Sonntag, 17. März 2024

Caspar David Friedrich (5)

Braucht man einen Caspar David Friedrich Roman, um den Künstler zu verstehen? In dem Post Skying habe ich in Lea Singers Roman Anatomie der Wolken erwähnt. Einen charmanten kleinen Roman, der 2015 erschien. Lea Singer ist ein Pseydonym für Eva Gesine Baur, die nicht nur Kunsthistorikerin ist, sondern auch gut schreiben kann. Sogar sehr gut. Judith von Sternburg sagte in der Frankfurter Rundschau über den Roman: Es ist aber auch für Goethe-Leser ein großes Vergnügen, wie fidel und prägnant Lea Singer ihn (den Wolkigen) zu fassen bekommt. Viele Autoren, die punktgenau einen Caspar David Friedrich Roman im Jahre 2024 herausbringen, können allerdings nicht besonders gut schreiben.


Die Frau am Fenster: Ein Leben an der Seite von Caspar David Friedrich ist, so schreibt der Verlag: ein Roman über die wenig bekannte Frau, die großen Einfluss auf sein Leben und seine Kunst hatte. Zum 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich. Geschrieben von einer Frau namens Birgit Poppe, die auch Kunstgeschichte studiert hat. Man kann Teile des Roman hier lesen. Wenn man das gelesen hat, dann weiß man, dass man diesen sorgfältig recherchierten Herz-Schmerz-Roman nicht unbedingt zu kaufen braucht. Die Ehefrau des Malers ist auch in dem Roman Caspar David Friedrich mit Caroline in Greifswald präsent, von dem der Sandstein Verlag hier eine Leseprobe anbietet. Sie werden sofort sehen, dass es sich nicht um einen richtigen Roman, sondern um eine graphic novel handelt. Sechsunddreißig Seiten, durchgehend illustriert von Maiken Albert.

Dazu schreibt das Pommersche Landesmuseum Greifswald, welches das Büchlein herausgegeben hat: Nach der Hochzeit im Januar 1818 griff er zur Feder und berichtete seinen Brüdern in Greifswald von den neuen Lebensumständen. An dieser Stelle setzt die Graphic Novel mit ihren zahlreichen Illustrationen ein, welche den Leser an der Reise in den Norden mit seinen wildromantischen Landschaften, die den Künstler so geprägt haben, teilhaben lassen. Basierend auf dem herzlichen Briefwechsel zwischen den Greifswalder und Dresdner Friedrichs wird diese Pommern-Reise im Sommer 1818 mit all ihren Zwischenstationen rekonstruiert. Das Buch öffnet ein Fenster in die Vergangenheit und ermöglicht es, zwischen verwinkelten Werkstätten, kuriosen Zeitungsmeldungen sowie windigen Inselausflügen Interessantes über Caspar David Friedrich und seine Familie zu erfahren. Muss man dafür zwanzig Euro ausgeben?

Es hat schon vor dem Jahr 2024 Caspar David Friedrich Romane gegeben. Christoph Werner hatte in seinem Roman Um ewig einst zu leben (2006) die Idee, die Maler Caspar David Friedrich und William Turner in einem Roman zu vereinen. Der Roman spielt in London und Dresden zwischen 1815 und 1835. Das letzte Jahr ist wichtig, denn da ist Turner in Dresden gewesen. Aber wir wissen, dass er Caspar David Friedrich nicht getroffen hat, das wäre nun zu schön gewesen. Wahrscheinlich hat Turner den Maler Friedrich gar nicht gekannt. Der Roman ist 2019 in einer englischen Übersetzung in einem Self-Publishing Verlag erschienen, aber ich habe keine Rezensionen dieser Ausgabe gefunden. Es scheint aber schon verramscht zu werden. Man kann im Internet zwei Leseproben (hier und hier) der deutschen Ausgabe lesen. Und feststellen, dass Christoph Werner kein besonders großartiger Erzähler ist.

Aber Eberhard Rathgeb, der kann schreiben. Und er kann Bilder sehr gut beschreiben. Und er hat etwas zu sagen. Was er sagt, kommt manchmal überraschend und zwingt uns zum Nachdenken: Ohne den Protestantismus, der die geistigen und kulturellen Umbrüche um 1800 prägte, wäre er ein anderer geworden. Er war in diesem Sinne ein Kind seiner Zeit, nicht anders als Kant, Fichte, Hegel und Schleiermacher. Die protestantische Selbstprüfung und die pietistische Erziehung ordneten ihm den Innenraum, in dem seine inneren Bilder hingen, die Originale, die er auf die Leinwand übertrug. Die Landschaftsbilder, die er malte, sind ein Spiegel der modernen Einsamkeit. Er schaute auf seinen vielen Wanderungen in die Natur mit großer Wachheit und Aufmerksamkeit, aber auch mit dem Staunen der Verlorenheit, ganz so, als stände die Zeit still. Auf seinen besten Bildern ist die Welt in ein absurdes Licht getaucht. In ihr scheint der Mensch nicht mehr vorgesehen zu sein. Die Natur hat ihn von sich abgestoßen, sie hat sich von ihm gelöst. Es gibt keinen Weg zurück. Was bleibt, ist zu warten, darauf, was noch passieren könnte. Es liegt nicht in der Hand des Menschen. Die Natur wird das letzte Wort haben. Wenn Sie noch etwas mehr aus Rathgebs Maler Friedrich lesen wollen, dann klicken Sie hier.

Der Caspar David Friedrich Roman der Stunde ist natürlich Zauber der Stille: Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten von Florian Illies. Seit Oktober 2023 auf dem Markt und auf Platz eins der Spiegel Bestsellerliste. Da wird er wahrscheinlich bis zum Geburtstag des Malers im September bleiben. Illies hat mit einem großen Zettelkasten hunderte von kleinen Geschichten und Anekdoten gesammelt, Wichtiges und Unwichtiges. Und das präsentiert er uns in einem stilistischen Feuerwerk. Ferdinand von Schirach hat über das Buch gesagt: So elegant und mühelos erzählt. Dieses neue Buch von Florian Illies zu lesen, ist wie einen Billy-Wilder-Film zu schauen – einfach großartig.

