Freitag, 12. November 2010

Heeresreform


Heute vor 255 Jahren wurde er geboren, der Heeresreformer Gerhard Scharnhorst. Ein halbes Jahrhundert später durfte er das von vor seinen Namen setzen. Heute vor 55 Jahren rückten die ersten Soldaten zur Bundeswehr ein. Das ist kein Zufall, man hatte bewusst Scharnhorsts Geburtstag als Gründungstag der neuen Armee gewählt. Von Sätzen wie Wer noch einmal ein Gewehr in die Hand nehmen will, dem soll die Hand abfallen, war plötzlich nicht mehr die Rede. Bei der Gründung der Verteidigungsarmee hätte niemand geahnt, dass eines Tages ein deutscher Verteidigungsminister sagen würde: Unsere Spur wird die Transformation der Truppe sein. Dafür stehen zwei Sätze. Erstens: Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt. Er ist akzeptiert, auch wenn mir zu wenig darüber diskutiert wird. Der zweite Satz lautet: Einsatzgebiet der Bundeswehr ist die ganze Welt. ... Grundsätzlich müssen deutsche Soldaten bereit sein, an Orten Verantwortung zu übernehmen, an die wir heute noch nicht denken. Ist das, was der ehemalige Stadtdirektor von Uelzen äußert, jetzt das, was die Engländer im Krieg mit German, German overalls verspotteten? Deutscher Größenwahn? Was Struck vor fünf Jahren sagte, scheint heute ja schon stillschweigend akzeptiert.

Allerdings konstatierte der DIHK Präsident Driftmann vor Monaten: Wir haben heute eine relativ große Armee; allerdings sind von den 250.000 Soldaten auf dem Papier faktisch nur maximal 8.000 einsatzbereit. Mehr kann man zum Beispiel gar nicht gleichzeitig in Auslandseinsätze schicken. Das ist bitter wenig. Der Struckschen Großmannssucht stehen also sehr kleine Zahlen entgegen. Und vielleicht auch der Artikel 26 des Grundgesetzes: Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen. Fünf Jahre nach Struck kommt der bayrische Baron von und zu Guttenberg gerade rechtzeitig zum Geburtstag von Scharnhorst und Bundeswehr mit Thesen über den militärischen Schutz von Wirtschaftsinteressen in die Schlagzeilen, die sicher nicht durch die Verfassung gedeckt sind. Vielleicht sollten wir die Stärke der Bundeswehr doch lieber auf diese nach Driftmann maximal 8.000 einsatzbereiten Soldaten reduzieren und den Rest nach Hause schicken. Damit wir nicht auf die Idee kommen denn heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt zu singen.

8.000 Soldaten hatte auch der Oberst Scharnhorst, als er bei der Schlacht von Preußisch Eylau seinem hannöverschen Landsmann Levin August von Bennigsen (jetzt in russischen Diensten) zur Hilfe eilte. Im Jahr davor waren es 8.000 Soldaten, die nach der Schlacht von Lübeck mit Blücher und Scharnhorst in französische Gefangenschaft gingen. Die kamen aber nicht so schnell wieder nach Hause wie Blücher und Scharnhorst. Jena und Auerstedt, Lübeck, Preußisch Eylau, Preußen ist jetzt am Ende. Auf diesem Ponton in der Mitte der Memel schließen Napoleon und der russische Zar einen Friedenvertrag. Die Herunterstufung von einer Großmacht zu einer Art Kleinstaat ist für Preußen die Rettung, denn jetzt setzt die Zeit der Reformer ein. Stein und Hardenberg, und wie sie alle heißen. Und natürlich gibt es auch eine Heeresreform, bei der man sich jetzt mehr an Napoleons moderner Armee orientiert als an den Gedanken des Offiziercorps des Alten Fritz. Was sich Scharnhorst, Gneisenau, Boyen, Blücher und Clausewitz jetzt ausdenken, ist etwas, woran die neugegründete Bundeswehr 1955 anknüpfen möchte. Deshalb der symbolische 12. November. Ob unser Verteidigungsminister das alles weiß? Wahrscheinlich interessiert ihn das nicht, weil das ja alles Saupreißn sind. Denn als die sich gegen Napoleon erhoben, war Baiern gerade ein Königreich von Napoleons Gnaden geworden.

