Mittwoch, 30. Juni 2010

Gone with the Wind


The sun shines bright in the old Kentucky home,
'Tis summer, the darkies are gay,
The corn top's ripe and the meadows in the bloom,
While the birds make music all the day.
The young folks roll on the little cabin floor,
All merry, all happy and bright:
By'n by Hard Times comes a knocking at the door,
Then my old Kentucky Home, good night!

Weep no more, my lady,
Oh! weep no more to-day!
We will sing one song for the old Kentucky Home,
For the old Kentucky Home far away.

Gut, wir sind nicht in Kentucky, wir sind auf Tara in Georgia, aber die Stimmung ist so ähnlich. Ewiger Sommer, und die darkies are gay. Die darkies werden nicht mehr gesungen (auf jeden Fall nicht mehr in der Nationalhymne von Kentucky), sind durch people ersetzt worden. Wir haben ja auch keine Negerküsse mehr, heißen jetzt Super Dickmann. Wörter kann man ändern, die Wirklichkeit selten. Tara ist die Plantage, die Scarlett O'Haras Vater gehört. Er hat sie beim Glücksspiel gewonnen. Die O'Haras gehören nicht wirklich zu der Südstaatenaristokratie. Das alles wissen wir natürlich aus einem Roman, der mit den Worten Scarlett O'Hara was not beautiful, but men seldom realized it when caught by her charm, as the Tarleton twins were anfängt. Und natürlich immer mit After all, to-morrow is another day aufhört. Nicht mit Frankly, my dear, I don't give a damn, wie viele glauben. Die Rede ist von Gone with the Wind, der heute im Jahre 1936 in die Buchhandlungen kam. Um genau zu sein, gab es schon eine Ausgabe vom Mai 1936, die aber vom Verlag zurückgezogen wurde. Eine Erstausgabe vom 30. Juni 1936 wird heute antiquarisch für ca. 15 $ (bei Amazon bekommen sie den Ausgabe vom September 1936 für 20 €) gehandelt, der Schutzumschlag dagegen ist viel mehr wert. Für eine Erstausgabe von Moby-Dick müsste man schon 60.000 bis 75.000 Dollars auf den Ladentisch legen.

Wenn Sie jetzt eins von den 10.000 Exemplaren vom Mai haben, mit Schutzumschlag und Autogramm von Margaret Mitchell, dann haben Sie schon ein Schätzchen. In exzellentem Zustand kann das schon knapp 10.000 Dollar wert sein. Ich habe nur die cheap edition des Macmillan Verlags von 1940, aber immerhin ein Hardcover und lesbar gedruckt. Bei tausend Seiten Text hat man es gerne gut lesbar. Die deutsche Ausgabe erschien 1937 beim Goverts Verlag in Hamburg, es gab 1941 einen Neudruck, der dann nach kurzer Zeit von den Machthabern vom Markt genommen wurde. Da waren aber schon 370.000 Exemplare verkauft. Wir können aus dem oben Gesagten ableiten, dass der Romanerstling der Journalistin aus Atlanta, Georgia, ein Bestseller mit Millionenauflage war (die erste Million wurde im Dezember 1936 erreicht). Melvilles Moby-Dick nicht.

Ich gönne ihr ja den Erfolg, er ist verdient. Bei vielen Bestsellern fragt man sich, warum dafür in Finnland Wälder abgeholzt werden mussten, aber bei Gone with the Wind muss man sagen; Respekt, Frau Mitchell. Es wird immer wieder gesagt, dass nach der Bibel Gone with the Wind das meistverkaufte Buch sei, aber dieser Satz ist wahrscheinlich in einer Werbeagentur entstanden. So richtig beweisen kann man das nicht, obgleich die Verkäufe in den ersten Jahren nach dem Erscheinen phänomenal waren.

Und falls Sie nun eine 1-Cent Margaret Mitchell Marke aus dem Jahre 1986 haben, muss ich Ihnen sagen, die ist leider auch nicht viel wert. Obgleich es natürlich eine Art Margaret Mitchell Reliquienkult gibt. Und es in den Südstaaten der USA eine Vielzahl von Veranstaltungen gibt, die den Roman und seine Heldin ständig wiederauferstehen lassen. Japanische Touristen müssen unbedingt ein Scarlett O'Hara Double photographieren. Wenn eins nie zu Ende ist, dann ist es der amerikanische Bürgerkrieg.

Das quietschegrüne hier links ist der Umschlag von einem wirklich wunderbaren Buch, das im Untertitel Dispatches from the Unfinished War heißt. Der Pulitzer Preisträgers Tony Horwitz bewegt sich hier auf den Spuren des Bürgerkriegs, 130 Jahre nach seinem Ende, und Scarlett O'Hara Doubles kommen hier natürlich auch drin vor. Das Buch ist auch mehr als nur frecher Journalismus im Stil von Tom Wolfe, irgendwie dringt es tief bis zum heart of darkness der amerikanischen Seele vor.

Gone with the Wind ist ein historischer Roman, und er besitzt alle Elemente des Genres, das Sir Walter Scott mit Waverley, or, 'tis sixty years since erfunden hat. Bei aller Verherrlichung der Vergangenheit (das, was die Literturwissenschaft den lost cause myth nennt), ist es auch ein historisch erstaunlich korrekter Roman. Margaret Mitchell, die southern belle, die jetzt im Journalismus dilettiert, hat schon ihre Hausaufgaben gemacht. Natürlich ist der Roman auch ein bisschen Blut und Boden Literatur, und seine etwas fragwürdige Ideologie verherrlicht die Pflanzeraristokratie des Antebellum South, für die die darkies nur eine Nebenrolle spielen. Aber wen interessiert das, wenn in ganz Amerika die Great Depression herrscht? Da flieht man doch gerne zurück in die Welt der Lieder von Stephen Foster und des old Kentucky home. Das Schöne an Gone with the Wind ist, dass der Roman eine herrlich unmoralische Heldin hat. Frauenfiguren wie Melanie Wilkes gibt es in der Literatur zuhauf, aber die Scarlett O'Haras als würdige Nachfolgerinnen von Thackerays Becky Sharp sind eher selten.

Drei Jahre nach Gone with the Wind bekommt Amerika einen anderen Bestseller, der eine ganz andere Seite des amerikanischen Südens zeigt. Wo die Menschen nicht vornehm aristokratisch sind, sondern eher richtig prollig wie die Familie Joad. Der Roman heißt The Grapes of Wrath und er spielt in der Gegenwart, in der Welt der Okies, der Staubstürme und der Route 66. Das Buch wurde am Ende des Jahres 1939 eine halbe Million mal verkauft, war aber aus vielen Büchereien verbannt und in einigen Counties sogar verbrannt worden, wie man in Rick Wartzmans Buch Obscene in the Extreme: The Burning and Banning of John Steinbeck's The Grapes of Wrath nachlesen kann. Einen Pulitzerpreis hat es aber (wie Gone with the Wind) dennoch bekommen. Es sind zwei verschiedene Versionen des amerikanischen Südens, aber im Zweifelsfall zieht man doch die Welt der Nostalgie und die Welt von Tara dem harten Alltag vor.














Dienstag, 29. Juni 2010

Richard Oelze


Heute vor 110 Jahren wurde der deutsche Maler Richard Oelze geboren. Dieses Bild heißt Erwartung, es ist sein berühmtestes (und bekanntestes) Bild. Es befindet sich im Besitz des Museum of Modern Art in New York. Oelze hatte es 1935/1936 gemalt und es 1936 an die Julien Levy Gallery New York verkauft. Von dieser Galerie kaufte das MOMA 1940 das Bild. Der Direktor Alfred H. Barr hatte Oelze in den dreißiger Jahren in Paris kennengelernt, weil man ihm erzählt hatte, dass es da einen seltsamen Deutschen gäbe, der Maler sei. Redete mit niemandem (er konnte auch kein Wort Französisch), trug immer schwarz, schien nur nachts aus dem Haus zu gehen und liebte Bahnhöfe. Er verhält sich nicht nur in Paris so, sondern auch später, als er in Worpswede wohnt, ändert sich sein seltsames Verhalten kaum.

Alfred H. Barr (Bild), der gerade das MOMA aufbaut (so wie gleichzeitig sein Kollege Lloyd Goodrich das Whitney Museum aufbaut), besucht den geheimnisvollen Deutschen, der kein Wort mit ihm redet, sondern nur ein Bild nach dem anderen vor Barr auf die Staffelei stellt. Barr will dieses Bild haben, das Erwartung heißt, kauft aber erst einmal die Zeichnung, die Frieda heißt. Hätte Barr nicht die Kaufoption auf Erwartung angemeldet, hätte Oelze es vielleicht übermalt. Das hat er mit vielen seiner Bilder getan. Nachträglich hat man viel symbolische Bedeutung in das rätselhafte surrealistische Bild hineingelesen. Vor allem deutschen Interpreten erschien es später wie eine Vorausdeutung des Nationalsozialismus, viele Interpreten sehen in der Betrachtung des Himmels durch die Figurengruppe auch eine Erwartung göttlicher Botschaften.

