Samstag, 23. April 2016

Shakspeare


Man hat vor Jahren den König Richard gefunden. In Leicester, unter einem Parkplatz. Seit man ihn gefunden hat, gewinnt Leicester City ein Spiel nach dem anderen, das ist eine erstaunliche Geschichte. Der wirkliche Richard III war sicher ein anderer als Shakespeares Richard, der da auf die Bühne humpelt und uns erzählt wie hässlich er ist (lesen Sie mehr im Post ➱Rosenkrieg). William Shakespeare ist als Geschichtsquelle nicht sehr zuverlässig. Schlag' nach bei Shakespeare bedeutet nicht, dass man Shakespeare wie ein Lexikon benutzen kann. Es ist ein Song von Cole Porter:

Läßt Sie dich nicht ans goldblonde Feenhaar, 
dann komm' wütend an wie König Lehar. 
Rezitierst du Herrn Shakespeare's Sonette, 
zieht sie zärtlich dich zur Lagerstätte,
zeigst du Schwermut wie Herzog Orsino, 
wird die Liebe so schön wie im Kino!

Schlag' nach bei Shakespeare und die Frau'n sind hin!
Jawoll, sie sind alle hin!
Bestimmt, sie sind alle hin!

Der 23. April ist nach dem julianischen Kalender der Todestag von William Shakespeare, in diesem Jahr jährt er sich zum vierhundertsten Mal. Mir war schon am Anfang des Monats klar, als ich ➱April, April schrieb, dass ich diesem Tag nicht entkommen könnte. Aber ich fasse mich kurz. Und verweise darauf, dass ich ja schon häufig den Autor aus Stratford behandelt habe. Wobei der Post ➱Shakespeare ein wenig irreführend ist, der handelt nämlich von einem Maler gleichen Namens. Falls Ihnen dies hier heute nicht gefällt, dann lesen Sie einfach einen der Posts, die da unten aufgelistet sind. Ich kann für den Anfang ➱Wolle empfehlen, der ist sehr witzig.

Für den heutigen Tag habe ich mir etwas anderes vorgenommen, ich möchte ein Buch vorstellen, das als ein kleiner Coup des Verlages Signathur rechtzeitig zur Shakespeare Feier erschienen ist: die Übersetzungen der Sonette durch die Kunsthistorikerin, Schriftstellerin und Übersetzerin Erna Grautoff. Ich zitiere dazu einmal die Appenzeller Zeitung: Pünktlich zu des Dichters 400. Todestag ist eine beinahe vergessene Übersetzung von 42 Sonetten erschienen – vergessen, weil niemand mehr von der Schriftstellerin Erna Grautoff (1888 bis 1949) spricht, und vergessen, weil sie die Sonette in «Herrscher über Traum und Leben» versteckt hatte. In ihrem Roman, 1940 bei Rowohlt erschienen, vertrat Erna Grautoff die Annahme, die Werke Shakespeares seien nicht von dem Mann aus Stratford verfasst worden, sondern von Francis Bacon. Mit der These war sie nicht allein, immer wieder ist die Autorschaft Shakespeares angezweifelt worden. Jürgen Gutsch, Herausgeber des Bandes mit den 42 von Grautoff übertragenen Sonetten, lächelt darüber – und hebt hervor, dass sie «eine ungemein fachmännische Lyrikübersetzerin mit Erfahrung und einem professionellen Gewissen fremden Texten gegenüber» ist. Sie hatte dies Jahrzehnte davor mit einer Anthologie moderner französischer Lyrik bewiesen.

Der Roman Herrscher über Traum und Leben von Erna Grautoff ist 591 Seiten lang. Es ist ein biographischer Roman über Shakespeare, in dem wieder einmal die Frage aufgeworfen wird, ob Shakespeare (der hier Shakspeare geschrieben wird) Shakespeare war. Eine Frage, die nie beantwortet wurde, die auch ein wenig akademisch ist. Denn die meisten Zuschreibungen sind das akademische Äquivalent zu Verschwörungstheorien, wir lassen das mal weg. Nachdem Shakespeare=Francis Bacon auf S. 581 gestorben ist, ist der Roman noch nicht zu Ende. Die Autorin gibt dem Leser noch eine sechseinhalbseitige Bibliographie der Literatur zur Shakespearezeit.

Wenn ein Historiker schreibt: I am profoundly suspicious of almost all bibliographies. Nothing is easier than to hire someone to visit the British Museum & make a most impressive list of authorities, which will persuade the non-suspecting that the author is a monument of erudition & laboriousness und auf eine Bibliographie verzichtet, dann schmunzeln wir über diese kleine Frechheit. Ein Buch über Napoleons Marschälle verlangt nach einer Bibliographie, ➱A.G. Macdonnell lässt sie weg. Ein Romanautor braucht kein Literaturverzeichnis am Ende des Romans, Erna Grautoff hat eins. Und nicht nur das. Sie offeriert 1940 zum Preis von einer Reichsmark eine Broschüre, in der alles steht, weshalb die Autorin glaubt, dass Francis Bacon William Shakespeare ist. Außerdem sind ihr Sonette in meiner Übersetzung beigegeben, welche die im Roman ergänzen und verstärken, heißt es da noch.

Jürgen Gutsch, der schon in dem Post zu ➱Michael Drayton erwähnt wird, hat nun die 42 Sonette, die Erna Grautoff ins Deutsche übertragen hat, aus dem Roman Herrscher über Traum und Leben und dem 48 DIN A4 Seiten starken Begleitheft (von dem es in öffentlichen Bibliotheken nur noch zwei Exemplare gibt) gelöst und sie in dem kleinen Band der Edition Signathur versammelt. Die Forty-two sonnets von Shakespeare in der Übertragung von Erna Grautoff sind etwas ganz Besonderes - aber halt weitab vom Mainstream des üblichen Interesses an Shakespeare. Der Bucheinband gefällt mir ganz außerordentlich gut; Jürgen Gutsch hat das Motiv im großen Sammelband von Otto Grautoff gefunden, schrieb mir der Verlagschef Bruno Oetterli Hohlenbaum. Ja, bei diesem kleinen Band passt alles, auch wenn es weitab vom Mainstream des üblichen Interesses an Shakespeare ist. Also mache ich mal ein klein wenig Werbung, die kleinen Verlage können so etwas gebrauchen.

Und ich habe als Gedicht des Tages auch eine Übersetzung von Erna Grautoff. Ich habe das Sonett 18 genommen, das kennen wir alle:

Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?
Holdseliger und milder noch bist du.
Um liebe Maienknospen Winde streichen
Und schnell neigt Sommer sich dem Ende zu.
Oft brennt des Himmels Auge allzu glühend
Und seine Goldhaut scheint gedämpfter nur,
Was schon erblüht, oft scheint es minder blühend
Durch Zufall oder wechselnde Natur.
Doch niemals soll dein ew'ger Sommer matten,
Was du so schon besitzt, das bleibt auch dein,
Nie prahle Tod, du gingst in seinem Schatten,
In ew'gen Licht ziehst du in Zeiten ein.
     So lang als Menschen atmen, Augen sehn,
     Wird dies und du, die darin lebt, bestehn.


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