Montag, 13. September 2010

Stahlgewitter


Heute vor neunzig Jahren ist Ernst Jüngers In Stahlgewittern erschienen. Ich weiß nicht, ob man das lesen muss, ich weiß auch nicht, ob man Ernst Jünger lesen muss. Er steht bei mir im Regal neben Otto Jägersberg, dem Autor von Weihrauch und Pumpernickel, ein Buch, das Arno Schmidt Daniel Keel vom Diogenes Verlag empfahl. Wenn ich mir diese Regalmeter anschaue, muss ich sagen, dass mir Otto Jägersberg irgendwie lieber ist als Ernst Jünger. Zumal man bei Jünger nie weiß, ist es überhaupt Literatur? Oder ist es Propaganda? Oder ein weiterer Baustein in einer Herrenmenschen Philosophie?

Eigentlich sollte ja Uwe Johnson im Alphabet vor Ernst Jünger stehen, aber irgendwie ist im Laufe der Jahre Otto Jägersberg dazwischen gerutscht. Und dann hat der Pour le Mérite Träger im Regal als Nachbarn noch Erich Kästner, Franz Kafka, Gottfried Keller, Walter Kempowski, Wolfgang Koeppen, Brigitte Kronauer, Dieter Kühn - und dann kommt schon Wilhelm Lehmann. Das ist schon ein seltsames Regal, wenn man die deutsche Literatur alphabetisch sortiert, kann es zu den verblüffendsten Nachbarschaftsverhältnissen kommen.

Ernst Jünger kommt aus dem Ersten Weltkrieg als Held zurück. Viele kommen gar nicht zurück. Der Refrain eines Liedes aus dem Geist der Sixties, wäre nichts für ihn gewesen:

Soldiers Who Want to Be Heroes number practically zero
But there are millions who want to be civilians
Soldiers Who Want to Be Heroes number practically zero
But there are millions who want to be civilians


Und im Gegensatz zu seinen Schriftstellerkollegen Ludwig Renn (Krieg) oder Erich Maria Remarque (Im Westen nichts Neues) kann man in seinem In Stahlgewittern nicht unbedingt eine Haltung gegen den Krieg herauslesen. Zumal dem Roman zwei Jahre später noch ein Essay folgt, der Der Kampf als inneres Erlebnis heißt. Ernst Jünger ist ein Held, er bekommt den Orden Pour le Mérite. Als er 1998 im Alter von 103 Jahren stirbt, ist er der letzte Träger dieses von Friedrich dem Großen gestifteten Ordens.

Als Jünger 1956 den Bremer Literaturpreis erhält, gibt es einen kleinen Eklat, weil die sonst so konservativen Bremer Nachrichten gerade mit dem Artikel Der ewig gestrige Ernst Jünger aufgemacht haben. Der Bildungssenator Willy Dehnkamp, der Schlosser gelernt hat und, wie er sagt, als Sozialdemokrat der Geisteswelt von Jünger ein wenig fremd gegenübersteht, gibt in seiner Rede zu bedenken, dass ja In Stahlgewittern durch Auf den Marmorklippen relativiert wird. Er ist dabei von seinem Manuskript abgewichen und reagiert jetzt auf den Zeitungsartikel, er möchte keinen Skandal. Und was tut Jünger? Er erzählt etwas über seine Heldentaten, seinen Orden. Dass ihm Hindenburg gesagt hätte, dass so junge Offiziere wie er (Jünger war 23 als er den Orden kurz vor Kriegsende bekam) den Pour le Mérite eigentlich gar nicht bekommen dürften. Krieg und Frieden, Offizier und Dichter werden für ihn eins, der Dichter Jünger ist, wie er sagt, im Niemandsland zuhause, in Krieg und Frieden. Jetzt hat er statt der Waffe den Federhalter in der Hand. Der Auftritt war offensichtlich als Provokation gedacht, dafür dass der Geistesheld morgens beim Frühstück diese bösen Worte in den Bremer Nachrichten lesen musste.