Die Figurengruppe, die hier in den Himmel schaut, scheint zu wissen, was sie sieht. Man begrüßt den Fortschritt, symbolisiert durch den Zeppelin. Aber der Himmel ist schon ein wenig unheimlich, oder? Und dann diese leeren Straßen und Fenster, hinter denen kein Leben zu sein scheint. Dies Bild ist beinahe zeitgleich mit dem Bild von Oelze entstanden, es wurde von dem Niederländer Carel Willink gemalt. Und ich hätte hier noch einen Himmel aus dem dreißiger Jahren:

Wiederum Carel Willink 1934 (im gleichen Jahr ist der Zeppelin gemalt), wiederum ein geheimnisvoller Himmel, ein schwarzer Gewitterhimmel, vor dem es noch für einen Augenblick so ein kaltes Restlicht der Sonne gibt. Die Maler können jetzt alle geheimnisvolle Himmel malen. Wenn wir einen Augenblick an Edward Hopper in Amerika denken (der in der Zeit, als Alfred Barr den Oelze kauft, von seinem Kollegen Goodrich massenhaft für das Whitney angekauft wird), der malt so ähnliche Stimmungen. Die Kunstgeschichte hat es sich angewöhnt, diesen Bildern ein kleines Schild anzupappen, auf dem Surrealismus, Neue Sachlichkeit oder Magischer Realismus steht (in Italien steht da pittura metafisica drauf). Das ist natürlich eine Plattitüde, dass die Maler jetzt in den dreißiger Jahren geheimnisvolle Himmel malen können, Maler konnten immer geheimnisvolle Himmel malen.

Hier habe ich das kalte weiße Licht vor einer Gewitterwand noch einmal: Das ist eine Kopie nach Ruisdaels Judenfriedhof, der in Dresden hängt (die Dresdener Version ist dunkler als die von Detroit), gerade weil der Erhaltungszustand des Bildes unvollkommen ist, betont er das Geheimnisvolle des Originals umso mehr. Es ist ein Trick der Maler, Geheimnisse in den Himmel hineinzulegen.

Nehmen wir, auch aus den dreißiger Jahren, Franz Radziwill (der hier einen Post hat), der ein ganz alltägliches Motiv, einen Wasserturm in Bremen verfremdet (auch beunruhigend menschenlos). Und natürlich wieder dieses Licht, ohne das Licht hätte das Bild keine Geheimnisse, wäre es nur Realismus. Aber jetzt ist der magische Realismus angesagt, und da haben sie es in Paris (Oelze) oder am Jadebusen (Radziwill), in Brüssel (Magritte) oder in Ferrara (de Chirico) alle drauf, geheimnisvolle Himmel zu malen. In dem Bild von Oelze scheint es eine Gruppe von Städtern auf das Land, in die Natur, verschlagen zu haben. Sie tragen Mäntel und Hüte in der Mode der dreißiger Jahre, eigentlich ist es eine Art Hutversammlung. Bowler, Borsalinos und Kapotthüte. Und Damen in Pelzmänteln.

Alle abgewandt, wir können ihre Reaktionen auf das Ereignis am Himmel nicht sehen. Bis auf einen, der uns ein leeres Gesicht zuwendet, blicken sie alle in den geheimnisvollen (Gewitter-) Himmel, diese anthropomorphen Wattebällchen (die irgendwie ähnlich auf vielen Bildern wiederkehren). Und da ist dieses geheimnisvolle Licht. Ich weiß auch nicht, was es bedeutet, es beunruhigt mich nur, dass sich alle möglichen Internetseiten, die hart an der Kante der Esoterik segeln, der Deutungshoheit über dieses Bild sicher sind, und dass es zahlreiche (sehr zahlreiche) Seiten gibt, bei denen eine Unterrichtseinheit im Fache Religion mit diesem Bild anfängt.

Ich hätte noch einen sehr schönen Willink (wann sieht man diesen interessanten Maler schon einmal?), der mich immer fasziniert hat. Ein Porträt seiner neuen Lebensgefährtin Wilma Jeuken, die er 1933 nach der Scheidung von seiner ersten Frau heiratete. Und das Bild hat wieder einen tollen Himmel. Als nach der Besetzung Hollands durch die Deutschen die pittura metafisica Malerei nicht mehr so sehr gefragt war, ließ Willink den metaphysischen Teil einfach weg und malte realistische Portraits. Damit kam er ganz gut durch den Krieg.

Richard Oelze war von Paris nach Worpswede gezogen und wurde gleich 1939 eingezogen. Es ist mir immer ein Rätsel, wie dieser zutiefst unsichere und ängstliche Mann die sechs Jahre als Soldat überstanden hat. Er hat ja auch nie über sich gesprochen (es gibt auch keinerlei ästhetischen statements von ihm). Nach Krieg und kurzer amerikanischer Gefangenschaft ist er nach Worpswede zurückgekehrt. Hat da aber auch mit keinem geredet. Vor allem mit dem Nazi Fritz Mackensen nicht, der ja noch im Mai 1945 Worpswede mit dem Maschinengewehr verteidigen wollte. Und dann die einrückenden Engländer mit dem Hitlergruß willkommen hieß, woraufhin die Limeys ihm als erstes die Bilder in seiner Villa von der Wand geschossen haben. Selbst in einem Künstlerdorf voller Exzentriker bleibt Oelze ein Außenseiter, er lebt am Rande des Existenzminimums. Irgendwann haben die Dörfler ihn nachts auf der Dorfstraße verprügelt.

Zu dem Zeitpunkt galt er außerhalb Deutschands als einer der bedeutendsten deutschen Maler, von den fünfziger Jahren an häufen sich die Preise und die Auszeichnungen. Und so jemanden verprügeln sie in Worpswede nach einem Wortstreit. Den Roman Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel über Worpswede von Moritz Rinke hätte das Lesepublikum nicht gebraucht. Worpswede schreibt sich seinen eigenen Roman. Oelze ist da 1962 weggezogen und auf ein Gut bei Hameln, das seiner Lebensgefährtin Ellida Schargo von Alten gehörte, gezogen. Ich kann nur hoffen, dass er da noch ein wenig glücklich gewesen ist und aufgehört hat, sich vor dem Rascheln der Blätter und den Lichtreflexen in der Natur zu fürchten. Er ist da nach langer schwerer Krankheit 1980 gestorben.

Das Photo von Richard Dodenhof aus dem Jahre 1948 zeigt Oelze dreifach, einmal auf dem Ölbild, einmal im Spiegel und einmal im Profil. Wir können uns aussuchen, wer der wirkliche Richard Oelze ist. Zu Richard Oelzes Erwartung gibt es in der Reihe von Fischers Kunststück einen kleinen Band von Renate Damsch-Wiehager. Die schönste Übersicht über alle Sorten von Realismus der dreißiger Jahre vermittelt der bei Prestel 1981 erschienene Katalog Realismus zwischen Revolution und Reaktion 1919 -1939, der die deutsche Ausstellung (ursprünglich im Pariser Centre Pompidou) in Berlin begleitete.


Montag, 28. Juni 2010

Raglan


Am heutigen Tag vor 155 Jahren ist Lord Raglan gestorben. Kaum jemand denkt noch an ihn, aber was ein Raglanmantel ist, das wissen viele. Der ist nach ihm benannt, weil er nach der Schlacht von Waterloo nur noch einen Arm hat, und in einen Raglanärmel kommt man mit einem Armstumpf viel besser hinein. Auf dem Schlachtfeld, auf dem er jetzt ist (wir sind im Krimkrieg) ist noch ein anderer Lord, der Modegeschichte schreibt: Lord Cardigan. Der ist schon mit seiner Motoryacht nach Hause, als Raglan 1855 an der Ruhr stirbt, einer der unfähigsten Adligen, der sich ein Kommando in der Armee gekauft hat. Die Leser der Taten von Flashman werden hierzu vielleicht eine andere Meinung haben. Und Cardigan lässt sich natürlich als Helden malen

Er ist derjenige von der berühmten Charge of the Light Brigade, einer der größten Idiotien in der Militärgeschichte. Dank der neuen Telegraphenverbindungen berichtet die Times mit ihrem Starreporter William Howard Russell schon am gleichen Abend detailliert über den militärischen Unsinn (was den russischen Zaren zu dem Ausspruch bewegt Was brauche ich Spione, wenn ich die Times habe?). Nachdem Tennyson das gleichnamige Gedicht geschrieben hat, kennt das in England jedes Kind, und man hält Cardigan für einen Helden. Nach dem Todesritt (bei dem seine Rolle nie ganz geklärt wurde, manche klagen ihn an, er sei vom Schlachtfeld geflohen) reitet er zum Hafen von Balaclava, lässt sich von seinem Diener auf seiner Yacht Dryad ein heißes Bad bereiten und schlürft Champagner. Es gab übrigens am gleichen Tag einen Angriff der Heavy Brigade, der sehr erfolgreich für die Engländer war, aber über den redet niemand.










Half a league, half a league,
Half a league onward,
All in the valley of Death
 Rode the six hundred.
"Forward, the Light Brigade!
"Charge for the guns!" he said:
Into the valley of Death
 Rode the six hundred.

"Forward, the Light Brigade!"
Was there a man dismay'd?
Not tho' the soldier knew
 Someone had blunder'd:
Theirs not to make reply,
Theirs not to reason why,
Theirs but to do and die:
Into the valley of Death
 Rode the six hundred.

