Samstag, 31. Juli 2010

Swinging London


Von den Bundeszentrale für politische Bildung ist er in den sogenannten Filmkanon aufgenommen worden, und er wurde von manchen Kritikern zu einem der wichtigsten Filme der sechziger Jahre emporgeschrieben. Ich habe Blow-Up damals dreimal im Kino gesehen und besitze jetzt auch eine DVD davon, eine Raubkopie, die mir mal ein Studi geschenkt hat. Die kann ich jetzt leider nicht wiederfinden, aber das macht auch nichts, ich habe den Film noch im Kopf. Auf YouTube gibt es eine zweiminütige Version des Trailers, und wenn ich jetzt gehässig wäre, dann würde ich sagen: das reicht völlig aus. Und es gibt wichtigere Filme in den sechziger Jahren, Joseph Loseys The Servant oder AccidentJean Pierre Melvilles Le deuxieme souffle oder alles, was Godard, Truffaut & Co. drehen. Aber ich habe natürlich den Film mit dem Kostümdesign von Jocelyn Rickards hier für Sie.

Michelangelo Antonioni dreht zum ersten Mal außerhalb von Italien, und zum ersten Mal hat er Geld, mehr als 1,5 Millionen Dollar (der damals noch bei 4 Mark 20 steht) von Sophia Lorens Ehemann Carlo Ponti. Das ist wahrscheinlich mehr Geld, als Antonioni für alle Filme, die er bisher gedreht hat, zur Verfügung hatte. Der Film wird ein Welterfolg und wird in zwei Jahren mehr als das zehnfache der Produktionskosten einspielen, außer La Notte war bisher noch kein Film von Antonioni wirklich finanziell erfolgreich. 

Antonioni kommt jetzt im weißen Rolls zum Drehort und lässt sich in der Mittagspause Picknickkörbe von Fortnum & Mason bringen. Und gekühlten Schampus. Es gibt noch einen zweiten weißen Rolls bei den Dreharbeiten, eine Silver Cloud III mit der Karosserie von Mulliner Park Ward. Das ist das Teil, mit dem David Hemmings durch London gurkt, der ist aber für den Film dunkel lackiert worden. Das Auto gehörte dem Discjockey und Radiomoderator Jimmy Savile. Der ist heute Sir Jimmy, aber er trägt noch die gleichen Klamotten wie in den Sixties. Damals war er hip, heute wissen wir, dass er ein Kinderschänder war.

Wirkt aber doch sehr dated. Wenn Charles diesen blauen Anzug schon in den sechziger Jahren gehabt hätte, würde das bei der zeitlosen Schneiderkunst der Savile Row niemandem auffallen. Obgleich der Look von Blow-Up heute angeblich schon wieder ein Modeideal ist (die Hugo Kollektion von Boss soll sich vor Jahren angeblich an dem Film orientiert haben). Das, was David Hemmings trägt: weiße Jeans, hellblaues Gingham Hemd (bei dem er die Knöpfe des Button-Down Kragens niemals zuknöpft, zeugt wahrscheinlich von künstlerischer Kreativität oder ist eine verborgene Symbolik von Antonioni) und grünblaues Samtjackett geht ja immer noch. Das karierte Hemd von Vanessa Redgrave könnte eine englische Lady auch heute noch tragen.

David Hemmings war über die Klamotten, die man ihm verpasste, nicht so recht glücklich (lesen Sie hier alles über das Cordjackett von Hemmings). Aber es war die Mode der Zeit, es kann sein, dass der Photograph John Hooton dafür verantwortlich war: My favourite jacket around this time was a dark green suede ‘levi’ style jacket that I wore with white Levi jeans. My footwear was classic jodhpur boots – elastic sided boots normally used for horse riding. Wardrobe seems to have taken more than a keen interest in what we were wearing at the time, and I would dare to suggest that their choice of Thomas’s gear was inspiration rather than just coincidence! Allerdings, so flashy die Kleidungsstücke sind, die Personen kommen auch ohne sie aus.

Hier sind noch einmal Redgrave und Hemmings, aber diesmal ohne Hemden. Ja, es gab viel nackte Haut zu sehen in diesem Film. Vanessa Redgrave halbnackt, Jane Birkin, Veruschka von Lehndorff (das Photoshooting mit Veruschka soll angeblich die heißeste Sexszene der sechziger Jahre gewesen sein) und Sarah Miles auch mehr oder weniger unbekleidet. Jane Birkin ist sogar ohne Höschen zu sehen. David Hemmings fand die laut gebrüllten Anweisungen von Antonioni in dieser Szene, die dann ebenso laut von seinem Übersetzer gebrüllt wurden, schreiend komisch: "Get her knickers off now," yelled the assistant "Move! I can't see her tits." 

Sind das schon Altherrenphantasien von Antonioni? Sarah Miles, die Frau, die immer sexy wirkt, auch wenn sie nicht nackt ist (zum Beispiel in Loseys The Servant), fand den Film nur schrottig, eine Ansammlung von Klischees modisch verpackt. Aber Sarah Miles ist auch für ihre offene Art verrufen, schon vor Jahrzehnten schrieb der Cosmopolitan über sie: She uses words that would make a construction worker blush, but from her they sound refined. Die Filmkritiker dagegen waren hingerissen von dem Film, dessen Handlung bisher niemand verstanden hat.

Dabei folgt der Film einer billigen Formel: viel Geld für die Ausstattung, Musik von Herbie Hancock, ein schicker Rolls Royce mit Autotelephon (1966!), ein bisschen verfremdetes Lokalkolorit, ein Hauch vom Swinging London, eine Popgruppe (The Yardbirds. Antonioni wollte The Velvet Underground oder The Who haben, musste sich dann aber mit den Yardbirds begnügen) und ein Starphotograph, der David Bailey nachempfunden war. Und natürlich alle die Frauen. Weil Starphotographen die nun mal haben.

