Samstag, 13. März 2010

Loch Ness Monster, Killerwelse und Dackel


Also, wenn Sie an einem an einem schönen Sommertag bei Castle Urquhart auf Loch Ness blicken und plötzlich ist da vor Ihnen im Wasser ganz einwandfrei Nessie, und wenn Sie in dem Augenblick merken, dass Sie Ihren Photoapparat in der Pension haben liegen lassen, dann bleibt Ihnen nur, tough bananas zu murmeln. Wenn Sie aber Nessie nicht live (wie man neuerdings so schön sagt) sehen, aber dafür jeden Morgen in Ihrer schottischen Pension neue Geschichten über das Ungeheuer lesen, dann können Sie sicher sein, es ist jetzt das, was die Engländer die silly season nennen. Da taucht Nessie immer auf. Dabei ist Nessie gar nicht so kamerascheu. Die Herren P.A. MacNab (1955), H.L. Cockrell (1958), T. Dinsdale (1960) und P. O'Connor (1960) haben Photos (oder sogar Filme) von dem netten grünen Bewohner von Loch Ness gemacht. Erstaunlicherweise stammen die Photos alle aus der gleichen Zeit, da muss sich Nessie furchtbar gelangweilt haben. Mr. Cockrell photographierte von einem Kanu aus, Mr. MacNab hat neben dem Monster auch noch Castle Urquhart rechts im Bild untergebracht.

Alle diese Photos zeigen natürlich nicht Nessie, wie wir sie (ihn? es?) von der Postkarte kennen, sondern nur seltsame Schatten auf dem Wasser. Außer bei dem Photo des Londoner Chirurgen R.K.Wilson aus dem Jahre 1934, da ist ein richtiges Monster zu sehen. Kann aber auch ein Erpel sein, der gerade den Schnabel weggedreht hat. 1994 hat ein ehemaliger Journalist der Daily Mail zu Protokoll gegeben, dass er das Photo damals gefälscht habe. Nessie hat auch mindestens noch einen Verwandten, der heißt Morag und wohnt im Loch Morar. Das soll noch tiefer sein als Loch Ness. Tim Dinsdale hat seine erste Begegnung mit Nessie 1960 gehabt. Er hatte zwar den Photoapparat dabei, aber viel ist auf den Bildern nicht zu sehen. Aber die Begegnung war für ihn der Anlass, den Rest seines Lebens der Erforschung des Loch Ness Monsters zu widmen. Streng wissenschaftlich, natürlich. Er hat auch eine Vielzahl von Büchern darüber geschrieben. Amüsante Lektüre für Leute, die ansonsten auch keiner Verschwörungstheorie widerstehen können. Monster heißt Nessie erst seit 1933, seit der water baillie Alex Campbell im Inverness Courier vom Loch Ness Monster gesprochen hat. Vorher war es in den schottischen Legenden ein water horse, auch water kelpie genannt. Kelpie klingt ja irgendwie netter als "Monster".

Gute Monster sind rar, hat J.R.R. Tolkien gesagt. Und der muss es wissen, er war Professor für Alt- und Mittelenglisch und hat auch über das altenglische Beowulf Lied geschrieben. Also dieses Geschichte, wo es dem dänischen König Hrothgar ganz gewaltig stinkt, dass sich seine Recken nicht jeden Abend in der Bierhalle Heorot mit Tuborg Öl volllaufen lassen können, ohne von einem Monster namens Grendel gefressen zu werden. Hrothgar holt Beowulf, den James Bond der damaligen Zeit, aus England zur Wassermonsterbekämpfung nach Dänemark. In Deutschland haben wir nicht für jeden See ein schönes Monster. Wir haben zwar Sagen, Legenden und Märchen für manche Seen, aber eben nicht die raren guten Monster. Keine Krake vom Chiemsee, kein Monster vom Maschsee. Von Zeit zu Zeit haben wir aber Welse. Wie im Oktober 2001 in Mönchengladbach, als im Volksgarten Weiher ein Wels (dem die Bild Zeitung den Namen Kuno verpasst) den Dackel einer Rentnerin gefressen hat. Angeblich. Die Presse und das Privatfernsehen waren sofort hysterisch ganz nah am Wels dran. Was danach folgte, das Riesenspektakel, wird heute als Irrsinn abgetan. Aber das ist natürlich ungerecht, weil ein Märchen niemals Irrsinn ist, sondern eine zauberhafte Geschichte. Schrieb die Zeit unter dem Titel Die Legende vom Mörderfisch. Süffisant, ironisch, besser geht's nicht.