Cannon to right of them,
Cannon to left of them,
Cannon in front of them
 Volley'd and thunder'd;
Storm'd at with shot and shell,
Boldly they rode and well,
Into the jaws of Death,
Into the mouth of Hell
 Rode the six hundred.

Flash'd all their sabres bare,
Flash'd as they turn'd in air,
Sabring the gunners there,
Charging an army, while
 All the world wonder'd:
Plunged in the battery-smoke
Right thro' the line they broke;
Cossack and Russian
Reel'd from the sabre stroke
 Shatter'd and sunder'd.
Then they rode back, but not
 Not the six hundred.

Cannon to right of them,
Cannon to left of them,
Cannon behind them
 Volley'd and thunder'd;
Storm'd at with shot and shell,
While horse and hero fell,
They that had fought so well
Came thro' the jaws of Death
Back from the mouth of Hell,
All that was left of them,
 Left of six hundred.

When can their glory fade?
O the wild charge they made!
 All the world wondered.
Honor the charge they made,
Honor the Light Brigade,
 Noble six hundred.


Es gibt hiervon auch eine Nachdichtung von Theodor Fontane, die noch schlimmer ist als dies Gedicht. Hier ist ja wenigstens in der Zeile someone had blundered der Hauch einer Kritik.

Eigentlich hätte der ältere Kriegsinvalide zu Hause bleiben sollen (das Bild da oben zeigt Lord Raglan in Sewastopol, von Roger Fenton photographiert). Vor vierzig Jahren in Waterloo, da war er mit Wellington, dessen Adjutant er seit Portugal war, militärisch auf dem Höhepunkt der Zeit. Da war Fitzroy Somerset noch ein schneidiger junger Offizier aus bester Familie (sein Vater war der Herzog von Beaufort, seine Mutter die Tochter von Admiral Boscawen). Aber jetzt ist er alt und krank, sein Freund, der Herzog von Wellington ist tot, und die englische Armee ist nur noch ein Schatten der Armee, die Napoleon geschlagen hat. Es ist schon symptomatisch für den Zustand der Armee, dass sie Raglan das Oberkommando im Krimkrieg anvertraut und solche Leute wie Cardigan ein Regiment führen dürfen.

Der Krimkrieg gegen die Russen (die vor vierzig Jahren noch die Verbündeten Englands waren) ist ein Desaster, Raglan scheint stellenweise die Übersicht zu verlieren und redet immer von den Franzosen, wenn er die Russen meint. Irgendwie hat er immer noch Waterloo im Kopf. Das gefällt allerdings den Franzosen, die jetzt Englands Verbündete sind, nicht so sehr.

I am the very model of a modern Major-General,
I've information vegetable, animal, and mineral,
I know the kings of England, and I quote the fights historical
From Marathon to Waterloo, in order categorical;
I'm very well acquainted, too, with matters mathematical,
I understand equations, both the simple and quadratical,
About binomial theorem I'm teeming with a lot o' news,
With many cheerful facts about the square of the hypotenuse.
I'm very good at integral and differential calculus;
I know the scientific names of beings animalculous:
In short, in matters vegetable, animal, and mineral,
I am the very model of a modern Major-General.
I know our mythic history, King Arthur's and Sir Caradoc's;
I answer hard acrostics, I've a pretty taste for paradox,
I quote in elegiacs all the crimes of Heliogabalus,
In conics I can floor peculiarities parabolous;
I can tell undoubted Raphaels from Gerard Dows and Zoffanies,
I know the croaking chorus from The Frogs of Aristophanes!
Then I can hum a fugue of which I've heard the music's din afore,
And whistle all the airs from that infernal nonsense Pinafore.
Then I can write a washing bill in Babylonic cuneiform,
And tell you ev'ry detail of Caractacus's uniform:
In short, in matters vegetable, animal, and mineral,
I am the very model of a modern Major-General.
In fact, when I know what is meant by "mamelon" and "ravelin",
When I can tell at sight a Mauser rifle from a Javelin,
When such affairs as sorties and surprises I'm more wary at,
And when I know precisely what is meant by "commissariat",
When I have learnt what progress has been made in modern gunnery,
When I know more of tactics than a novice in a nunnery—
In short, when I've a smattering of elemental strategy—
You'll say a better Major-General has never sat a gee.
For my military knowledge, though I'm plucky and adventury,
Has only been brought down to the beginning of the century;
But still, in matters vegetable, animal, and mineral,
I am the very model of a modern Major-General
.

Wenn Sie sich jetzt durch diesen Zungenbrechertext hindurchgekämpft haben, werden Sie sicher der Meinung sein, dass sich dieser Text nicht auf Lord Raglan (oder Lord Cardigan oder Lord Lucan und wie sie alle heißen) beziehen kann. Tut er auch nicht. Dies ist eine Arie aus Gilbert und Sullivans Pirates of Penzanze. Sie sollten sie sich unbedingt auf YouTube anhören (der Song über die Elemente von Tom Lehrer wird übrigens nach der gleichen Melodie gesungen).

Derjenige, der hier satirisch gefeiert wird, heißt Garnet Wolseley. Bei der Belagerung von Sewastopol ist er noch nicht Sir Garnet, noch kein Viscount und noch nicht Our Only General (Disraeli). Da ist er noch der Hauptmann Wolseley, der gerade ein Auge verloren hat. Er ist nicht adlig, er hat sich seinen Dienstgrad nicht gekauft (er wird als Oberkommandierender der englischen Armee dafür sorgen, dass diese Praxis abgeschafft wird). Im Stab des Quartermaster General wird er den Abzug der Engländer organisieren und als einer der letzten Engländer die Krim verlassen. Er hat schon gesehen, dass die Fehlplanung der Engländer (die kein Holz für den Winter und kein Futter für die Pferde gekauft hatten und die einfachsten hygienischen Vorsichtsmaßnahmen unterlassen hatten) verhängnisvoll für die Armee war. Nicht nur Lord Raglan stirbt an der Ruhr, Krankheiten dezimieren die englische Armee. Die Engländer verlieren mehr Soldaten durch Krankheiten als durch Kriegsverletzungen. Wolseley wird alles anders und besser machen, je weiter er noch oben kommt.

Er wird, wie Raglan und Cardigan, auch etwas zur Mode beitragen. Er schafft die roten Röcke der Felduniform ab und ersetzt sie durch die Khakiuniform. Wobei das Jackett nach dem Norfolk Jackett geschneidert wird. Das Norfolk Jackett (der Vorläufer des Tweedjacketts) ist das, was die viktorianische upper class jetzt zum Moorhuhnschiessen oder anderen Freizeitvergnügungen in der Natur trägt. Raglanmäntel, Cardigan Strickjacken und Norfolk Jacketts, die zur Uniform werden: der Krieg ist schon der Vater aller Dinge.




Ein junger russischer Adliger, der bei Sewastopol dabei ist, wird über den Krieg schreiben Sie sehen hier entsetzliche, die Seele erschütternden Bilder, sehen den Krieg in seiner wirklichen Gestalt mit Blut, Qualen und Tod. Seine Sewastopoler Erzählungen werden die Keimzelle eines der größten Bücher der Weltliteratur sein: Woina i mir.

Sonntag, 27. Juni 2010

Moby-Dick


Heute vor 54 Jahren hatte John Hustons Moby-Dick Verfilmung Premiere. Fiel, trotz des künstlerischen Aufwandes bei Kritik und Publikum, glatt durch. Man lobte Orson Welles's Auftritt als Father Mapple, aber Gregory Pecks Ahab konnte keinen begeistern. Am wenigsten Leslie A. Fiedler, den wilden Mann der amerikanischen Literaturkritik. Gregory Peck hätte besser des Wal gespielt, höhnte er in seinem Buch Waiting for the End. Fiedler ist ein Mann der wunderbar gewagten Formulierungen, wie jeder weiß, der einmal sein fetziges Buch Love and Death in the American Novel gelesen hat. Fiedler hat auch einmal in einem Vortrag gesagt, dass die einzige überzeugende Frauenfigur in der amerikanischen Literatur der weiße Wal in Melvilles Roman Moby-Dick sei. Er hatte auch kein gutes Wort für John Barrymore übrig, der in den Moby-Dick Verfilmungen von 1926 und 1930 (die von 1930 ist eigentlich nur ein Tonfilm Remake der Version von 1926) den Kapitän Ahab als einen leicht irren John Barrymore gespielt hatte.

Enttäuschte Liebe hat in diesem Film Kapitän Ahab zur Jagd nach dem Wal gebracht, diesen love interest finden wir im Buch ja nun gar nicht, aber Barrymore hatte für seine jeweiligen Geliebten das Drehbuch umschreiben lassen. Wer interessiert sich schon für Herman Melville, wenn sich die ganze Welt der Traumfabrik Hollywood nur für John Barrymore interessiert? Dabei hatte sich John Huston mit dem Film große Mühe gegeben, er ist auch einer der wenigen amerikanischen Regisseure, der kommerzielle Interessen (zum Leidwesen der Studios) gegenüber der Originaltreue bei einer Literaturverfilmung zurückstellte. Die junge Journalistin Lillian Ross vom New Yorker hatte Hustons  Dreharbeiten von The Red Badge of Courage begleitet und darüber im New Yorker geschrieben. Die Reportage ist später in Buchform unter dem Titel Picture erschienen.