Auf jeden Fall David Bailey, der kriegte ja sogar damals Catherine Deneuve ins Bett. Musste sie allerdings vorher heiraten. Sehen Sie das? Nein, nicht der Slip von Catherine. Wildlederschuhe zum dunklen Hochzeitsanzug! Aber er konnte auch gut photographieren, und er hatte auch immer die schönsten Frauen vor der Linse, weil die Modeindustrie, die uns alles vorgaukeln kann und will, ihre Models nur von von ihm photographiert haben will. Die Klischees werden da schnell zur Wahrheit.

Das ist Jean Shrimpton in New York, natürlich photographiert von Bailey. Da hat er sie kennengelernt, hatte natürlich sofort eine Affäre mit ihr (obgleich er verheiratet war). Aber er machte sie zu dem Gesicht des Swinging London und dem ersten Supermodel der Modegeschichte. Birte, die in London lebt (das heute nicht mehr so swingt), hat mir mal erzählt, dass sie The Shrimp in einem Hotel in Penzance getroffen habe. Habe ich zuerst nicht geglaubt, aber die Sache stimmt, die Göttin der Sixties betreibt mit ihrem Mann dort ein Hotel. Sie hat auch letztens David Bailey wiedergetroffen, fünfzig Jahre nachdem sie sich kennengelernt haben. Die beiden sehen jetzt so aus wie auf diesem Photo.

Was damals die englische Klatschpresse beschäftigt, die Romanze zwischen Bailey und Shrimpton, wird jetzt von Antonioni wieder aufgewärmt und ein wenig verfremdet. Aber irgendwie ist das ein fader Abklatsch der Wirklichkeit, Sarah Miles (das Kleid hat auch Jocelyn Rickards, die mal die Geliebte von John Osborne war, auf dem Gewissen) hatte mit den Klischees schon recht. Und natürlich muss Jeff Beck von den Yardbirds seine Gitarre auf der Bühne zertrümmern, und natürlich muss der Manager der Photographen völlig zugekokst sein, wenn David Hemmings ihm von dem Mord erzählt.

Bei der Bremer Aufführung von Torquato Tasso in den sechziger Jahren, hatte Peter Stein einen neongrünen Flokati-Rasen in der Mitte der Bühne. Der wirkte so fies und schrill, dass er schon wieder wieder die Abstraktion eines Rasens aussah. Antonioni gefällt der Rasen im Maryon Park (in dem ein Mord geschieht oder auch nicht) überhaupt nicht, er lässt ihn grün nachfärben. Wirkt aber lange nicht so wie Peter Steins Rasen (der natürlich der Rasen des genialen Bühnenbildners Wilfried Minks ist). Den kann man neuerdings (ebenso wie den Rasen von Maryon Park siehe oben) auf einer DVD wiedersehen, worüber sich der Regisseur so äußert: Kürzlich hat irgend so ein Arschloch eine CD von meinem alten, Bremer „Torquato Tasso“ gemacht. Da war ich erstaunt über die Präzision der Spracharbeit damals. Übrigens auch darüber, wie wunderschön diese jungen Menschen damals waren. Außer einigen dämlichen Kaspereien wurde sehr ernsthaft, direkt und realistisch gespielt. Von Gorkis „Sommergästen“ an hat sich meine Arbeit dann nicht mehr stark verändert. Ich habe keinen Stil und will auch keinen. Wir lassen das mal so stehen, Peter. Aber was ist mit Antonionis Stil?

Irgendwie scheint er das aufgegeben zu haben, was er in La Notte oder in Deserto rosso beherrschte und was schon zu einer Manier geworden war: Personen gegen die Landschaft zu setzen, die niemals ein locus amoenus ist, sondern immer eine von der Industrie zertrümmerte Landschaft oder wenig belebte Vororte der Großstadt. Die Entfremdung der Personen in der Welt war damals das Äquivalent zum nouveau roman, filmische Umsetzung von Robbe-Grillet und Butor. Und so zeigt er auch kein Bilderbuchlondon, sondern eins der Seitenstraßen und Vororte. Schön und gut, aber die Masche hat sich spätestens in L'Eclisse totgelaufen. Antonioni kann sich nicht so recht entscheiden, wenn er konsequent wäre, dann würde er ein dreckiges verlassenes London zeigen, so wie es Rolf Dieter Brinkmann beschrieben hat. Und dies dann der Glitzerwelt des Modezirkus entgegenhalten. Aber Blow-Up ist ein Film ohne Konzept, ein bisschen von diesem und ein bisschen von dem, fertig ist die Melange. Streckenweise ungeheuer durchkomponiert, aber streckenweise auch nachlässig gepfuscht, es gibt schon Listen der goofs. Das wäre dem Antonioni von Cronaca di un Amore nicht passiert.

Aus David Hemmings, der durch diesen Film auch zu einer Ikone der sechziger Jahre wurde, ist auch nicht das geworden, was aus ihm hätte werden können (nehmen wir mal The Charge of the Light Brigade, seine brillant gespielte Nebenrolle in Juggernaut oder die Hauptrolle in dem unterschätzten Spionagefilm Charlie Muffin aus). Er selbst hat das aber eher philosophisch genommen und 2002 (ein Jahr vor seinem Tod) gesagt: I haven't really achieved a great body of outstanding work that can be buffed up and put on the mantelpiece. I've done some real stinkers, and I don't regret any of them because I went into them in the full knowledge that they weren't going to win an Academy Award . . I don't give a shit about fame, I have no vanity in that department. I don't consider myself to have been a star; I just married some pretty women. Als er noch klein war, konnte er einen göttlichen Sopran singen, er war der Star der Uraufführung von Benjamin Brittens The Turn of the Screw. Und er geht durch diesen Film wie ein unschuldiger Engel, er hätte die Hauptrolle in Ustinovs Verfilmung von Melvilles Billy Budd spielen können. Aber die hatte Terence Stamp gekriegt, der eigentlich auch die Rolle von Hemmings bekommen sollte. Pauline Kael, mit der ich nicht immer übereinstimme, fand David Hemmings in dem Film noch das Beste: with his Billy Budd hair-do, he's like a pre-Raphaelite Paul McCartney. Ihr schöner Verriss (Tourist in the City of Youth) in ihrem Buch Kiss Kiss Bang Bang ist nach über vierzig Jahren noch immer lesenswert.

