Mittwoch, 19. Mai 2010

Marschälle


Am 19. Mai des Jahres 1804 hat Napoleon achtzehn seiner Generäle zu Marschällen gemacht, manche davon, die wie Kellermann (der Held von Valmy) und Lefèbvre eigentlich schon Pensionäre waren, zu Ehrenmarschällen. Als Lefèbvre zum ersten Mal seine neue Uniform trug, bemerkte ein Bekannter, dass das aber eine schöne Uniform sei. Ich habe fünfunddreißig Jahre daran genäht, entgegnete ihm der neu ernannte Marschall, der bei der Krönung das kaiserliche Schwert in die Kirche tragen wird (Kellermann die Krone). An dem Tag waren sechzig von Napoleons Generälen in der Kirche. Man hatte ihnen keine Plätze zugewiesen, sie standen im Kirchenschiff von Notre Dame. Bis Masséna einen Geistlichen mit Gewalt von seinem Sessel entfernte. Die anderen Generäle folgten Massénas Beispiel. Das war nicht die einzige Panne am 2. Dezember 1804. Napoleon hatte befohlen, dass nach dem Vorbild der Krönung Karls des Grossen ein Dutzend Jungfrauen Kerzen halten sollten. Dank der nach der Revolution eingerissenen Verlotterung der Sitten, ist es schwer, in Paris die passenden Jungfrauen zu finden. An Marschällen hat man keinen Mangel. Eigentlich sind die 1793 abgeschafft worden (die Marschälle, nicht die Jungfrauen), aber unter Napoleon gibt es sie jetzt wieder.

Manche von Napoleons Weggenossen sind jetzt beleidigt, dass sie nicht Marschall geworden sind. Marmont zum Beispiel, der war von Anfang an dabei. Aber Napoleon sagt, wenn man dreißig ist, dann wird man noch kein Marschall. Marmont muss noch fünf Jahre warten, er wird dann alle anderen überleben. Fällt nicht in Bamberg aus dem Fenster wie Berthier oder wird von einem Erschiessungskommando getötet wie Ney. Er kann sich aber in Frankreich nicht mehr sehen lassen, weil er seinen Kaiser verraten hat.

Marschälle gibt es in Frankreich seit Albéric Clément im 12. Jahrhundert. Der berühmteste Ritter in der Zeit, Guillaume le Maréchal, ist aber kein Marschall von Frankreich, der dient allen englischen Königen aus dem Hause Plantagenet. Der französische Historiker Georges Duby hat ein wunderbares Buch über ihn geschrieben. Für das Mittelalter sind die französischen Sozialhistoriker in der Nachfolge von Lucien Febvre, ob nun Jacques le Goff oder Georges Duby, Spitzenklasse. Man kann sie lesen und verstehen, was man von deutschen Historikern nicht unbedingt sagen kann.

Es gibt unter den französischen Marschällen auch unwürdige Träger des Marschallstabs wie den Massenmörder Gilles de Rais oder Männer, auf die Nation hinterher nicht so stolz ist, wie zum Beispiel Pétain. Es gibt auch Ausländer, wie John Hepburn oder Moritz von Sachsen. Aber es gab niemals so viele Marschälle für einen so kurzen Zeitraum wie zur Zeit Napoleons, sechsundzwanzig in zehn Jahren.

Adolf Hitler hat sich Napoleon als Vorbild genommen, und als er Paris erobert hat und so richtig im Siegesrausch und Größenwahn ist, macht er ein Dutzend Generäle zum Feldmarschall. Und Göring zum Reichsmarschall, was immer das sein soll. Hitler ist nur kurz in Paris gewesen. Hat ihm nicht gefallen. Auf dem Eiffelturm war er nicht, da hätte er laufen müssen, die Résistance hatte die Aufzüge kaputt gemacht. Albert Speer ist in Paris immer an seiner Seite, der soll sich die Architektur genau angucken, damit man zuhause auch so etwas bauen kann. Arno Breker ist auch dabei. Hitler ist auch am Grab Napoleons gewesen. Aus Hitlers Umbauplänen für Berlin ist nichts geworden. Ist es nicht erstaunlich, dass die kleinsten piefigsten Diktatoren von Hitler bis Ceausescu immer architektonischen Größenwahn im Kopf mit sich herumtragen?

Napoleons Marschälle, die alle Herzöge oder Fürsten werden (manche auch Könige wie Murat oder Bernadotte), sind nicht alle Schankwirtsöhne, wie Brecht geschrieben hat. Schankwirtsohn ist nur Murat. Augereaus Vater ist Obsthändler, Neys Vater ein armer Böttger. Doch die meisten kommen nicht von der Straße. Aber sie sind alle sehr jung. Die Generäle, gegen die sie kämpfen sind meistens sehr alt. Die französischen Marschälle werden jetzt zehn Jahre lang Europa in Atem halten: Elchingen, Austerlitz und wie die Orte alle heißen, die jetzt durch Schlachten berühmt werden. Ihre Taten liefern Stoff für Romane, Filmdrehbücher und beschäftigen die Historiker bis heute. Das charmanteste Buch, das je über sie geschrieben wurde, stammt von dem Schotten ➱A.G. Macdonell und heißt schlicht Napoleon and his Marshals. Es ist 1934 erschienen und glücklicherweise in der Reihe Prion Lost Treasures immer noch lieferbar. Englands berühmtester Militärhistoriker John Keegan hat bei der Neuauflage des Buches geschrieben: Even a Napoleon hater, which I am, will love this book. Still after 60 years, a thrilling gallop through the Napoleonic Wars.

Das ist Jean-Leon Jeromes Bild von der Hinrichtung Michel Neys an einem trüben Dezembervormittag. Vielleicht wäre er doch lieber in Waterloo gestorben, wo er mehrmals vergeblich den Tod gesucht hat. Das Bild oben zeigt natürlich Jacques-Louis Davids Napoleon bei der Überschreitung der Alpen. David wollte Napoleon mit einem Degen in der Hand malen, aber der hat das abgelehnt. Schlachten werden nicht mit dem Degen in der Hand gewonnen, soll er gesagt haben. Er hat die Alpen nicht vor seinen Truppen auf dem stolzen Ross überquert, es ist mit der Nachhut gekommen. Auf einem Maultier. Das würde David niemals malen. Sein Bild ist reine Phantasie, Jeromes Bild die Tristesse der Wirklichkeit.

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