Es ist eins der besten Bücher, die über eine Literaturverfilmung geschrieben worden sind (man kann es heute noch kaufen und die deutsche Übersetzung Film gibt es bei Amazon ab 0,47 €). Und man merkt bei Ross (die zwei Jahre zuvor im New Yorker die Macho Attitüden von Hemingway demontiert hatte) auf jeder Seite, wie Huston gegen das Studio um den Originaltext kämpft. Huston wird (wie jeder Leser von Moby-Dick weiß) gewusst haben, dass Moby-Dick unverfilmbar ist, aber er hat versucht, das Unmögliche möglich zu machen. Sein Film ist nicht nur eine einfache Abenteuergeschichte. Dafür hat schon sein Drehbuchautor gesorgt, kein Hollywood Profi, sondern Ray Bradbury, der gerade Fahrenheit 451 geschrieben hatte. Und auch für die Filmmusik hatte Huston auf jemanden gesetzt, der nichts mit Hollywood zu tun hatte. Der englische Komponist Philip Sainton schrieb die Musik, die ein wenig an Debussy, Delius und Korngold erinnert. Das Label Marco Polo hat 1998 die Filmmusik von Philip Sainton auf einer CD herausgebracht. Die Dreharbeiten dauerten drei Jahre, fünfzig Prozent waren Aussenaufnahmen in Irland, vor der Küste von Wales und vor Madeira (alles, was im Roman im Pazifik spielt, wurde dort gedreht). Die andere Hälfte wurde in den Elstree Studios in London gedreht. Nichts in Amerika. John Huston, der seit 1947 die Hexenjagd der HUAC Komitees bekämpft hat, ist jetzt irischer Staatsbürger.

Huston hatte sich vor den Dreharbeiten alte kolorierte Stiche und Lithographien aus dem 19. Jahrhundert angesehen. Und er wollte seinen Film, trotz der satten Farben von Technicolor bewusst in diesem Stil haben. Sein Kameramann hielt sich an diese Anweisungen, und so gibt es in diesem Film eine immer eine gewisse Unschärfe und Farben, die eher milchig wirken.

Huston hatte vorher schon mit Ähnlichem experimentiert, bei Moulin Rouge hatte er einen Schwarzweißfilm über den Farbfilm kopiert, was im Ergebnis an eine malerische Technik erinnerte. Und auch in Moby-Dick haben die Bilder häufig etwas Malerisches, einen trüben Lichtschimmer und eine glanzlose Gischt mit der die pessimistische Grundstimmung Melvilles mit einer schleierlosen Kälte, aber nicht ohne den Schimmer düsterer eschatologischer Romantik gezeigt wird (auf jeden Fall so im Verständnis des anonymen Rezensenten, der im ersten Heft der neuen Zeitschrift Filmkritik 1957 den Artikel Melville zum Gruß schrieb). Oswald Morris, der mit Huston schon Moulin Rouge gedreht hatte (und noch in vielen Filmen sein Kameramann sein wird) hat das Filmmaterial beim Entwickeln nachbehandelt, bis er diese milchigen Pastelltöne hinbekommen hat.

Eigentlich hätte man das Ganze auch gleich in Schwarzweiß drehen können. Ray Bradbury war mit seiner Familie nach Irland zu Huston gezogen. Er hatte Huston in Kalifornien kennengelernt, und er hatte einmal als junger Autor auf die Frage Wann schreibst Du denn mal ein Drehbuch? die scherzhafte Antwort gegeben Wenn John Huston mich anruft. Nun hatte John Huston angerufen. Bradbury war nicht zuhause gewesen, weil er mit seinem Freund Ray Harryhausen in den Antiquariaten von Venice herumstöberte, auf der Suche nach Büchern über Monster. Wir sind in den frühen fünfziger Jahren, da gibt es noch nicht so viele Bücher über Monster. Das hat sich heute geändert. Und alles, was Ray Harryhausen für die Welt der filmischen Monster erfunden hat, braucht man heute nicht mehr. Ich habe Harryhausen einmal kennengelernt und ihn mit einer kleinen Einleitung dem Publikum vorgestellt. Dafür durfte ich dann auch bei seinem Vortrag neben ihm sitzen und hatte einen Logenplatz, als er ein kleines hochkompliziertes Monster nach dem anderen aus seinem Koffer holte. Die kleine mechanische Eule, die in Clash of the Titans (1981) durchs Bild saust, ich habe sie in der Hand gehabt. Das war ein netter Abend. Warum Bradbury Huston seinen Freund Harryhausen nicht als Trickfilmspezialisten empfohlen hat, weiß ich nicht. Die beiden Rays sind heute immer noch Kumpel (sie werden in diesem Jahr beide neunzig Jahre alt).

Aber als John Huston zum zweiten Mal anrief, war Bradbury zuhause. Musste allerdings zugeben, dass er den Roman noch nie gelesen hatte. Von dem Abend an hat er für das nächste Jahr nichts anderes mehr getan, eines Tages guckte er morgens in den Spiegel und sagte I am Herman Melville und schrieb den Rest des Drehbuchs. Hat er in einem Interview gesagt, aber er hat viele widersprüchliche Dinge über seine Zusammenarbeit mit Huston gesagt. In dem Interview mit Sight & Sound 1974 hat er auch gesagt, dass Gregory Peck eine Fehlbesetzung war.

Gut, wir haben ihn ja alle lieber als Captain Hornblower (links), aber war er wirklich so falsch als Ahab? Ist Patrick Stewart vom Raumschiff Enterprise 1998 besser? In dieser Verfilmung durfte der Ahab von 1956 den Father Mapple spielen. Bradbury lenkt mit solchen Sätzen davon ab, dass sein Drehbuch den Text von Moby-Dick an entscheidenden Stellen elementar verändert hat (der Filmkritiker Brandon French fand das in Lost at Sea katastrophal). Ich glaube manchmal, dass Peck gegen Bradburys Text noch etwas von Melvilles Ahab zu retten versuchte. Aber es steht fest, dass Huston Peck nicht gewollt hat, den hatte ihm das Studio (Warner Bros.) aufgedrückt, damit wenigsten ein bekannter amerikanischer Schauspieler im Film war. Wäre der Film besser geworden, wenn er länger geworden wäre? Sergei Bondartschuk nimmt sich für Krieg und Frieden 484 Minuten Zeit, Moby-Dick ist (bei gleicher Länge des Romans) nur 116 Minuten lang. Es wird niemandem gelingen, Prousts Suche nach der verlorenen Zeit zu verfilmen. Obgleich Raoul Ruiz Le temps retrouvé (1999) sicher als gelungen zu bezeichnen ist.

Nach einem halben Jahrhundert ist man als Kritiker gegenüber dem Film sicherlich milder gestimmt. Man hat mittlerweile so viele schlechte Filme gesehen, dass einem Moby-Dick jetzt schon wieder gut vorkommt. Als Melville den Roman schrieb, hatte der Walfang als Amerikas nationale Industrie längst seinen Höhepunkt hinter sich. Und heute hat der Walfang einen ganz anderen Stellenwert als 1851. Niemand würde ein Epos über einen japanischen Walfänger schreiben, der hinter einer Kanone auf einem japanischen Walfangschiff steht. Das Abenteuer, das den jungen Melville auf der Acushnet begeisterte, ist dem unsinnigen mechanisierten Morden gewichen. Kein faustischer Ahab versucht mehr, the whiteness of the whale zu ergründen.

Ray Bradbury lässt in seinem Drehbuch Moby Dick sterben, aber in Melvilles Roman stirbt er nicht. Moby Dick wird niemals sterben, wird immer ein Rätsel und ein Geheimnis bleiben. Ebenso wie der Roman immer ein Rätsel bleiben wird, so oft man ihn auch liest. Hustons Film hat große Momente, so fehlerhaft er ist. Er kann auch Zuschauer dazu bringen, einmal den Roman zu lesen.


John Hustons Film ist als DVD leicht erreichbar. Mit guten Moby-Dick Ausgaben sieht es schon schwieriger aus. Da die Ausgabe von Mansfield und Vincent (Hendricks House 1952) nicht mehr erreichbar ist, steht die von Harold Beaver kommentierte Penguin Ausgabe (über 300 Seiten Kommentar!) bei mir an zweiter Stelle der Empfehlungen. Gefolgt von der Norton Critical Edition, die Harrison Hayford und Hershel Parker herausgegeben habe. Bei deutschen Übersetzungen überwiegen die schlechten und schlimmen Texte. Meine Lieblingsübersetzung bleibt die bei Manesse erschienene Übersetzung von Fritz Güttinger. Es hat im letzten Jahrzehnt zwei deutsche Neuübersetzungen gegeben, wobei die von Matthias Jendis die lesbarste ist. Die von Friedhelm Rathjen bei Zweitausendeins erschienene Übersetzung hat den Vorteil, dass das Buch die schönen Illustrationen von Rockwell Kent enthält. Allerdings haben sich prominente Kritiker vernichtend über Rathjens Übersetzung geäußert. Ich auch. Die beste und lesbarste neuere Biographie zu Melville ist von Andrew Delbanco (Knopf 2005), die es inzwischen glücklicherweise auch schon in einer deutschen Übersetzung gibt.