Und Sarah Miles hat mir damals (und immer) gefallen. Und die Frau in dem Antiquitätenladen (Susan Brodnick), die aber leider hinterher nur eine Karriere im Dracula & Consorten Genre gehabt hat. So, und nun habe ich die DVD doch noch gefunden, ist gar keine echte Raubkopie, ist ein arte Mitschnitt. Das darf man ja wohl zur wissenschaftlichen Forschung benutzen. Und jetzt guck ich mir das noch mal an, und wenn ich meine Meinung revidieren muss, dann schreibe ich das hier morgen alles um.

Freitag, 30. Juli 2010

Michelangelo Antonioni


Heute vor drei Jahren ist Michelangelo Antonioni in Rom gestorben, er war 95 Jahre alt. Viele haben nur in den Nachrufen der Zeitungen gelesen, dass er einer der bedeutendsten Regisseure Italiens war, denn man hatte ihn zu seinem Lebensende schon ein wenig vergessen. Ausser natürlich Wim Wenders, der ihm beim Drehen von Jenseits der Wolken geholfen hat und dann noch ein Buch darüber geschrieben hat. Ältere Regisseure scheinen Wenders zu faszinieren, wie sein Film über Nicholas Ray zeigt.

Wenn man in den fünfziger Jahren aufwuchs, als das Fernsehen noch keine Rolle für das Leben spielte, dann ging man natürlich ins Kino. Und für einen durch Sartre, Camus und Juliette Gréco geprägten Jungintellektuellen gab es damals natürlich nur italienische und französische Filme (na ja, vielleicht noch ein bisschen Ingmar Bergman). Auf keinen Fall deutsche Filme, diese schrecklichen verlogenen Heimatfilme oder Kriegsfilme mit Blacky Fuchsberger. Es ist natürlich ein schöner Zufall des Lebens, dass die Kinojugend mit der Nouvelle Vague und Michelangelo Antonioni zusammenfiel, dem Goldenen Zeitalter des Kunstfilms. Zumal damals in Filmclubs und Filmkunsttheatern (schönes Wort) auch noch das Frühwerk von Antonioni gezeigt wurde. Also die Filme von Cronaca di un amore bis Il Grido, für die ich immer noch schwärme. Und dann natürlich diese mittlere Periode seines Schaffens, Filme wie L'avventura, La notte und L'Eclisse, die eine klare Entwicklungslinie haben und zu Die rote Wüste führen. Die rote Wüste war der erste Farbfilm des Regisseurs (und der vierte Film mit Monica Vitti. die er bei gemeinsamer Theaterarbeit kennengelernt hatte), aber er wirkt mit seinen seltsamen Farben der Industrielandschaft ein wenig wie ein nachträglich kolorierter Schwarzweißfilm.

Blow-Up war sicher ein netter Film, war aber nicht mehr mein Antonioni. Und Zabriskie Point, über den ich damals in jugendlichem Überschwang in einer längst untergegangen kleinen Zeitschrift einen Verriss schrieb, war für mich der künstlerische Ruin des Regisseurs. Regisseure können es eben jungen Filmkritikern nicht immer recht machen. Antonioni kam aus einer begüterten Familie, sicher nicht so begütert wie die Familie von Luchino Visconti, dessen Vater immerhin ein Herzog war, aber doch reiches italienisches Bürgertum. In seiner Jugend hat er Tennis gespielt und zahlreiche Turniere gewonnen (seine Pokale verkaufte er in der Nachkriegszeit, um Geld für den Lebensunterhalt zu haben). Wenn Sie jetzt beim Betrachten von Blow-Up das Plop-Plop eines imaginären Tennisspiel hören, wissen Sie wo es herkommt. Er hat in Bologna studiert, wollte Geisteswissenschaften studieren, schrieb sich dann aber aus Liebe zu einem Mädchen, die am Technischen Institut studierte, dort für Ökonomie und Handel ein. So richtig hat ihn sein Studium nicht interessiert, weil er nur Theater und Film im Kopf hat. Er schließt aber das Studium mit einem Diplom ab. 1939 ist er in Rom und schreibt für die Zeitschrift Cinema und arbeitet an dem Centro Experimentale, fliegt da aber schnell raus. Die beiden Institutionen unterstehen dem Sohn von Mussolini, und man hat später versucht, Antonioni eine Nähe zum Faschismus anzudichten.

Aber das ist völliger Unsinn. Denn der ganze italienische Neorealismus, der jetzt unter dem Schutzmantel der Faschisten entsteht, die die Herrschaft über das Kino an sich gerissen haben, ist ja gegen das System gerichtet. Beinahe alle italienischen Regisseure wie Rossellini, Fellini und Visconti haben zum salotto von Vittorio Mussolini gehört, der selbst Filmemacher war. Der Neorealismo ist sicher vom amerikanischen Kino beeinflusst, das man in Italien länger sehen kann als in Deutschland. Viscontis Ossesione verdankt James Mallahan Caines The Postman Always Rings Twice eine ganze Menge. Natürlich gibt es auch einen Einfluss des Poetischen Realismus des französischen Kinos, Antonioni wird Marcel Carné (und Jacques Prévert, der für Carné die Drehbücher schreibt) nach dem Krieg bei einem gemeinsamen Projekt kennenlernen.

Auch Antonionis erster langer Spielfilm Cronaca di un amore mit der schönen Lucia Bosé zeigt amerikanischen (und französischen) Einfluss, es ist eine Art Variation von The Postman Always Rings Twice. Wunderschöne lange Kamerafahrten, keine aufgeregte Hektik. Schauen Sie sich mal diese Szene an, drei Minuten lang, keine Schnitte. Das nennt man mise-en-scène, und Antonioni ist ein Meister darin. Das ist eine andere Sorte Kino als Im weißen Rössl mit Willi Forst und Johanna Matz, was man zu der Zeit in Deutschland sehen kann.