Der erste Caspar David Friedrich Roman stammt von dem heute vergessenen Schriftsteller Fritz Meichner (1895-1969), der auch mit Wir Drei einen Roman über Philipp Otto Runge geschrieben hat. Meichner war nach dem Abitur 1914 Soldat geworden und geriet 1916 in russische Gefangenschaft. Darüber hat er ein Buch geschrieben, hat aber auch Bücher über Charles Dickens (Genius des Herzens) und Hans Christian Andersen geschrieben. Sein Roman Caspar David Friedrich: Roman seines Lebens ist unter verschiedenen Titeln erschienen. So zuerst 1937 unter dem Titel Landschaft Gottes: Ein Roman um Caspar David Friedrich. Der Berliner Union Verlag, der den Roman vor fünfzig Jahren (passend zur Hamburger Friedrich Ausstellung) wieder herausbrachte, wusste dazu zu sagen: Die Handlung des Romans ist klar aufgebaut, findet Höhepunkte in farbig geschilderten Szenen, die Charaktere werden sauber und treffend gezeichnet. Der Gestaltenkreis um Friedrich wird dem Leser anschaulich und sachlich getreu vor Augen gestellt, darunter so hervorragende Persönlichkeiten wie Heinrich Kleist und Carl Gustav Carus. Vor allem tritt die alles durchwirkende innige Natur- und Menschenliebe Friedrich überzeugend hervor. So führt der Roman den Leser auch zu einem tieferen Verständnis der Werke Friedrichs, zeigt sein Ringen um eine neue Form des malerischen Ausdrucks, seine tiefe Verwurzelung in der Heimat und seinen glühenden Patriotismus. Ich habe mir bei booklooker ein Exemplar für drei Euro bestellt. Wenn das Buch gut ist, hören Sie hier demnächst mehr.

Samstag, 16. März 2024

sechs Millionen Leser


Sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionensechs Millionen sechs Millionens sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionensechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionens sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen sechs Millionen. Sechs Millionen Leser in dreizehn Jahren und drei Monaten. 

Als ich anfing, wusste ich nicht, was dieses SILVAE werden sollte, werden könnte. Die meisten Bücher werden wieder vergessen. Bleibenden Eindruck machen nur diejenigen, wo der Autor sich selbst ganz hineingelegt hat. In allen großen Werken ist der Autor selbst ganz wieder zu finden. In meinem Werke stecke ich selbst ganz.‎ Das ist nicht von mir, obgleich ich das auch sagen könnte. Aber es ist von Schopenhauer, einem Philosophen, der mir immer lieb ist. Doch dies ist nicht der Tag für ein Resümee. Trapattonis wunderbarer Satz Ich habe fertig wird hier heute nicht stehen. Ich mache weiter mit dem, was ich mache. Und bis ich Montaignes Satz J'ay faict ce que j'ay voulu: tout le monde me recognoist en mon Livre et mon Livre en moy da drunter schreibe, ist noch etwas Zeit. Wenn der Herrgott will.

Sonntag, 10. März 2024

Caspar David Friedrich (4)


Kunstfreunde und Kunsthistoriker sind immer glücklich, wenn es für einen Maler ein vollständiges Werkverzeichnis gibt. Das kann dauern, bis es erscheint, und häufig ist es bei dem Erscheinen schon veraltet und nicht mehr relevant. Immer wieder werden neue Werke des Malers entdeckt, andere aus dem Verzeichnis gestrichen. Rembrandt ist ein berühmtes Beispiel. Vor hundert Jahren gab es noch mehr als siebenhundert Gemälde, die von Rembrandt stammen sollten. Heute ist von den siebenhundert Bildern (die sie hier anklicken können) nur noch die Hälfte wirklich echt. Und die Bremer Rembrandts sind auch nicht von Rembrandt.

Zweihundert Jahre nach Caspar David Friedrichs Geburt erschien das erste große Werkverzeichnis, und das hat seine Geschichte. Der Kunsthistoriker, der es erstellt hat, ist heute auch beinahe vergessen, er hat keinen Wikipedia Artikel, und auch das Dictionary of Art Historians kennt ihn nicht. Das habe ich schon in dem Post vergessen gesagt. Karl Wilhelm Jähnig wurde als Kustos der Dresdner Galerie 1937 entlassen, weil er mit einer jüdischen Ärztin verheiratet war. Das Ehepaar emigrierte in die Schweiz. Jähnig wurde 1944 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt, er verlor sein Vermögen und das Haus in Dresden in der Caspar David Friedrich Straße. Aber in Dresden hat man den Dr Karl Wilhelm Jähnig nicht ganz vergessen. Gerd Spitzer, Oberkonservator an der Dresdner Galerie Neue Meister im Albertinum, gab seinem Buch Caspar David Friedrich in der Dresdener Galerie den Untertitel Karl Wilhelm Jähnig zum Gedächtnis. Man kann das schöne kleine Buch aus dem Sandstiein Verlag antiquarisch immer noch finden.

Karl Wilhelm Jähnig hatte 1915 als Freiwilliger Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter in der Gemäldegalerie Dresden angefangen, das ist eine aus dem 19. Jahrhundert stammende Berufsbezeichnung, die uns heute seltsam vorkommt. Er stieg vom Freiwilligen Wissenschaftlichen Hilfsarbeiter zum bezahlten Wissenschaftlichen Hilfsarbeiter und zum Kustos auf. Der Direktor der Galerie war Hans Posse (hier auf einem Gemälde von Georg Oehme), der hier schon in dem Post über Christian Friedrich Gille erwähnt wurde. Er war eine tragische Figur, ein Mann der Moderne, der mit den Nazis eigentlich nichts am Hut hatte und dann als Hitlers Sonderbeauftragter für den Sonderauftrag Linz endet. Jähnig erarbeitet in den zwanziger Jahren zusammen mit Klara Steinweg den ersten Katalog der Dresdner modernen Galerie, der 1930 veröffentlicht wird. Und er erwirbt sich durch Vorträge und Publikationen einen Ruf als Spezialist für die Dresdner Romantik. Der Deutsche Verein für Kunstwissenschaft sieht in ihm den richtigen Mann, der ein Werkverzeichnis von Caspar David Friedrich erstellen kann.

