Montag, 18. Mai 2015

Franz Skarbina


„Lizzi hat Ihnen ganz recht berichtet, der richtige London Fog, wobei mir natürlich Ihr Freund Stechlin einfällt. Aber über den sprechen wir nachher. Jetzt sind wir noch beim Nebel. Es war draußen wirklich so, daß ich immer dachte, wir würden zusammenfahren; und am Brandenburgerthor, mit den großen Kandelabern dazwischen, sah es beinah’ aus wie ein Bild von Skarbina. Kennen Sie Skarbina?“
     „Gewiß,“ sagte Melusine, „den kenn’ ich sehr gut. Aber allerdings erst von der letzten Ausstellung her. Und was, außer den Gaslaternen im Nebel, mir so eigentlich von ihm vorschwebt, das ist ein kleines Bild: langer Hotelkorridor, Thür an Thür, und vor einer der vielen Thüren ein paar Damenstiefelchen. Reizend. Aber die Hauptsache war doch die Beleuchtung. Von irgend woher fiel ein Licht ein und vergoldete das Ganze, den Flur und die Stiefelchen.“
     „Richtig,“ sagte die Baronin. „Das war von ihm. Und gerade das hat Ihnen so sehr gefallen?“

Wir sind im vierundzwanzigsten Kapitel von Fontanes Stechlin. Einem Roman, in dem der Berliner Maler Franz Skarbina erwähnt wird. Ein deutscher Maler des Impressionismus, der heute so gut wie vergessen ist. Aber die Literatur bewahrt auch Vergessenes auf. Skarbina hat Nachtstimmungen in der Großstadt gemalt, wie zum Beispiel hier diese Gleisanlagen im Norden Berlins. Vielleicht eins seiner besten Bilder.

Manchmal ähneln seine Bilder denen des Liverpooler Malers ➱John Atkinson Grimshaw, die Großstadt in der Dämmerung und in der Nacht ist ein Thema, das das Fin de Siècle liebt. Skarbina war nicht immer vergessen, er war sogar einmal ziemlich berühmt, war mit Liebermann im Vorstand der Berliner Sezession. Wäre er nicht so bekannt gewesen, hätte er wohl nicht den Weg in Fontanes Alterswerk gefunden.

Theodor Fontane hat persönlich Skarbina gekannt, man kann Hinweise darauf in seinen Briefen finden. Man weiß nicht, wie viele Bilder er von dem Maler gekannt hat. Der schöne Katalog Fontane und die bildende Kunst sieht in Fontanes Roman Stine noch ein Bild von Skrabina versteckt: Allmählich, während dies Gespräch geführt wurde, war die Sonne drüben niedergegangen, und nur ein letztes verblassendes Abendrot schimmerte noch zwischen dem Gezweige der Parkbäume. Stine hatte längst den Stickrahmen beiseite gestellt, und der junge Graf, der ihr jetzt gegenübersaß, sah in dem Fensterspiegel, wie die ganze Straße hinunter die Gaslaternen aufflammten. Er war so benommen davon, daß er eine Weile schwieg und dem eigentümlichen Straßenbilde zusah. 

Miriam-Esther Owesle sagt in ihrem Aufsatz Vergoldeter Alltag: Zum poetischen Realismus als künstlerischer Reflex bürgerlichen Sehens bei Theodor Fontane und Franz Skarbina: Wenn Theodor Fontane [...] Franz Skarbina im 'Stechlin' ein literarisches Denkmal setzt und ihn als poetischen Realisten porträtiert, der die alltägliche Wirklichkeit im Medium seiner Kunst verklärt und in dessen Bildern die gehobenen Gesellschaftsschichten ihre Lebenswelt widergespiegelt sehen, macht er die Nähe von Skarbinas Kunstauffassung zu seiner eigenen deutlich. Andere Kritiker vermuten sogar, Fontane habe Bilder von Skarbina besessen, aber das sind doch Spekulationen. Die Bilder, die Fontane in seinen Romanen immer wieder malt (und schon der ➱Anfang von Effi Briest ist ja ein Bild), die konnte er ohne Skarbina malen.