Der Film, der mir aus dieser Zeit am besten gefällt (also La Signora Senza Camelie mit Lucia Bosé mal ausgenommen) ist Il Grido. Ein Film, in dem schon der ganze spätere Antonioni steckt. Figuren in der Landschaft, Sehnsucht nach Liebe, Einsamkeit und Entfremdung. Tolle Bilder. Klicken Sie mal auf den Trailer.

Ich merke gerade, dass ich jetzt Tage (oder Wochen) über Antonioni weiter schreiben könnte. Ich höre erst einmal auf und stelle das ein. Vielleicht ein anderes Mal. So dacht ich. Nächstens mehr, wie Hölderlin am Ende von Hyperion sagt.

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Donnerstag, 29. Juli 2010

Carl Blechen


Vor zwanzig Jahren hat man in Berlin etwas Erstaunliches hinbekommen. Zwar waren die beiden Deutschlands offiziell noch voneinander getrennt, aber man hat eine gemeinsame Blechen Ausstellung veranstaltet, zum 150. Todestag des Malers. Alte und Neue Nationalgalerie haben ihre Bestände in einer Doppelausstellung gezeigt und ein gemeinsames Katalogbuch produziert: Carl Blechen: Zwischen Romantik und Realismus. Blechen ist einer der erstaunlichsten deutschen Maler im 19. Jahrhundert, er passt eigentlich gar nicht in die Zeit. Sein Nachruhm ist auch außer bei Sammlern und Kunsthistorikern nicht so groß gewesen wie der von Caspar David Friedrich. Aber Max Liebermann, der ein gutes Auge und einen scharfen Verstand hatte, hat gesagt: Er war ein begnadeter Maler von Gottes Gnaden. Einer der wenigen Auserwählten, der nicht nur zu den Besten seiner Zeit gehörte …, sondern auch auf die Besten seiner Zeit, wie auf Menzel, einen entscheidenden Einfluß ausgeübt hatte.

Also dies ist kein Blechen, aber der Berliner Kunstsammler Julius Freund (der Vater der Photographin Gisèle Freund), der Blechen sammelte, hatte ihn als echten Blechen gekauft. Blechen hat zwar auch die Kreidefelsen und die Stubbenkammer auf Rügen gemalt (lesen Sie ➱hier mehr dazu), aber die Bilder sehen etwas anders aus als das von Caspar David Friedrich. Erst 1920 hat der Kunsthistoriker Kurt Karl Eberlein das Bild als Caspar David Friedrich identifiziert. Das ist seine beste kunsthistorische Tat gewesen, alles andere von Eberlein ist nationalsozialistischer Unsinn. Gisèle Freund hat gesagt, dass sie unter diesem Bild geboren wurde, was vielleicht nicht so ganz stimmt, aber das Bild hing bei den Freunds über dem Sofa im Wohnzimmer. Julius Freund hat das Bild, weil es nun kein Blechen mehr war, 1930 an Oskar Reinhart verkauft, und in der Sammlung Reinhart hängt es immer noch.

Es ist ja nicht so, dass Blechen keine schönen Landschaften malen könnte, wie dieses Bild von 1830 zeigt. Das ist der Park der Villa d'Este, Blechen ist da in Italien gewesen, und seine Landschaften werden jetzt lichtdurchflutet. Haben schon einen impressionistischen touch, lange vor der Erfindung des Impressionismus. Das Bild hat auch etwas Theatralisches, es wirkt wie eine Bühnendekoration, man merkt hier, dass Blechen einmal Bühnenmaler am Theater gewesen ist. Den Posten hat er auf die Fürsprache von Schinkel bekommen, der ja auch ein sehr guter Bühnenmaler gewesen ist. Schinkel wird auch 1831 dafür sorgen, dass Blechen die Stelle eines Professors für Landschaftsmalerei an der Berliner Akademie der Künste bekommt, einer sehr genialen Art der Naturauffassung wegen.

Das ist auch kein Blechen, aber es könnte einer sein. Dies ist Adolph Menzels vor-impressionistisches Balkonzimmer von 1845. Den Einfluss, den Blechen auf den Jüngeren gehabt hat, kann man hier spüren. Doch das Bild unten im nächsten Absatz, das ist einwandfrei ein Blechen, obgleich es wie Emil Nolde aussieht. Zu der impressionistischen Phase seines Werkes ist Menzel (der ➱hier einen ausführlichen Post hat) leider nie mehr zurückgekehrt.

Blechen kann auch schöne Wolken malen, die manchmal wie die Wolken von ➱John Constable aussehen, er hat auch die ersten Zeichen der Industriellen Revolution gemalt und mit dem Walzwerk bei Neustadt-Eberswalde ein neues Bildthema für die deutsche Malerei geschaffen. Menzel wird ihm darin folgen. Leider ist das Bild von der Bucht von Rapallo (unten) in keinem guten Zustand, und die Qualität dieser Abbildung (vor allem der Farben) ist auch nicht  besonders gut. Aber man man doch ahnen, dass Blechen hier Turner oder Constable näher ist als dem deutschen Biedermeier.

Bilder von Turner hat Blechen in Rom gesehen, wo Turner 1828 drei Bilder ausgestellt hatte. Joseph Anton Koch, bei dem Blechen in Rom wohnt, findet das alles nur schrecklich. Über Turners Vision der Medea äußert er sich drastisch mit dem lateinischen cacatum non est pictum. Doch was kann man von einem Langweiler, dessen bestes Bild der ➱Schmadribachfall ist, anders erwarten? Aber Blechen, der erkennt Turners Genie sofort. Adolph Menzel wird elf Jahre später ein ähnliches Erlebnis vor den Bildern von Constable haben.