Man kann natürlich auch Moby-Dick lesen und dabei die Songs of the Humpback Whale hören. Was aber sicher gar nicht geht, ist das hier unten:



Samstag, 26. Juni 2010

Antiquariat



Wenn man das hier so sieht, dann kann man ja nur noch im Antiquariat kaufen, sagte mein Freund Peter. Wir standen vor einer Buchhandlung, die den schönen Namen Geist hatte (und die natürlich in Bremen ist). Das ist nun Jahrzehnte her, aber ich habe seinen ironisch daher gesagten Rat befolgt, ich kaufe beinahe nur noch Bücher im Antiquariat (oder beim ZVAB oder antiquarische Titel bei Amazon Marketplace). Was auf der Bestsellerliste steht, kaufe ich eh nicht. Die Buchhandlung Geist am Wall gibt es immer noch, aber sie ist nur noch ein Schatten eines alten Traditionsgeschäftes. Aber so toll ist es mit den anderen großen Namen wie Gustav August von Halem oder Franz Leuwer auch nicht mehr. Viele Bremer Buchhandlungen wie Schünemann, Leuwer und Trüjen haben ja auch einmal Bücher verlegt. Aber heute haben alle Buchhandlungen Schwierigkeiten gegen solche Konzerntöchter zu bestehen, die sich auch noch frecherweise den Namen der Muse der Unterhaltung zulegen. Wenn der Markt von Kettenläden wie der Douglas Tochter Thalia oder Hugendubel/Weltbild beherrscht wird, ist das ein schlimmes Zeichen für den Buchhandel.

Wobei der natürlich seine Chance in der Nische hat, mit spezialisiertem Angebot (wie Eramus in Amsterdam, die leider irgendwann ihr berühmtes Antiquariat aufgegeben haben), ausgebildetem Personal und ansprechendem Ambiente, Dichterlesungen inbegriffen. Und was man da machen kann, hat Eckart Cordes in Kiel in über vierzig Jahren vorgemacht, wer als Autor nicht bei ihm war, gehörte nicht zur europäischen Literatur. Aber als er die Buchhandlung aus Altersgründen verkaufte, war sie natürlich nicht mehr das, was dem Firmengründer den Kieler Kulturpreis eingetragen hat. Manche Buchhandlungen bekommen einen Besitzerwechsel eleganter hin, um die Zukunft von Marga Schoeller oder der Autorenbuchhandlung Berlin mache ich mir keine Gedanken.

Wir sollten ja auch mal mit einer gewissen Dankbarkeit feststellen, dass wir in Deutschland eines der besten Buchhandelssysteme der Welt haben, beinahe jedes Buch ist innerhalb von 24 Stunden beim Kunden. Versuchen Sie mal in Amerika ein Buch zu bestellen, das die Buchhandlung nicht hat (früher gab es ja noch den unübertroffenen Nolan E. Smith von American Worlds Books). Und über englische Buchhandlungen mit Firmensitz in Oxford und Cambridge, erstklassigem Briefpapier und lausigem Service, möchte ich nach jahrzehntelangen Erfahrungen lieber gar nichts sagen. In Paris werden Buchhandlungen noch von den Verlagen per Boten beliefert, aber das funktioniert natürlich nur, wenn alle Verlage zentral in einer Stadt sitzen. Die Defizite in der Versorgung mit Büchern, die es national und regional geben kann, macht sich natürlich Amazon zu Nutze.

Aber so schön als übrig gebliebene Insel der Kultur eine gut geführte Buchhandlung ist (die es glücklicherweise in Deutschland noch in einer Vielzahl auch kleinerer Städte gibt), das Salz in der Suppe für den Buchliebhaber (oder book junkie) ist natürlich das Antiquariat. Und damit meine ich nicht Strand Book Store (18 miles of books) und auch nicht solche Antiquariate, wo Karl Lagerfeld sich teure Erstausgaben aus dem 18. Jahrhundert kauft (die er eh nie liest, angeblich hat er 230.000 Bücher). Oder solche Antiquariate, die nur mit Wiegendrucken oder ähnlichem handeln. Auch keine so genannten Modernen Antiquariate.

Und natürlich auch nicht Arthur Gwynn Geigers Bookstore, den Philip Marlowe im vierten Kapitel von The Big Sleep betritt. Das da unten ist nicht Geigers Pornoladen, das ist die Buchhandlung gegenüber mit der Buchhändlerin die weiß, dass es keine Ben Hur Ausgabe von 1860 mit einem Druckfehler auf Seite 116 gibt. Bevor sie die Brille abnimmt und die Vorhänge zuzieht, aber das passiert uns als Kunden von kleinen Buchhandlungen nie. Das passiert nur Humphrey Bogart. Was mich immer beim Lesen von Chandlers Roman gewundert hat, warum muss die Frau dafür in einem Buch nachgucken? Es kann keine Ausgabe von Ben Hur, auch nicht die dritte mit einem Druckfehler, von 1860 geben, weil der Roman erst 1880 erschienen ist.

Nein, mit dem Begriff Antiquariat meine ich das kleine inhabergeführte Antiquariat, das von aussen nach nix aussieht, und auf keinen Fall mit Thalia verwechselt werden kann. Das auf den ersten Augenblick völlig unordentlich ist, aber eine gewachsene innere Ordnung hat, die nur der Besitzer und die Stammkunden begreifen. Das auch noch Grabbelkästen für nochmals reduzierte Bücher in der Ecke oder draußen vorm Laden hat. Wo garantiert kein Computer hinter der Ladentheke steht. Sie kennen das aus der ZDF Serie Wilsberg, wo der nette Detektiv, der früher Rechtsanwalt war, jetzt in Münster mit Büchern handelt. Und ständig zu tun hat, weil Münster ja so kriminell ist, also außer den kriminellen Radfahrern. Das Antiquariat gibt es übrigens wirklich, es heißt Antiquariat Solder. Kriegt für die Dreharbeiten nur ein anderes Firmenschild angeschraubt. Wenn man bei Google Bilder den Begriff Antiquariat eingibt, kann man seitenlang Antiquariate sehen, die genau so aussehen, wie sie aussehen sollen.


Nämlich so wie mein Antiquariat um die Ecke, das Eschenburg heißt. Und das im Gegensatz zu dem Antiquariat Wilsberg wirklich echt ist. Begründet wurde es von Harald Eschenburg, dem Bruder von Deutschlands berühmtesten Staatsrechtler Theodor Eschenburg. Seit seinem Tod wird es von seinem Sohn geführt, aber es hat sich nicht viel geändert. Die Preise sind moderat wie eh und je (Bücher sind hier eigentlich unverschämt billig), und Harald Michael Eschenburg raucht Zigaretten. Seine Vater schon eher Zigarre oder Zigarillo. Harald Eschenburg senior hatte bei Ernst Rowohlt Verlagskaufmann gelernt, war Marineoffizier im Kriege gewesen und hat gleich nach dem Krieg in Kiel wieder mit dem Buchhandel angefangen. Daneben hat er die FDP in Schleswig-Holstein mitbegründet und war Ratsherr im Kieler Rathaus. Irgendwann ist er vom normalen Buchhandel ins Antiquariat gewechselt, und sein Laden wurde schnell zu einer Kultstätte. Aufstrebende Politiker, Verlagserben, Professoren und Studenten aller Fachrichtungen bevölkerten (und bevölkern) den Laden. Gleichermaßen unfreundlich vom Besitzer behandelt, für den man immer ein Störfaktor zu sein schien (heute wird man dagegen von Eschenburg Junior richtig nett behandelt). Erst recht, als er im hohen Alter anfing, verbissen auf seiner Reiseschreibmaschine zu tippen. Irgendwie wollte er Fontane Konkurrenz machen, denn im Alter entstanden in rascher Folge die Bände einer Kieler Familientrilogie:

Schlagseite, Wind von Vorn und Im Schlepp. Die Bände haben solch nautische Titel, weil der Vater von Harald und Theodor Eschenburg Admiral war und dies natürlich auch zu großen Teilen eine autobiographische Erzählung von einer großbürgerlichen Familie ist. Und die Trilogie ist sicherlich auch, wie andere Romane aus Schleswig Holstein (also Die Buddenbrooks und Der Provinzlärm) ein Schlüsselroman. Obgleich der Autor das immer bestritten hat. Die kritische Rezeption der Bände war mehr als wohlwollend, Vergleiche mit Thomas Mann blieben nicht aus. Aber der Autor blieb wie eh und je, immer leicht mürrisch - obgleich ich zugeben muss, dass ich zeitlebens ein sehr gutes Verhältnis zu ihm hatte. Und er schrieb weiter. Mit Lübecker Marzipan kehrte er in seine und Thomas Manns Heimat Lübeck zurück (sein Großvater war Lübecker Bürgermeister gewesen), und dann folgte noch eine Biographie über den Admiral Prinz Heinrich von Preußen. Welcher Buchhändler in einer Thalia Filiale schreibt schon mal so eben im Laden ein halbes Dutzend Bücher in einem Jahrzehnt? Ich nehme an, dass es auch das Ambiente dieses Ladens ist, das die Bücher mit hervorgebracht hat.