Mich juckt's in alle Finger, den Säbel zu ergreifen. Wenn jetzt nicht Sr Majestät unseres Königs und aller übrigen deutschen Fürsten uns der ganzen Nation Fürnehmen ist, alles Schelmfranzosenzeug mitsamt dem Bonaparte und all seinen ganzen Anhang vom deutschen Boden zu vertilgen: so scheint mich, daß kein deutscher Mann mehr des deutschen Namens wert sei. Jetzo ist es wiederum die Zeit zu tun, was ich schon Anno Neun angeraten, nämlich die ganze Nation zu den Waffen anzurufen, und wann die Fürsten nicht wollen und sich dem entgegensetzen, sie samt dem Bonaparte wegzujagen. Denn nicht nur Preußen allein, sondern das ganze deutsche Vaterland muß wiederum heraufgebracht, und die Nation hergestellt werden. Das schreibt Blücher im Januar 1813 an Scharnhorst. Und ein halbes Jahr später schreibt er an Theodor von Hippel (der dem preußischen König damals den Aufruf An mein Volk geschrieben hat): nun ist denn leider unser guter Scharnhorst auch tot. Glauben Sie mich,  eine verlorene Schlacht wäre kein größerer Verlust für uns gewesen. Nun ist Gneisenau noch da; geht der auch ab, so folge ich lebendig oder tot.

In der Schlacht von Großgörschen hatte Blücher den Napoleon beinahe gefangen. So schreibt er an seine Frau: Was vor Nachrichten Du auch erhältst, so sei ruhig; denn ob ich drei Kugeln erhalten, und noch ein Pferd erschossen, so ist doch alles nicht gefährlich, und ich bin und bleibe in voller Tätigkeit. Satisfaktion habe ich genug, denn ich habe den Herrn Napoleon zweimal angegriffen und beide Male geworfen. Und dann fügt er dem Brief noch ein Postkriptum bei: Ich habe einen Schuß im Rücken, der mich sehr schmerzt; die Kugel bringe ich Dich mit. Der Mann ist einundsiebzig, und er überlebt das alles. Scharnhorst bekommt auch eine Kugel ab, an sich eine harmlose Verletzung, wenn er sie in Ruhe auskurierte. Aber schon ist er in diplomatischer Mission nach Wien, wenig später ist er tot. Blücher wird seinen Weggefährten niemals vergessen. Im Augenblick seines größten Triumphs, des Sieges über Napoleon und das ganze Schelmfranzosenzeug, da erhebt er sich mit Tränen in den Augen bei einer Siegesfeier in Berlin, das Glas zu einem Trinkspruch in der Hand und sagt: Bist du zugegen, Geist meines Freundes, mein Scharnhorst? Dann sei mein Zeuge, daß ich ohne dich nichts hätte erreichen können.

Das Ölbild, das wir von Scharnhorst haben, ist von Friedrich Bury, einem Brieffreund Goethes, der als Portraitmaler überall in Deutschland beliebt war. Es folgt in der Anlage (und in der Frisur des Dargestellten) dem Bild des Franzosen François Gérard (der auch Madame Récamier gemalt hatte), der den Erbprinzen Friedrich Ludwig zu Mecklenburg-Schwerin ähnlich vor eine zerklüftete Wolkenkulisse gestellt hatte. Und ihm diesen typischen Gérard touch, das verträumte Gesicht, verpasst hatte. Scharnhorst tritt uns eher als ein Gelehrter, denn als ein Haudegen vom Typ des Marschall Vorwärts entgegen. Und ein Gelehrter ist er wohl auch gewesen. Seine Orden trägt er eher verhüllt (nur den preußischen Roten Adlerorden kann man klar erkennen), seinen verletzten Arm hält er vor seiner Brust (wenn man genau hinschaut, kann man die Schlinge sehen, die den Arm hält), irgendwie ist dem Maler das perspektivisch nicht so ganz gelungen. Man weiß bei all den Abbildungen im Internet sowieso nicht genau, welches das Original ist. Die meisten Bilder stammen nicht von Bury, sondern von einem Maler namens Paul Ernst Gebauer, der auch mit Bildern von Blücher und anderen Generälen des Freiheitskrieges im 19. Jahrhundert sein Auskommen hatte.

Dieser Gebauer ist die malerische Pest Preußens in der nach-napoleonischen Zeit. Seit er 1811 das Bild eines Christuskopfes an den König geschickt hatte, ist der von Gebauer begeistert. Zuerst Geldgeschenke, später Hofmaler. Und dann malt Gebauer in seiner breit bräsigen zweidimensionalen Art alle Helden des Freiheitskrieges, einer schlimmer als der andere. Aber alle Uniformen stimmen, und alle Orden sind drauf. Und mehr interessiert Friedrich Wilhelm III. eh nicht. Man vergleiche nur einmal sein Bild von Gneisenau mit diesem Bild von Franz Krüger.