Dabei nimmt er in seiner Selbststilisierung und Inszenierung die Dinge doch sonst so gelassen. Tagebucheintrag vom 26.8.1939: Um neun Uhr, als ich im Bette behaglich im Herodot studierte, brachte Luise den Mobilmachungsbefehl herauf. Echt cool. Oder ist das schon wieder einfach nur lächerlich? Also in Bremen hat der Ordensträger es den sozialdemokratischen Proleten mal so ordentlich gezeigt. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass eigentlich Paul Celan den Preis bekommen sollte, aber Bremens kulturelles bildungsprotzendes Aushängeschild Rudolf Alexander Schröder dagegen war.

Wenn Willy Dehnkamp wirklich sozialdemokratischen Mut gehabt hätte, dann hätte er Jünger etwas aus den Briefen des Bremer Arbeiterehepaars Pöhland aus dem Ersten Weltkrieg vorgelesen. Aber soviel Konfrontation wagt man 1956 noch nicht. Später auch noch nicht so recht, 1965 schickt Heinrich Lübke Ernst Jünger zum siebzigsten Geburtstag ein Glückwunschtelegramm, bei dem man sich fragt, welcher Teufel den Ghostwriter wohl geritten haben mag: Zum 70. Geburtstag übermittle ich Ihnen meine Glückwünsche. Ihre Erlebnisse als tapferer Offizier und erfolgreicher Stoßtruppführer sowie die Haltung Ihrer Generation haben Ihr Gesamtwerk nachhaltig beeinflußt. Zwischen den Stellungen, Gräbern und Verhauen, die Völker und Menschen auch im Geistigen voneinander trennen, gehen Sie auf Erkundungen aus... Einmal Stoßtruppführer immer Stoßtruppführer. Da ist er wieder, der Schriftsteller im Niemandsland.

Als ich klein war, hat mir mein Opa seinen ganzen Ersten Weltkrieg erzählt, dazu gab es vergilbte Photos und alte Bücher, die nur gelbstichige Abbildungen hatten. Ich war noch nicht in der Schule und kannte alle Schlachten des Ersten Weltkriegs. Aber trotz all dieser Erzählungen vom Kemmelberg bis zur Somme, blieb der Krieg meines Opas blass wie die verblassenden Bilder. Mein Opa trat in seiner Erzählung nicht in Erscheinung, nur Orte auf der Landkarte mit französischen Namen. Opa hatte auch keinen Pour le Mérite, nur ein Eisernes Kreuz und das weinrote Hanseatenkreuz, die er in einer Schublade in seinem Sekretär verwahrte. Allerdings war sein Offiziersrang höher als der von Jünger. Opa hat auch niemals Jünger gelesen. Meine Mutter besaß aber eine Erstausgabe von Auf den Marmorklippen, das ja als ein Buch des Widerstandes gilt. Darin lag ein getipptes Manuskript, mit Blaupapier vervielfältigt, das Der Friede hieß. Sie hat es mir wieder weggenommen und mir gesagt, dass das noch nichts für mich sei, eine Freundin von ihr sei ins Gefängnis gekommen, weil sie ein Exemplar von diesem Aufruf besessen hätte. Erstaunlich, Hunderttausende haben diesen Text im letzten Kriegsjahr mit Kohlepapier und soviel Durchschlägen wie möglich auf ihren Schreibmaschinen getippt. Vielleicht ist diese Schrift die beste Tat des Schriftstellers Ernst Jünger gewesen.

Meine Ernst Jünger Lektüre hält sich in Grenzen, die Bücher über Ernst Jünger sind zahlreicher als die Texte. Den Rest habe ich im Antiquariat verkauft, wollte ich nicht mehr haben. In Stahlgewittern braucht man nicht. Behalten habe ich nur Auf den Marmorklippen und die Tagebücher Strahlungen und Gärten und Straßen. Das originellste Buch zu Jünger im Regal ist eine quietschegrüne hochformatige Streit-Zeit-Schrift (Heft VI,2) aus dem Jahre 1968, die von Horst Bingel herausgegeben wurde. Ein Händler im ZVAB will 120 Euro dafür haben, ein anderer verkauft das Buch für 12 Euro. 1968 kostete sie vier Mark.

