Sonntag, 15. August 2010

Haute Couture


Ist es nicht chic? So sah die deutsche Dame mal aus. Auf jeden Fall stellte sich Heinz Oestergaard das so vor. Der hätte heute Geburtstag. Er war das Wunderkind des Wirtschaftswunders, ein Berliner Couturier, der Mode für das Volk machte. Er war auch seine eigene Werbebotschaft. Er sah aber nie so schlimm aus wie Wolfgang Joop oder redete solches Blech wie ➱Jil Sander. Falls Sie deren Botschaft vergessen haben sollten, tippe ich das doch noch gerne einmal hier hin: Mein Leben ist eine giving-story. Ich habe verstanden, daß man contemporary sein muß. Meine Idee war, die hand-tailored Geschichte mit neuen Technologien zu verbinden. Und für den Erfolg war mein coordinated concept entscheidend, die Idee, daß man viele Teile einer collection miteinander combinen kann.

Im Gegensatz zu vielen im Modegeschäft, die sich eines Tages mit dem inflationären Begriff Designer bezeichnen würden (und doch bestenfalls Stylisten waren), hatte Oestergaard das Ganze richtig gelernt. Kunstschule und Schneiderlehre. Danach die Lehre in einem Berliner Salon. Sie haben richtig gelesen: Salon. Es gibt vor dem Zweiten Weltkrieg noch eine ➱Haute Couture in Berlin.

Die Anfänge dazu liegen in dem General-Reglement von 1750, in dem Friedrich II den Juden mit einem Schutzbrief eine Stellung im preußischen Wirtschaftsleben zuweist. Dies weniger aus humanistischen Erwägungen der Aufklärung als vielmehr aus Erwägungen, die Juden als Steuerzahler und Wirtschaftsfaktor in den preußischen Staat einzubinden. Im Jahre 1812 gibt es durch das Edikt betreffend der bürgerlichen Verhältnisse der Juden in dem preußischen Staate erstmals eine rechtliche Gleichstellung der Juden (die allerdings noch nicht für den Staatsdienst gilt). Das ist die Basis für die großen Konfektionshäuser wie Hermann Gerson, die Brüder Manheimer und Nathan Israel. In der Mitte des 19. Jahrhundert ist die Konfektion (die damals noch hauptsächlich Damenkonfektion bedeutet) schon der Hauptwirtschaftszweig von Berlin.

Neben der Erfindung der Nähmaschine durch Isaac Merritt Singer (als Kind des deutschen Mühlenbauers Adam Reisinger in Amerika geboren) - der sich auf dem Höhepunkt des Erfolges als großer Mann in Öl malen ließ - ist wieder einmal der Krieg der Vater aller Dinge. Der Deutsch-Französische Krieg von 1870-71 schneidet Paris von den englischen und amerikanischen Einkäufern ab. Die wenden sich jetzt nach Berlin. 1875 wird der Export von Kleidung mit einem Wert von 10 Millionen Mark, der Inlandsabsatz mit 13 Millionen, angegeben. Dabei soll nicht verheimlicht werden, dass sich im Deutschland des Fürsten Bismarck der grassierende Antisemitismus jetzt auch vornehmlich gegen die Berliner Bekleidungsindustrie richtet. Wir wissen, was daraus werden wird.

Das ist das Kaufhaus von Nathan Israel um 1900, noch in den zwanziger Jahren wird es bestenfalls von Harrods überflügelt. Die 2.000 Beschäftigten arbeiten unter sozialen Bedingungen, von denen die Gewerkschaften heute träumen. Der Firmenerbe ➱Wilfried Israel wird, wenn sich die Nazis an die Zerschlagung seiner Firma machen, seinen jüdischen Angestellten die Emigration nach England ermöglichen. Das machen auch andere Berliner Konfektionsfirmen, die eine Tochterfirma in England haben. Nebenbei wird Wilfried Israel, der einen englischen Pass besitzt und Freunde im Foreign Office hat, noch als eine Art Scarlet Pimpernel arbeiten. Er erreicht als Verbindungsmann des Foreign Office, dass 30.000 jüdische Kinder emigrieren können und 8.000 jüdische Kinder aus dem KZ freikommen. Als er sich am 6. Februar 1939 mit einem Dankesbrief von seinen verbliebenen Mitarbeitern verabschiedet, hört das letzte jüdische Konfektionshaus in Berlin auf zu bestehen. Alle anderen sind schon arisiert, wie es so schön heißt. Wilfried Israel wird im Juni 1943 in einem Flugzeug über der Biscaya von deutschen Flugzeugen abgeschossen. Man vermutete, dass Churchill in dem Flugzeug säße. Albert Einstein hat über ihn gesagt: Wilfried Israel ist eine der herausragendsten und nobelsten Persönlichkeiten, die ich je kennengelernt habe. Es ist ein wenig beschämend, dass Deutschland das Wirken dieses Mannes nie so richtig gewürdigt hat.