Er wird die Publikation seines Lebenswerkes nicht mehr erleben, und es steht auch noch ein ganz anderer Autor auf dem Katalog. Der heißt Helmut Börsch-Supan, er war ein junger Kunsthistoriker, der mit einer schmalen Arbeit über Caspar David Friedrich (Die Bildgestaltung bei Caspar David Friedrich) promoviert worden war. Der Deutsche Verein für Kunstwissenschaft beauftragt ihn, aus dem Archiv von Jähnig ein Werkverzeichnis zu erstellen. Das wird er tun, aber er tut zu Jähnigs Forschungen etwas hinzu, was Jähnig sicherlich kaum gutgeheißen hätte: alles in Friedrichs Werk wird von ihm symbolisch und christlich erklärt. Ein Name fehlt auf dem Buch, und das ist der Name von Jähnigs Ehefrau Dr Britta Jähnig, die alle Notizen und Notizzettel ihres Mannes in ein lesbares Manuskript verwandelt hatte, mit dem Börsch-Supan arbeiten konnte.

In dem Post Johan Christian Clausen Dahl habe ich dazu geschrieben: Helmut Börsch-Supan hat bei der Überarbeitung des Caspar David Friedrich Kataloges 1973 - den Karl Wilhelm Jähnig erstellt hatte - das Katalogwerk mit einem bizarren Symbolgeflecht überzogen: wir können fortan sicher sein, dass bei Caspar David Friedrich kein Piepmatz durchs Bild fliegt, der nicht eine symbolische Bedeutung hat. Aber manchmal ist eine Zigarre nur eine Zigarre, wie schon Freud wusste, und es ist mir ein wenig zuwider, jedes Schiff und jeden Anker im Hafen als ein christliches Symbol zu sehen. Eine ähnliche Interpretationssucht hatte auch schon einmal die amerikanische Literaturkritik befallen, die damals alles, was länger als breit war, als Penissymbol interpretierte. Dieses sicherlich symbolische Bild von Friedrich hat übrigens Johan Christian Clausen Dahl einmal besessen, für eine würdigere Bestimmung für die Kgl. Gemälde-Gallerie hat er es der Dresdner Gemäldegalerie geschenkt.

Man kann das mit der übertriebenen Symbolik, dem bizarren Symbolgeflecht, die Börsch-Supan beherrscht, anders formulieren als ich.  John Russell hat in der New York Times von der tight, unvarying formula gesprochen, mit der Börsch‐Supan jedes Bild interpretiert. Und der Greifswalder Professor Reinhard Zimmermann schreibt: In diesen Zusammenhang gehört auch die sofort mit Erscheinen des Buches 1973 aufgebrochene Kontroverse um die Deutung der Kunst Friedrichs, die bis heute die Forschung belastet. Börsch-Supan hatte durch eine konsequente ikonographische Analyse der Bilder deren eindeutige Lesbarkeit behauptet, wobei er eine fast durchweg christliche, um das Thema von Tod und Auferstehung kreisende Gedankenwelt herausarbeitete. Dieser Auffassung, die der gängigen Romantik- und Friedrichvorstellung widersprach, wurde die These von der Bedeutungsoffenheit der Kunst Friedrichs, die keine eindeutigen Interpretationen zulasse, entgegengestellt; die christliche Ausdeutung wurde von einer anderen Forschungsrichtung der 1970er Jahre mit einer politischen beantwortet.

Das Bild hier zeigt die zweibändige Ausgabe der Zeichnungen von Christna Grummt, die 2011 erschienen ist. Grummt konnte sich auf Vorarbeiten stützen. Da gab es die Greifswalder Dissertation Caspar David Friedrich als Zeichner von 1966 von Sigrid Hinz (allerdings nur in maschinenschriftlicher Form), die als Anhang ein Verzeichnus der Zeichnungen hatte. 1974 erschien als eine Art Begleitbuch zu Jähnigs und Börsch-Supans Werk Marianne Bernhards Caspar David Friedrich. Das gesamte graphische Werk mit einem Nachwort von Hans H. Hofstätter. Kann man antiquarisch noch finden, kostet nicht die Welt.

Das Werkverzeichnis Caspar David Friedrich: Gemälde, Druckgraphik und bildmäßige Zeichnungen brauchte ich mir 1973 nicht zu kaufen, ich erhielt es als Jahregabe des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft, dessen Mitglied ich damals war. Es ist, trotz der symbolischen Sperenzchen von Börsch-Supan ein Standardwerk geblieben, das man heute antiquarisch ab hundert Euro noch finden kann. Reinhard Zimmermann hat auf dieser Seite eine Überarbeitung und Korrektur gefordert, aber aus dem dort avisierten Projekt scheint nichts geworden zu sein.
 
Johan Christian Clausen Dahl war Norweger, er war mit Friedrich befreundet, entfernte sich in seinem Werk aber immer mehr von dem Dresdner Maler, den man nach seinem Tod schnell vergaß. Und es sind nicht wir Deutschen, die Friedrich aus der Vergessenheit geholt haben. Das muss ich zum Schluss noch sagen. Nein, es ist ein Norweger namens Fredrik Ludvig Andreas Vibe Aubert, ein Maler und Kunstwissenschaftler, der Friedrich aus der Vergessenheit zurückholt. Er hatte seine Doktorarbeit über Dahl geschrieben, was ihm ein jährliches Regierungsstipendium einbrachte. Er entdeckt Friedrich um 1900 und beginnt über ihn zu schreiben. Zuletzt Caspar David Friedrich, "Gott, Freiheit, Vaterland" (Berlin: Cassirer, 1915). Wenn die Berliner Jahrhundertausstellung von 1906 dem Werk von Friedrich Raum eingeräumt und Beachtung geschenkt wurde, dann war das Auberts Verdienst. Hätte er länger gelebt, hätte er vielleicht das erste Caspar David Friedrich Verzeichnis gemacht.

Donnerstag, 7. März 2024

same procedure as every year

Die Süddeutsche betitelte vor einer Woche ihre Besprechung des Kieler Tatorts vom letzten Sonntag mit dem Wort Fickfackerei, und dieses Wort kam in dem Tatort auch vor. Ich habe es gehört, weil ich diesen Tatort gesehen habe. Sie können daraus schließen, dass mich Husten, Schnupfen und Tüddeligkeit noch immer im Griff hatten, denn freiwillig würde ich mir keinen Borowski Tatort angucken. Tja, und dann kam irgendwann dieses Wort, und ich grinste mir eins. Um am nächsten Tag festzustellen, dass es einen Gewinner beim Ringen um die Top Ten der Posts gab. Das war der Post Fickfackerei aus dem Jahre 2015, den mehr als hundert Leser in der Nacht angeklickt hatten. Hätten meinetwegen noch mehr sein können, denn die magische Zahl von sechs Millionen Lesern am heutigen Tag wäre schön gewesen, jetzt muss ich noch ein paar Tage warten.