Als ich ein junger Leutnant bei der Bundeswehr war, hatte ich eine kurze Ernst Jünger Phase. Ich war jung und etwas unsicher in meiner schönen neuen Uniform, da gefiel mir die kalte Dandy Attitüde von Hauptmann Blaukreuz (wie ihn die Franzosen in Paris wegen seines blauen Ordens nannten) für kurze Zeit. Auf dem Dach des Hotels Raphael Burgunder schlürfen, während die Bomber der Allierten über Paris fliegen, cool. So der viel zitierte Tagebucheintrag vom 27. Mai 1944: Alarme. Überfliegungen. Vom Dach des "Raphael" sah ich zweimal in Richtung von Saint-Germain gewaltige Sprengwolken aufsteigen, während Geschwader in großer Höhe davonflogen. Ihr Angriffsziel waren die Flußbrücken, Art und Aufeinanderfolge der gegen den Nachschub gerichteten Maßnahmen deuten auf einen feinen Kopf. Beim zweiten Mal, bei Sonnenuntergang, hielt ich ein Glas Burgunder, in dem Erdbeeren schwammen, in der Hand. Die Stadt mit ihren roten Türmen und Kuppeln lag in gewaltiger Schönheit gleich einem Kelche, der zu tödlicher Befruchtung überflogen wird. Alles war Schauspiel, war reine, vom Schmerz bejahte und erhöhte Macht. Es ist nicht nur alles Schauspiel, es ist auch alles eine Inszenierung der désinvolture. Als ich das erste Mal in meiner schönen neuen Leutnantsuniform mich wie ein Jüngerscher Dandy-Ästhet fühlend in meiner Stammkneipe auftauchte, schob mir der Wirt ein Glas Whisky über die Theke und sagte: Jay, der geht auf's Haus. Und wenn Du den ausgetrunken hast, dann gehst Du nach Hause und ziehst die Karnevalsverkleidung aus, dann kannst Du wiederkommen. Es war mir eine Lehre.

Das Photo oben zeigt Jünger in seiner Zeit in Paris, er sieht aus wie der ewige Klassenprimus. Er wäre auch nicht nach Hause gegangen und hätte seine Uniform ausgezogen, um dann in seine Stammkneipe zurückzukehren. Irgendwann ist mir bei meiner Jünger Lektüre aufgefallen, dass es bei dem Kältefetischisten überhaupt keinen Humor gibt. Nicht die Spur davon. Ist doch ein wenig bedenklich. Von Zeit zu Zeit ist Ernst Jünger wieder sehr en vogue. Ich habe einmal im Fernsehen Joschka Fischer gesehen, der sehr wortgewandt über Jünger parlierte. Offensichtlich ist Jünger in gewissen linken Milieus ein Geheimtip. Joschka Fischer konnte im Fernsehen gewandt über das Jüngersche Werk schwätzen. Das geht offensichtlich relativ leicht, wie Martin Meyer (damals noch nicht Feuilletonchef der Neuen Zürcher Zeitung) auf beinahe siebenhundert Seiten bewiesen hat. Auch alles ohne Humor. Jünger ist in diesem Buch ein geistiger Exponent des 20. Jahrhunderts, der an die Seite von Max Weber, Oswald Spengler, Martin Heidegger und Carl Schmitt gestellt wird. Auf jeden Fall in der Vorstellungskraft von Martin Meyer. Für Nikolaus Sombart, der mir da viel lieber ist, sieht das etwas anders aus: Der durch den "pour le mérite" nobilitierte Kleinbürger entdeckte die Giftküche der großbürgerlichen Décadence in einem Augenblick, da die geistige Avant-Garde der Welt längst zu neuen Horizonten aufgebrochen war. Er ist ein Epigone Nietzsches und Baudelaires, der aus den Überresten ihrer gedanklichen Exerzitien recht primitive Molotow-Cocktails braute, die er in die Fenster der Häuser warf, die längst brannten. Sombart geht 1968 auch auf die seltsame französische Begeisterung für Jünger ein: Das Interesse der französischen Linken an Jünger beruht auf dem Mißverständnis, daß er wie Wagner und Ludwig II. von Bayern eine harmlose Form rechtsrheinischen Kitsches darstellt, der politisch nicht ernst zu nehmen ist. Und dann, noch etwas schärfer: Wenn sie wüßten, daß der Ästhetizismus Jüngers dem Perfektionismus Eichmanns näher steht, als der Artistik Cocteaus, würden sie ihn meiden, wie einen räudigen Hund. Das tun sie aber nicht, die Kriegstagebücher wurden vor wenigen Jahren in die Bibliothèque de la Pléiade aufgenommen. Diese Ehre ist Thomas Mann, Alfred Döblin oder Joseph Roth nicht zuteil geworden.

