Mittwoch, 31. März 2010

Wolle


Das gibt es nur in England, dass der oberste Repräsentant der oberen Kammer des Parlaments auf einem Wollsack sitzt. Und das schon seit dem 14. Jahrhundert. Es gibt da im Oberhaus auch noch einen Thron, aber auf dem darf der Lord Chancellor nicht sitzen, da sitzt nur die Königin zur Parlamentseröffnung. Der woolsack ist ursprünglich einmal wirklich ein Sack Wolle gewesen, der das Parlament immer daran erinnern sollte, dass England mit der Woche reich geworden ist. Im Mittelalter enthielt ein woolsack die Wolle von 220 Schafen. Jetzt sieht der woolsack aus wie ein Möbelstück aus den 70er Jahren, wir würden uns nicht wundern, wenn Austin Powers in einem Samtanzug und einem Rüschenhemd auf dem roten woolsack sitzen würde. Früher war da englische Wolle drin, jetzt ist es Wolle aus allen Teilen des Commonwealth. Auf dem roten Sofa liegt das mace als Zeichen der königlichen Autorität des Amtsinhabers. Ohne diesen symbolischen Stab kann das Oberhaus nicht tagen. Im Unterhaus ist das genau so, aber da liegt das mace auf einem Tisch, nicht auf dem woolsack.

1976 hat Michael Heseltine das mace ergriffen und damit herumgefuchtelt, als die walisischen Labour Abgeordneten The people's flag is deepest red gesungen haben. Daraufhin kriegte der Tony mit seinen wehenden langen blonden Haaren von der Presse den Namen Tarzan. Er hat sich natürlich am nächsten Tag beim speaker des Parlaments entschuldigt. In den Zeiten von Austin Powers geht es schon wild zu im englischen Unterhaus. Der Lord Chancellor bekommt über 200.000 Pfund im Jahr. Das ist mehr als jeder Minister, aber etwas weniger als das, was Wayne Rooney verdient. Dafür braucht der aber bei seiner Arbeit keinen Talar und keine Perücke zu tragen. Tony Blair hat bei seiner Parlamentsreform am Amte des Lord Chancellors herumgedoktert. Sein Lord Chancellor Lord Falconer war der erste, der keine Perücke mehr trug. Jetzt sitzt im Oberhaus der Lord Speaker auf dem roten Wollmöbel, und das ist im Zeichen der Emanzipation eine Frau. Aber die Baronin Hayman trägt jetzt wieder (wie man auf dem Photo oben sehen kann) eine Perücke.

Die Wolle hat England reich gemacht. Sie ist das goldene Vlies der Nation. Shakespeares Vater war im Wollhandel, wenn auch manchmal mit etwas illegalen Geschäften. Kleine Dörfer werden mit dem Wollhandel reich und bauen riesige Kirchen, die wool churches heißen (wool churches haben sogar einen Wikipedia Eintrag). Über die Jahrhunderte hat man die englische Landschaft den Schafen angepasst. Es hat einmal riesige Wälder in England gegeben, in denen sich Robin Hood mit seinen Gesellen vor dem Sheriff von Nottingham verstecken konnte. Aber die englischen Eichen hat man für die Flotte gebraucht, was John Keats in seinem Gedicht Robin Hood beklagt: He would swear, for all his oaks, Fall'n beneath the dockyard strokes, Have rotted on the briny seas. Kein Platz mehr für Robin und Marian, man braucht Platz für die Schafe. Und dafür vertreibt man dann auch die Menschen, wie bei den schottischen highland clearances. Und wenn das nicht ausreicht, dann nimmt man ganz Australien dazu.

Während des Zeiten Weltkrieges gab es in England 1942 ein Propagandaplakat von Frank Newbould. Über dem Slogan Your Britain: Fight for it Now zeigte es eine idyllische hügelige Landschaft. Und natürlich eine Herde von Schafen in der Bildmitte. The lowing herd winds slowly o'er the lea, der Idealtypus der englischen Landschaft. Schafe (aber auch Kühe und Schweine) sind schon lange vorher auf englischen Bildern zu finden.

Thomas Gainsborough malt 1752 die Witwe des Brauereibesitzers Thomas Cobbold mit ihrer Tochter in eleganten Kleidern in die englische Landschaft. Mit Schaf und einem Bähschäfchen in den Armen der Tochter. Aber auch reiche Farmer lassen sich die wolligen Tiere malen, die ihren Reichtum begründen. Im Jahr nach der verheerenden Maul- und Klauenseuche gibt es in Carlisle eine Kunstausstellung Love, Labour&Loss: 300 Years of British Livestock Farming in Art. So etwas kriegen nur die Engländer hin. Mit einem wunderschönen, reich bebilderten Katalog, zu dem der Prinz von Wales das Vorwort geschrieben hat.

Shakespeares Winter's Tale spielt in Böhmen (das bei Shakespeare am Meer liegt, Ingeborg Bachmann hat ein berühmtes Gedicht über Böhmen am Meer geschrieben), und in dem Stück, in dem alle Englisch sprechen, kommen auch Schäfer vor. Perdita wird von einem Schäfer als seine eigene Tochter erzogen. Normalerweise haben wir da keine Schafe auf der Bühne, aber als Peter Zadek (das schwarze Schaf der deutschen Regisseure) den Winter's Tale 1978 in Hamburg auf die Bühne brachte, gab es Schafe. Zadek hatte zuvor die Baronin ➱Dr. Gisela von Stoltzenberg in Trittau besucht, die eine wirkliche Shakespeare Spezialistin war und ihm gute Ratschläge für die Aufführung gab. Beim Abschied sah Zadek eine kleine Schafherde auf dem Gelände des Landhauses und fragte die Baronin, ob er einige Schafe für die Aufführung borgen könne. Er bekam die Schafe, die dann auf der Bühne in dem grünen Glibberschleim steckten, mit dem Zadek die Bühne bedeckt hatte. Die Schafe (die in jeder Rezension erwähnt wurden) und der grüne slime waren das einzig Denkwürdige an der Inszenierung. Die Baronin hat sich wochenlang Sorgen um die Schafe gemacht, sie haben aber die Aufführung wohlbehalten überstanden. Grüner slime, was für ein Unsinn.

William Blake, der das Gedicht Little lamb who made thee geschrieben hat, wäre entsetzt gewesen. Er hat auch ein Bild mit dem Titel Christ Child riding on a lamb gemalt. Da sitzt der Jesusknabe auf einem Schaf, und das steht auf grünem Gras. Schafe gehören auf grünes Gras, keinen grünen slime. Bevor das Schaf zum Lieferanten für Englands Reichtum wurde und bevor die Australier das Wollsiegel erfanden, ist das Schaf immer ein christliches Symbol gewesen. Und jetzt, wo es auf Ostern zugeht, und die die ersten Osterlämmer auf den Wiesen sind, ist es vielleicht auch angebracht, eine Bach Kantate zu zitieren:

Schafe können sicher weiden
wo ein guter Hirte wacht!
Wo Regenten wohl regieren
kann man Ruh' und Frieden spüren 
und was Länder glücklich macht.

Montag, 29. März 2010

Ferruccio Tagliavini


Am 24. Oktober 1958 eröffnete Peek & Cloppenburg ein Geschäft auf der Obernstrasse in Bremen. Ich bin niemals in dem Laden gewesen. Wenn man sich 1958 die Nase am Schaufenster von Herrenmodegeschäften in Bremen platt drückte, dann waren das die Scheiben von Stiesing, Charlie Hespen und Hans Kalich. Am Tag zuvor hatte es in Bremen die Uraufführung des Filmes Vergiß mein nicht gegeben. Was mich damals auch nicht interessiert hatte, kein Jugendlicher guckte sich damals die HerzSchmerz Heimatfilme an, die die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten heute sonntags als Nostalgie (oder Abschreckungs?) Programm ausstrahlen.

Und an so einem Sonntag habe ich den Film Jahrzehnte später gesehen. Es ist kein filmisches Meisterwerk, aber es gibt eine schöne Frau in dem Film: Sabine Bethmann. Die das traurige Schicksal hatte, blond und schön zu sein und nur in schrottigen Filmen mitzuspielen. Aber wenn der Film für irgendetwas erwähnenswert ist, dann ist es der kleine dickliche Italiener in dem Film. Der am 23. Oktober auch zur Uraufführung in Bremen gewesen war, ich hätte ihn damals sehen können, wenn ich gewusst hätte, wer er war. Der Film Vento di Primavera ist inzwischen im Internet aufgetaucht, klicken Sie hier.

Er singt in dem Film (der auf Italienisch Vento di Primavera heißt) neapolitanische Lieder, sein Gesang rührt Sabine Bethmann in ihrem blauen Kleid und die Omas in der letzten Reihe zu Tränen. Aber er singt auch Una furtiva lagrima. Und auch Volare, das kennt wenig später jeder in Deutschland, weil Catharina Valente das singt. Der kleine Italiener ist einer der größten Tenöre des 20. Jahrhunderts. Er heißt Ferruccio Tagliavini. Ich hörte ihn zum ersten Mal als Herzog von Mantua auf einer Billigplatte, einer RAI Aufnahme von Verdis Rigoletto, Turin 1950. Wie er Ella mi fu rapita!, La donna è mobile und Bella figlia dell'amore sang, das war den Preis der Platte tausendfach wert.

Damals lebte er noch, aber er war in Deutschland so gut wie unbekannt, und an Aufnahmen von ihm zu kommen, war so gut wie unmöglich. Glücklicherweise überließ mir meine Kollegin Iris, die nebenberuflich für die Zeitschrift orpheus schrieb, immer ihre Belegexemplare, in dieser kleinen exklusiven Zeitschrift für Opernfreunde kannte man den belcanto Sänger schon. Jürgen Kesting kannte ihn natürlich auch, und man kann ihm nur dankbar sein, dass er Tagliavini in seinen Büchern und der Reihe Belcanto Museum auf NDR III einem größeren Publikum bekannt gemacht hat. Aber damals hörte niemand auf den Fachmann Jürgen Kesting. Ganz Deutschland war im Pavarotti Fieber. Obgleich der eigentlich gar nicht mehr singen konnte, füllte er Fußballstadien. Als er noch richtig gut war, und neben Joan Sutherland sang, beachtete ihn niemand. Das ist das Schicksal so vieler Tenöre, dass sie berühmt werden, wenn ihre Stimme im Untergehen ist. Aber für Funiculì, funiculà, das Lied der Seilbahn zum Vesuv, reicht es dann immer noch.