Ich schreibe heute nichts Neues, ich stelle etwas vom letzten Jahr hier ein: ... Vielleicht schreibe ich einmal mehr zu dem Thema. Heute geht es nicht, da ist eine kleine Feier angesagt, nunc est bibendum, nunc pede libero pulsanda tellus. Aber vielleicht lege ich zur Verblüffung der Gäste einmal eine Townes van Zandt Platte auf. 

Das habe ich vor zehn Jahren in dem Post Townes van Zandt geschrieben. Dass der Sänger am 7. März Geburtstag hat, kann ich mir leicht merken, weil das auch mein Geburtstag ist. Wie das dann bei mir aussieht, das wissen Sie, wenn Sie den Post Geburtstagsfeier gelesen haben. In diesem Jahr habe ich auch alkoholfreien Rotwein für die Gäste, die noch Auto fahren müssen. Der Wein kommt von dem Weingut Carl Jung; ich weiß nicht, wie er schmeckt, aber ich habe den genommen, weil der Dr Carl Jung vor über hundert Jahren ein Verfahren entwickelt hat, um den Alkohol aus dem Wein zu bekommen.

Meine Freunde werden heute sicher Geschenke mitbringen, die Post hat schon Päckchen und Pakete gebracht. Aber ich möchte meinen Lesern heute auch etwas schenken. In dem Post Print on Demand hatte ich gesagt, dass ich einen kleinen Roman geschrieben und ohne fremde Hilfe daraus dieses Buch gemacht hatte. In dem Post ce n'est jamais fini habe ich das erste Kapitel davon veröffentlicht. Warum sollen Sie nicht einmal diesen ganzen autobiographischen Liebesroman lesen? 

Der kleine Roman heißt jetzt nicht mehr Souvenirs et Regrets, er hat jetzt den Namen → Que reste-t-il de nos amoursvariatio delectat. Und wenn Sie den Titel anklicken, sind Sie schon mittendrin im Liebeswirrwarr. Der erste Romantitel war eine Gedichtszeile von Jacques Prévert, der zweite Titel ist eine Gedichtszeile von Charles Trenet, es ist viel Frankreich in dem Text. Wenn Sie beim Lesen das Gefühl haben, Sie kennen das alles schon, dann betrügt Sie ihr Gefühl nicht. Beinahe alles stand hier in den letzten zwölf Jahren schon mal im Blog. Ein Photo von der Romanfigur spendiere ich Ihnen auch. Das habe ich 1961 von ihr in Kopenhagen gemacht. Das Auto gehört ihr natürlich nicht, aber sie sieht gut damit aus.

Diese schöne Frau kommt nicht in dem kleinen Roman vor, aber ich muss sie unbedingt erwähnen, weil sie auch heute Geburtstag hat. Sie ist schon häufiger in dem Blog erwähnt worden, das erstemal im Jahre 2010 in dem Post London. Da lebt sie nämlich, da wollte sie unbedingt hin. Mit Zitaten wie nunc est bibendum, nunc pede libero pulsanda tellus hat sie keine Schwierigkeiten, denn sie hat Klassische Philologie studiert und hat einen Doktortitel. Von Zeit zu Zeit schaut sie in meinen Blog. Als ich ihr vor Jahren die Geschichte Sommerurlaub vorbeischickte, schrieb sie mir, dass die ihr gut gefallen hätte, ich sollte mal daran denken, den Beruf zu wechseln und Schriftsteller werden. Für einen Berufswechsel bin ich zu alt, ein richtiger Schriftsteller wird sowieso nicht mehr aus mir, ich bin nun mal ein dilettierender romancier manqué.

Das mit dem alkoholfreien Rotwein im letzten Jahr war nix, ich habe mich gestern mit einem Fachmann unterhalten und richtig guten Rotwein geordert. Es kommen heute auch nicht so viele Gäste, manche sind im Urlaub, andere in der Reha. Issnix, wenn man alt wird. Aber Päckchen und Pakete haben die Briefboten in den letzten Tagen schon massenhaft vorbeigebracht. Es werden wohl wieder viele Bücher sein. Eins habe ich schon gelesen, war kein Geburtstagsgeschenk, sondern das neueste Buch einer Freundin. Stelle ich demnächst hier vor. Die Tage mit Husten, Schnupfen und Tüddeligkeit brachten aber auch viel Ruhe mit Musik. Und das Beste, das ich in der Woche gehört habe, das sollten Sie auch hören. Klicken Sie hier mal Friedrich Kleinhapl mit seinem Cello an, ist unglaublich.

Wenn hier einige Tage nichts stand, dann heißt das nicht, dass ich nichts schreibe. Ich schreibe den Text von  Que reste-t-il de nos amours immer ein wenig um. Das beginnt schon damit, dass ich den Text von Veinte años vor das Ganze gestellt haben. Ich schreibe auch gerade an einer Geschichte, in der die schöne Buchhändlerin mal wieder auftaucht. Die Geschichte wird Chorprobe heißen; ich weiß schon was passiert, ich muss das nur noch aufschreiben. Diese Tätigkeit als romancier manqué ist eine lästige Sache.

Sonntag, 3. März 2024

Apanatschi

Ich habe gelesen, dass viele die Schauspielerin Uschi Glas unter dem Namen Apanatschi kennen. Ich hoffe mal, dass das stimmt, ich habe den Film nie gesehen. Und ein Karl May Leser war ich eh nie. Ich habe dem Talkshow im Fernsehen und der Sonntagsbeilage meiner Zeitung entnommen, dass die Uschi gerade achtzig geworden ist. Sie sieht ja immer noch ganz passabel aus. Manche Frauen schaffen es nicht, die Schönheit der Jugend mit ins Alter zu nehmen. Ingrid Steeger ist das nicht richtig gelungen, Christine Keeler nun ganz und gar nicht. Da ich immer noch unter der Husten, Schnupfen, Heiserkeit leide, die ich am Ende von die blauen Zifferblätter beschrieb, gibt es hier nichts Neues. Aber gleich zwei alte Posts, der erste gratuliert der Uschi zum siebzigsten Geburtstag:

Ach, war sie da niedlich. Hier auf dem Photo ist sie mit Werner Enke und der Regisseurin May Spils zu sehen. May Spils kam aus Twistringen, einem kleinen Kaff bei Bremen. Wenn man da herkommt, will man da raus. Wie May Spils. Oder Reinhold Beckmann. Obgleich es da angeblich so schön ist, es gibt sogar ein Lied auf Twistringen:

Perle, du in Niedersachsen,
Stätte schönster Fröhlichkeit,
Twistringen, ans Herz gewachsen
Bist du mir in aller Zeit.