Sieht zwar auch total bescheuert aus (ist das vielleicht schon eine Karikatur?), aber auf jeden Fall besser gemalt als das Bild von Gebauer. Die Berliner Malerei hätte gut ohne Gebauer auskommen können, aber da alle seine Bilder auf der Stelle in Kupfer gestochen werden und in alle Bücher der Zeit als Illustrationen hinein wandern, hat er doch einen erheblichen Einfluss auf unsere Vorstellung von den Helden des preußischen Freiheitskrieges. Wenn er doch nur bei der neugegründeten Stobwasserschen Lackierfabrik geblieben wäre, wo er eine gut bezahlte Stellung als Zeichner hatte. Die wurde damals schnell über Berlin berühmt, so dass sich sogar die Berliner Kunstakademie mit Überlegungen über Fortgewährung von Freiunterricht für alle Maler der Lackierfabrik Stobwassers, da diese inzwischen mit der Geschicklichkeit ihrer Maler bedeutende Gewinne erziehlt, beschäftigt. Immerhin hat Gebauer auf diese Weise auch Freiunterricht an der Akademie genossen.

Aber selbst wenn Burys Bild von Scharnhorst besser als die Kopie von Gebauer ist (das da links ist auch nicht das Original), es ist keine große Malerei. An die französischen Historienmaler wie David, Gros und Gérard kommt Bury nicht heran. Auch nicht an den eigentlich sehr guten Franz Krüger. Er ist ein rechtschaffener Maler, aber seiner Malerei fehlt jegliche historische grandeur. Während wir von englischen Helden aus dem Krieg gegen Napoleon grandiose Portraits haben, gibt es von diesem stillen Deutschen offenbar nur das eine Bild. Es irritiert mich ein wenig, dass bei einem berühmten Deutschen - und das ist unser Gerhard von Scharnhorst ja nun einmal  - nicht mal eine einzige seriöse Farbkopie des Bildes von Bury im Netz zu finden ist. Das alles sind Bilder aus zweiter und dritter Hand. Wir geben uns damit zufrieden, weil wir uns heute auch mit allerlei Bildern der Vergangenheit aus zweiter und dritter Hand zufrieden geben.

Aber damit wir die Frage mit dem Portrait zum Schluss noch klären, habe ich noch eine Schwarzweiß Abbildung, die Friedrich Burys Original am nächsten kommt.Wenn Sie damit nicht zufrieden sind, bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als nach Hannover zu fahren und sich das Bild links dort in Farbe anzuschauen. Den geplanten Festakt im hannöverschen Bordenau, dem Heimatort Scharnhorsts, an dem Sie hätten heute teilnehmen können, werden Sie verpassen, den hat die Bundeswehr abgesagt.

2 Kommentare:

  1. Alles interessant, und warum hat sie ihn abgesagt?

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  2. Es hatte seit Monaten Proteste gegen den Festakt mit einem öffentlichen Gelöbnis in Bordenau gegeben. Ich gebe hier einmal dem Antimilitaristischen Aktionskreis Region Hannover das Wort: "Mit Freude nehmen wir zur Kenntnis, dass der für den 12.11.2010 geplante Massenaufmarsch der Bundeswehr mit öffentlichem Gelöbnis in Bordenau abgesagt wurde. Ein Bundeswehrsprecher begründete dies mit der Enge in Bordenau, in der „das Gelöbnis in einem würdigen Rahmen“ nicht durchzuführen sei. Der Antimilitaristische Aktionskreis Region Hannover hatte für diesen Tag Kundgebungen sowohl am Scharnhorstdenkmal als auch am Gelöbnisplatz angemeldet und es wäre wie bereits 2005 kaum möglich gewesen, die Proteste zu ignorieren oder abzudrängen. Die Entscheidung der Bundeswehr, nicht im Geburtsort des preußischen Heeresreformers Scharnhorst aufzumarschieren, war überfällig angesichts der Tatsache, dass die deutsche Armee sich zu einer v. a. aus Berufsoldaten bestehenden Interventionsarmee für internationale Kriegseinsätze wandelt. Dafür stand Scharnhorst jedenfalls nicht. Anders als die Bundeswehr werden wir die von uns im November geplanten Veranstaltungen nicht absagen, denn in Afghanistan wird weiter geschossen, gebombt und gestorben."

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