Inzwischen hat sich die Lage auf dem CD Markt verändert, man kann sehr viele Tagliavini CDs kaufen und der Sänger ist auch erstaunlich gut auf YouTube vertreten (auch mit Ausschnitten aus Vento di Primavera). Und er hat inzwischen auch einen Artikel im Lexikon des kollektiven Kurzzeitgedächtnisses Wikipedia. Obgleich ich von Wikipedia Artikeln im allgemeinen nicht so viel halte, kann man hier den Autor (und den Leser) nur beglückwünschen. Diesen Eintrag hat der tenore di grazia, der unglücklicherweise immer im Schatten seines Konkurrenten Beniamino Gigli stand, wirklich verdient. Der Wikipedia Autor setzt Tagliavini auch in Beziehung zu dem großen spanischen Tenor Alfredo Kraus, wenn er davon spricht, dass Tagliavini mit Kraus als der letzte wirkliche Belcantist im klassischen Sinne anzusehen ist. Das ist sicherlich richtig, Kraus und Tagliavini brüllen nicht und übergiessen uns nicht mit süßlichem Schmalz, sie sind beide hervorragende Techniker. Ich gönne Paul Potts ja seinen Erfolg, aber wenn man einen wirklichen Tenor hören will, dann sollte man doch lieber Alfredo Kraus und Ferruccio Tagliavini zuhören. Obgleich Tagliavini den Herzog von Mantua so perfekt parfümiert singen kann, hat er wenig Verdi gesungen. Dafür umso mehr Francesco Cilea und Pietro Mascagni, mit dem er befreundet war.

Eine Sternstunde hat Tagliavini neben Maria Callas in der EMI Aufnahme von Lucia di Lammermoor, da singt er die Callas glatt an die Wand und klingt im Duett mit ihr wie ihre Zwillingsschwester. Tagliavini ist 1995 im Alter von 82 Jahren gestorben, aber so lange es seine Stimme auf einem Tonträger gibt, wird er unsterblich bleiben. Seit seinem Tode gibt es im österreichischen Deutschlandsberg einen jährlichen Gesangswettbewerb mit seinem Namen, Dame Joan Sutherland ist Ehrenvorsitzende der Veranstaltung. Vielleicht bringt der Concorso internazionale di canto lirico ja eines Tages einen neuen Tagliavini hervor.

Lesen Sie auch: L'amico Fritz.

Men in Black


Tommy Lee Jones und Will Smith tragen in Men in Black schwarze Anzüge und weiße Oberhemden, offensichtlich die normale Arbeitskleidung zur Bekämpfung für extraterrestrische Wesen. Die Gangster von Quentin Tarrantino tragen auch solche Kleidung, aber die bekämpften sich nur gegenseitig. Früher trug man nur zu Beerdigungen und zu Bauernhochzeiten schwarze Anzüge. Einfarbige, sehr dunkle, ans Schwarz grenzende Anzüge trugen nur Bestattungsunternehmer, die Verkäufer bei C&A und amerikanische Mormonen auf Mitgliedersuche. Seit einigen Jahrzehnten scheint es in der Herrenmode keine andere Farbe als Schwarz mehr zu geben, vielleicht noch ein abgetöntes Anthrazit, oder, geradezu revolutionär, ein brüllendes Mausgrau. Besonders die so genannten Kreativen (was offensichtlich ein anderes Wort für geschmackliche Einfallslosigkeit ist) tragen nur noch Schwarz.

Schwarz ist die Farbe des Todes und der Trauer (obgleich es Kulturen gibt, bei denen die Trauerkleidung weiß ist), Schwarz ist die Kleidung des Klerus, Schwarz ist die Kleidung der Gelehrten und der Juristen im Mittelalter, Schwarz ist die Farbe der Henker und der spanischen Inquisition, Schwarz (mit der modischen Beigabe eines Totenkopfes) wird die Uniform von Husaren Regimentern und später der SS sein. Und die der blackshirts des englischen Faschisten Sir Oswald Mosley, und auch Mussolini wird sich so verkleiden. Und schon Jahrhunderte zuvor trug die Leibgarde von Iwan dem Schrecklichen schwarze Uniformen (und ritt schwarze Pferde). Irgendwie hat Schwarz etwas Fürchterliches an sich. Wollen alle die, die sich heute einen schwarzen Anzug kaufen, daran anknüpfen? Wenn die Dienstkleidung von Graf Dracula schwarz ist, können wir sagen, dass sich Hollywood das ausgedacht hat, weil niemand von uns bisher Graf Dracula begegnet ist. Vielleicht ist ja Bela Lugosi an dieser ganzen Goth Subkultur schuld, aber mit denen (und den Engeln der Hölle) wollen die Träger des modischen Schwarzes ja nichts zu tun haben. Woher kommt diese neue modische Begeisterung für die Nicht-Farbe?

Im 15. Jahrhundert wird Schwarz die Farbe der Kaufleute werden, der jüdischen wie der christlichen, es ist in einem von Pest und Tod geprägtem Jahrhundert die Farbe der neuen Bescheidenheit und der Tugend. Hundert Jahre später wird Philipp von Spanien der Herrenmode diese Farbe beinahe aufzwingen. Wenn der König diese Farbe trägt, wird auch der Hof von bunter Kleidung Abstand nehmen. Warum sich Philipp im Alter nur noch in dieser Farbe zeigt, die bisher der bürgerlichen gente de capa negra vorbehalten war, weiß man nicht genau. Es kann die Farbe der Trauer über die vielen Todesfälle in seiner Familie sein oder seine Verbundenheit mit dem Planeten Saturn. Die Entdeckung der Melancholie von Dürers Melencolia I bis Robert Burtons Anatomy of Melancholy bringt auch das Schwarz mit sich. Kann man sich Hamlet in quietschegrün vorstellen? Aber das Schwarz der Trauer und das Schwarz der bürgerlichen Kaufleute wird im 16. Jahrhundert  überdeckt durch die Schrecken der Inquisition. Philipp liebte es, natürlich schwarz gekleidet, bei einem auto da fé zuzuschauen.

Die zweite Epoche der Hinwendung zum Schwarz in der Herrenmode ist das viktorianische Zeitalter, selbst die Dandys wie Beau Brummell werden jetzt einfarbig. Und man kann sich nicht vorstellen, dass in der Romanwelt von Charles Dickens Romanfiguren bunte Farben tragen, wenn eine Romanwelt schwarz ist, dann ist es die Welt von Dickens. Wurden zu Anfang des Jahrhunderts die frock coats  noch in allen Farben getragen, so ist ab Mitte des Jahrhunderts schwarz de rigueur. Der Baron Louis Auguste Schwiter, den Delacroix 1826 in elegantem Schwarz malt, ist da sicherlich ein Vorreiter. Als der Prinzgemahl Albert 1861 stirbt, befiehlt die Königin ihrem ganzen Volk, Schwarz zu tragen. Sie selbst trägt für den Rest des Lebens nur noch schwarze Witwentracht. Das Einhalten von rigiden Richtlinien für Trauerkleidung wird im viktorianischen Zeitalter zu einem Kult. Es wird jetzt Kaufhäuser für Trauerkleidung geben, Kleinkinder bekommen schwarze Biesen in die Unterwäsche genäht, und die Firma Courtauld hat einen märchenhaften Aufstieg mit ihrem mourning crape. Es wird eines Tages eine Parlamentskommission geben, die die Auswüchse zu reglementieren sucht. Denn was macht es für einen Sinn, wenn sich die schon arme Bevölkerung immer weiter verschuldet, um die teure Trauerkleidung zu kaufen?

Kleidung für die Trauer kann und soll schwarz sein, das hat sich über Jahrhunderte etabliert. Die Kleidungsstücke für offizielle Anlässe sind schwarz, der Morningcoat (obgleich die Engländer den auch in grau kennen), der Stresemann, der Frack, das Dinner Jacket. Aber braucht man Schwarz für den Rest der Kleidung? Wenn Johnny Cash sich als Man in Black inszeniert hat, ist das sicherlich gut für den Verkauf seiner Alben gewesen. Aber gehen uns die so genannten Kreativen mit ihrem Einheitslook (schwarzer Anzug, weißes Hemd und offener Hemdkragen) und die in Prada-Schwarz gekleideten Tussis nicht langsam auf die Nerven? Irgendwie wünscht man sich doch die Peacock Revolution der Sixties und Seventies zurück.

Das Bild oben zeigt Delacroix' Porträt von Baron Schwiter (der selbst ein Maler war), es ist seit 1918 im Besitz der National Gallery in London. Für alle Dandys und Modeinteressierten kann ich, neben dem Klassiker A History of Men's Fashion von Farid Chenoune, John Harveys Buch Men in Black (University of Chicago Press, 1995) uneingeschränkt empfehlen.

Lesen Sie auch: ➱Schwarz

Sonntag, 28. März 2010

Mein Blog, meine Leser


Meine Leser werden es bemerkt haben, dieser Blog ist ein wenig verändert worden. Es gibt jetzt bunte Bilder, auch rückwirkend bis zum Beginn dieses Blogs am Anfang des Jahres. Den Eisbären, mit dem der kleine Horatio Nelson kämpft, gibt es jetzt auch in Farbe über dem Artikel "Eisbären". Als ich mir gestern Nacht noch einmal das zauberhaft beschwingte Plakat Wonderful Copenhagen von Viggo Vagnby  über dem Artikel "Kopenhagen" anschaute (man sollte dazu unbedingt Wonderful Copenhagen von Dave Brubeck auflegen!), entdeckte ich, dass es für I skovens dybe stille ro einen Kommentar gegeben hatte. Von niemand geringerem als Maggie, die auf YouTube dieses Lied so andächtig und schön singt. Ich hatte Tränen in den Augen, als ich das las. Und habe mir gleich noch einmal ➱I skovens dybe stille ro von Maggie auf YouTube angehört. In solchen Augenblicken merkt man, dass das Internet ein Zwischen-Netz ist, das uns mit vielen Menschen verbinden kann.

Ich habe mittlerweile Leser in Mexiko und Kalifornien, in England und Polen, aber auch in Berlin und in Winsen an der Luhe. Happiness is having your own library card hieß es einmal bei den Peanuts. Nein, das wahre Glück ist es, einen eigenen Blog mit glücklichen Lesern zu haben. Karteikarten in Universitätsbibliotheken habe ich schon genug. Als mir mein Uniinstitut vor einem Jahr zum Abschied meinen alten Mac schenkte, eröffnete es mir völlig neue Wege in die brave new world des Netzes. Zuerst wollte ich nur die Email zu einer literarischen Form machen, aber ein Brieffreund in der Schweiz schrieb mir, ich solle mich nicht mit solchem Kleinkram aufhalten. Wenn ich noch etwas Größeres schreiben wollte, dann sollte ich jetzt damit anfangen. Ich war ein bisschen pikiert und schrieb ihm, dass Fontane auch über siebzig gewesen sei, als er Effi Briest geschrieben habe. Aber insgeheim wusste ich schon, dass es jetzt keine Ausreden mehr gab, und ich meine Autobiographie schreiben musste. Über eine Kindheit im amerikanisch besetzten Bremen, über kalte Wintersonntage im Weserstadion, damals, als die Weser noch zufror. Über die fünfziger Jahre, als Wilhelm Kaisen noch Bürgermeister von Bremen war und man Jazz und Popmusik auf AFN und BFN hören konnte. Und je mehr ich in die Vergangenheit zurückging und überall noch die Schrecken des Krieges und die Spuren der Nazis entdeckte, merkte ich, dass ich noch etwas zum Ausgleich brauchte. Und so begann ich, bei Amazon Bücher zu rezensieren. Bis ich eines Tages einen Kommentar bei der Besprechung der Gedichte von Wilhelm Lehmann fand, der mich zum Blog führte. Zu jemandem, der Morgenländer aber auch Cudo heißt und der aufregend gute Blogs hatte. Das machte mich richtig neidisch. Aber dann stellte ich mir die Frage: warum machst Du das nicht auch? Und dann war's getan noch eh's gedacht, und ich war in der Welt der Blogger. Ich klaute mir bei Statius den Titel Silvae (für irgendetwas muss der Lateinunterricht ja gut gewesen sein) und fing an zu schreiben.

