Donnerstag, 9. September 2010

Egmont


Ich stehe hoch und kann und muß noch höher steigen; ich fühle mir Hoffnung, Mut und Kraft. Noch hab ich meines Wachstums Gipfel nicht erreicht; und steh ich droben einst, so will ich fest, nicht ängstlich stehn. Soll ich fallen, so mag ein Donnerschlag, ein Sturmwind, ja ein selbst verfehlter Schritt mich abwärts in die Tiefe stürzen; da lieg ich mit viel Tausenden. Ich habe nie verschmäht, mit meinen guten Kriegsgesellen um kleinen Gewinst das blutige Los zu werfen; und sollt ich knickern, wenn's um den ganzen freien Wert des Lebens geht? Sagt der Graf Egmont in Goethes gleichnamigen Stück. Und sein Sekretär wirft warnend ein O Herr! Ihr wißt nicht, was für Worte Ihr sprecht! Gott erhalt Euch! Denn wann immer die Helden in einem Drama ganz oben sind, dann fallen sie. Das ist ein Gesetz der Tragödie. Unterschiedlich ist nur die Fallhöhe.

Am 9. September des Jahres 1567 ist Lamoral Graf von Egmond gefangen genommen worden, der Beginn des jahrzehntelangen Freiheitskampfes der Niederlande gegen Spanien. Der Bösewicht in der Geschichte ist der Herzog von Alba. Über den kursiert damals ein umgedichtetes Vaterunser:

Teufel unser, der zu Brüssel du haust, verflucht sei dein Name, vor dem uns graust; von uns dein Reich sich wende zu lang ersehntem Ende; dein Wille mag nie erfüllet werden, wie nicht im Himmel, so nicht auf Erden. Du nimmst uns heute unser täglich` Brot, Weiber und Kinder leiden viel Not; keinem erläßt Du seine Schuld, drum bewahr` uns alle vor deiner Huld. Stets wirst du uns in Versuchung führen, so lang diese Lande dein Wüten spüren. Himmlischer Vater, der über uns thront, mach, daß dieser Teufel uns verschont, samt seinem falschen, blutigen Rat, der stets nur Böses im Sinne hat, und schick` seine spanische Kriegermeute zurückin die Hölle, dem Satan zur Beute. Amen

Der blutige Rat, der hier erwähnt wird, ist ein Sondergericht in Brüssel, der Raad van beroerte, der im Volksmund nur noch Blutrad heißt. Tausende werden hier zum Tode verurteilt und hingerichtet. Alba wird den Grafen Egmond (und den Grafen Hoorn) vom Blutrat zum Tode verurteilen lassen. Dabei hätten diese beiden als Ritter des Goldenen Vlieses nur von ihresgleichen verurteilt werden können, aber solche Feinheiten sind dem spanischen Henker (der selbst Ritter des Goldenen Vlieses ist) gleichgültig. Ihn ärgert nur, dass ihm Wilhelm von Oranien entkommen ist.

Dem Monolog Ich stehe hoch und kann und muß noch höher steigen folgt bei Goethe das Zusammentreffen von Oranien und Egmond, das in Wirklichkeit im Dorf Willebroeck zwischen Brüssel und Antwerpen stattgefunden hat. Über dieses Treffen sind wir bestens unterrichtet, weil sich angeblich ein Spion im Kamin versteckt und alles mitgeschrieben hat. Bei Goethe will Egmont die Gefahr, die dem aufrührerischen Adel droht nicht wahrhaben: Nein, Oranien, es ist nicht möglich. Wer sollte wagen, Hand an uns zu legen? – Uns gefangen zu nehmen, wär ein verlornes und fruchtloses Unternehmen. Nein, sie wagen nicht, das Panier der Tyrannei so hoch aufzustecken. Der Windhauch, der diese Nachricht übers Land brächte, würde ein ungeheures Feuer zusammentreiben. Und wohinaus wollten sie? Richten und verdammen kann nicht der König allein; und wollten sie meuchelmörderisch an unser Leben? – Sie können nicht wollen. Ein schrecklicher Bund würde in einem Augenblick das Volk vereinigen. Haß und ewige Trennung vom spanischen Namen würde sich gewaltsam erklären.

Genauso wird es kommen, aber das kann er nicht wissen, noch hat er seinen Kopf. In der volkstümlichen Geschichte soll Egmond zum Abschied zu Wilhelm von Oranien gesagt haben Adieu, Graf ohne Land! worauf Oranien ihm antwortete Adieu, Graf ohne Kopf!

Diese schöne Allegorie eines unbekannten Malers (ca. 1585) heißt Het melkkoetje. Das Bild stammt, wie die schöne volkstümliche Geschichte mit dem Grafen ohne Kopf eher aus der Volkskunst, die Dinge direkter sagen kann als die Wissenschaft. Und auch für das ikonographische Verständnis des satirischen Bildes, das die politische Situation der Niederlande im Jahre 1581-82 darstellt, braucht man nicht Erwin Panofsky gelesen zu haben. Der Maler macht es uns zusätzlich einfach, indem er noch einen (erstaunlicherweise englischen) Text dazu liefert.