Das Schlimme bei den kleinen Antiquariaten wie Eschenburg ist natürlich, dass man beinahe immer mit einem Buch wieder herauskommt. Als Ludwig Tieck dreieinhalbtausend Bücher hatte, war er über diese Zahl so entsetzt, dass er alle seine Bücher verkaufte. Nach wenigen Jahren hatte er wieder dreitausend Bücher. Da hat er gemerkt, dass man sich gegen Bücher nicht wehren kann. Ich wäre glücklich, wenn ich nur dreieinhalbtausend hätte. Aber es sind, und daran sind diese verteufelten Antiquariate schuld, immer mehr geworden. Was mich beunruhigt, ist nicht die Zahl der Bücher in meinen Regalen. Man braucht keine Tapeten, und es ist auch besser als diese Bücher dummies, die bei Möbelhäusern als Buchvorgauklung im Regal stehen. Was mich beunruhigt ist, dass ich in den Antiquariaten wenig junge Leute sehe. Wo bleibt der Lesernachwuchs? Die Leser, die die wirkliche Welt über das Buch entdecken?

Wir bekommen es seit den ersten PISA Studien jedes Jahr von einer Kommission um die Ohren gehauen, dass wir nicht mehr das Volk der Dichter und Denker sind. Gerade wieder wird uns versichert, dass die Schüler meiner Heimatstadt Bremen in Bezug auf die Lesefähigkeit ein Jahr hinter den Bayern zurück sind, ein Jahr! Nicht nur die zwei Bundesligaplätze, die Werder hinter den Bayern liegt. Das sollte Willi Lemke mal zu denken geben, ob er nicht was fundamental falsch gemacht hat, als er noch Kultussenator in Bremen war.

Aber von der Schavan können wir keine Hilfe erwarten. Über die werde ich nix sagen und auch nicht über Frau Merkels Staatsminister für Kultur oder wie das heißt, mit dem ich auf der Schule war. Uns bleibt nur eins: lesen, lesen, lesen! Vielleicht sollte man einmal Daniel Pennacs bezauberndes Buch Comme Un Roman (Wie ein Roman) lesen, ein Buch, das jedem Mut macht, von sich aus zu lesen. Und dann einfach mal ins Antiquariat gehen, das sind da ja Preise für für junge Leser, für Leute, die wenig Geld haben (auf jeden Fall bei Eschi in der Holtenauer Straße in Kiel). Keine Schwellenangst, da beisst niemand und es kostet auch keinen Eintritt. Das wirklich wunderbare Buch von Pennac gibt es auf Deutsch und Französisch bei Amazon, aber natürlich auch bei einer richtigen kleinen Buchhandlung.

Im Jahre 2007 haben Wilma Pradetto und Thomas Schadt den Grimme Preis für ihren Dokumentarfilm Beruf Lehrer bekommen (und das völlig zu Recht). Sie haben ein halbes Dutzend Lehrer aller Altersgruppen monatelang bei ihren Unterrichtserfahrungen gefilmt. In dem Film sagt ein Lehrer einmal (und ich zitiere das sinngemäß): Die Kultusminister, das sind doch alle schlaue Leute. Ich wünschte mir, dass jeder Kultusminister einmal eine Woche lang an einer Schule unterrichtet. Ja, warum nicht. Das möchte ich sehen. Ich könnte wetten, dass die Kultusminister und ihre Staatssekretäre und ihre Referenten und Referentinnen alle zusammen nicht einmal den 90-minütigen Film Beruf Lehrer gesehen haben.

Es gibt unter Lehrern faule Schweine, das wissen wir alle. Aber es gibt noch mehr, die sich aufopfern. Der Fisch fängt vom Kopf an zu stinken, das wirkliche Problem liegt bei den Kultusministern. Der von Schleswig Holstein ist gerade noch in der letzten Woche den Studis entkommen, die ihn verprügeln wollten. Das ist nun auch keine Lösung. Wir brauchen keine Exzellenzinitiativen, wir brauchen eine Lesefähigkeit des Volkes. Was hätte dieser Präsident, der so kläglich aus dem Amt geschieden ist, und der sich ja einmischen wollte, was hätte der mit den Möglichkeiten seines Amtes bewegen können, wenn er sich das Ziel gesetzt hätte, die Lesefähigkeit in Deutschland zu verbessern?

Ich begrüße meinen neuen regelmäßigen Leser. Es gefällt mir, gelesen zu werden, außer den eingetragenen Lesern sind da noch hunderte anderer Leser. Aber die können alle schon lesen. Doch wenn jeder von uns beginnt, andere zum Lesen zu bewegen? Teenies dazu zu kriegen, ihre Prioritäten anders zu setzen? Romane zu lesen, statt Handyschulden anzuhäufen. Wäre das nicht ein schöner utopischer Gedanke? Denn sonst wird es eines Tages so sein, wie auf dem Cartoon von Gary Larson:


Freitag, 25. Juni 2010

Stil


Jogi Löw ist eine Stilikone, lese ich. Denke zuerst, die haben sich vertan und meinen Yogi Bear, aber nein, es war Löw. Weil er immer schwarze Hosen und weiße Hemden trägt, so stylish. Noch nie war es so leicht, mit so wenig einen Stil zu haben. Und weil das natürlich nicht irgendwelche schwarzen Hosen oder weiße Hemden sind, sondern weil sie von Strenesse sind, steht auch dabei. Wenn man stylish ist, muss man natürlich immer einen Markennamen dazu sagen. Da kriegt der Journalist dann von Gabriele Strehle bestimmt ein stylishes weißes Hemd dazu.

Manche Markennamen gehen nun gar nicht. Also zum Beispiel Eterna. Christian Wulff trägt Eterna Schlipse. Stand in der Zeit vor 14 Tagen. Das ist schnell verdientes Geld, über einen so armen Kerl wie den Wulff herzufallen und ihn einer Stilkritik zu unterziehen. Erst dachte ich, es ist die silly season, und die haben da irgendeinen Volontär losgelassen. Habe mich aber dann belehren lassen müssen, dass Moritz von Uslar kein Pseudoym ist, sondern dass der Mann seit Jahren sein Geld mit Stilkritiken verdient. Wie schade, dass ich das noch nie gelesen habe. Vielleicht ist er ja ein zweiter Andreas (Leo) Lukoschik, der hatte ja immerhin studiert und mal einen Grimme Preis gekriegt. Und er war witzig, das ist von Uslar nicht. Er möchte so schreiben wie Benjamin von Stuckrad-Barre, aber das bringt er nicht. Häme über jemanden auszugiessen, der keine erkennbare Bildung und keinen erkennbaren Stil hat, ist ja eine sehr niveauvolle Sache fürs Feuilleton der Zeit.

Aber es ist symptomatisch. Was wäre aus Schröder geworden, wenn er nicht plötzlich zum wandelnden Werbeträger (erst Zegna, dann Brioni) mutiert wäre? Wollen wir unsere Politiker wirklich als Dressmen, die auch noch bei der erstbesten Gelegenheit so wie Schröder das Label ihrer Klamotten in die Kamera halten wie die Sapeurs im Kongo? Die Tochter von Wilhelm Kaisen hat ihrem Vater mal eine Kaschmirstrickjacke bei Stiesing in der Sögestraße gekauft, hat aber ihrem Vater nie erzählen dürfen, dass die von Stiesing war. Er hätte sie sonst nicht getragen. Die Gründergeneration der Republik legte keinen übertriebenen Wert auf sartoriale Feinheiten. Und Journalisten hatten noch andere Themen, als über die Schuhe und Schlipse von Politikern zu schreiben.

Harold Wilson hat einen Mantel der Firma Gannex getragen (links), und die Firma hat mit seiner Einwilligung mit ihm Reklame gemacht. Das galt in England als nicht fein, sowas Prolliges war natürlich typisch Labour. Zum Abschied aus dem Amt des Premierministers hat er den Gannex Firmenchef auf seiner berüchtigten lavender list auch noch zum Lord gemacht (Lord Kagan, nicht Lord Gannex). Wenig später war der wegen Betrugs im Gefängnis. Hat ein Politiker aus dieser Geschichte etwas gelernt? Musste Biedenkopf unbedingt an der Kasse von IKEA um Prozente betteln? Die Firma ➱Brioni hat verlauten lassen, dass Schröder (der auch bei Möller in Hannover Rabatt bekommt) für sie ein besserer Werbeträger gewesen sei als James Bond. Da kann sich der Gerd was drauf einbilden. Ich weiß nicht, ob die Firma IWC ihn noch als Werbeträger gebraucht (Schröders russischer Kumpel Putin trägt ja eine Patek, die genau so viel kostet, wie er im Jahr verdient). Die haben ja nicht so viel Glück mit ihren Vorzeigepromis. Jan Ullrich (Doping), Boris Becker (Besenkammer), Zinedine Zidane (Kopfstoß). Hoffentlich haben die nicht noch Nicolas Anelka unter Vertrag.

Früher, als sie noch eine seriöse Manufaktur waren, und sie äußerlich unscheinbare und technisch hervorragende Uhren machten, war alles anders. Da trugen noch Intellektuelle und gebildete Leute eine IWC. Aber seit Blümleins Tod hat sich die Firma verändert. Heute werden zu den Events der Luxusfirmen alle möglichen B-Promis eingeflogen. Aber garantiert keine Philosophen oder Intellektuelle. Und Leute mit Bildung würden nicht für alles Geld der Welt zu solchen Events gehen.