Aber wir lassen das mal beiseite und konzentrieren uns auf diese junge Dame. Hier ist sie, wie auf dem Photo oben, bei den Dreharbeiten zu dem Spielfilm Zur Sache Schätzchen. Das vierundzwanzigjährige Schnuckelchen und die schnoddrigen Dialoge machten 1968 den Film zu einem Kultfilm. Es war nicht der erste Film von Uschi Glas. Sie hatte schon eine kleine Rolle in Der unheimliche Mönch gehabt. Und war das Halbblut Apanatschi in Winnetou und das Halbblut Apanatschi gewesen. Zu der Zeit hatte Catherine Deneuve schon La Vie de château (lesen Sie hier mehr dazu), Les Demoiselles de Rochefort und Belle de Jour gedreht, das sollte man nicht vergessen. Und 1968 kam auch Truffauts Baisers Volés ins Kino, der Henri Langlois (der hat hier natürlich einen Post hat) gewidmet war, das war ein ganz anderes Kino.

Doch der Film Zur Sache Schätzchen, der ein wenig vom französischen Kino abgekupfert war (und ein klein wenig von À bout de souffle hatte), wurde in Deutschland ein ungeahnter Erfolg, über sechs Millionen Deutsche gingen ins Kino. Ich auch. Sogar zweimal. Es gab drei Bundesfilmpreise, die Goldene Leinwand, ein goldenes BAMBI und die deutsche Nominierung für Cannes. Und Uschi Glas hatte fortan den Spitznamen Schätzchen der Nation.

Gefilmt im Sommer 1967 in München-Schwabing, war "Zur Sache, Schätzchen" einer der Erfolgsfilme des Jahres 1968 - dem Geist der Zeit entspricht der Film dabei auf so unorthodoxe, spielerische Weise, dass er ihm eigentlich schon wieder zuwider läuft: "Zur Sache, Schätzchen", das ist der federleichte Traum, die Regeln der Gesellschaft mit nichts außer Kraft zu setzen, als mit ein paar Scherzen und sinnfreien Bemerkungen (von denen es einige, so "Es wird böse enden" zum geflügelten Wort gebracht haben). Hier kommt zuerst das Wurstbrot (bei dem "die Wurst so richtig überlappt"), dann die Weltrevolution. Schreibt der Spiegel, nun wissen wir Bescheid. Das Photo hier zeigt die beiden Hauptdarsteller im letzten Jahr.

Ein Zeitzeuge hat zu dem Film gesagt: Auf seine Weise hat mich der Film wohl auch deshalb angesprochen , weil er die Ereignisse von 1968 so ganz anders auf den Punkt brachte - eben nicht mit langen Theoriedebatten. Aber alles, was Martin tut oder vor allem nicht tut, ist Auflehnung, und er hat auch noch seinen Spaß dabei. Das war natürlich kein politisches Programm, aber es drückte den Umbruch aus, den wir, die wir damals Mitte 20 waren, verspürten. Der Zeitzeuge, der hier redet, wird Jahre später am Gitterzaun des Kanzleramts rütteln und Ich will da rein brüllen. Auch für ihn gilt einer der Sprüche des Films: Es wird böse enden.

Zur Sache Schätzchen war der beste Film von Uschi Glas, was danach kam, gehört nicht gerade zu den Perlen der Filmkunst: Der Gorilla von SohoImmer Ärger mit den PaukernZur Hölle mit den PaukernDie Tote aus der ThemseVerliebte Ferien in TirolWir tun uns in Deutschland schwer mit komödienhafter Leichtigkeit. Wir haben jemanden wie Curt Goetz gar nicht verdient. Man kann den Film leicht preiswert als DVD bekommen, man kann ihn sich immer noch ansehen. Gut, er hat ein wenig Patina angesetzt. Aber Uschi Glas, Werner Enke und die Filmmusik (und das BMW Cabrio) reißen alles heraus. Man darf sich natürlich zuvor nicht Richard Lester wunderbaren Film The Knack …and How to Get It angesehen haben (Sie könnten jetzt noch mal eben den Post Richard Lester lesen). Die DVD enthält auch noch ein sehenswertes Interview mit Werner Enke und zwei Kurzfilme (Das Portrait und Das Manöver), allein diese Extras würden den Kauf der DVD lohnen.

Ich überlasse das letzte Wort zu dem Film Zur Sache Schätzchen Else Buschheuer, die in ihrem Buch Verrückt bleiben! Mein Leitfaden für freie Radikale über Strategien zur Bekämpfung von Depressionen schreibt: Ein frischer Schlafanzug wirkt manchmal Wun­der. Legen Sie eine DVD ein, nichts Neues, lieber einen vertrauten Film, über den Sie lachen oder wenigstens müde lächeln können. Für mich wäre das »Zur Sache, Schätzchen«, der hilft mir immer. Der Film ist auf illusionslose Weise lustig, er ist intelligent, aber nicht oberschlau, er ist sexy, aber frei von Kitsch. Ein kleiner Film für kleine Tage.
          Uschi Glas wird heute siebzig, da gratulieren wir herzlich.

Und dann habe ich noch ein wenig mehr, nämlich einen Post Zur Sache, Schätzchen aus dem letzten Jahr:

Heute vor fünfundfünfzig Jahren hatte der Film Zur Sache, Schätzchen Premiere. Das Publikum liebte den Film, die Kritik auch. Die sprach vom Neuen Deutschen Film, das Pamphlet dazu hatte Joe Hembus mit seinem Buch Der deutsche Film kann gar nicht besser sein geliefert. Das war 1961 in Bremen bei Schünemann erschienen, einem Verlag, der die konservativen Bremer Nachrichten herausgab und nicht für revolutionäre Neuerungen bekannt war. Der sich aber in den sechziger Jahren eine Reihe namens City Buch leistete, in der ganz erstaunliche Bücher erschienen. Wie zum Beispiel das erste Buch über den Western, Jean-Louis Rieupeyrouts Le Western, Ou le cinéma américain par excellence, in deutscher Übersetzung. Oder der Co­mic Bar­ba­rella von Jean-Claude Fo­rest. Und Karl Mickinns Altweibersommer mit einer nackten Schönheit von Paul Wunderlich auf dem Schutzumschlag. Da war Joe Hembus bei Walther H. Schünemann schon richtig aufgehoben. Zwanzig Jahre später schrieb er zusammen mit dem Truffaut Spezialisten Robert Fischer das Buch Der Neue Deutsche Film. Das bei Goldmann erschienene Buch hatte ein Vorwort von Douglas Sirk.

