Dienstag, 23. März 2010

Untergang


Als Joseph Conrad über die Welt der Segelschiffe schreibt, ist diese Welt schon dem Untergang geweiht. Große Literatur scheint immer vom Untergang einer Welt zu handeln. Als Thomas Malory Le Morte D'Arthur schreibt, ist es mit dem Rittertum nicht mehr weit her (und Sir Thomas sitzt im Gefängnis). Als Melville in Moby-Dick über den amerikanischen Walfang schreibt, hat der seinen Höhepunkt längst hinter sich. Die Pariser Aristokratie von Prousts Suche nach der verlorenen Zeit ist längst bedeutungslos geworden, ebenso wie die Großgrundbesitzer von Yoknapatawpha County, über die William Faulkner schreibt. Von der sterbenden k.u.k. Aristokratie von Joseph Roth gar nicht zu reden. Joseph Conrad kennt die Welt der Segelschiffe, er ist jahrelang zur See gefahren. Wenn es auch lange gedauert hat, bis er sein erstes Kommando bekam und master next to God wurde.

Master next to God: Kapitäne dürfen ja offenbar alles. Trauungen vornehmen, Meuterer festsetzen und als letzter von Bord gehen. Sie dürfen eigentlich mit einem Schiff der White Star Line keine Eisberge rammen, tun es aber dennoch. Sie dürfen als Kapitän eines ZDF Traumschiffes allen möglichen B-Promis wie Harald Schmidt einen Platz auf ihrem Schiff geben und werden nicht (wie der ehemalige  Traumschiff Kapitän in der Wirklichkeit) von der Wasserschutzpolizei festgenommen, weil sie Luxusyachten beklauen. Kapitäne sehen immer so aus wie Graf Luckner oder Heinz Weiss oder Siegfried Rauch. Ihre Kommandogewalt scheint irgendetwas mit dem Gottesgnadentum der Könige zu tun haben, man weiß nicht so recht, wie es zu dieser Akkumulation von Rechten gekommen ist. Und die Kontrollinstanz der Seeämter, die man im 19. Jahrhundert einsetzt, wird in ihren Urteilssprüchen die Macht der Kapitäne nur noch zementieren. Das 19. Jahrhundert erfindet den mythischen Idealkapitän, der allen Situationen, auch der des Untergangs, gewachsen ist.

Nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch vor den Seeämtern geriet der Untergang eines Schiffes gelegentlich zur glorreichen Auferstehung dessen, der zuletzt von Bord gegangen war: des Kapitäns. Sagt Ulrich Welke, der mit seinem Buch Der Kapitän eins der interessanten Bücher über die Erfindung einer Herrschaftsform geschrieben hat. Die Ausbildung der Kapitäne wird jetzt immer wissenschaftlicher, und man achtet bei Reedereien und Seeämtern jetzt auch auf die charakterlichen Fähigkeiten des Schiffsführers. Und das gute Benehmen, damit lag es ja Jahrhunderte lang im Argen. Schon seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert finden sich Bemühungen an den Navigationsschulen für Steuerleute, Bildung und sozialen Stand der Seeleute zu heben. Die königliche Order für die Errichtung der Danziger Navigationsschule aus dem Jahre 1817 spricht da von jungen Leuten, die sich zu etwas Besserm als bloßen handwerksmäßigen Steuerleuten und Schiffern ausbilden wollen. Und es wird dann auch den Reedern sehr daran gelegen sein, ihre Häuser im Auslande würdig durch den Capitain repraesentiret zu sehen. Irgendwann werden wir Photos von Kapitänen finden, die sich nicht mehr in Uniform grimmig in Szene setzten, sondern sich eher weltmännisch inszenieren. So wie der Kapitän Carl Alm von der Bark Germania, der uns auf einem Photo als Geigenvirtuose entgegentritt. Obgleich dieses Bild für die Leser von Joseph Conrad zwiespältige Assoziationen erwecken wird, weil sie an den toten Kapitän von The Shadow Line denken müssen, der immer Geige gespielt hat.