Meine Ausflüge in die Herrenmode bescherten mir neue Leser aus dem exzellenten Dandy Blog von Matthias Pierre Lubinski, und wenn es im Augenblick nicht so aussieht, möchte ich doch diesen Lesern versichern, dass hier irgendwann noch mehr zum Thema Gentleman und Dandy kommen wird. Vielleicht auch noch mehr, was Rolls Royce Besitzer und Rolex Hasser interessiert. On verra, wie der Franzose sagt. As my whimsy takes me ist das Familienmotto von Dorothy Sayers' Helden Lord Peter Wimsey, und as my whimsy takes me könnte sicherlich auch über diesem Blog stehen. Manches mag das sein, was mein Freund Georg mit dem schönen englischen Wort arcane belegt hat. Aber zum Ausgleich hat es hier auch Dackel fressende Killerwelse und Geburtstagsgrüße für Elvis gegeben.

Das da oben ist eine Seite von Publius Papinius Statius Silvae, gedruckt von Simon de Colines im Jahre 1530 in Paris. Meine Silvae sind leichter zu lesen.

Samstag, 27. März 2010

Zeitmessung


Morgen ist es mal wieder so weit: Sommerzeit. Man weiß zwar nicht, wofür es gut ist, aber man fügt sich. Die meisten wissen auch nicht, ob sie ihre Uhren vor oder zurück stellen sollen. Aber im Laufe des Tages erfährt man das ja irgendwie. Dass die Zeitumstellung irgendwelchen Nutzen hat, wird von vielen Wissenschaftlern inzwischen bestritten. In den Nachrichten warnen Förster vor Wildunfällen: der Berufsverkehr ist jetzt eine Stunde früher unterwegs, dem Wild, das über die Straßen wechselt, hat man noch nicht gesagt, dass jetzt Sommerzeit ist. Hirsche, Rehe und Wildschweine müssen sich auch erst an die Zeitumstellung gewöhnen. Diese Radionachricht ist kein verfrühter Aprilscherz, ich habe das selbst vor Jahrzehnten gesehen. Wenn auf dem Truppenübungsplatz Munster das Schießen um 12 Uhr aufhörte, war um fünf nach zwölf das Damwild auf der Schießbahn. Eindrucksvolle Demonstration eines natürlichen Zeitgefühls.

Seit der Chefingenieur der Canadian Pacific Railway, Sandford Fleming, für eine Festlegung der Zeitzonen gekämpft hat, und seit die International Meridian Conference in Washington 1884 die Zeitzonen mit dem Nullmeridian in Greenwich festgelegt hat, haben wir wenigstens einheitliche Zeitzonen. Vorher gab es selbst in Deutschland von Ort zu Ort eine verschiedene Zeit. In der Sternwarte von Greenwich gibt es auf dem Boden eine Markierung für den Nullmeridian, im Flamsteed House ist es eine grüne Leuchtstoffröhre. Flamsteed House heißt nach dem ersten Astronomer Royal John Flamsteed. Der hat viele Dinge am Himmel entdeckt, seine Entdeckungen wurden ihm prompt von Sir Isaac Newton gestohlen. Im Messen der Zeit sind sich die Engländer im 18. Jahrhundert nicht grün, das muss der Autodidakt John Harrison erfahren, der die ersten genau gehenden Uhren der Menschheitsgeschichte bauen wird. Hat nur Ärger mit Nevil Maskelyne, dem Astronomer Royal. Harrisons Uhren H1 bis H4 stehen heute im Museum von Greenwich. Sie gehen auch seit 1933 wieder, seit der Commander Rupert Gould in den zwanziger Jahren angefangen hatte, sie zu reparieren. Zum Nullmeridian ist Greenwich schon 1738 geworden, allerdings hat die Welt das erst 1884 anerkannt. Damals hieß die Zeit noch GMT (Greenwich Mean Time), seit 1968 heißt sie UTC, Universal Time Coordinated. GMT ist als Zonenzeit für die Westeuropäische Zeit geblieben.

Time is money, hat Benjamin Franklin gesagt. Auf dem ersten Half a Dollar Schein, den Franklin 1776 für den Continental Congress entworfen hat, ist die Sonne und eine Sonnenuhr zu sehen. Neben der Sonne steht das Lateinische fugio, unter der Sonnenuhr steht Mind your Business.  Business und Leben werden jetzt abhängig von der Zeit. Wir sind besessen von der genauen Zeit, obgleich wir die eigentlich gar nicht brauchen. Dass die Züge pünktlich abfahren, ist lange vorbei. Die genauesten Schweizer Armbanduhren mit Chronometerzertifikat versagen gegen billige Quarzuhren. John Harrison, der in einem geradezu epischen Kampf gegen Behörden und Konkurrenten (worüber Dava Sobel in Longitude ein schönes Buch geschrieben hat) zu seinem Lebensende endlich den ausgelobten Preis des Longitude Wettbewerbs beanspruchen konnte, würde über eine Quarzuhr nur staunen können. Captain Cook hat mit einer Kopie von Harrisons Uhr No. 4 die Südsee vermessen. Könnte man heute auch mit einer billigen Quarzuhr machen. Die silberne Schweizer Taschenuhr, die sich mein Opa vor hundert Jahren zur Hochzeit gekauft hat, geht heute immer noch. Dass eine billige Quarzuhr in hundert Jahren noch geht, wage ich zu bezweifeln.

Genau gehende Uhren kosteten früher ein Vermögen und waren nur etwas für die so genannten besseren Leute, heute ist die Zeitmessung demokratisiert. Man bekommt eine genau gehende Quarzuhr heute schon als Werbegeschenk. Aber dennoch kann die Zeitmessung ins Geld gehen. An einer (hier nicht zu nennenden) deutschen Universiät fielen vor Jahren die Uhren in Hörsälen und auf Fluren aus. Solche Uhren werden gesteuert von einer so genannten Mutteruhr, wenn diese elektrisch gesteuerte Hauptuhr eine Macke hat, können auch alle anderen Uhren auf dem Campus nicht mehr richtig gehen. Als nach einer Woche die Universität immer noch zeitlos war, rief ein Dozent (der auch Uhrensammler war) den zuständigen Referenten an, um ihm zu sagen, dass er einen tüchtigen Uhrmacher habe, der sich auch mit Elektrouhren auskenne. Der Referent druckste am Telephon herum und sagte dann, man habe beschlossen, billige Quarzuhren für die Hörsäle anzuschaffen. Das Jahresende sei nahe, und man habe noch Geld im Etat. Man nennt dieses Phänomen in Behörden auch Novemberfieber, die Haushaltsmittel müssen ausgegeben werden, weil die einzelnen Titel nicht ins neue Jahr übertragen werden können. Ein Mitarbeiter einer italienischen Universität soll in dieser Situation einmal 13.000 Kugelschreiber gekauft haben. Aber, sagte der Referent, Ihr Uhrmacher kann die Uhr gerne abbauen und sie behalten. Was der auch tat. Die Mutteruhr in der Größe von zwei Gefrierschränken stammte von der Firma Patek-Philippe in Genf. Die bauen die feinsten (und teuersten) Uhren der Welt. Eine solche Uhr steuert die Uhren des Schweizer Parlaments, alle Uhren im Vatikan. Und auch die Uhren des englischen Parlaments werden von eine Patek-Philipp gesteuert. Auf so etwas kann man ja gerne verzichten, wenn man in Schilda wohnt und vom Novemberfieber besessen ist. An der Patek war, wie ein elektrisches Durchmessen ergab, lediglich ein elektrischer Widerstand kaputt. Großhandelspreis 60 Cent. So billig kann die Zeit sein. Die billigen Quarzuhren, die die Universität angeschafft hatte, haben nie richtig funktioniert.


*Das Bild oben zeigt die Harrison H1 von 1735. Wenn Sie ganz viel Geld haben, baut Ihnen die Firma Sinclair Harding in England die H1 nach.

Donnerstag, 25. März 2010

Briefwechsel


Er verbreitet liberale und patriotische Gesinnung im Staate, er hilft zur Bildung einer öffentlichen Meinung, aber man wird bei Betrachtung seines Lebens den Eindruck nicht los, als sei er ein Bürger derer, die da kommen werden, gewesen: ein Journalist vor der Zeit der Journale, ein Reisender vor der der Reisen, ein Culturhistoriker vor der der Culturgeschichte, vielleicht auch ein Oppositionsmann vor der Existenz einer politischen Opposition. Jeder dieser Sätze, den Ferdinand Frensdorff, der beinahe hundert Jahre alt wurde, 1890 in der Allgemeinen Deutschen Biographie schrieb, trifft zu. Allerdings ist der so beschriebene heute beinahe vergessen. Der Journalist vor der Zeit der Journale, der Kulturhistoriker vor der Erfindung der Kulturgeschichte setzt 1776 im Vorwort zu dem Neuer Briefwechsel historischen und politischen Inhalts, bescheiden ein Prof. hinter seinen Namen. Universalgelehrter wäre zutreffender gewesen. Er ist Ordinarius in Göttingen, eine der eigentümlichsten und originellsten Gestalten der an Gelehrten in der Aufklärung nicht armen Universität. Sein Name ist August Ludwig von Schlözer. Den erblichen Adelstitel hat ihm der russische Zar Alexander für sein Werk über die russische Geschichte verliehen. Er ist ein beliebter Professor gewesen. In einer Zeit, als eine Vorlesung daraus bestand, dass die Professoren aus ihren meist langweiligen Werken vorlasen, redete er über die Wirklichkeit der Welt. Sein Wissen kam nicht nur aus Büchern. Er war weit gereist, sprach mehrere Sprachen. Heute würde er auf den Seiten von MeinProf.de Traumnoten bekommen. Seine Schüler wie der Reichsfreiherr vom und zum Stein und Karl August von Hardenberg, die das moderne Preussen geformt haben, sind ihm immer dankbar gewesen.