Franz Skarbina seinerseits hat Fontane gelesen. Das können wir an diesem Bild sehen (das zugegeben etwas scheußlich ist). In Jenseit des Tweed schreibt Fontane: Während uns unser Kutscher noch von »Chiefswood« und Sir Walter nach seiner besten Kenntnis unterhält, haben wir abermals eine Abzweigung des Weges erreicht, von wo aus man bereits die hübschen Ufer des Huntly-Bachs und dahinter die sogenannte »Reimer-Schlucht« (Rhymers Glen) erkennt. Beide, Ufer und Schlucht, bezeichnen den Platz, wo »Thomas der Reimer« der Elfenkönigin begegnete, und das vielbesungene altschottische Lied, in welchem diese Begegnung beschrieben wird, hat einen Teil seiner Popularität auch auf den Schauplatz, der uns jetzt zur Seite liegt, übertragen. Die ersten Strophen dieser lieblichen Volksballade lauten wie folgt:

Der Reimer Thomas lag am Bach,
Am Kieselbach bei Huntly-Schloß,
Da sah er eine blonde Frau,
Die saß auf einem weißen Roß.

Sie saß auf einem weißen Roß,
Die Mähne war geflochten fein,
Und hell an jeder Flechte hing
Ein silberblankes Glöckelein.

Und Tom der Reimer zog den Hut
Und fiel ins Knie; – er grüßt und spricht:
»Du bist die Himmelskönigin
Und bist von dieser Erde nicht.«

Die blonde Frau, sie hält ihr Roß:
»Ich will dir sagen, wer ich bin,
Ich bin die Himmelsjungfrau nicht,
Ich bin die Elfenkönigin.

Nimm deine Harf' und spiel und sing
Und laß dein bestes Lied erschall'n,
Doch wenn du meine Lippe küßt,
Bist sieben Jahr du mir verfall'n.«

Und Thomas drauf: »O, Königin,
Zu dienen dir es schreckt mich kaum«;
Er küßte sie, sie küßte ihn,
Ein Vogel sang im Eschenbaum.

»Nun bist du mein, nun zieh' mit mir,
Nun bist du mein auf sieben Jahr«;
Sie ritten durch den grünen Wald,
Wie glücklich Tom der Reimer war.

Sie ritten durch den grünen Wald,
Bei Vogelsang, bei Sonnenschein,
Und wenn sie leis am Zügel zog,
So klangen all die Glöckelein.


Aber Franz Skarbina hat sich nicht immer in der Welt des atmosphärisch Diffusen der Nacht (oder der Märchen) aufgehalten. In den 1880er Jahren lebte er in Paris (und beteiligt sich an den Ausstellungen des Pariser Salons) und malte an den Stränden von Nordfrankreich, Belgien und Holland. Allerdings muss man sagen, dass sich (wie hier bei diesem Bild aus Belgien) seine Defizite auch klar zeigen, die er in der Dunkelheit der Stadtbilder verhüllen kann. Er kann (oder will) diese zeichnerische Genauigkeit nicht aufgeben, alle Personen sind scharf konturiert. Es wäre besser, diese Linien im flirrenden Licht verschwinden zu lassen.

Auch dieses Bild mit einer vergleichbaren Szene wird noch von Konturen beherrscht, aber während Skarbinas Bild eher wie eine kolorierte Zeichnung für eine Illustrierte wirkt, erscheint ➱Winslow Homers Bild aus New Jersey wie die amerikanische Version des französischen Impressionismus. Sie können in den Posts ➱ythlaf und ➱Le Tréport noch mehr Strandbilder sehen. Alle besser als die von Skarbina.

Er war kein ganz Großer, keine Konkurrenz für seinen Kollegen Max Liebermann, der schönere Strandbilder gemalt hat. So wie ➱Gustave Caillebotte bessere Bilder der Großstadt gemalt hat. Aber in diesem Blog, der immer Vergessene und Vergessenes ausbuddelt, bekommt auch Franz Skarbina, der heute vor 105 Jahren starb, einen Platz. Und vielleicht nur, damit wir das vierundzwanzigste Kapitel vom Stechlin (der ➱hier einen ausführlichen Post hat) besser verstehen können. Der Katalog Fontane und die bildende Kunst von Peter-Klaus Schuster ist ab 2,77 € bei Amazon Marketplace erhältlich. Alle Posts zur Kunst in diesem Blog und in dem Blog ➱vita brevis, ars longa gibt es natürlich kostenlos.

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