Oder vielleicht doch. Ist aber schon etwas länger her. Da schrieb John Vinocur in der NewYork Times vom 12. Juli 1979 den wunderbaren Artikel Giant Catfish Has West Germans Hooked. John Vinocur ist ein bedeutender Journalist, er ist heute bei der New York Herald Tribune und Sarkozy hat ihn vor kurzem zum Ritter der Ehrenlegion gemacht. Vinocur hatte natürlich keinen Augenblick lang an den Wels im Zwischenahner Meer geglaubt. Den hatte der Wasserschutzpolizist Peter Grünke gesehen, der Wels war genau so groß wie sein schönes neues blau-weißes Polizeiboot. Drei Meter und fünfzig. Das ist viel größer als der Wels von Mönchengladbach (der war angeblich einen Meter lang), und er lebte in einem Meer. Nicht nur in einem Weiher. Und je länger die Massenhysterie im Sommer 1979 dauerte, desto größer wurde der Wels für die Bild Zeitung. Die setzte eine Prämie von 5.000 Mark für seine Ergreifung aus und hatte ihm auch schon einen Platz im Duisburger Zoo reserviert. Peter Grünke kam nicht aus Zwischenahn. Er kam ganz weit weg aus dem Osten, da wo es Welse gibt, und tausend Geschichten über Welse.

Da wo Günter Grass herkommt, der gerade einen Roman über einen Butt geschrieben hat. Der Zwischenahner Wels hat natürlich auch einen Dackel gefressen. Grendel frisst die Krieger der dänischen Scyldinger, unser namenloser Wels frisst Dackel. Ist mythologisch irgendwie ein Abstieg. Und die Sache mit dem Dackel ist auch nicht so sicher. Die Bild Zeitung musste die Gegendarstellung des angeblichen Dackelbesitzers drucken, der verlauten ließ, er habe niemals einen Dackel gehabt. Er habe die Geschichte nur erzählt, weil er zeigen wollte, wie blöd die Bild Zeitung sei. So eine juristische Gegendarstellung ist ein herber Rückschlag für die Mythenbildung in der silly season.

In Zwischenahn hat man inzwischen einen bronzenen Wels an einem Brunnen auf dem Marktplatz aufgestellt. Eine potthässliche Plastik, hässlicher als ein wirklicher Wels. Die größten Welse, die man in den letzten Jahren gefangen hat, waren zwei Meter und fünfzig. Keiner war so lang wie das Polizeiboot von dem Wasserschutzpolizisten Peter Grünke, der als einziger das Tier gesehen hat, das ein halbes Jahrhundert alt gewesen sein sollte. In Mönchengladbach war dann drei Jahrzehnte später alles etwas kleiner. Reichte aber auch noch für eine journalistische Massenhysterie.

Wenn man 1979 an einem schönen Sommerabend seltsame kleine Wellen auf dem spiegelglatten Zwischenahner Meer sah, dann war das natürlich der Riesenwels. Wenn man die photographierte, dann hatte man am nächsten Morgen um sieben die Bild Zeitung am Telephon. Um sieben Uhr! Das kann ich mit dieser Bestimmheit sagen, weil ich es war, der die Wellen am Vorabend mit einem Teleobjektiv photographiert hatte. Das Bild, das dann die Oldenburger Nordwestzeitung abdruckte (die Bild Zeitung hatte mir sogar richtiges Geld geboten, aber ich wollte dem Unsinn keinen Vorschub leisten und habe es der Nordwestzeitung unentgeltlich zu Verfügung gestellt), sah genau so aus, wie die Photos der Loch Ness Touristen aus den Jahren 1955 bis 1960. Langgezogene dunkle Wellen. Kein Wels.

Wahrscheinlich hat die Zeit recht. Es sind moderne Märchen. Etwas, was die Forschung von Jan Harold Brunvald bis Rolf W. Brednich heute urban myths oder urban legends nennt. Solche Geschichten braucht der Mensch offensichtlich. Was interessiert es einen, dass 1979 Sadam Hussein und Maggie Thatcher zur Macht kommen, dass der Papst Johannes Paulus II nach Polen reist, dass Franz Josef Strauß Kanzlerkandidat wird, wenn wir den Zwischenahner Wels haben? Mit oder ohne Dackel. Seit der Abt Adamnan von Iona in seiner Vita Columbae im 7. Jahrhundert Nessie zum ersten Mal auftauchen ließ, ist Nessie ja ein stilles, zurückhaltenes Monster gewesen. Frisst garantiert keine Dackel. Hat aber viel zum Fremdenverkehr beigetragen. Wenn Sie das nächste Mal nach Schottland fahren, lassen Sie Ihren Dackel sicherheitshalber zu Hause (obgleich die Einfuhr von Haustieren nach England durch das Pet Travel Scheme vom Jahre 2000 erleichtert worden ist), aber nehmen Sie auf jeden Fall Ihren Photoapparat mit! Und seien Sie gegen die wirklich gefährlichen Monster gewappnet. Das sind keine kelpies, das sind Mücken, die neuerdings Piranha midges heißen.

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