Not longe time since I sawe a cowe
Did Flaunders represente
Upon whose backe King Philup rode
As being malecontent.


The Queene of England giving hay
Wheareon the cow did feede,
As one that was her greatest helpe
In her distresse and neede.


The Prince of Orange milkt the cowe
And made his purse the payle.
The cow did shyt in Monsieur's hand
While he did hold her tayle.


Die Kuh sind die Niederlande, es gibt in dieser Zeit auch eine Vielzahl von Darstellungen (der politische Kampf wird auch über Flugblätter geführt), die neben der Kuh den Löwen als Symbol nehmen. Das bezieht sich nicht darauf, dass es im platten Holland Löwen gibt, sondern dass man die Umrisslinien der Karte der Niederlande zu einem Löwen fügen kann:

Also die Kuh sind die Niederlande und der spanische Philipp versucht wie ein Zappelphilipp auf ihr zu reiten. Aber der Nachfolger von Karl V kann die Kuh nicht zähmen. Links ist die Königin Elizabeth I, die die Niederlande unterstützt. Am Kopf der Kuh stehen die Generalstaaten, die sich nicht so richtig entscheiden können, zu welcher Seite sie gehören wollen. Auf dem Boden, sich von der Kuh nährend, liegt Wilhelm von Oranien. Der Herr am Schwanz der Kuh, dem sie in die Hand scheißt, ist der Herzog von Anjou. Der hatte ja mal um Elisabeth von England gefreit, sie nannte den Sohn des französischen Königs immer nur mein Frosch. Ihre Halbschwester Mary, die als Königin den schönen Beinamen Bloody Mary hat, war ja mit Philipp II von Spanien verheiratet gewesen. Der Brautwerber hieß damals Egmont, er hat auch anstelle des abwesenden neuen Ehemannes einige Augenblicke neben Mary im Ehebett gelegen. Bekleidet natürlich, ein symbolischer Akt, eine Ehe per procurationem. Anjou soll nach dem Willen von Wilhelm von Oranien und den Generalstaaten die Niederlande führen, aber er stirbt schon früh. Wenn dies Bild im Amsterdamer Rijksmuseum wirklich von 1585 ist, ist er da schon ein Jahr tot. Es gibt noch eine spätere Version (ca. 1586) von dem Bild, diesmal nicht so witzig, eher bürgerlich ordentlich. Und deshalb eigentlich noch komischer. Wer lässt sich in einer Zeit, die gerade den großen Bildersturm hinter sich hat, solche Bilder malen?

Am Schluss von Goethes Theaterstück hat Egmont einen Traum, der sicherlich damals eine Herausforderung an den Regisseur darstellte (Goethe hat danach Schiller an das Stück gelassen, der es ganz schlimm bearbeitet hat): Er entschläft; die Musik begleitet seinen Schlummer. Hinter seinem Lager scheint sich die Mauer zu eröffnen, eine glänzende Erscheinung zeigt sich. Die Freiheit in himmlischem Gewande, von einer Klarheit umflossen, ruht auf einer Wolke. Sie hat die Züge von Klärchen und neigt sich gegen den schlafenden Helden. Sie drückt eine bedauernde Empfindung aus, sie scheint ihn zu beklagen. Bald faßt sie sich, und mit aufmunternder Gebärde zeigt sie ihm das Bündel Pfeile, dann den Stab mit dem Hute. Sie heißt ihn froh sein, und indem sie ihm andeutet, daß sein Tod den Provinzen die Freiheit verschaffen werde, erkennt sie ihn als Sieger und reicht ihm einen Lorbeerkranz. Wie sie sich mit dem Kranze dem Haupte nahet, macht Egmont eine Bewegung, wie einer, der sich im Schlafe regt, dergestalt daß er mit dem Gesicht aufwärts gegen sie liegt. Sie hält den Kranz über seinem Haupte schwebend; man hört ganz von weitem eine kriegerische Musik von Trommeln und Pfeifen: bei dem leisesten Laut derselben verschwindet die Erscheinung. Die Apotheose des Helden im Traum. Die traurige Realität in der Wirklichkeit ist der Marktplatz von Brüssel und das Schwert des Henkers. Kurz vorher hat der Graf Egmont noch einen Brief an Philipp II geschrieben.

In dem steht, dass es niemals seine Absicht war, etwas gegen die Person Ew. Majestät oder unsere wahre, alte und katholische Religion zu unternehmen. Und er bittet Ew. Majestät mir zu vergeben und Mitleid zu haben mit meiner unglücklichen Frau, meinen Kindern und meinen Dienern, in Erinnerung an meine in der Vergangenheit geleisteten Dienste. In dieser Hoffnung empfehle ich mich der Barmherzigkeit Gottes.
Brüssel, zu sterben bereit,
am 5. Juni 1568.
Ew. Majestät untertänigster und
getreuer Vasall und Diener
Lamoral von Egmont

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