1776 beginnt er in Göttingen, im Verlage der Vandenhoeckschen Buchhandlung, mit seinem Briefwechsel eine erstaunliche Publikation, die sich bis 1782 halten wird. Sie wird nicht frei von Fehlern sein, da bittet der Verfasser um Nachsicht: Aber was ich wünsche, kan ich mir nicht selbst leisten, sondern muß es von fremder Güte erwarten, schreibt er am 9. Oktober 1781 in der Vorrede zu seinem Briefwechsel. Dessen Programm hatte er 1776 unter dem Punkte 5 der Anzeige mit einem Satz umrissen: Mit dem Allerneuesten wird Neues und Altes, mit dem Unbekannten wird das bereits aber ohne Detail und Präcision Bekannte, mit dem allgemein Lesbaren werden nur dem respective Kenner werthe, und folglich respective langweilige Aufsätze, mit blossen Nachrichten endlich werden ausgearbeitete und mit unter wol gar kritische politische Untersuchungen abwechseln: auf daß, wo möglich, jeder Heft für jede Klasse von Lesern, oben vom praktischen Staatsgelehrten an bis zum bloßen Zeitungsleser herab, wenigstens etwas enthalte. Die können noch inhaltsreiche Sätze schreiben, diese Aufklärer. Heute hätte Schlözer einen Blog, da bin ich mir ganz sicher. Das erste Heft beginnt mit einer Statistik der Volksmenge der Ukraine, einem Verzeichnis der Königlich preußischen Armee, einem Artikel über die Abschaffung der Tortur in Österreich (in französischer Sprache) und einem Bericht über den Aufruhr in Amerika. Wenn Schlözer da über den Herrn Franklin dieser warme aufgeklärte und ehrliche Verteidiger der Nord-Amerikaner schreibt, dann wissen wir auch, auf wessen Seite sein Herz ist. Allerdings findet sich im V. Heft auch der Aussöhnungs-Plan zwischen Großbritannien und Nord-Amerika von John Lind, der die amerikanische Revolution nicht gutheißen konnte. Wer einen Background für E.T.A. Hoffmanns Erzählung Die Bergwerke von Falun haben will, findet hier auf S. 274-277 alles über das schwedische Kupferbergwerk. In Schweden ist Schlözer lange gewesen, hat sogar Schwedisch gelernt. Und wenn sich in seinem Briefwechsel ein Artikel über die Kamczatka findet, kann man bei dem Russlandexperten Schlözer sicher sein, dass er den Artikel des Hauptmanns Timotheus Schmalev sachkundig kommentiert.

Das ganze Wissen von der Welt im Jahre der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung findet sich in den ersten sechs Heften des Briefwechsels. Leider habe ich nur diesen Band (glücklicherweise kann man heute alles andere bis 1782 im Internet lesen). Aber die sechs Hefte, die ich einmal für eine Mark im Grabbelkasten eines Antiquariats fand, haben mir zu einer kuriosen Bildung für das 18. Jahrhundert verholfen. Niemand spielt mehr mit mir Trivial Pursuit. Wenn man wissen will, was ein Oberst in einem hannöverschen Bataillon im englischen Sold, das nach Gibraltar beordert wird, verdient: hier kann man es nachlesen. Es sind monatlich 18 Pfund, 4 Shilling und 3 Pence. Davon gehen aber noch Versicherungsbeiträge für das Invalidengeld und die Officier-Witwenkasse ab. Das ohne Detail und Präcision bekannte, erfährt in Schlözers Werk sowohl Detail als auch Präzisierung. Und neben allen Fakten und Statistiken immer wieder die Kommentare von Schlözer, die dem Leser zeigen, dass hier ein Aufklärer am Werk ist, der das sapere aude Wirklichkeit werden lässt. Und so ganz nebenbei eine Kulturgeschichte des ausgehenden 18. Jahrhunderts schreibt, in der hannöversche Obristen und der englische Dr. Richard Price ihren Platz haben, ebenso wie die Engl. Ostindische Compagnie und der Fluss Berezyna. Der bedeutet vielen Lesern 1776 noch nichts, auch nicht dem kleinen Napoleon Bonaparte, der damals sieben ist. 1812 bedeutet ihm der Name des Flusses doch schon etwas. Bevor Napoleon die Beresina kennen lernt, lernt er Schlözers Tochter Dorothea auf einem Ball kennen. Vom Vater dazu ausersehen, ein Wunderkind zu werden. Mit siebzehn die erste weibliche Doktorin der Universität Göttingen. Aber Napoleon hätte früher die Schriften des Vaters (der Napoleon hasste) lesen sollen. Andere Herrscher haben die Werke des größten Russlandexperten seiner Zeit gelesen. Der österreichische Kaiser Josef II. und die Kaiserin Maria Theresia haben Schlözers Briefwechsel und die später erschienenen Staatsanzeigen regelmäßig gelesen. Maria Theresia hat angesichts der polnischen Teilung ausgerufen Was wird Schlözer dazu sagen?

Mittwoch, 24. März 2010

Shelley


Als er in Oxford studiert, sitzt der Sohn eines Landadligen in jeder freien Minute an einem Tümpel und lässt Papierschiffchen über das Wasser treiben: He twisted a morsel of paper into a form that a lively fancy might consider a likeness of a boat, and committing it to the water, he anxiously watched the fortunes of the frail bark, which, if it was not soon swamped by the faint winds and miniature waves, gradually imbibed water through its porous sides, and sank. Er wird die Kunst des Papierschiffchenfaltens perfektionieren und wird immer von Booten aller Art fasziniert sein. Aber er wird niemals lernen, wie man mit einem Segelboot richtig umgeht. Er kümmert sich nicht um solche Petitessen, er ist ein Dichter. Er wird auch niemals die Kunst des Schwimmens erlernen. Während er an seinem Teich in Oxford eine kleine Armada von Papierschiffchen faltet, träumt er sich (wie später, wenn er an der Pinne eines Segelbootes sitzt und dabei Gedichte liest) aus der Wirklichkeit hinweg. In der Zeit, die er mit Träumereien und Papierschiffchenfalten vertändelt, hätten andere einen Segelschein und die Freischwimmerprüfung gemacht. Aber Dichter wie Percy Bysshe Shelley stehen über diesen Dingen. Die schreiben neben dem Spiel mit Papierschiffchen ein Traktätchen über den Atheismus und fliegen damit nach einem halben Jahr in Oxford raus. Und verunglücken dann Jahre später beim Segeln in Italien und ertrinken im Mittelmeer.

Lord Byron dagegen kann richtig segeln. Und er kann auch schwimmen, stundenlang. Kommt nachts aus der Oper, wirft den Frackmantel ab, springt in den Canale Grande und schwimmt nach Hause. Würde er heute nicht mehr tun, ist zu dreckig. Als Shelley England wegen allerlei Skandalen verlässt, schmeißt er sich erstmal an den bewunderten älteren Dichter heran. Der hat England auch gerade wegen allerlei Skandalen verlassen. Aber bei einem echten Lord und berühmten Dichter nimmt man das freiwillige Exil in Italien als Teil des Mythos hin, beim Sohn eines einfachen Baronets, der gut Papierschiffchen falten kann und gerne Dichter sein möchte, ist es eher peinlich. Byron nimmt Shelley mit zum Segeln auf dem Genfer See, bei Sturm und Gewitter. Shelley hat eine Höllenangst. Byron kann da nur lachen, er hat keine Angst. Und er kann schwimmen. Er empfiehlt dem Jüngeren, schwimmen zu lernen.

Shelley möchte nur in einem Boot über das Wasser gleiten, dabei Gedichte lesen und die Welt vergessen. Er kauft sich 1822 ein Boot, das er zuerst Don Juan nennt, nach der Dichtung von Byron. Er könnte sich ja ein Boot mieten, er muss aber unbedingt selbst eins haben, weil Lord Byron auch ein Boot hat. Als er sich von Byron abwendet, tauft er die Don Juan in Ariel um, so etwas bringt nur Unglück. Erst versucht man den Namen Don Juan, den ein gewisser Captain Roberts auf Byrons Geheiß in das Segel gemalt hat, mit Terpentin auszuwaschen, dann schneidet man den Namenszug heraus und flickt das Segel. Das kann ja nichts werden. Den Namen Ariel gibt der Franzose André Maurois auch seiner Shelley Biographie von 1924, die mit unserem romantischen Dichter und Weltverbesserer nicht sehr nett umgeht. Shelley wird mit der Ariel bei einem Gewittersturm verunglücken. Als man seine Leiche Tage später am Strand findet, hat Shelley einen Gedichtband von John Keats in der Tasche seiner Jacke. In der anderen Jackentasche ist ein Band Sophocles. So etwas kann einen schon in die Tiefe ziehen.

Byron und sein neuer Freund Edward Trelawney werden die halb verweste Leiche von Shelley am Strand verbrennen. Danach schwimmt Byron erst einmal stundenlang im Meer. Das Herz von Shelley wird Trelawney aus den Flammen reissen und es Mary Shelley geben, eingepackt zwischen die Seiten von Shelleys Adonais. Mary Shelley wird es ihr Leben lang aufbewahren, es wird mit ihr beerdigt werden. Wenn die Romantiker eins können, dann ist es, einen Kult mit den Toten zu zelebrieren. Wenn auch eine konservative englische Zeitung nach dem Tod von Shelley höhnte Shelley, the writer of some infidel poetry, has been drowned, now he knows whether there is a God or not, nach dem Tod wird Shelley wirklich berühmt. Seine Grab ist auf dem protestantischen Friedhof von Rom. Auf der weißen Steinplatte stehen drei Zeilen von Ariel's Song aus Shakespeares Tempest: Nothing of him that doth fade/ But does suffer a sea-change/ into something rich and strange. John Keats liegt nicht weit von ihm. Der Friedhof ist voll von prominenten Toten, der Sohn von Goethe liegt auch hier.

Lord Byron, mit dem sich Shelley entzweit hatte, wird seinen Freund in einem Brief an seinen Verleger John Murray als without exception the best and least selfish man I ever knew bezeichnen. Ähnliches hatte er Murray schon vier Monate vorher geschrieben. Nein, Byron ist nicht schuld am schlechten Ruf den Shelley in England hat. Er kümmert sich auch um die Witwe. Das Sofa, das sie aus Byrons Villa (wo die Shelleys vorher gewohnt hatten) gerne hätte, das bekommt sie aber nicht, das ist seins. Er kauft ihr aber ein anderes. Eigentlich ist es rührend, wie er sich um sie kümmert. Byron gibt Leigh Hunt (den er nicht ausstehen kann) auch das Geld für Mary Shelleys Heimkehr nach England. Das erfährt Mary aber nie, da Hunt das Geld für sich behält. Jahre nach Byrons Tod wird er in Lord Byron and some of his contemporaries den Dichter, der ihn und seine unerzogenen Kinder (They are dirtier and more mischievous than Yahoos, hatte Byron an Mary Shelley geschrieben) immer durchgefüttert hatte, öffentlich schmähen. Aber diese Schrift markiert auch den endgültigen Untergang von Hunt.