Blechen ist in seiner Zeit durchaus als Künstler respektiert worden, die Geschichte von dem armen verkannten Genie, die immer wieder erzählt wird, ist wohl nicht ganz wahr, schon Lichtwark hat darauf hingewiesen. Natürlich gibt es Kritik beim Publikum, das diese neue Malerei nicht versteht (so die Spenerschen Zeitung 1832: Es ist nicht ganz leicht, sich der eigentümlichen Auffassung des Herrn Professor Blechen zu akkomodieren), natürlich wird das bühnenbildmäßig Theatralische kritisiert. Auch die Vielzahl der literarischen Anspielungen überfordert manchmal das Publikum. Blechen ist mit Büchern aufgewachsen, der Vater unterhält eine Leihbibliothek, indem er aus seiner großen Bibliothek Bücher ausleiht. Blechen hat es nicht leicht, vor allem nachdem er seine Stelle als Theatermaler gekündigt hat, nachdem er sich mit der Operndiva Henriette Sontag gezofft hatte.

Aber es gibt durchaus Berliner Sammler, die Bilder von Blechen kaufen. Und Fontane mochte Blechen, sein Versuch einer Blechen Monographie ist allerdings leider ein Fragment geblieben. Fontane interessiert sich natürlich für Blechen, weil er der Vater unserer märkischen Landschaft ist. Ganz besonders scheint ihn das Bild Das Semnonenlager (das nach dem Krieg leider verschollen geblieben ist) zu interessieren, von dem er auch eine Skizze angefertigt hatte: Also nicht absolut original, nicht vom Monde gefallen. Nichtsdestoweniger ist es und bleibt es etwas sehr Bedeutendes. Es gehört doch immer noch sehr viel Originalität und sehr viel Mut dazu, angesichts eines Poussin auf den Gedanken zu kommen: ich will die zwei Meilen vor den Toren Berlins gelegenen Müggelberge zum Rang einer historischen Landschaft erheben. Und nachdem dieser künstlerisch große Gedanke gefaßt war, war es immer noch ein ganz Besonderes, ihn so auszuführen, wobei dahingestellt bleiben mag, was das Schwerere war: die Triviallandschaft in eine aparte Landschaft zu erheben, oder aber, nachdem dieser Prozeß geschehen war, die heroisch gewandelte Landschaft mit solcher Staffage zu erheben.

Aufträge vom preußischen Hof gibt es kaum, außer den beiden Bildern, die das Innere des Palmenhauses zeigen. Und da versucht der König noch den Preis zu drücken, aber Schinkel steht Blechen wieder einmal bei, Blechen erhält 200 Friedrichsdor. Das ist damals viel Geld, aber die Bilder sind es auch wert. Nur Fontane mäkelte: Die Palmenhausbilder sind sehr schön und wohl kaum übertroffen. Aber doch eigentlich langweilig.

Die Schwierigkeiten Blechens liegen darin, dass er Landschaftsmaler ist. Und dafür gibt es in Preußen kein so rechtes Publikum. Wenn man die feine Berliner Gesellschaft malt, und Militärparaden mit ganz vielen Pferden malt wie ➱Franz Krüger (der deshalb auch Pferde-Krüger heißt), dann kann man in der Berliner Gesellschaft reüssieren. Als Landschaftsmaler nicht. Wenn man die Berliner Architektur malt wie Eduard Gaertner, dann werden die Bilder auch von König Friedrich Wilhelm III. gekauft. Bedenken wir, dass auch John Constable kaum vom englischen Publikum gekauft wird und anfängt, Wirtshausschilder zu malen. Bedenken wir auch, dass die Epoche jetzt eigentlich Biedermeier heißt. Und das Biedermeier ist nicht modern, mit Ausnahme seiner Möbelkunst. Denn mit Künstlern wie Moritz von Schwind, Ludwig Richter oder Carl Spitzweg, die ja alle der Inbegriff des Deutschtums sind, hat Blechen nichts gemein. Berührungspunkte gäbe es allenfalls zu dem Berliner Architekturmaler Eduard Gaertner. Das Bild unten zeigt Gaertners Blick auf die Oper Unter den Linden.

Um Gaertner hat man sich ja lange auch nicht gekümmert, aber seit der Berliner ➱Eduard Gaertner Ausstellung von 2001 gibt es zumindest über ihn ein 464-seitiges Katalogbuch. Die Kunstgeschichte hat sich für die Gesamtheit der Berliner Malerei im 19. Jahrhundert erst sehr spät interessiert. Erst 1990 erschien das voluminöse Buch von Irmgard Wirth Berliner Malerei im 19. Jahrhundert, da kann man Wolf Siedler nur dankbar sein, dass er das verlegt hat.

Es ist ein wenig traurig, dass es nicht genügend gute Bücher über Carl Blechen gibt. Bei Amazon kann man Reproduktionen seiner Werke kaufen, das Amalfi Skizzenbuch, aber dann hört es auch schon auf. So bleibt der Katalog der Berliner Ausstellung von 1990, den es noch antiquarisch gibt, noch das Beste zu Carl Blechen. Seit diesem Jahr gibt es einen neuen Katalog seiner Skizzen, weil die Alte Nationalgalerie im Januar eine Ausstellung der Amalfi Skizzen veranstaltet hat. Und die sind ja, so Theodor Fontane, das Schönste: Am größten und genialsten ist er wohl in seinen Skizzen...Darunter befinden sich die entzückendsten Sachen...Eine merkwürdige Gabe des mit ein paar Strichen Festhaltens, des Erkennens und Treffens des charakteristischen Punktes in der Landschaft tritt einem aus all diesen Skizzen entgegen.

Carl Blechen, der am 29. Juli 1798 in Cottbus geboren wurde, ist am 23. Juli 1840 in Berlin gestorben, im Sterberegister ist ein hitziges Fieber angeben. Ein kurzes Leben, dessen Ende von einer Geisteskrankheit überschattet war. Anzeichen von Schwermut, Depressionen und Angstzustände haben sich schon früher bemerkbar gemacht. Er hat das wohl geerbt, sein Vater hatte 1821 Selbstmord begangen. Irgendwie war das für Blechen ein Zeichen, seine bürgerliche Karriere aufzugeben. Er hatte Bankkaufmann gelernt, weil seine Eltern das Geld für das Studium nicht aufbringen konnten. Nach der Lehre war er ein Jahr als Freiwilliger in einem Garde Pionier Bataillon gewesen, danach die Anstellung in der Bank, das hätte eine bürgerliche preußische Karriere werden können. Aber dann wirft Blechen all das weg, studiert zuerst nebenbei, beginnt zu reisen. Besucht ➱Johan Christian Claussen Dahl (und wahrscheinlich auch Caspar David Friedrich) in Dresden. Und findet in ➱Schinkel einen Freund, der ihn das Leben lang fördert.