Drei Tage nach Beginn der Dreharbeiten schrieben May Spils und ihr Hauptdarsteller Werner Enke das Drehbuch um. Der Film sollte wie Godards Außer Atem, mit dem er viele Ähnlichkeiten hat, mit dem Tod des Hauptdarstellers enden, aber jetzt war gerade in Berlin der Student Benno Ohnesorg erschossen worden. Soviel Realität wollte man dann doch nicht haben. Denn mit der Realität und den beginnenden Revolutionen auf der Straße hatte der Film wenig zu tun. Es sollte nicht böse enden. May Spils drehte 1968, als alles politisch wurde, einen unpolitischen Film über das Nichtstun

Wenn man sich die Top Ten der erfolgreichsten Filme in Deutschland anschaut, dann muss man sagen, dass die wenig mit dem zu tun haben, was wir 1968 nennen, nichts von Vietnam, dem Prager Frühling oder den Bremer Straßenbahnunruhen. Die deutsche Filmwelt sah an der Kinokasse so aus: 

1.  Das Dschungelbuch (27.394.000)
2.  Zur Sache, Schätzchen (6.500.000)
3.  Oswalt Kolle: Das Wunder der Liebe (6.000.000
4.  Zum Teufel mit der Penne (6.000.000)
5.  Die Nichten der Frau Oberst (5.000.000)
6.  Zur Hölle mit den Paukern (4.000.000)
7.  Immer Ärger mit den Paukern (4.000.000)
8.  Oswalt Kolle: Das Wunder der Liebe II – Sexuelle Partnerschaft (3.500.000)
9.  Die Wirtin von der Lahn (3.000.000)
10 Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung (3.000.000)

Von diesen Filmen habe ich nur Zur Sache, Schätzchen gesehen. Es gab andere Filme in den Kinos. Wie zum Beispiel Baisers volés und La mariée était en noir von Truffaut oder Les Biches von Chabrol, das war eine ganz andere Welt. Werner Enke und Uschi Glas machten den Film zum Kultfilm. Uschi Glas, die einen Nackauftritt verweigert hatte, war gleich in drei Filmen der Top Ten des Jahres 1968, neben Zur Sache, Schätzchen war sie auch in Zur Hölle mit den Paukern und Immer Ärger mit den Paukern zu sehen. Und in dem Edgar Wallace Film Der Gorilla von Soho. Die beinahe gleichaltrige Catherine Deneuve hatte da schon Die Regenschirme von CherbourgEkelLeben im Schloß und Belle de Jour gedreht.

Die deutsche Komödie aus dem Jahre 1968, die mit https://zursacheschaetzchen.de eine eigene Internetseite hat, hat sich gehalten. May Spils und Werner Enke versuchten mit mehreren Filmen an diesen Erfolg anzuknüpfen, das hätten sie lassen sollen. Diese Schwabinger Leichtigkeit konnte man nicht wiederholen. Wenn Sie wollen, können Sie den Film hier sehen. 


Mittwoch, 28. Februar 2024

blaue Zifferblätter


Da gibt es am Monatsende wieder Probleme, diese Uhr weiß nicht, dass der Februar keine einunddreißig Tage hat. Glücklicherweise hat sie eine Schnellschaltung, sodass man Wochentag und Datum punktgenau einstellen kann. Diese Dugena Geneve Automatica ist eine Neuerwerbung, und das ist auch das letzte Geneve Modell, das ich gekauft habe. Es gibt auch bei ebay kaum noch welche. Irgendwie haben es die Sammler, spitzgekriegt, dass diese Swiss Made Uhren ganz hervorragende Uhren waren. Wenn man genau hinschaut, wird man sehen, dass die Uhr nicht ganz rund ist, sie ist eher ein wenig queroval. Sie hat ein blaues Zifferblatt, so etwas liebe ich. Ich habe nur vier Uhren, die blaue Zifferblätter haben. In den siebziger Jahren war das eine große Sache, heute sind sie schon selten geworden.

Ich hatte noch eine fünfte Uhr mit einem blauen Zifferblatt, eine fabrikneue siebziger Jahre Helvetia. Aber die habe ich zu Weihnachten einer Freundin geschenkt. Sie hat die gleich mit ihrem IPhone an ihrem Arm photographiert. Der weißhaarige Herr hinter dem Bücherberg bin ich, ich sehe aber in Wirklichkeit noch viel jünger aus als auf diesem Photo. Die Helvetia von der Daniela hat kein Manufakturwerk mehr, hat aber ein erstklassiges ETA 2852 Handaufzugswerk. Die Firma ETA war einmal eine Tochter der Eterna. Von der Präzisionsuhrenfabrik Eterna ist nicht viel übriggeblieben, die ETA dagegen ist der größte schweizer Hersteller von Qualitätsuhrwerken. Sie können hier alles über die Automatikwerke der Firma lesen. Die ETA Werke sind übrigens auch in den Tudor Uhren der Firma Rolex drin. Ich habe im Internet einen Händler gefunden, der ein ETA 2784 für 4.950 Euro anbietet. Das Werk kostet im Fourniturenhandel ein paar hundert Euro. Aber wenn da denn Tudor auf dem Rotor steht, dann macht das schon viereinhalbtausend Euro aus. Kann jemand so bescheuert sein, das zu kaufen?

Ich möchte zum Monatsende hier noch eine ziemlich extreme Uhr aus meiner Sammlung der 70er Jahre zeigen. Die aber ein wunderschönes tiefblaues Zifferblatt hat. Es ist eine Uhr der Firma Glycine, die eine interessante Geschichte hat. Nicht nur, weil der Firmengründer Eugène Meylan 1955 von einem Angestellten ermordet wurde. Die Firma, die heute der amerikanischen Firma Invicta gehört, hatte sich schon in den vierziger Jahren mit der Uhrenfirma Altus zusammengetan und nannte sich Glycine Altus. In der Firma Altus hatte Walter Lange einge Zeit gearbeitet. Er kannte die Firma, weil die ersten Werke für Armbanduhren von Lange & Söhne von der Firma Altus gekommen waren. In diesem blauen Monster der Firma Glycine tickt natürlich auch ein ETA Automatikwerk. Das glücklicherweise morgen am 1. März mit einer Schnellschaltung das Datum korrigieren kann.