In seinem Liebesgedicht Epipsychidion an die schöne Italienerin Emilia Viviani möchte der Dichter mit seiner Emily über the sea's azure floor in einer bark as an albatross segeln, along the boundless Sea, bis in die Aegaeis. Da ist Shelley nur in seiner Phantasie gewesen. Lord Byron war da wirklich. Ist da auch geschwommen, sogar über den Hellespont. Da gibt es jetzt im Mai zur Zweihundertjahrfeier ein Byron Swim Festival. (Für dichtende Schwimmer oder schwimmende Dichter: alles weitere ➱hier. Der 13. Lord Byron wird auch da sein). Als Byron 1810 über den Hellespont schwimmt, faltet Shelley noch in Oxford Papierschiffchen. Er hätte doch lieber schwimmen lernen sollen.

In der Zeile 591 von Epipsychidion (wenn der Leser diese Zeile erreicht hat, dann ist das Gedicht gottseidank auch gleich zu Ende) stehen die Worte: I pant, I sink, I tremble, I expire! Irgendwie passend für Nichtschwimmer. Mary Shelley konnte nach Shelleys Tod mit großer Befriedigung feststellen, dass die platonisch angebetete Emilia eine ganz ordinäre italienische Tussi war (und das Schwergewicht liegt hier auf ordinär). Shelley betet ständig Frauen an, aber er hat von Frauen in Wirklichkeit keine Ahnung. Das ist bei ihm wie mit dem Segeln.

Dienstag, 23. März 2010

Untergang


Als Joseph Conrad über die Welt der Segelschiffe schreibt, ist diese Welt schon dem Untergang geweiht. Große Literatur scheint immer vom Untergang einer Welt zu handeln. Als Thomas Malory Le Morte D'Arthur schreibt, ist es mit dem Rittertum nicht mehr weit her (und Sir Thomas sitzt im Gefängnis). Als Melville in Moby-Dick über den amerikanischen Walfang schreibt, hat der seinen Höhepunkt längst hinter sich. Die Pariser Aristokratie von Prousts Suche nach der verlorenen Zeit ist längst bedeutungslos geworden, ebenso wie die Großgrundbesitzer von Yoknapatawpha County, über die William Faulkner schreibt. Von der sterbenden k.u.k. Aristokratie von Joseph Roth gar nicht zu reden. Joseph Conrad kennt die Welt der Segelschiffe, er ist jahrelang zur See gefahren. Wenn es auch lange gedauert hat, bis er sein erstes Kommando bekam und master next to God wurde.

Master next to God: Kapitäne dürfen ja offenbar alles. Trauungen vornehmen, Meuterer festsetzen und als letzter von Bord gehen. Sie dürfen eigentlich mit einem Schiff der White Star Line keine Eisberge rammen, tun es aber dennoch. Sie dürfen als Kapitän eines ZDF Traumschiffes allen möglichen B-Promis wie Harald Schmidt einen Platz auf ihrem Schiff geben und werden nicht (wie der ehemalige  Traumschiff Kapitän in der Wirklichkeit) von der Wasserschutzpolizei festgenommen, weil sie Luxusyachten beklauen. Kapitäne sehen immer so aus wie Graf Luckner oder Heinz Weiss oder Siegfried Rauch. Ihre Kommandogewalt scheint irgendetwas mit dem Gottesgnadentum der Könige zu tun haben, man weiß nicht so recht, wie es zu dieser Akkumulation von Rechten gekommen ist. Und die Kontrollinstanz der Seeämter, die man im 19. Jahrhundert einsetzt, wird in ihren Urteilssprüchen die Macht der Kapitäne nur noch zementieren. Das 19. Jahrhundert erfindet den mythischen Idealkapitän, der allen Situationen, auch der des Untergangs, gewachsen ist.

Nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch vor den Seeämtern geriet der Untergang eines Schiffes gelegentlich zur glorreichen Auferstehung dessen, der zuletzt von Bord gegangen war: des Kapitäns. Sagt Ulrich Welke, der mit seinem Buch Der Kapitän eins der interessanten Bücher über die Erfindung einer Herrschaftsform geschrieben hat. Die Ausbildung der Kapitäne wird jetzt immer wissenschaftlicher, und man achtet bei Reedereien und Seeämtern jetzt auch auf die charakterlichen Fähigkeiten des Schiffsführers. Und das gute Benehmen, damit lag es ja Jahrhunderte lang im Argen. Schon seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert finden sich Bemühungen an den Navigationsschulen für Steuerleute, Bildung und sozialen Stand der Seeleute zu heben. Die königliche Order für die Errichtung der Danziger Navigationsschule aus dem Jahre 1817 spricht da von jungen Leuten, die sich zu etwas Besserm als bloßen handwerksmäßigen Steuerleuten und Schiffern ausbilden wollen. Und es wird dann auch den Reedern sehr daran gelegen sein, ihre Häuser im Auslande würdig durch den Capitain repraesentiret zu sehen. Irgendwann werden wir Photos von Kapitänen finden, die sich nicht mehr in Uniform grimmig in Szene setzten, sondern sich eher weltmännisch inszenieren. So wie der Kapitän Carl Alm von der Bark Germania, der uns auf einem Photo als Geigenvirtuose entgegentritt. Obgleich dieses Bild für die Leser von Joseph Conrad zwiespältige Assoziationen erwecken wird, weil sie an den toten Kapitän von The Shadow Line denken müssen, der immer Geige gespielt hat.

Bildung, Charakterstärke und gutes Benehmen besitzt Joseph Conrad schon, als er sich zu einem der zahlreichen Examina der Kapitänsprüfung einfindet. Englisch kann er inzwischen auch. Sein Prüfer ist gefürchtet, das weiß Conrad schon. Der Prüfer versetzt Conrad auf einem imaginären Schiff in immer neue gefährliche Situationen. Da hilft es Conrad auch nicht, ihn milde darauf hinzuweisen, dass er sich niemals mit einem Schiff in eine solche Lage gebracht hätte. Conrad ist jetzt schon im Geiste bereit, seinen Platz als Kapitän des imaginären Unglücksschiffes mit einem Platz auf dem Fliegenden Holländer zu tauschen, als ihn sein Prüfer ihn in eine noch gefährlichere Situation bringt. Legerwall vor holländische Sandbänke. Ausweglos. Nothing more to do, eh? fragt ihn sein Prüfer. No sir, I could do no more, sagt Joseph Conrad. Worauf sein Prüfer sagt You could always say your prayers. Das ist natürlich immer eine Möglichkeit, beten. In Bremen kursiert eine Geschichte, wo ein Steuermann in seiner Prüfung in eine ähnliche Lage versetzt wird. Der ist schon jahrelang zur See gefahren, jetzt soll er die Prüfung nach §19 der Vorschriften über den Nachweis der Befähigung als Seeschiffer und Seesteuermann auf Deutschen Kauffahrteischiffen ablegen. Er kennt seinen Prüfer, er kann den nicht ausstehen. Der hat keinerlei Praxis als Fahrensmann. Und als der ihn mit dem imaginären Schiff in der Prüfung in eine lebensgefährliche Situation bringt und mit bösartigem Hohn in der Stimme fragt Und wat nu? da antwortet unser Seebär: Nu heff ik die Büx voll. Und setzt hinzu Und Du, Du hest di schon vor 'ne halben Stunde de Büx vollschieten. Vom Beten ist jetzt nicht mehr die Rede.

Viele der Kapitäne in der Romanwelt von Conrad scheitern an den Ansprüchen des Kapitänideals, wie der Geige spielende Kapitän in The Shadow Line, wie Jim in Lord Jim, der sein Schiff zu früh verlässt. Aber manche sind auch geradezu die Verkörperung des Mythos vom Kapitän, der sich durch nichts außer Ruhe bringen lässt. Wie der schweigsame Kapitän MacWhirr in Typhoon, der seinen Steamer Nan-Shan durch einen Taifun steuert. Es hat ihn nicht wirklich gegeben, sagt Conrad: He is the product of twenty years of life. My own life. MacWhirr ist der Ideal eines Kapitäns, der aber mit seiner Unauffälligkeit nichts Romantisches, Flamboyantes an sich hat. Er kann als Seemann alles. Außer seinen Schirm beim Landgang aufrollen, das macht sein Erster Offizier Jukes dann für ihn. Und der Orkan with its power to madden the seas, to sink ships, to uproot trees, to overturn strong wall and dash the very birds in the air to the ground, entringt dem schweigsamen MacWhirr nur einen Satz: I wouldn't like to lose her.

Wenn man dem Taifun und dem Untergang des Schiffes entgehen will, dann bleibt man am besten zuhause. Hinrich Imhoff aus Moorlosen Kirche an der Weser will zur See. Der Vater hätte ihn gerne zuhause als Nachfolger auf dem Bauernhof und als Wirt der Gastwirtschaft. Die Imhoffs sitzen da schon seit Jahrhunderten. Aber Hinrich fährt zur See, als Schiffsjunge, Leichtmatrose. Dann geht er in Bremen auf die Steuermannschule und besteht auch die Prüfung. Und da sagt ihm sein Vater So, nu hest Du Di den Wind jo all ordentlich um de Ohren weihn loten, hest allerlei sehn un ok son beten belevt: Nu bliev man bi mi in't Huus. Hinrich Imhoff bleibt zuhause. Vielleicht hat der Vater Recht, er kennt die See. Und Beten hat er auch gelernt. Als die Bark Western Chief im Atlantik unterging, hat ihm der Bootsmann ein Gebetbuch mit ins Boot gebeten. Wäre schade, wenn das mit dem Schiff unterginge. So kann Hinrich Imhoff im Rettungsboot tagelang Gebete lesen, bis sie von einem spanischen Schoner gerettet werden. Das ist in dem Jahr, in dem Conrad Typhoon schreibt. Vielleicht hat die Zeit als Schiffbrüchiger und die lange beschwerliche Heimreise über die West Indies und New York in dem jungen Hinrich Imhoff den Gedanken reifen lassen, dass eine Kneipe am Weserdeich vielleicht doch nicht so schlecht wäre. Die Gaststätte wird danach noch über hundert Jahre im Familienbesitz sein. Als sie 2008 schließt, sind schon alle Großwerften an der Weser lange Pleite und alle Schiffe gesunken, auf denen Imhoff gefahren ist.