Was da im Hintergrund in dieser romantischen Amalfi Landschaft so raucht, ist das, was die romantische Literatur etwas euphemistisch einen ➱Eisenhammer nennt, vulgo eine Fabrik. Man mag das Bild romantisch konventionell nennen. Man kann sicher auch den Einfluß des Bühnenmalers Blechen auf den Landschaftsmaler Blechen sehen. Dennoch ist es malerisch in einer ganz anderen Liga als Kochs Schmadribachfall, weil Blechen ein Maler des Lichts ist. Joseph Anton Koch bestenfalls einer der genauen Linie. Was der in Rom lebende Österreicher Joseph Anton Koch niemals gemalt hätte - und auch niemals hinbekommen hätte, das ist ein solches Bild:

Blechen hat es aus dem Fenster seines Hauses in Berlin in der Kochstraße 9 gemalt. Theodor Fontane hat gesagt, dass er das Bild gern in seinem privatesten Raum gehabt hätte. Das Original hat schönere Farben, ich finde das ja ein bisschen ärmlich vom Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, wo ich diese Abbildung geklaut habe, dass die nicht mal eine farbgetreue Abbildung ins Netz stellen können.

Als ich klein war, habe ich meinem Opa aus seiner Bibliothek zwei Bildbände (vorübergehend) entwendet. Der eine war großformatig und enthielt hauptsächlich deutsche Historienmalerei. Der verschaffte mir eine souveräne Kenntnis einer Malerei, für die sich Kunsthistoriker normalerweise schämen. Ich meine jetzt solche Bilder wie Franz von ➱Defreggers Andreas Hofer (obgleich ich im Internet sehe, dass es da immer noch Interesse für das Bild gibt, wahrscheinlich wohnen die alle in Bayern) oder ➱Richard Knötels Heldentod des Prinzen Louis Ferdinand bei Saalfeld. Das andere Buch von Opa war etwas kleiner im Format, eine Geschichte der deutschen Malerei. Es enthielt von Blechen (leider waren alle Bilder nur in Schwarzweiß) das Bild der Villa d'Este. Mich faszinierte der fremdartige Name, aber noch mehr die Malerei. Und ich wußte damals ganz genau: so muss Malerei sein, so wie Carl Blechen! Nicht wie Richard Knötel. Ich war damals sechs. Ich habe meine Meinung bis heute nicht geändert.

Mittwoch, 28. Juli 2010

Battle of Monmouth


Die Schlacht von Monmouth Court House in New Jersey fand an einem heißen Junitag statt, ein Wetter, so wie wir es in diesem Sommer haben. 35 Grad sind es an diesem Tag in New Jersey, wie an den Tagen zuvor, dazwischen mal ein Gewitter. Wir kennen dieses Wetter in diesem Sommer. Aber wir brauchen auch keine Bärenfellmützen zu tragen. Viele Soldaten haben einen Hitzschlag erlitten, die Engländer häufiger als die amerikanischen Soldaten. Die Engländer tragen ihre dicke rote Wolluniform und Bärenmützen und dann das schwere Gepäck. Die deutschen Hilfstruppen der Engländer haben blaue Uniformen, aber auch schwere Helme, manche noch einen Brustpanzer. Die Soldaten der Miliz aus den Kolonien tragen das, was sie sonst zur Jagd tragen. Heute jagen sie Rotröcke.

George Washingtons Truppen greifen die Engländer jetzt im Sommer 1778 an, während sie in den Jahren zuvor hauptsächlich in der Defensive waren. Aber nachdem Gentleman Johnny Burgoyne eine ganze englische Armee bei Saratoga verloren hat, werden die Amerikaner mutiger. Sie sind jetzt auch besser gedrillt als vorher. Das liegt natürlich an einem Deutschen, Drill, das können die Deutschen. Unser Deutscher ist der Baron Friedrich Wilhelm von Steuben, er war vorher in der Armee Friedrichs des Großen. Da nimmt er als Stabskapitän seinen Abschied und wird Hofmarschall beim Fürsten von Hohenzollern-Hechingen. Als er 1777 in Paris ist, macht ihn der Kriegsminister mit Benjamin Franklin bekannt. Der ist von Steuben begeistert und empfiehlt Washington diesen Generalleutnant der preußischen Armee.

Das ist nun ein klein wenig übertrieben, denn General war Steuben nie, er war lediglich im Generalstab. Aber Washington macht Steuben zum General, wenn er sich auch bei vielen Berufssoldaten geirrt hat, die jetzt aus Europa nach Amerika kommen, mit Steuben hat er einen guten Griff getan. Denn in dem schlimmen Winter, als Washington sein Feldlager in Valley Forge aufgeschlagen hat, da organisiert Steuben die Armee neu nach preußischem Vorbild. Er kann kein Englisch, aber er hat einen amerikanischen Offizier neben sich, der seine französischen Flüche in englische Flüche übersetzt. Drill geht nur mit Fluchen, auf jeden Fall bei den Preußen. Und Steuben schreibt auch ein kleines Handbuch, das für die Kontinentalarmee zu einer Bibel wird.

