collectie Six noch ein weiteres Bild von Govaert Flinck, das Margaretha Tulp zeigt. Das Bild ist längere Zeit dem Rembrandtschüler Jürgen Ovens (der hier in Schleswig-Holstein reichhaltig vertreten ist) zugeschrieben worden, aber heute ist es ein echter Flinck. Und natürlich ist dies eine echte Margaretha Tulp. Die der Margaretha Tulp des angezweifelten Bildes wie aus dem Gesicht geschnitten scheint. Der ➱Beweis, den van der Molen erbringt, ist bei genauerem Hinschauen ziemlich dürftig.

Natürlich bleiben immer Zweifel. Man könnte einwenden, dass das Buch von Dirk Vis nur eine Broschüre ist (aber ein sehr bibliophiler Privatdruck), die bei Bernard Houthakker verlegt wurde. Eben der Firma Houthakker, die den Flinck im gleichen Jahr nach Kassel verkaufte. Das weckt den Verdacht einer Gefälligkeitszuschreibung. Echt ist das Bild auf jeden Fall, es findet sich im Govaert Flinck Katalog von Joachim von Moltke unter der Nummer 401 mit dem Hinweis, dass der Verbleib des Bildes unbekannt sei. Bevor es von Lodewijk Houthakker 1983 in der Ausstellung Oude Kunst in de Nieuwe Kerk' te Amsterdam ausgestellt wurde, war es zuletzt im Jahre 1893 bei einer Versteigerung in Paris gesehen worden.

Professor Eddy de Jonghs Zuschreibung basiert auf den Methoden der Ikonologie, da ist er ein Nachfolger Panofskys. Und so etwas ist ja heutzutage bei manchen Kunsthistorikern out. Dazu sage ich lieber gar nichts, ich verdanke der Lektüre der Bücher von Panofsky sehr viel. Der Professor Wolfgang J. Müller war in meinem Studium der einzige, der ihn ständig zitierte. Er hat mir erzählt, dass ihm seine Brieffreundschaft mit Panofsky nach 1945 schwere berufliche Nachteile gebracht hat. Das ist eine seltsame Welt, da wird Panofsky in den dreißiger Jahren aus Deutschland verjagt, nach dem Krieg wird er von vielen als Emigrant geächtet (Thomas Mann hat das auch erfahren müssen), und heute gilt er für viele als ➱unmodern, weil man neue Götter gefunden hat.

Aber die Kunstgeschichte musste bisher nicht umgeschrieben werden, in Kassel ist man auch noch nicht auf die Idee gekommen, ein anderes Namensschild unter Govaert Flincks Bildnis der Margaretha Tulp zu schrauben, das finde ich sehr beruhigend. Dirk Vis hatte damals seine Zuschreibung mit den Sätzen beendet: What a fascinated addition it would make to the Six Collection, where it would be in the company of Rembrandt's 1654 portrait of Jan Six. Or perhaps re-united would be the better word. Aber die Familie Six hat das Bild nicht gekauft. Hatten sie ihre Zweifel? Oder hatten sie shon genug Bilder von Margaretha?

Ich hätte heute natürlich auch über Marieluise Fleißer (die heute vor vierzig Jahren starb) und ihr Theaterstück Pioniere in Ingolstadt schreiben können. Aber das habe ich nun mal verpasst. Nicht verpassen will ich es aber, dem ➱Herrn hier auf diesem Wege einen Geburtstagsgruß zu senden. Weil ich es leider vergessen habe, das kleine Geburtstagsgeschenk rechtzeitig zur Post zu bringen. Ist aber unterwegs.

Lesen Sie auch: ➱Rembrandt und ➱Rembrandt, once again.

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