Das Bild ganz oben zeigt die berühmt-berüchtige Mary Celeste als sie noch Amazon hieß und noch kein Geisterschiff war. Das zweite Bild zeigt die Otago, auf der Joseph Conrad gefahren ist.

Montag, 22. März 2010

Plagiate


I am an American, beginnt der seltsame Fremde, den der Tourist in Warwick Castle getroffen hat, seine Erzählung. Er kommt aus Hartford, a Yankee of Yankees. Er hat in der größten Fabrik von Hartford gearbeitet, die gehört Samuel Colt. Der stellt unter anderem ein Produkt her, das den schönen Namen peacemaker hat, Amerikaner machen immer Frieden mit dem Colt. ➱Samuel Colt und seine Gattin Elizabeth sammeln auch Kunst, die sie dem Wadsworth Atheneum in Hartford vermachen werden, dem ersten amerikanischen Kunstmuseum. Unser Yankee aus Connecticut ist Superintendent in der Fabrik von ➱Colt, er ist ein klein wenig gewalttätig, wie das Yankees offensichtlich sind: a man like that is a man full of fight - that goes without saying. Bei einem Streit bekommt er eins über den Kopf und wacht im Jahre 513 im England des König Artus wieder auf.

Als er ein großes Schloss mit Türmen und Zinnen sieht, erkundigt er sich bei seinem Begleiter Iranistan? Nein, sagt der, Camelot. Unter Camelot kann sich unser Yankee nichts vorstellen, unter Iranistan schon. Das war der Landsitz, den sich P.T. Barnum, der Zirkuskönig, in Bridgeport hatte bauen lassen. Das 19. Jahrhundert hat ja diese Manie, sich mittelalterliche Schlösser zu bauen, nicht nur in England. Wir sind in der Welt von Mark Twains Roman A Connecticut Yankee in King Arthur's Court. In Bridgeport und Hartford kennt Mark Twain sich aus, er wohnt in Hartford und in der Fabrik von Colt hat er seine Typesetting Machine bauen lassen. Mit der wollte er Millionen verdienen, aber sie war ein technischer Irrweg. Mark Twain verliert viel Geld mit der Erfindung.

Unser Fremder aus Connecticut landet erst einmal auf dem Scheiterhaufen, aber bevor der angezündet wird, zaubert unser Autor eine Sonnenfinsternis herbei. Hank Morgan erinnert sich how Columbus, or Cortez, or one of those people, played an eclipse as a saving trump card once, on some savages, and I saw my chance. I could play it myself now; and it wouldn't be any plagiarism, either, because I should get it in nearly a thousand years ahead of those parties. Dass Mark Twain das Wort plagiarism in diesem Satz unterbringt, ist sicherlich nicht ohne Bedeutung. Wenn Hank Morgan vom Tod auf dem Scheiterhaufen gerettet ist, organisiert er das Zeitalter von König Artus neu, mit Telephon und elektrisch Licht. Er fühlt sich wie Robinson Crusoe, if I wanted to make life bearable I must do as he did -  invent, contrive, create, reorganize things; set brain and hand to work, and keep them busy. Well, that was my line

Kaum war Mark Twains Roman erschienen, da gab es die ersten Plagiatsvorwürfe. Ein Journalist namens Charles Heber Clark erinnerte 1889 daran, dass in seiner Erzählung The Fortunate Island ein Soziologieprofessor auf einer Insel im Atlantik auch schon Telephon, Telegraph und Eisenbahn installiert hatte. Mark Twain wies alle Vorwürfe von sich, zwar gäbe es vielleicht so etwas wie unconscious plagiarism, aber die Erzählung The Fortunate Island hätte er gar nicht gekannt, als er seinen Roman schrieb. Er konnte das mit so schöner Sicherheit sagen, weil er die ganze Sache mit der Sonnenfinsternis bei jemand ganz anderem geklaut hatte. Der hieß Sir Henry Rider Haggard, und der hatte ihm damals seinen Roman King Solomon's Mines mit einer netten Widmung geschickt. Da können Alan Quatermain und sein Gesellen sich nämlich auch mit der Voraussage einer Sofi wie Columbus auf seiner vierten Reise aus einer brenzligen Lage befreien. Ich habe das vor Jahrzehnten durch Zufall, als eine Lesefrucht, wie man so schön sagt, entdeckt. Habe es gleich einem Professor erzählt, der das sofort (ohne mich zu zitieren) veröffentlicht hat. Sozusagen ein doppeltes Plagiat. Manchmal wünscht man sich, dass es einen Scheiterhaufen für klauende Akademiker gäbe, und dann viele Streichhölzer - wenn mal gerade keine Sonnenfinsternis zur Hand ist.

Die ganze Wunderwelt der Technik, die unser fortschrittsgläubiger Yankee im Königreich von Artus installiert, führt am Ende des Roman nur zu Tod und Vernichtung. Zivilisationskritik im technischen Zeitalter? Sicherlich, aber auch Mark Twains Enttäuschung darüber, dass seine Druckmaschine, in die er mehr als 150.000 Dollar installiert hatte, ein Flop war. Der Roman über den Yankee war auch ein Flop. Die Attacke auf die in den Arthurian Romances verherrlichte Welt kam in England nicht so gut an. Das 19. Jahrhundert liebt nun mal die sentimentalen Ritterromane oder Tennysons Idylls of the King. Die liegen selbst bei der Königin Victoria auf dem Nachttisch. Eine lesende Königin, schon lange vor Alan Bennetts The Uncommon Reader. Aber nicht nur die Königin Victoria sehnt sich nach einer sentimentalen Vergangenheit when knighthood was in flower (ein Roman mit diesem Titel erschien zehn Jahre nach dem Connecticut Yankee in Amerika). Auch Mark Twain träumt von der Vergangenheit, der pathetic past, the beautiful past, the dear and lamented past, wie er in seiner Autobiographie sagt. Allerdings führt ihn seine Sehnsucht nach der Vergangenheit zurück auf den Mississippi zu dem kleinen Huck Finn. Wenn in dieser Welt ein king und ein duke auftauchen, dann können wir sicher sein, dass es Kleinkriminelle sind.

Samstag, 20. März 2010

Rennert the Rhymer


Rennert the Rhymer
is an old-timer;
he'll rhyme away
your time of day
and rarely shun
Ye Ghastly Pun.
Good thing his verse
is fairly terse,
for some will bore us
enough to floor us.

Wir haben im Deutschen ja nicht diese wunderbare Tradition des nonsense verse (wenn wir mal Ringelnatz ausnehmen) wie ihn die Engländer haben. Die Engländer haben Lewis Carroll und Edward Lear mit seinen Limericks. Und Spike Milligan. Und Edmund Clerihew Bentley, der schöne Detektivromane geschrieben hat und den clerihew erfunden hat. Der einzige, den wir haben, der da wirklich mithalten kann, ist Erwin Rennert gewesen. Der ist im letzten Jahr in Wien gestorben. Als er dreizehn war, haben ihn seine Eltern mit seiner Schwester Silvia zu einem Cousin der Eltern in die USA geschickt. Wenn er sechs Jahre später wieder nach Europa kommt, ist er Soldat in der US Army. Seine Eltern sind da schon tot, 1942 nach Minsk verschleppt und dort ermordet. Nach dem Krieg hat er in New York Literaturwissenschaft studiert und ist Hochschullehrer geworden. 1961 ist er in seine Heimatland zurückgekehrt und ist 15 Jahre lang Kulturreferent der United Nations in Wien gewesen. Im Jahre 2000 hat er seine Memoiren, Der Welt in die Quere, veröffentlicht. Leser hat er für so wunderbare Bücher wie Ein Hund, der auf Limericks scharf ist, Lifestyle Limericks und Wirrwarrverse gefunden. Wenn das Leben eine Tragödie ist, kommt man aufs Komische.

Versification is not what 
it used to be. It was a lot
of fun well into Kipling's time
to versify with proper rhyme.
I know a man who does it still -
when no one watches him, he will
sit down in comfort, fully bent
on rhyming to his heart's content.

Der da in Poetic Licence, or, Brother Can You Spare A Rhyme? zu uns spricht, ist wahrscheinlich Erwin Rennert selbst, der compulsive rhymer. Wenn die Welt aus den Fugen ist, wird die Welt der Imagination vom Reim zusammengehalten. Viele seiner kleinen Gedichte beziehen sich auf die Klassiker der englischen Literatur, wie zum Beispiel, wenn der March Hare aus Alice in Wonderland bei Dr. Freud auf der Couch sagt:

I was formerly
quite normerly,
but am latterly
mad-hatterly.

Und er setzt dann beim Leser auch schon mal voraus, dass der seinen Ulysses gelesen hat (oder zumindest Molly Blooms grossen inneren Monolog vom Ende des Romans, wenn er dichtet:

Jimmy Joyce,
nearly blind,
has his voice 
still, and mind:
quotes Ulysses
to his missis.
(Molly Bloom
makes her fume.)

Der Meister im Plazieren schräger Pointen kann das alles natürlich auch auf Deutsch, wenn er den Nonsens durch die Skurrilitätsmühle dreht und so zur bizarren Meisterschaft weiterentwickelt hat, wie ein Kritiker schrieb. Und die Wiener Zeitung schrieb über ihn: Er lernte in zwei Sprachen witzig zu sein - eine Fähigkeit, über die viele Menschen nicht mal in einer Sprache verfügen. Und für alle diejenigen, die den ganzen Wagnerkult nicht ausstehen können, sei hier zum Abschluss noch das Gedicht Fafnir folgt dem Ruf nach Bayreuth zitiert:

Ich legendäres altes Biest
hiermit nun dem bekunde,
der diese Zeilen freundlich liest:
Mich juckt meine alte Wunde.
Sie stammt von Siegfrieds Ungebühr
(tat mich mein Leben kosten) -
nun winkt in Bayreuth mir dafür
ein krisenfester Posten.

Freitag, 19. März 2010

Nero singt


Bevor Nero Rom anzündet, singt er erst einmal. Auf jeden Fall tut das Peter Ustinov in Quo Vadis. Da erhebt er sich von seinem spätrömischen Dekadenzlager und greift zur Lyra. Er singt ein Lied in englischer Sprache, weil das die spätrömischen Dekadenzherrscher eben so tun. Mit Latein kann man in Hollywood nichts werden. Er singt, wie nicht anders zu erwarten ist, ein Lieder über das Feuer:

Oh, lambent flame
Oh, force divine
Oh, omnivorous powers
Hail!
None is there swifter to bring destruction,
Yet carefree as a child
Thou with wild breezes playing
The old Troy shall be no more because of thee,
Thou harvester that strips the soil
For men to sow new crops
Oh, lambent flames
Oh, force divine
Oh, omnivorous power 
Hail!