Es ist eigentlich ganz schön, dass zur Zeit auf 3sat Kir Royal läuft. Ist zwar schon ein Vierteljahrhundert alt (und viele die da mitspielten sind inzwischen tot), ist aber immer noch hochaktuell. Abgesehen davon, dass sich bei den bayrischen Amigos das Outfit inzwischen etwas verändert hat, aber dieser Drang, in der Gesellschaft jemand sein zu wollen, der ist geblieben. Hat sich irgendjemand in dem hochkomischen Prominentenzahnarzt in Folge Eins wiedererkannt? Oder in dem Generaldirektor Hafferloher (eine Paraderolle für Mario Adorf), der so gerne dazugehören möchte?

Aber Stil kann man nicht kaufen, den erwirbt man sich im Leben. Oder auch nicht. Einen Lifestyle, den kann man sich kaufen. Als Arthur Miller in den fünfziger Jahren zum ersten Mal das Wort lifestyle hörte, gab er ihm keine so großen Überlebenschancen. Er musste zugeben, dass er sich geirrt hatte, steht so in seiner Autobiographie. Was wäre wir heute ohne diesen inflationär gebrauchten Begriff? Er interessiert ja nur die armen neureichen Aufsteiger und die Journalisten, im wirklichen Leben brauchten wir ihn nicht. Im wirklichen Leben brauchen wir auch keine Stilkritiker wie den Herrn von Uslar. Und es wäre schön, wenn wir Herr Wulff auch nicht brauchten, ob er nun seine Lloyd Schuhe in Sulingen im Fabrikverkauf kauft oder nicht. Über die Uhr von Herrn Wulff hat Herr von Uslar keine Auskunft bekommen: Der Herr Ministerpräsident möchte das nicht so gerne. Ist ihm zu intim. Na ja, seit sich der Kleinfeld bei Siemens seine ➱Rolex auf dem Photo hat wegpixeln lassen, achtet man schon auf sowas. Außer man heißt Silvio Berlusconi, dann trägt man eine Uhr, die mehr als eine halbe Million kostet. Irgendwie scheint für ihn auch der Satz zu gelten, der sich Ian Buruma einmal während der Olympischen Spiele in Seoul aufdrängte: je ärmer und unbedeutender das Land, um so protziger  (Uhren und Klamotten) kommen seine Funktionäre daher.

Wenn man früher Fußballtrainer war, dann sah man so aus wie Winni Schäfer. Oder auf jeden Fall irgendwie so wie Atze Schröder aussieht. Jetzt sehen die Fußballtrainer aus wie Dressmen, tragen irgendwelche (meistens schlechtsitzende) corporate identity Anzüge, für die sicher wieder eine Firma Werbung machen kann. Und die dann zuhause von irgendwelchen bezahlten Journalisten als sehr stylish beschrieben werden. Während wir alle am Bildschirm sehen konnten, wie grauenhaft das aussah. Irgendwie wünsche ich mir das wieder zurück, dass die Trainer wieder aussehen wie Winnie Schäfer oder Otto Rehhagel und nicht wie die Stilikone Yogi Bear. Und jetzt habe ich das doch wieder verwechselt, oder? Es gibt ja inzwischen schon ein Jogi Löw Hemd (Yogi Bear T-Shirts gab es schon länger), das kostet 149 € und besteht zu 77 Prozent aus Baumwolle, 18 Prozent Polyamid und 5 Prozent Elasthan. Und ist natürlich wahnsinnig stylish. Für den Preis kriegt man in London im Ausverkauf schon ein richtig gutes Oberhemd, und bei ebay UK könnte man in diesem Augenblick vier nagelneue Thomas Pink Hemden für den Preis kriegen. Man könnte natürlich auch einundfünzig Hanna Barbera (Hanna Barbera, nicht Luciano Barbera!) Yogi Bear Aufbügler für T-Shirts zum Stückpreis von 2,90 € kaufen und damit eine ganze Kita glücklich machen.

Das ist natürlich keine Kita, das ist die englische Nationalmannschaft. Die Anzüge kommen von Marks und Spencer, man kann sie jetzt überall in England kaufen. Der Anzug kommt in zwei Versionen, einmal normal und zum anderen in der scharfen engen Version. Das, was Beckham trägt. Das Design (schmales Revers, schräge Taschen etc.) stammt von Timothy Everest. Ist nett gedacht, aber so richtig passen tun die Teile ja nicht. Selbst Becks sieht damit manchmal unglücklich aus. Womit einmal mehr bewiesen wäre, dass zwischen der Savile Row und dem Savile Row Design von Marks und Sparks eine kleine Welt liegt. Auch preislich, der M&S Official FA Suit kostet 120 Pfund für das Jackett und 79 Pfund für die Hose (die optionale Weste 35 Pfund). Die Klamotten von Strenesse sind viel teurer. Wenn am Wochenende Mark&Spencer gegen Strenesse spielt, werden wir ja sehen, wer gewinnt.

Ich weiß nicht, ob Yogi Bear eine Uhr trägt (hatte Winnie-the-Pooh eine?), aber Jogi Löw trägt jetzt protzig eine IWC Da Vinci. Und die Firma stattet auch die Mannschaft mit einer speziellen Weltmeisterschaftsuhr aus.

Wozu sich im Internet hübsche Sätze fanden, wie dieser: Schlimm genug, dass ein Haufen Sonderschüler solche Gehälter bekommt, aber diese Uhr ist ebenso unnötig wie hässlich. Das sind doch alles Millionäre, die da über den Rasen laufen, die können sich ihre Uhren doch selbst kaufen. Für das Geld hätte die Firma auch in Südafrika irgendwelche guten Werke tun können. Wir scheinen in einer Welt zu leben, wo viele Sein und Design verwechseln. Statt Werbeträger für irgendein Produkt eines Designers zu sein, könnte man die Werke von Plato oder Aristoteles kaufen. Und lesen. Das Sondermodell für die deutsche Nationalmannschaft kostet 8.900 Euro, mit dem Geld könnten die Hilfsorganisationen für Afrika schon etwas anfangen. Und bevor man Jogi Löw zur Stilikone macht, sollte man vielleicht lieber Karlheinz Böhm zu seinem Vorbild machen. Das hätte Stil.

Falls ich jetzt jemanden in Bezug auf Stil und Geschmack verunsichert haben sollte, kann ich nur die Lektüre von Stephen Bayleys Taste: The Secret Meaning of Thing (Faber & Faber 1991) empfehlen.

Donnerstag, 24. Juni 2010

Petrarca












Es wird der bleiche Tod mit seiner kalten Hand
Dir endlich mit der Zeit umb deine Brüste streichen.
Der liebliche Corall der Lippen wird verbleichen;
Der Schultern warmer Schnee wird werden kalter Sand.


Der Augen süsser Blitz, die Kräffte deiner Hand,
Für welchen solches fällt, die werden zeitlich weichen.
Das Haar, das itzund kan des Goldes Glantz erreichen
Tilgt endlich Tag und Jahr als ein gemeines Band.

Der wohlgesetzte Fuss, die lieblichen Gebärden,
Die werden theils zu Staub, theils nichts und nichtig werden,
Denn opfert keiner mehr der Gottheit deiner Pracht.

Diss und noch mehr als diss muss endlich untergehen,
Dein Hertze kan allein zu aller Zeit bestehen
Dieweil es die Natur aus Diamant gemacht


Wir sind jetzt in einem anderen Jahrhundert, dem siebzehnten, da sehen Liebeslieder etwas anders aus. Dies hier heißt Vergänglichkeit der Schönheit, geschrieben von Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau. Die Barockdichter haben es ja mit der Vergänglichkeit, vanitas vanitatum. Enttäuschte Liebe hält sich ja als Thema, hat kein aufgedrucktes Verfallsdatum. Ob das in einem Volkslied ist:

Die Mädchen auf der Welt
sind falscher als das Geld
mit ihrem Lieben
Ade nun zur guten Nacht
jetzt wird der Schluss gemacht
dass ich muss scheiden

oder in ➱Schuberts Schöner Müllerin. Oder im seichtesten Schlager, der im Radio dudelt. Immer wieder enttäuschte Liebe. Meistens sind es ja Männer, die da klagen. Frauen dürfen, wenn überhaupt, nur klagen, wenn sie verlassen werden. Wie Ariadne in Monteverdis Lamento d'Arianna 1608 (gerade von Theseus verlassen). Aber sowas ist eher selten, die europäische Liebeslyrik wird ja immer von Männern geschrieben. Eigentlich ist das erstaunlich.