Heinz Oestergaard ist in den Prozess der Arisierungen nicht verstrickt, dafür ist er zu jung. Er wird erst einmal 1939 Soldat. Als er 1946 aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Berlin zurückkehrt, liegt seine Heimatstadt in Trümmern. Keine Damen in Haute Couture Kleidern bestimmen das Bild von Berlin, sondern Trümmerfrauen in Uniformhosen und Kopftüchern. Oestergaard gründet 1946 in seiner Wohnung die Firma Schröder-Eggeringhaus & Oestergaard. In der Firma von Hermann Eggeringhaus, dem Hersteller der Inge Kleider, hatte Oestergaard gelernt. Jetzt nimmt Eggeringhaus Oestergaard als Chefdesigner in die Firma auf. Der hat seine goldene Uhr verkauft und sein Klavier versetzt und Näherinnen eingestellt. Seine ersten Modelle sind noch keine Haute Couture und haben so wunderbare zeittypische Namen wie Schwarzmarkt und Stromsperre.

1952 macht sich Oestergaard mit einem Haute Couture Studio, das seinen eigenen Namen trägt, selbstständig. Er wird als Star Mannequin Susanne Erichsen (die erste Miss Germany) beschäftigen. Das da oben ist sie auf einem Photo von F.C. Gundlach, der jetzt seine Karriere als Modephotograph startet. Oestergaard hat später auch Nico Päffgen als Mannequin, die noch eine Karriere bei Andy Warhol und Velvet Underground macht. Vielleicht ist Oestergaards Studio nicht so fein wie die Studios von Gerd Staebe, Detlef Albers und Heinz Schulze-Varell, die in den fünfziger Jahren die Prominenz von Wirtschaftswunderdeutschland einkleiden, aber Zarah Leander, Ruth Leuwerik, Hildegard Knef und Maria Schell tragen jetzt Oestergaard. Und werden in seinen Kreationen von Gundlach für Zeitschriften wie Film und Frau und Elegante Welt photographiert. Und dann möchte jede deutsche Frau so aussehen.

Das alles ist ihm nicht genug, Oestergaard sieht schon früh, dass das Ende der Haute Couture (auf jeden Fall für Berlin) nahe ist. Er ist der erste Couturier, der sich dem Massenmarkt zuwendet, noch bevor man in Paris die Prêt à Porter Mode erfindet. Das bedeutet sicher einen Verlust an Seriosität, wie viele beklagt haben. Doch für die Firma Quelle (oben auf dem Farbphoto ist Grete Schickedanz mit Oestergaard zu sehen) ist der Designer sicherlich ein Gewinn. Oestergaard macht jetzt Mode für Millionen. Strickmuster für Burda Moden mit Oestergaard Entwürfen kann man heute noch antiquarisch finden. Retro ist ja wieder in, vielleicht möchte ja jemand mal wieder einen Twiggy Pullover stricken. Die Damenwelt wird ihm dankbar sein, dass er in seiner Zusammenarbeit mit der Firma Triumph die Stahldrähte aus den Miedern verbannte. Die Autofahrer sind ihm dankbar für die Uniformen der gelben Engel des ADAC.

Keiner wird ihm wirklich dankbar sein für sein ästhetisch schlimmstes Design, die gelb-grüne deutsche Polizeiuniform. Und ob die Dienstbekleidung der Beamtinnen der Bundeszollverwaltung wirklich so chic sind, soll auch mal dahingestellt bleiben. Oestergaard ist im Alter noch Professor an der Fachhochschule Pforzheim gewesen. Ingrid Loschek, die beste Kennerin der Geschichte der Damenmode (die leider in diesen Jahr verstorben ist), hat ihn dort kennengelernt und ihn als einen warmherzigen Menschen beschrieben, dessen kreative Fähigkeiten niemals zu ruhen schienen. Das haben auch viele seiner Studenten über ihn gesagt. Was kann man mehr wollen?

Wenn Sie mehr wissen wollen: es gibt über Oestergaards Schaffen ein Buch von Margrit Vogel Stoff zum Träumen: Wie Heinz Oestergaard Mode machte (1996). Die beste Geschichte der Berliner Konfektion ist Uwe Westphal Berliner Konfektion und Mode 1836-1939: Die Zerstörung einer Tradition (1992). Wilfried Israels Wirken wird in der Biographie Wilfried Israel von Naomi Shepherd (deutsch bei Siedler 1985) gewürdigt.

Lesen Sie auch: ➱Wilfried Israel, ➱Damenmode, ➱Berliner Mode

2 Kommentare:

  1. Die Geschichte, die ich 1993 in zweiter Auflage schrieb, Berliner Konfektion und Mode..., geht weiter. Mit meinem neuen Roman: Ehrenfried & Cohn.
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