Jetzt hilft es auch nicht mehr Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd' andre an! zu murmeln. Roms Schicksal ist besiegelt. Nun ist Hollywood ja nicht unbedingt der beste Historiker, vor allem nicht in diesen Monumentalfilmen. Über deren ungekrönten König Cecil B. DeMille gab es einmal ein wunderbares kleines Spottgedicht:

Cecil B. DeMille
Rather against his will
Was persuaded to leave Moses
Out of the War of the Roses

DeMille hat es mit Humor genommen, er zitiert die Verse sogar in seiner Autobiographie. Aber was singt Ustinov da, stammt die Musik von Miklós Rózsa? Der hat ja auch die Musik zu Ben Hur und anderen blockbusters geschrieben. Hat er sich hier spätrömisch dekadente Töne ausgedacht? Die Antwort ist einigermassen verblüffend. Wenn irgendetwas in dem Film halbwegs authentisch ist, dann ist es die Melodie, die Ustinov singt. Die stammt von der Seikilos Stele und ist in mixolydischer Tonart die älteste erhaltene Notation der Musikgeschichte. Das hat Rózsa natürlich gewusst, denn er hat Musik studiert und ist ein seriöser Komponist gewesen. Als seriöser Komponist verdient man nicht viel. Auf jeden Fall nicht so viel wie Dieter Bohlen. Aber Arthur Honneger (der gerade die Partitur zu Les Miserables geschrieben hatte) hat seinem Kollegen Rózsa damals in Paris den guten Rat gegeben, sein Einkommen mit Filmmusik aufzubessern. Was der Ungar dann auch getan hat, erfolgreicher als viele andere Komponisten. Erstaunlich bleibt bei der Musik von Quo Vadis, wie viel Gedanken sich Rózsa für die Musik mit ihrer Anleihe an gregorianischen Hymnen, erhaltenen Musikfetzen aus dem zweiten Jahrhundert und dem Versuch der Rekonstruktion von Originalinstrumenten gemacht hat. Für den Komponisten war das eine Gratwanderung zwischen Musikgeschichte und Publikumsgeschmack. Er hat darüber auch einen sehr interessanten Artikel in Film Music Notes 11,2 (1951) geschrieben. So bleibt Rózsas Filmmusik ein rühmliches Beispiel im Genre Sandalenfilm, in dem man sonst eher Armbanduhren an den Armen von Legionären und Kondesstreifen von Düsenjägern am römischen Himmel findet. Und da singen die Christen dann auch Onward Christian Soldiers von Sir Arthur Sullivan.

In der neuen spätrömischen Dekadenzdebatte, in der der Philosoph Guido Westerwelle offensichtlich an Montesquieus Considérations sur les causes de la grandeur des Romains et leur décadence und Gibbons Decline and Fall of the Roman Empire anknüpft, hat es einen satirischen Kommentar vom Norddeutschen Rundfunk gegeben. In der Sendung extra 3 wurden Ausschnitte aus Quo Vadis mit einem neuen Kommentar versehen. Peter Ustinov als Nero wurde hier als typischer Hartz-IV (man beachte die römische IV!) Empfänger mit seinem spätrömisch dekadenten Alltag dargestellt. Vielleicht sollte der doctor Westerwelle sich den kleinen ➱Film einmal auf YouTube ansehen. Si bene calculum ponas, ubique naufragium est.

Donnerstag, 18. März 2010

Lodenmäntel


Sie mögen uns ja nicht so gerne, die Engländer. Obgleich sie seit Jahrhunderten ihre Könige von uns beziehen (der erste George hatte seine Koffer gar nicht erst ausgepackt, weil er glaubte, man würde ihn sofort wieder nach Hause schicken). Aber vor hundert Jahren treten sie trotz ihrer angeblichen Tierliebe Dackel, nur weil das deutsche Hunde sind. Und die Battenbergs taufen sich in Mountbatten um. Englische Zeitungen machen bei jeder Gelegenheit Naziwitze, und bei der Fußballweltmeisterschaft 1966 haben sie unsere Jungens als cry babies beschimpft. Manches von uns lieben sie auch. Vorsprung durch Technik ist blitzschnell in die englische Sprache gewandert. Und irgendwie scheinen sie auch Lodenmäntel zu lieben. Das ist nun einigermassen erstaunlich. Denn wenn eine Nation ➯Mäntel für jede Gelegenheit hat, dann sind es die Engländer. Chesterfield, Havelock, Dufflecoat, Covertcoat, Crombie, ➱Trenchcoat, Ulster, Benny, Caban, ➱British Warm, und wie sie alle heißen. So etwas haben wir nicht, wir haben nur Lodenmäntel und Kleppermäntel. Früher auch mal Ledermäntel, aber da reden wir lieber nicht drüber.

Warum tragen die Engländer Lodenmäntel? Douglas Hurd, der Außenminister von Maggie Thatcher hatte einen. Das war sogar den englischen Mode- und Zeitgeistmagazinen einen Artikel wert. Der von Hurd war grün und ziemlich scheußlich. Es gibt ja bei Lodenmäntel eine große Skala von elegant bis furchtbar. Für den Independent war Hurds grüner Lodenmantel 1994 ein Zeichen der Öffnung Englands nach Europa hin: In his English suit, and distinctly un-English green loden coat, the Foreign Secretary's very presence seems to imply that Britain and Europe can co-exist in comfort and some style. Hurds Kollege Sir David Carol Mather hatte da eine andere Meinung: Douglas, the last time I saw a man dressed in a  coat like that, I shot him.

Hardy Amies hatte auch einen. Aber Sir Hardy zählt nicht so richtig, der war Modeschöpfer und Schneider der Königin, und er war in seiner Jugend in Deutschland gewesen. Fand als Modeschöpfer aber Loden gut und hat sich während des Zweiten Weltkriegs seine Offiziersuniform aus Loden geschneidert (So much chic-er, that green rather than beige, don't you agree?). Douglas Hurd war nicht der einzige Engländer, der einen Lodenmantel hatte. Damals war es in der upper class schon chic geworden, Loden zu tragen. Lady Diana Spencer hatte auch einen. Andrew Motion, bis zum letzten Jahr Poet Laureate, trägt einen. Manche Gentlemen trugen auch noch zwiegenähte Haferlschuhe zum Loden coat. Ich weiß nicht, ob John Lobb die im Programm hatte, aber bei Schuh Bertl in München gab es die auf jeden Fall. Für den Lodenmantel braucht man gar nicht nach Bayern zu reisen. In London gibt es einen kleinen Laden, der nach einer Romanfigur von Marcel Proust Swann's Way heißt. Der hat alles, was Firmen wie Schneiders anbieten. Es gibt auch eine Internetseite einer Firma in Leeds mit dem schönen Namen Born for Loden, und Firmen wie John Partridge, Barbour oder Orvis bieten heute wie selbstverständlich Tiroler Loden an.

Der Lodenmantel war Hermann-Marten von Eelking in seinem Lexikon der Herrenmode 1960 keinen Lexikoneintrag wert. Allerdings sollte er im zweiten Band vorkommen, leider ist dieser Band nie erschienen. Angeblich ist der Lodenmantel von August Loden im Dresden im 19. Jahrhundert erfunden worden, aber diese Gesichte ist natürlich zu schön, um wahr zu sein. Gewalkter Loden als Stoff ist sehr viel älter, das Althochdeutsche und das Mittelhochdeutsche kennen das Wort schon lange, bevor es August Loden gab. Der Lodenmantel und sein Vorläufer, die Lodenkotze (ja, die heißt wirklich so, heißt im Althochdeutschen chozzo) sind ja untrennbar mit der Tracht verbunden. Und da geraten wir in gefährliches Wasser, gegen Tracht darf man ja in Bayern kein böses Wort sagen. Und für viele Amerikaner ist es häufig das einzige, was sie von Deutschland kennen. Es wird den Bayern wehtun, aber so alt ist ihre bayerische Tracht gar nicht. Ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Die Trachtenpflege, um die sich der Prinzregent Luitpold von Bayern verdient gemacht hat, sollte den Bayern ihre Identität geben. Das ist ein ähnliches Phänomen wie die Neuerfindung des schottischen Tartans im 19. Jahrhundert. Der Prinzgemahl Albert hat da für Balmoral Phantasie Tartans für den Teppichboden und die Wände erfunden. Und natürlich den Balmoral Tartan nur für die königliche Familie. In dieser Zeit erfinden die Engländer auch den Tweed, das Wort gab es vor dem 19. Jahrhundert gar nicht. Wahrscheinlich ist es eine Falschschreibung von twill, aber die Assoziation mit dem gleichnamigen schottischen Fluss ist bei der gerade ausgebrochenen Schottlandbegeisterung natürlich naheliegend. Die englischen Gentlemen, die auf ihren Reisen jetzt Tweed tragen, entdecken in den Alpen den Loden. Wenn man bedenkt, dass die Engländer im 19. Jahrhundert den ganzen Alpentourismus erfunden haben, ist es natürlich naheliegend, dass sie aus Bayern und Tirol auch mal  Lodenmäntel mit nach Hause bringen.

Bei uns werden Lodenmäntel mit bayrischer Tracht, Jägern und Landwirten in Verbindung gebracht, diese Mäntel sind dann meistens grün wie der von Lord Hurd. Der Volksmund spricht da schon von der Lodenmantel Fraktion. Aber natürlich gibt es auch Leute, die einen Lodenmantel tragen, und die nicht unbedingt Hubertusjünger sind und Wild und Hund abonniert haben. Den Lodenstoff gibt es in allen Qualitäten. Die groben sehen aus, als hätte man einem irischen Wolfshund das Fell abgezogen, während der so genannte Hochzeitsloden glatt, glänzend und weich ist. Neuerdings wird auch schon Loden aus Kaschmir angeboten, was natürlich ein bisschen pervers ist.

Im gleichen Maße, in dem die Wollweber immer feinere, glattere Stoffe anbieten (Super 180 ist schon keine Seltenheit mehr), scheint sich der Verbraucher nach den raueren Stoffen wie Tweed und Loden zurückzusehnen. Typisch dafür ist vielleicht die Erfolgsgeschichte von Peter King. Der hatte irgendwann die Londoner Modewelt satt, zog aufs Land und betrieb ökologischen Landbau. Als die Maul- und Klauenseuche 2001 seine Farm erwischte, begann er über das Internet, vintage bespoke clothes zu verticken. Was (genau wie die Entstehungsgeschichte der Firma Hackett) ein voller Erfolg wurde, er musste neuen alten Tweed weben und Jacketts nach alten Vorgaben neu schneidern lassen. Ähnliche Retrobewegungen finden wir ja bei Firmen wie Luis Trenker oder Capalbio. Heute hat Peter King mit seiner Firma Bookster im Internet die schönste Tweed Seite und das Geschäft geht glänzend. Aber auch den Firmen, die mit Loden handeln, wie Schneiders in Österreich, scheint es nicht schlecht zu gehen. Seit Johann Georg Frey 1842 in München seine Weberei begründete und den feinen, wasserabweisenden Strichloden erfand, ist der Stoff nicht totzukriegen. Was glücklicherweise im Aussterben begriffen ist, ist der ritterkreuztragende Altnazi im Lodenmantel wie die FAZ vor genau einem Jahr in ihrem Artikel Extreme Streetwear mit Botschaft konstatierte.