Auch wenn ich ein Faible für diese Uhren habe, die ich in dem Post was Fettes am Arm vorgestellt habe, meine Lieblingsuhr sieht ganz anders aus. Es ist eine kleine Altus, 33 mm groß, die wahrscheinlich 1950 hergestellt wurde. Neben dem Firmennamen steht ganz klein Incabloc und Waterproof auf dem Zifferblatt, das eine hervorragende Minuterie hat. Man kann mit dem blauen Sekundenzeiger jede Sekunde ablesen. Wenn man will. Händler klassifizieren gerne Uhren mit einer chemin de fer Minuterie als Militäruhren, weil das mehr Geld brngt. Unter dem Edelstahlboden ist ein Weicheisendeckel, der das Werk gegen Magnetismus schützt. Wenn man den entfernt, kann man sehen, dass das Werk von einem fetten roten Gummiring gehalten wird. Das ist eine ähnliche Konstruktion, die später die Firma Certina als Doppelte Sicherheit verkaufte. Dies ist eine sehr intelligent gemachte Uhr, und mehr als diese 33 mm braucht man eigentlich gar nicht. Eine Datumsanzeige schon recht nicht.

Ich habe gestern gesagt, dass heute der 1. März ist. Das war falsch. Sorry. Aber das lag daran, dass ich irgendeinen Infekt mit Husten, Schnupfen und Heiserkeit habe. Da verwechselt man schon mal was.

Dienstag, 27. Februar 2024

Unterhemden


Heute vor neunundachtzig Jahren erhielt der Film It Happened One Night den Oscar in allen fünf Hauptkategorien, der Film war ein Riesenerfolg. Weil da jemand ein bisschen nackt war. Das war nicht Claudette Colbert, das war Clark Gable. Als der im Film sein Oberhemd auszieht, konnte das Publikum sehen, dass er kein Unterhemd trug. Die Verkaufszahlen von Unterhemden sanken in den USA dramatisch. Die romantic comedy kam in die Kinos, als der Motion Picture Code noch nicht griff. Sätze wie: Scenes of passion should not be introduced when not essential to the plot. In general, excessive passion should so be treated that these scenes do not stimulate the lower and baser element, und Excessive and lustful kissing, lustful embraces, suggestive postures and gestures, are not to be shown, hatten noch keine Gültigkeit.

Das Oberhemd ohne Unterhemd wird sich in der feinen Welt nicht durchsetzen. Clark Gable trägt im normalen Leben normale Kleidung, Also das, was Eddie Smith für ihn schneiderte. Was manchmal ziemlich exzentrisch war, wie man an diesem extrem taillierten Jackett sieht. Die maskuline Variante der →Wespentaille war damals große Mode. Eddie Smith hat auch all das geschneidert, was Clark Gable in Gone With the Wind trägt. Seine Uniform lässt der Captain Clark sich nicht von Eddie Smith schneidern, er kaufte sie sich bei Saks in der Fifth Avenue.

Der erste Absatz hier oben stand schon einmal in dem Post Nudität, aber man kann das immer wieder zitieren. Dass ein Film die big five erhält, kommt ja nicht so häufig vor. Clark Gable hat schon einen Post, er wird häufig in diesem Blog erwähnt. Unter anderem in dem Post Siegfried Schürenberg. Den kennen wir als den etwas vertrottelten Chef von Scotland Yard aus den Edgar Wallace Filmen, aber Schürenberg war auch ein begehrter Synchronsprecher. Er war die deutsche Stimme von Rhett Butler in Gone with the Wind, und er hat Clark Gable auch noch in The Misfits synchronisiert. Frank Capra hat erstaunlicherweise noch keinen Post in diesem Blog; er wird zwar immer wieder erwähnt, aber es gibt leider keinen Post. Sein Film Lost Horizon hat allerdings einen Post. Ist nicht sein bester Film, ist aber sehr interessant.

Das hier rechts auf dem Bild ist der Regisseur Frank Capra. Auf dem linken Bild ist auch Frank Capra, diesmal als Colonel der US Army. Gleich nach Pearl Harbour hatte er sich freiwillig gemeldet und war als Major eingestellt worden. Die Propaganda Serie ✺Why We Fight war Capras Antwort auf Leni Riefenstahls Film Triumph des Willens. Capras Kollege John Ford hat während des Krieges auch für die Regierung gearbeitet, er hat die Schlacht von ✺Midway mit einer Vielzahl von Kamerateams gefilmt, sozusagen im Livestream. Man hat ihn dafür zum Admiral gemacht.

John Ford und Frank Capra haben viel gemeinsam. Nicht nur, dass sie beide hier in Uniform nebeneinander stehen. Für beide ist Amerika ein neues Land. Capra kam aus Sizilien, Ford wurde zwar in den USA geboren, war in seinem Herzen und seinem Kopf immer noch in Irland. Beide werden in ihren Filmen dem Amerika der Great Depression ihre Vision vermitteln, wie die Welt sein soll. Sein könnte. Filmhistoriker haben dafür den Terminus Cinema of Populism gefunden. Wobei wir bedenken sollten, dass Populismus nicht gleich Populismus ist. Frank Capras Populismus ist nicht der Populismus von Donald Trump.

Als ich den Begriff Cinema of Populism bei Google eingab, stieß ich auf eine 2023 erschienene Dissertation von einem Johannes Pause, die Populismus und Kino: Politische Repräsentation im Hollywood der 1930er Jahre hieß (hier im Volltext). Auf der Seite des Transcript Verlages konnte man lesen: Die 1930er-Jahre gelten als das populistische Jahrzehnt Hollywoods. Regisseure wie Frank Capra, Leo McCarey und John Ford entwerfen in ihren Werken Szenarien geglückter oder gescheiterter politischer Repräsentation, in denen sich demokratische Ideale mit politischer Theologie und amerikanischem Exzeptionalismus verbinden. Die Szenographie dieser Filme hat sich tief in das kulturelle Gedächtnis der USA eingeschrieben und prägt die politische Inszenierung von Repräsentation bis heute. Johannes Pause liest die damals entstandene Bildsprache als eine Typologie populistischer Repräsentation neu und nutzt sie als Folie, um aktuelle politische Tendenzen zu analysieren. Das wusste ich allerdings alles schon. Weil es in dem Buch Vísions of Yesterday von Jeffrey Richards steht, das ein halbes Jahrhundert vor Pauses Werk erschienen war. Und Richards hat natürlich auch ein Kapitel Frank Capra and the Cinema of Populism.