Und da wir gerade beim Fluchen sind, in der Schlacht von Monmouth hat George Washington, der sonst ein Vorbild an Selbstbeherrschung ist, geflucht. You damned poltroon soll er den General Charles Lee genannt haben, der sich vor den Engländern zurückzog. Da greift Washington mit seiner Armee schon mal an, und dann zieht sich Charles Lee feige zurück. Die Flüche von Washington sind nicht so ganz genau überliefert, er sei much excited gewesen, schreibt einer seiner Stabsoffiziere. Und der Brigadegeneral Charles Scott aus Virginia (der 1808 noch Gouverneur von Kentucky wird) sagt später: Yes sir, he swore on that day till the leaves shook on the trees - charming and delightful. Never have I enjoyed such swearing before, or since. Sir, on that memorable day he swore like an angel from Heaven.

Das Bild hat Emanuel Leutze gemalt, ein Jahr nachdem er Washington Crossing the Delarware gemalt hatte (das gab es hier im ➱Blog schon mal), das Bild ist auch beinahe so groß, Helden muss man immer ganz groß malen. Weshalb Leutze Washington auf ein braunes Pferd setzt, ist nicht ganz klar. In Wirklichkeit ritt er ein großes weißes Pferd, aber vielleicht konnte Leutze keine großen weißen Pferde malen. Washington ist auf dem Bild dabei, die amerikanischen Truppen, die Lee hat abziehen lassen, wieder nach vorne zu führen. Es ist das erste Mal, dass die amerikanischen Soldaten ihren Feldherrn mit einem gezogenen Degen gesehen haben. Washington ist ausser sich, da hatte er den englischen General Clinton so schön während des Marsches in der Bewegung überrascht, und dann kneift Lee. Sir, you do not know the British soldiers. We cannot stand against them, hat Lee zu Lafayette gesagt. Er muss es wissen, er ist Engländer, jetzt aber in amerikanischen Diensten. Washington wollte dem General Lee die Truppen für den Angriff gar nicht anvertrauen, aber der ist der dritthöchste General der Kontinentalarmee, da kann ihm Washington das Kommando nicht verweigern. Obgleich sich Lee im Vorjahr schon sehr zögerlich im Kampf gegen die Engländer gezeigt hatte. Er hat auch die ganze Zeit gegen Washington intrigiert und tausend Briefe geschrieben, in denen stand, dass Washington völlig ungeeignet für das Oberkommando sei. Einer dieser Briefe landet durch einen Zufall auf Washingtons Schreibtisch. Washington öffnet ihn, liest den Brief und schickt ihn an Lee zurück. Mit einem Begleitschreiben, in dem er sich dafür entschuldigt, dass er versehentlich den Brief geöffnet hat. Das nenne ich das Benehmen eines Gentleman.

Dann war Lee auch noch 1777 in einer Kneipe gefangen genommen worden und hatte in der Gefangenschaft (nur so, aus rein akademischem Interesse) für die Engländer einen Plan erarbeitet, wie sie die Amerikaner schlagen könnten. Als ihn die Amerikaner zurücktauschen, hätte sie ihn eigentlich aufhängen sollen. Aber man braucht Berufssoldaten in der Kontinentalarmee, und man weiß das auch nicht so genau mit dem Plan. Im Jahre 1858 wird man Lees handschriftlichen Plan in seinem Haus finden. Wäre schön, wenn ich davon ein Bild hätte. Stattdessen gibt es hier einen Brief von Lee an Washington aus dem Jahre 1776, da ist er gerade (gleichzeitig mit Sir Henry Clinton) in Amerika angekommen, da ist der Ton zwischen beiden noch nett. Beginnt noch höflich mit My Dear General und endet mit Your Servant C. Lee

Die Soldaten, die Washington Lee überlässt, waren seine besten Soldaten, diejenigen, die Steuben gedrillt hat. Der Drill zahlt sich aus. Auf Befehl Lees verlassen sie wohl geordnet das Schlachtfeld. Washington will nicht glauben, was er da aus der Ferne sieht, er reitet zu Lee und dann fallen all die schlimmen Worte, die den General Lee dazu bewegen, sich nach ganz weit hinten zu begeben. Mit seinem Pudel. Er ist jetzt richtig beleidigt und lässt es Washington wissen, aber der leugnet erstmal die Beleidigungen und kontert per Brief ganz kühl:

Sir,
I received your letter, (dated, thro' mistake, the 1st of July) expressed, as I conceive, in terms highly improper. I am not conscious of having made use of any very singular expressions at the time of my meeting you, as you intimate. What I recollect to have said was dictated by duty and warranted by the occasion. As soon as circumstances will permit, you shall have an opportunity either of justifying yourself to the army, to Congress, to America, and to the world in general; or of convincing them that you were guilty of a breach of orders and of misbehaviour before the enemy, on the 28th inst. in not attacking them as you had been directed and in making an unnecessary, disorderly, and shameful retreat. I am Sir, your most obt. servt,

Go Washington

Aber in der schon beinahe verlorenen Schlacht von Monmouth Court House macht Washington nun etwas Erstaunliches, er gibt nicht auf. Mit Hilfe von ortskundigen Soldaten, die hier jede Hecke kennen, ordnet er die zurückflutenden Truppen. Stellt sie neu auf und greift an. Und das alles bei 35 Grad im Schatten. Er wird Sir Henry Clinton nicht schlagen, der im Schutze der Nacht sicherheitshalber das Weite sucht. Marschiert zur Küste, wo die Royal Navy liegt und schifft sich mit seiner Armee ein, und weg ist er nach Manhattan. Er sucht nicht die Wiederaufnahme der Schlacht. Tote, Verwundete und Gefangene zusammengezählt, verlieren die Engländer mehr als die Amerikaner. Von den deutschen Hilfstruppen, die immer global als Hessen bezeichnet werden, verschwinden viele auf Nimmerwiedersehen. Sie sind von ihrem Landesherrn in den Dienst gepresst und an die Engländer verkauft worden, aber irgendwie haben sie es jetzt satt.