Mittwoch, 17. März 2010

Rum


Yo ho ho and a bottle of rum, singen die Piraten. Auf jeden Fall nachdem sie Robert Louis Stevensons Treasure Island gelesen haben. Beim Penny Markt gibt es gerade Admiral Vernon Echter Übersee Rum, die Flasche für 6.99 €. Aber echter Rum ist natürlich viel teurer, eine Flasche Rhum Vieux aus Martinique ist nicht für 6.99 zu haben. Der liegt schon eher im dreistelligen Bereich, ist aber sehr lecker. Eine Flasche tschechischer Rum ist auch billig, aber das ist ein Gebräu aus Zuckerrüben. Beinahe so schlimm wie der 80 prozentige Stroh Rum, den nur Österreich Touristen kaufen. Auch Flensburger Rum Verschnitt (der bekannteste Rum in Deutschland) ist teurer. Die Flensburger sind seit dem 18. Jahrhundert im Rumgeschäft, weil sie der Heimathafen der dänischen Westindienflotte waren. Damals, als es noch Dänisch-Westindien gab. Heute gibt es in Flensburg noch ein Rum Museum. Der Penny Markt hat sich mit Admiral Vernon schon den richtigen Namensgeber für sein Produkt ausgesucht, denn Edward Vernon ist für alles mögliche verantwortlich: für die Portobello Road in London und für den Namen von Washingtons Landsitz. Und für den Grog.

Die Portobello Road mit ihrem berühmten Wochenmarkt für second hand Klamotten und Antiquitäten heißt nach der Hafenstadt Porto Bello, wo Admiral Vernon seinen großen Erfolg gegen die Spanier hatte. Lawrence Washington, der Halbbruder von George, hat seinen Landsitz Mount Vernon genannt. Er war einmal an Bord des Schiffes von Admiral Vernon und war von dem englischen Admiral schwer beeindruckt. Lawrence Washington befehligt eine Kompanie Marines der Miliz von Virginia in einem Krieg gegen die Spanier, der den schönen Namen War of Jenkins' Ear hat. Da hatte ein gewisser Kapitän Robert Jenkins im englischen Parlament sein in Alkohol eingelegtes Ohr gezeigt, das ihm die Spanier abgeschnitten hatten. Ein willkommener Anlass für die Engländer, einen Krieg gegen die Spanier anzufangen. Da ist der Admiral Vernon am Ende nicht so erfolgreich wie bei der Eroberung von Porto Bello.

Sein Angriff auf Cartagena 1741 mit der größten Flotte aller Zeiten (186 Schiffe und 25.000 Soldaten) wird zu einem militärischen Desaster. Cartagena wird von dem spanischen Admiral Blas de Lezo y Olavarrieta verteidigt. Der hat nur noch ein Auge, einen Arm und ein Bein. Hätte er noch einen Papagei auf der Schulter, wäre er Long John Silver. Er hat auch nur 3.500 Soldaten und sechs Fregatten. Aber er hält Cartagena. Und dabei hatte Vernon schon Gedenkmünzen prägen lassen, auf denen sich Lezo y Olavarietta vor Vernon kniend ergab. War etwas voreilig, musste man wieder einschmelzen.

Englische Matrosen trinken Rum seit die Engländer 1665 Jamaica eingenommen haben. Das Lied, wonach die Matrosen von allen Spirituosen am liebsten Rum fallera trinken, ist etwas neueren Ursprungs. Admiral Vernon gefällt es nicht, dass die sailors nach dem Genuss der täglichen Rumration in den Tropen für den Rest des Tages knille sind. Also wird der Rum mit Wasser verdünnt und in zwei Rationen morgens und abends ausgegeben. Steht in Vernons Order to the Captains Nummer 329 aus dem Jahre 1740. Wird auch mit Limonen angereichert, Limonen sind gut gegen Skorbut. Deshalb heißen die englischen Matrosen auch bald limeys. Das neue Getränk braucht nur noch einen neuen Namen. Und da kommt wieder Edward Vernon ins Spiel. Der trägt nämlich einen immer einen Kurzmantel aus grogram (das Wort ist eine Verballhornung von gros grain, was den Stoff bezeichnet), weshalb er auch den Spitznamen Old Grog hat. Und schon heißt das Getränk Grog.

Bis zum Jahre 1970 wird es in der Royal Navy über zweihundert Jahre lang gemäß der Vorschrift von Admiral Vernon zweimal am Tag ausgegeben. Dann wird es in der Great Rum Debate vom 28.1.1970 im Parlament leider vom Speiseplan der Navy gestrichen. Neben der Great Rum Debate hat es in der englischen Geschichte auch einmal eine Rum Rebellion gegeben, ein bewaffneter Aufstand gegen den Gouverneur von New South Wales William Bligh. Der hat ja nicht so viel Glück in seiner seemännischen Karriere. Erst meutert man auf der Bounty gegen ihn, dann ist sein Schiff Director auch noch Teil der Meuterei der Themseflotte 1797 und nun auch noch das. Mit den kriminellen Strukturen des örtlichen Rumhandels hätte er sich besser nicht anlegen sollen. Er wird zwar in allen Kriegsgerichtsverfahren freigesprochen, wird auch noch Admiral, aber der gute Ruf ist ruiniert.

Rum konserviert ja auch, innerlich und äußerlich. Macht die sailors immun gegen Seuchen. Angeblich soll man den Admiral Lord Nelson nach seinem Tod bei Trafalgar in ein Fass Rum gelegt haben (nach anderen Quellen soll es französischer Brandy gewesen sein). Als man das Fass in London öffnete, enthielt es zwar noch Lord Nelson, aber keinen Rum mehr. Dafür aber mehrere Bohrlöcher. Und die englische Sprache erhielt zwei neue Begriffe, die Nelson's blood (für Rum) und tapping the admiral  (für die tägliche Rumration) hießen. Es ist nicht überliefert, ob Captain Jenkins sein Ohr auch in Rum eingelegt hatte.

Dienstag, 16. März 2010

Telegramm


Sir Charles James Napier ist schon sechzig, als ihn das Empire nach Indien schickt, damit er das Great Game spielt. Das Great Game bedeutet, die Vorherrschaft Englands auf dem Subkontinent zu sichern, die Engländer haben es ja mit der aus dem Sport entnommenen Bildlichkeit mit Begriffen wie fair play oder that's not cricket. Eine Nation, die daran glaubt, dass die Entstehung des Empire auf den playing fields of Eton liegt. Das Great Game kommt auch immer wieder in Kiplings Roman Kim vor. Sir Charles soll nach dem ersten Afghanischen Krieg aufräumen. Wo die Engländer eine ganze Armee unter dem General Elphinstone verloren haben. Jeder Leser von George MacDonald Frasers Roman Flashman weiß, wie das geschehen konnte. Sir Charles soll aufräumen und muslimische Aufstände (schon damals) niederschlagen. Er soll aber auf keinen Fall die Provinz Sindh im heutigen Pakistan besetzen. Was er natürlich umgehend tut. Und dann schickt er ein Telegramm nach London, das nur ein einziges Wort enthält: peccavi. Das ist schon witzig. Das lateinische peccavi heißt auf Englisch I have sinned. Daraus wird jetzt als Wortspiel I have Sindh, ich habe Sindh erobert. Wenn man das Great Game spielt, kann man auch ein wenig geistvoll sein. Napier glaubte daran dass the best way to quiet a country is a good thrashing, followed by great kindness afterwards. Even the wildest chaps are thus tamed.

So denken viele, die jetzt das große Spiel spielen. General Napier hat diesen Job in Indien nicht geliebt, aber er brauchte das Geld, das ihm die East India Company, die Indien beherrscht, für die blutigen Aufräumarbeiten bezahlt. Wenn er eins hasst, dann sind es diese shopkeepers der East India Company, die er ständig öffentlich anprangert. Und da hat er manchmal erstaunliche Einsichten: The English were the aggressors in India, and although our sovereign can do no wrong, his ministers can; and no one can lay a heavier charge on Napoleon than rests upon the English ministers who conquered India and Australia, and who protected those who commit atrocities...Our object in conquering India, the object of all our cruelties was money. Und über dieses Geld sagt er Every shilling has been picked out of blood, wiped and put in the murderer's pockets; but, wipe and wipe the money as you will, the "Damned spot" will not "out". Sir Charles Napier hat dann auch noch genügend mit der Geldwäsche von Blutgeld zu tun gehabt. Bevor ihn die East India Company feuert, gibt sie ihm 60.000 Pfund silver rupees für die Eroberung von Sindh.

Napier hat wie viele Viktorianer diesen bezaubernd verlogenen double standard, dieses Scheinheilige, für das die englische Sprache das Wort cant hat. Sie reden von Gott und sie meinen Kattun, ist ein Wort aus der Zeit des Kolonialismus. Die Viktorianer verdammen die Sexualität, verhüllen Tischbeine mit Decken, weil es Beine sind. Aber daneben blüht in London die Prostitution. Ronald Pearsall hat das in seinem Buch The Worm in the Bud: The World of Victorian Sexuality mit einem Überreichtum von Beispielen aufgezeigt. Und natürlich steht das auch in dem wunderbaren Roman The French Lieutenant's Woman von John Fowles. Und in diesem Sinne ist Tony BLiar auch ein Viktorianer, er kann alles so schönreden, was er an Schrecklichem zu verantworten hat. Irgendwie ist die Romanfigur von George MacDonald Fraser da viel ehrlicher. In Tom Brown's Schooldays von Thomas Hughes ist er der Bösewicht an der Public School, alle anderen sind kleine viktorianische Gentlemen. Hundert Jahre später erweckt in George MacDonald Fraser wieder zu neuem literarischen Leben. Und schickt den charakterlosen und bösartigen Leutnant Harry Paget Flashman gleich nach Afghanistan. Am Ende des Romans ist er der einzige Überlebende, bekommt den höchsten Orden von Königin Viktoria und den Händedruck vom Premierminister, dem Herzog von Wellington I wish you every good fortune, Flashman. You should go far. Das wird er. Am Ende der dutzend Flashman Romane ist der amoralische, verlogene Weiberheld in allen Kriegen gewesen, die England im 19. Jahrhundert geführt hat. Den Leser beschleicht bei der Lektüre das ungute Gefühl, dass die Flashman Saga vielleicht die realistischste Beschreibung des englischen Kolonialismus im 19. Jahrhundert ist.