Wenn wir uns das Gedicht von Hoffmannswaldau etwas genauer anschauen, fallen uns diese etwas manierierten Bilder und Vergleiche auf: Lippen wie Korall, der warme Schnee der Schultern, der Goldglanz des Haares. Nichts von dieser Bildlichkeit hat Hoffmannswaldau erfunden (er mixt lediglich den Schönheitskatalog mit dem Motiv der Vergänglichkeit), das gibt es alles schon. Kommt aus dem Welschen, Francesco Petrarca ist dafür verantwortlich. Der hat in seinen Canzoniere auf eine gewisse Laura die europäische Liebeslyrik für Jahrhunderte geprägt. Der große Ernst Robert Curtius, der in seinem Buch Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter die Formelhaftigkeit der Lyrik untersucht hat, spricht hier ganz lapidar, von der Pest des Petrarkimus. Die breitet sich jetzt über ganz Europa aus. Dichter machen es sich leicht, griffige Formeln ersparen es, über Frauen und Schönheit nachzudenken. Außer William Shakespeare, der macht im Sonett 130 den ganzen Petrarkismus lächerlich:

My mistress' eyes are nothing like the sun;
Coral is far more red than her lips' red;
If snow be white, why then her breasts are dun;
If hairs be wires, black wires grow on her head.
I have seen roses damask'd, red and white,
But no such roses see I in her cheeks;
And in some perfumes is there more delight
Than in the breath that from my mistress reeks.
I love to hear her speak, yet well I know
That music hath a far more pleasing sound;
I grant I never saw a goddess go;
My mistress, when she walks, treads on the ground:
And yet, by heaven, I think my love as rare
As any she belied with false compare.


Danke, William.











Für diejenigen, die sich heute wundern, zwei neue Posts vorzufinden, muss ich sagen, dass ich beim Wegräumen der ➱Hannes Wader CDs plötzlich entdeckte, dass Hannes auf ...und es wechseln die Zeiten Hoffmannswaldaus Vergängliche Schönheit gesungen hatte. Und da mir das Gedicht seit einem Proseminar Barockliteratur 1965 an der Uni Hamburg sehr vertraut war, dachte ich, schreib doch mal eben drüber. Das Seminar wurde von dem Vater von Diedrich Diederichsen geleitet, sein Sohn ist dann ja etwas berühmter geworden als er. Es war aber ein sehr gutes Seminar, auch wenn wir Lohensteins Sophonisbe und ähnliche Texte lesen mussten. Aber rückblickend kann ich sagen, dass die Kenntnis der deutschen Barockliteratur niemandem schaden kann.


Bourgeoisie


Nein, Sie sind nicht im falschen Blog. Das ist Stéphane Audran im déshabillé, die muss hier genau an dieser Stelle heute sein. Denn sie war ja schließlich einmal sechzehn Jahre mit Claude Chabrol verheiratet. Vorher war sie mal kurz mit Jean-Louis Trintignant verheiratet. Der war ja immer von schönen Frauen umgeben, angefangen von der Liebesaffäre mit Brigitte Bardot bis zu - ach, lassen wir das.

Die Frau rechts neben Stéphane Audran und Trintignant ist die wunderschöne Jacqueline Sassard in dem Film Les Biches von Chabrol. Nach diesem Film und Joseph Loseys Film Accident (mit Dirk Bogarde) hat sie leider keine Filme mehr gedreht. Irgendwie ist das sehr schade. Stéphane Audran hat dann Claude Chabrol geheiratet hat. Der wird heute achtzig, es ist kaum zu glauben. Bon anniversaire!

Chabrol war auch schon mal verheiratet, bevor er das Schnuckelchen Stéphane heiratete, die er in beinahe all seinen Filmen unterbrachte (wo sie meistens Hélène heißt). Mit einer reichen Erbin, die durch eine zweite Erbschaft noch reicher wurde. Er hat seinen ersten Film gedreht, um wenigstens einen Teil der Kohle auszugeben. Er hat das immer bedauert, dass der Film ein Erfolg war, dadurch war er gezwungen, weiter Filme zu drehen. Die andere Option wäre Apotheker wie sein Vater gewesen. Er hat er studiert, war auch beim Militär gewesen (so wie Truffaut, obwohl wir über dessen Militärkarriere wohl besser den Mantel des Schweigens decken). Danach hat für die Cahiers du Cinéma geschrieben, und hat zusammen mit Eric Rohmer ein Buch über Hitchcock geschrieben (noch bevor Truffaut das tat). Und wie Hitchcock ist er auch in zahlreichen seiner eigenen Filme (und denen, die er produziert hat) aufgetreten.

Chabrol war der erste der jungen Filmkritiker der Cahiers dem es gelang, einen erfolgreichen Spielfilm zu drehen (er war auch nie so theoriebesessen wie seine Kollegen von der Nouvelle Vague). Der hieß Le beau Serge, und er hat ihn mit einem Minibudget und unbekannten Schauspielern in seinem Heimatort Sardent gedreht. Er hat damit auch bewiesen, dass man gutes auteur Kino mit beschränkten Mitteln machen konnte, was die Filmtheoretiker der Cahiers ja immer behauptet hatten.

Wenn irgendetwas irreführend ist, dann ist es dieses Plakat, aber damals brauchte man das wohl so, um das Publikum in den ersten Film der Nouvelle Vague mit unbekannten Darstellern von einem unbekannten Regisseur hineinzulocken. Chabrol hat dann auch gleich eine Produktionsfirma namens AJYM gegründet und hat auch vielen seiner jungen Kollegen geholfen, die jetzt den Sprung von der Theorie in die Praxis wagten. Er hat Jacques Rivettes Paris nous appartient mit finanziert, und als der nach zwei Jahren Dreharbeiten kein Filmmaterial mehr hatte, hat ihm Chabrol alles gegeben, was er noch von seinem zweiten Film Les Cousins (Schrei, wenn Du kannst) übrig hatte. Irgendwie muss Chabrols Rolle für die Nouvelle Vague (in Godards A bout de souffle wirkte er als technischer Berater mit) einmal neu gewürdigt werden. Man guckt immer nur auf Godard, Rohmer, Resnais, Truffaut und die Kritiker der Cahiers.

Man würdigt dabei zu wenig, dass hier ein richtiger Praktiker am Werk ist (der technisch sein Metier beherrscht), der auch noch ein guter Mensch ist und seine Kollegen fördert (auch Godard hat er mal einen Job verschafft). Aber heimlich wirft man ihm vor, dass er kommerzielle Filme gemacht hat (was keiner der Kollegen der Nouvelle Vague gemacht hat), was offensichtlich ein Verrat an der Filmkunst und der auteur Theorie ist. Und auch zu viele Filme, in den letzten fünfzig Jahren beinahe einen Film pro Jahr. Und dann nur noch ein Genre, Kriminalfilme. Sozusagen der film noir in Farbe. Aber ich glaube, dass der Gourmet Chabrol, der auch einmal Pfeifenraucher des Jahres in Frankreich war, mit solchen Vorwürfen ganz gut leben kann. Er ist das, was die Franzosen einen je-m'en-foutiste nennen.

Seine Kinder aus den ersten beiden Ehen arbeiten bei ihm als Filmkomponist und Regieassistentin mit, Chabrol hat es gerne en famille, wahrscheinlich hatte er deshalb Stéphane Audran geheiratet. Neuerdings scheint Isabelle Huppert seine Lieblingsschauspielerin zu sein. Aber sie haben nichts miteinander, wie Chabrol betont. Hollywood konnte ihn nie locken. England erst recht nicht. Die haben zwar gute Pfeifen und Tabake, aber das Essen! Das könnte der Liebhaber der französischen Küche nicht aushalten. Truffaut war es völlig egal, was er aß, aber Chabrol nicht, in seinen Filmen spielt das Essen immer eine Rolle. Nicht nur in dem Inspektor Lavardin Film Hühnchen in Essig. Und so ist es wohl nur passend, wenn das Buch von Laurent Bourdon Chabrol se met à table heißt (Larousse 2009).

Wenn Filmemachen heißt, wie Truffaut es gesagt hat, mit schönen Frauen schöne Dinge zu machen, dann ist Chabrol im richtigen Metier. Abgesehen von den beiden hier links (Bernadette Lafont und Stéphane Audran), spielt bei ihm in den letzten fünfzig Jahren ja beinahe jede schöne Französin in irgendeinem Film mit. Und auch eine deutsche Schauspielerin, die unter dem Namen Hildegarde Neff auftritt. Chabrol ist seit zwanzig Jahren wieder verheiratet, mit einer Dame, die nichts mit der Welt des Films zu tun hat. In der Welt der französischen Bourgeoisie ist man da ja sehr verschwiegen.

Claude Chabrol ist Maoist, was immer das in Frankreich bedeutet. Auf jeden Fall macht er sich, geradezu besessen, ein riesiges Vergnügen daraus, die französische Bourgeoisie, aus der er selbst kommt, in jedem Film bösartig zu sezieren. Das macht Claude Sautet auch, aber er ist weniger bösartig. Und vor allem nicht so mordlustig wie Chabrol, der ja auch das Drehbuch zu Michael Winners schlimmen Film Death Wish (Ein Mann sieht Rot) geschrieben hat. Wahrscheinlich ist das seine Rache an seiner Mutter. Die hat ihm nämlich erzählt, als er klein war und jeden Tag ins Kino wollte (so wie Antoine Doinel, der Held der Filme von François Truffaut), dass er nicht ins Kino gehen könne, weil da nur Schwule drin sein. Und sein Onkel hat seine Mutter darin bestärkt. Seinem Onkel gehörten mehrere Kinos. Brauchen wir jetzt noch Sigmund Freud?