Jeffrey Richards hatte etwas aufgenommen, was Siegfried Kracauer in seinem Buch  From Caligari to Hitler (hier im Volltext) angedeutet hatte. Dass man Filme als eine Psychoanalyse einer kranken Gesellschaft lesen könne. Der Gedanke findet sich auch in dem Buch von Martha Wolfenstein und Nathan Leites Movies: A Psychological Study (Volltext) und bei Michael Wood in seinem Buch America in the Movies. Jeffrey Richards, der zu Englands bedeutendstem Filmhistoriker wurde, bekam gute Kritiken für sein erstes Buch. Clive James schrieb im Observer: A work of considerable force and considerable wit und in Focus on Film stand: a work that is original, mentally stimulating and most pleasurable to read. Ich glaube nicht, dass man das über die Doktorarbeit von Johannes Pause sagen kann. Der Richards nicht mal im Original gelesen hat, sondern ihn aus zweiter und dritter Quelle zitiert. Der Transcript Verlag ist kein wirklich seriöser Verlag, der druckt alles, was der Autor bezahlt. Das ist so etwas Ähnliches, wie ich es in Print on Demand beschrieben habe.

Nicht alles im Werk Capras hat etwas mit Ideologie, Politik und Populismus zu tun, es wäre unsinnig, Arsen und Spitzenhäubchen so betrachten zu wollen. Und das Unterhemd von Clark Gable in der Screwball Comedy It Happened One Night ist auch ziemlich ideologiefrei. Aber in Mr Deeds Goes to Town und Mr Smith Goes to Washington (hier ein Bild mit James Stewart), da hat Capra seinem Publikum etwas zu sagen. Sein filmisches Amerika ist ein Land von Geld, Betrug, Opportunismus und Niedertracht, ein Land ohne Moral. Aber nun kommen die etwas naiven Helden vom Lande, gespielt von Stars wie Gary Cooper und James Stewart, die sich am Ende gegen Korruption und Intrigen durchsetzen. Auf so etwas hoffen wir ja immer, nicht nur im Kino.

James Stewart und Gary Cooper (und John Wayne und Henry Fonda bei John Ford) werden in den dreißiger Jahren zur perfekten Verkörperung amerikanischer Werte: If ever a country got the film heroes it needed, it was the USA in the decade up to the Second World War, sagt Alexander Walker in Stardom. Die amerikanische Kleinstadt, Small Town, USA, ist jetzt wichtig: das sind Bedford Falls (It's a Wonderful Life), Mandrake Falls (Mr. Deeds Goes to Town) oder Grover's Corners bei Thornton Wilder, eine sentimentale arkadische Vision eines Amerikas jenseits der Großstädte. So hatte sich Thomas Jefferson einst Amerika vorgestellt.

Capras Filme kommen als Komödien daher, aber sie sind oft viel mehr. Meet John Doe war eine Warnung vor dem auch in Amerika grassierenden →Faschismus; und auch Mr Smith goes to Washington hatte eine Botschaft: I doubt if any government in the world today would allow itself to be so freely criticized in the press, in pictures, and on the air, as does the American. And Capra, Italian-born immigrant who once sold newspapers, is exercising every American's privilege in lambasting certain phases of life in the country of his adoption. That doesn't mean, however, that Capra isn't a thoroughly patriotic American. On the contrary. I'd call 'Mr. Smith Goes to Washington' just about the best American patriotic film ever made. There's only one that might equal it, if Frank could ever be persuaded to make it, and that is Mr. Capra Goes to AmericaDer Verfasser dieser Zeilen war kein Gerigerer als James Hilton, dessen Roman Lost Horizon Capra 1937 verfilmt hatte. Als die Nazis 1942 im besetzten Frankreich die Aufführung englischer und amerikanischer Filme verboten, wurde als letzter Film in Paris unter dem Beifall des Publikums Mr Smith goes to Washington gezeigt.

Ein stellungsloser Journalist und eine durchgebrannte Millionenerbin treffen sich, so beginnt der Film ✺It Happened One Night, den sie hier sehen können. Bis dahin hatte Clark Gable, der einen Oscar für seine Rolle erhielt, Gangster und harte Kerle gespielt. Aber Frank Capra hat uns versichert, das Clark Gable in der Wirklichkeit ein ganz anderer war: 'It Happened One Night' is the real Gable. He was never able to play that kind of character except in that one film. They had him playing these big, huff-and-puff he-man lovers, but he was not that kind of guy. He was a down-to-earth guy, he loved everything, he got down with the common people. He didn’t want to play those big lover parts; he just wanted to play Clark Gable, the way he was in 'It Happened One Night', and it’s too bad they didn’t let him keep up with that.

Frank Capra war der wahrgewordene American Dream. Er kam von ganz unten, und er gelangte nach ganz oben. Er war fest davon überzeugt, dass das jederman in Amerika schaffen könnte: My whole philosophy is in my films. People are basically good or can be made good. Sentimental? Of course, but so what ? Let's not be hard-boiled about this. Happy endings - life is full of them. Auch das würden wir gerne glauben, aber wir wissen, dass das Leben anders ist. 

Viele von Capras Filmen sind zu Klassikern geworden, It's a Wonderful Life war jahrzehntelang der Weihnachtsfilm für die ganze Famile in den USA. Auch wenn die Kritiker 1946 die Sentimentalität des Films beklagten. Aber ohne die geht es nicht, sagt Jeffrey Richards: Throughout Capra's work, the tone is unashamedly sentimental, a fact which many critics decry and which calls for some comment. The only comment that one can make is that it is simply not possible to eliminate the sentimentality for it is at the root of his vision. It is this which links him to John Ford. The work of both is permeated by nostalgia for a vanished America, an idealized pre-urban America where a purer, better, freer life was lived. Sentimentality is an integral part of nostalgia and so there is simply no point in decrying it.