Hier sitzt Jünger Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker Modell, damit der seinen Cäsarenkopf für die Ewigkeit modelliert. Denn in der Ewigkeit ist er zuhause, da gehört er hin, zumindest in die Pléiade. Nicht in die eklige Gegenwart. Da notiert er in seinem Heimatort Kirchhorst am 20. April: Unangenehme Lektüre. Man druckt jetzt auch in Deutschland Bücher, in denen obszöne Worte im Klartext stehen - ich meine Worte, die man früher nur an den Wänden schlechtbeleuchteter Bahnhofsabtritte las. Das Ausland ist uns darin vorangegangen, grobschlächtige Amerikaner und Pariser Verbrechercliquen, die den Argot in die Literatur einführten. Ein Zeichen der Auslöschung, des Schwundes mehr. Zugleich ein unheilvolles Signal, das aufgezogen wird...welcher Abstieg in die platte Gemeinheit, welcher Mangel an Phantasie. Welche Blindheit gegenüber dem Streifen am Abgrund, der das angestammte Erbteil des Künstlers und seiner Freiheit ist. Er triumphiert geflügelt in der Unwägbarkeit des Wortes - dort wohnt sein Wagnis und die erlösende Kraft. Ich würde ja gerne wissen, was das Unangenehme war, was er gelesen hat. Louis-Ferdinand Céline?

Wer Ernst Jünger lesen will, kann das tun. Es gibt keinerlei Schwierigkeiten auf dem Buchmarkt, Jüngers Werke zu finden. Die Sämtlichen Werke in 22 Bände kosten bei Klett-Cotta 778 Euro. In Stahlgewittern, bei Klett-Cotta in der 47. Auflage, kostet 24,90. Die Pöhlands im Krieg: Briefe einer Arbeiterfamilie aus dem Ersten Weltkrieg, herausgeben von Doris Kachulle kostet 17,90.

1 Kommentar:

  1. Übrigens hat Erich Maria Remarque sowohl DAS WÄLDCHEN 125 als auch IN STAHLGEWITTERN rezensiert. Er schreibt über Jüngers Bücher:

    Die beiden Bücher Jüngers von einer wohltuenden Sachlichkeit, präzise, ernst, stark und gewaltig, sich immer weiter steigernd, bis in ihnen wirklich das harte Antlitz des Krieges, das Grauen der Materialschlacht und die ungeheure, alles überwindende Kraft der Vitalität und des Herzens Ausdruck gewinnen. Den Ablauf der Geschehnisse zeichnen die "Stahlgewitter" mit der ganzen Macht der Frontjahre am stärksten, ohne jedes Pathos geben sie das verbissene Heldentum des Soldaten wieder, aufgezeichnet von einem Menschen, der wie ein Seismograph alle Schwingungen der Schlacht auffängt. ...

    gefunden in: Herbstfahrt eines Phantasten: Erzählungen und Essays Seite 216

    Allerdings, und dies sei an dieser Stelle auch gesagt, wurde EMR damals dafür bezahlt diese Rezensionen zu schreiben.

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