Bildung, Charakterstärke und gutes Benehmen besitzt Joseph Conrad schon, als er sich zu einem der zahlreichen Examina der Kapitänsprüfung einfindet. Englisch kann er inzwischen auch. Sein Prüfer ist gefürchtet, das weiß Conrad schon. Der Prüfer versetzt Conrad auf einem imaginären Schiff in immer neue gefährliche Situationen. Da hilft es Conrad auch nicht, ihn milde darauf hinzuweisen, dass er sich niemals mit einem Schiff in eine solche Lage gebracht hätte. Conrad ist jetzt schon im Geiste bereit, seinen Platz als Kapitän des imaginären Unglücksschiffes mit einem Platz auf dem Fliegenden Holländer zu tauschen, als ihn sein Prüfer ihn in eine noch gefährlichere Situation bringt. Legerwall vor holländische Sandbänke. Ausweglos. Nothing more to do, eh? fragt ihn sein Prüfer. No sir, I could do no more, sagt Joseph Conrad. Worauf sein Prüfer sagt You could always say your prayers. Das ist natürlich immer eine Möglichkeit, beten. In Bremen kursiert eine Geschichte, wo ein Steuermann in seiner Prüfung in eine ähnliche Lage versetzt wird. Der ist schon jahrelang zur See gefahren, jetzt soll er die Prüfung nach §19 der Vorschriften über den Nachweis der Befähigung als Seeschiffer und Seesteuermann auf Deutschen Kauffahrteischiffen ablegen. Er kennt seinen Prüfer, er kann den nicht ausstehen. Der hat keinerlei Praxis als Fahrensmann. Und als der ihn mit dem imaginären Schiff in der Prüfung in eine lebensgefährliche Situation bringt und mit bösartigem Hohn in der Stimme fragt Und wat nu? da antwortet unser Seebär: Nu heff ik die Büx voll. Und setzt hinzu Und Du, Du hest di schon vor 'ne halben Stunde de Büx vollschieten. Vom Beten ist jetzt nicht mehr die Rede.

Viele der Kapitäne in der Romanwelt von Conrad scheitern an den Ansprüchen des Kapitänideals, wie der Geige spielende Kapitän in The Shadow Line, wie Jim in Lord Jim, der sein Schiff zu früh verlässt. Aber manche sind auch geradezu die Verkörperung des Mythos vom Kapitän, der sich durch nichts außer Ruhe bringen lässt. Wie der schweigsame Kapitän MacWhirr in Typhoon, der seinen Steamer Nan-Shan durch einen Taifun steuert. Es hat ihn nicht wirklich gegeben, sagt Conrad: He is the product of twenty years of life. My own life. MacWhirr ist der Ideal eines Kapitäns, der aber mit seiner Unauffälligkeit nichts Romantisches, Flamboyantes an sich hat. Er kann als Seemann alles. Außer seinen Schirm beim Landgang aufrollen, das macht sein Erster Offizier Jukes dann für ihn. Und der Orkan with its power to madden the seas, to sink ships, to uproot trees, to overturn strong wall and dash the very birds in the air to the ground, entringt dem schweigsamen MacWhirr nur einen Satz: I wouldn't like to lose her.

Wenn man dem Taifun und dem Untergang des Schiffes entgehen will, dann bleibt man am besten zuhause. Hinrich Imhoff aus Moorlosen Kirche an der Weser will zur See. Der Vater hätte ihn gerne zuhause als Nachfolger auf dem Bauernhof und als Wirt der Gastwirtschaft. Die Imhoffs sitzen da schon seit Jahrhunderten. Aber Hinrich fährt zur See, als Schiffsjunge, Leichtmatrose. Dann geht er in Bremen auf die Steuermannschule und besteht auch die Prüfung. Und da sagt ihm sein Vater So, nu hest Du Di den Wind jo all ordentlich um de Ohren weihn loten, hest allerlei sehn un ok son beten belevt: Nu bliev man bi mi in't Huus. Hinrich Imhoff bleibt zuhause. Vielleicht hat der Vater Recht, er kennt die See. Und Beten hat er auch gelernt. Als die Bark Western Chief im Atlantik unterging, hat ihm der Bootsmann ein Gebetbuch mit ins Boot gebeten. Wäre schade, wenn das mit dem Schiff unterginge. So kann Hinrich Imhoff im Rettungsboot tagelang Gebete lesen, bis sie von einem spanischen Schoner gerettet werden. Das ist in dem Jahr, in dem Conrad Typhoon schreibt. Vielleicht hat die Zeit als Schiffbrüchiger und die lange beschwerliche Heimreise über die West Indies und New York in dem jungen Hinrich Imhoff den Gedanken reifen lassen, dass eine Kneipe am Weserdeich vielleicht doch nicht so schlecht wäre. Die Gaststätte wird danach noch über hundert Jahre im Familienbesitz sein. Als sie 2008 schließt, sind schon alle Großwerften an der Weser lange Pleite und alle Schiffe gesunken, auf denen Imhoff gefahren ist.

Das Bild ganz oben zeigt die berühmt-berüchtige Mary Celeste als sie noch Amazon hieß und noch kein Geisterschiff war. Das zweite Bild zeigt die Otago, auf der Joseph Conrad gefahren ist.

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