Der Generalmajor Charles Lee ist eine der ganz seltsamen Figuren des Revolutionskrieges. Diese zeitgenössische Karikatur trifft ihn wohl recht genau, er ist immer von Hunden umgeben, meistens einem halben Dutzend. Auch bei der Schlacht von Monmouth hat er seinen Lieblingspudel bei sich. Lee ist das, was man einen Glücksritter nennt, sein Vater war ein irischer Oberst, er  kaufte seinem Sohn eine Offiziersstelle in der englischen Armee. Lee ist im French-and-Indian War in Amerika gewesen. Die Mohawks haben ihn wegen seines Temperaments Boiling Water genannt (und Lee hatte auch eine Häuptlingstochter geheiratet). Später war er in der portugiesischen Armee, weil die Engländer ihn nicht so recht haben wollten, danach im Stab des polnischen Königs Stanislaus II. In Amerika, wo er dann auf seiner Plantage in Virginia lebte, hatte er gehofft, dass man ihn zum Oberbefehlshaber der Armee des Continental Congress machen würden. Aber die haben sich doch lieber für Washington entschieden, als für den englischen Zyniker, der immer unordentlich herumlief und prollig herumpöbelte. Wenn Washington nach Ansicht mancher Leute zuviel Haltung und Würde hatte, Lee besaß davon gewiß zu wenig, hat Walther Reinhardt in seiner schönen Washington Biographie geschrieben. Bei der Berufung durch den Kongress hat es auch eine Rolle gespielt, dass Lee viel Geld haben wollte (30.000 $). Washington wollte nur seine Unkosten zurück. Hätte der Kongress ihm doch ein Gehalt bezahlt! Nach dem Krieg stellt George Washington dem Kongress 449.261 Dollar und 51 Cent in Rechnung, alles sorgfältig in einem Buch (siehe unten) festgehalten. Ein Generalmajor bekommt vom Kongress 166 Dollar im Monat, das wäre jetzt mal ein ganz einfaches Rechenexempel, was der Kongress gespart hätte.

Trotz seiner grauenhaften Manieren ist Lee ein gebildeter Mann, er spricht mehrere Sprachen (Deutsch, Italienisch und Spanisch). Wenn er betrunken ist, rezitiert er lateinische Verse. Er hat auch behauptet, die berühmten Junius Briefe geschrieben zu haben, aber das ist kaum wahrscheinlich. Irgendwie scheint er sich Friedrich den Großen zum Vorbild genommen zu haben, immer umgeben von Hunden und dann den Rest der Welt verachten. Er wird sich auch nach der Schlacht beleidigend und arrogant gegenüber Washington verhalten. Es folgen Kriegsgericht, Duellforderungen, Entlassung aus der Armee. Er hat dann noch seine Memoiren geschrieben, die 1792 in London erschienen sind und die auch heute noch erhältlich sind. Es lohnt aber nicht, die zu kaufen, man kann sie bei Google Books lesen, wenn man sich langweilen will. Es gab sie 1793 auch in Deutschland zu kaufen, zum Preis von zwei Reichsthalern. Das Beste an dem Buch ist einwandfrei der Titel: Memoirs of the life of the late Charles Lee Esq. Lieutenant Colonel of the 44 Regiment, Colonel in the Portuguese Service, Major General and Aid du Camp to the King of Poland and Second in Command in the Service of the United states of America: to which are added his political and military essays, also letters to and from many distinguished characters both in Europe and America. Ansonsten ist er immer der Größte. Wenn irgendwas schief läuft, sind die Umstände schuld, oder die Intrigen gegen ihn, verräterische Offiziere etc. Ist schon ein wenig pathologisch. Er ist wegen Beleidigungen ständig zu Duellen herausgefordert worden, einmal verliert er dabei zwei Finger, aber sein Gegner verliert das Leben. Washington sieht diese Duelle unter Offizieren gar nicht gerne, billigt aber stillvergnügt, dass sein Adjutant Colonel John Laurens Lee zu einem Duell fordert, nachdem Lee eine Rechtfertigung seines Verhaltens in der Schlacht in einer Zeitung hatte drucken lassen. Lee wird bei diesem Duell verletzt, das erspart ihm das nächste Duell, zu dem General Anthony Wayne ihn herausgefordert hat.

Diese Schlacht ist, auch wenn sie unentschieden ausgeht, Washingtons Sieg und Lees Niederlage. Sie ist wichtig für die Moral der Amerikaner, die hier einem englischen Heer in offener Schlacht Paroli bieten konnten. Der Held der Schlacht in den Schulbüchern ist aber nicht Washington. Es ist eine Frau, die in der Schlacht kämpft.

So wie auf dieser Currier & Ives Lithographie aus dem 19. Jahrhundert hat sie bestimmt nicht ausgesehen, gekleidet in den Nationalfarben. Molly Pitcher soll sie geheißen haben, Washington soll sie zum Sergeant gemacht haben. Sie hat Wasser zum Kühlen der Kanonen herangeschleppt, die an diesem Tag heißer wurden als sonst. Nach einer anderen Quelle soll sie den Soldaten das Wasser gebracht haben. Und ihrem Mann beim Laden der Kanone geholfen haben. Ihr wirklicher Name soll Mary Ludwig Hays gewesen sein, Tochter von deutschen Einwanderern. Niemand weiß, ob an den vielen Legenden etwas dran ist. Aber wenn es wahr wäre, was wäre George Washington ohne die Deutschen? Baron Steuben und Mary Ludwig entscheiden die Schlacht von Monmouth. Das sind doch noch mal Schlagzeilen.

Der Unabhängigkeitskrieg ist der Beginn der amerikanischen Geschichte, und man kann sich vorstellen, dass es darüber voluminöse Literatur bis zum Abwinken gibt. Es gibt aber auch Bücher, die auch von jedermann gut lesbar sind. Barbara Tuchmans Der erste Salut (The First Salute) ist ein hervorragendes Buch über den Krieg mit dem Schwerpunkt auf der Rolle der Marine. Noch besser als Gesamtdarstellung und lesbar wie ein Roman ist Christopher Hibberts Redcoats and Rebels. Einen kleinen Ausschnitt aus dem Krieg präsentiert der zur Zeit wohl renommierteste amerikanische Historiker David Hackett Fischer mit Washington's Crossing. Das Buch hat den Pulitzer Preis bekommen, und das völlig zu Recht. Fischer schreibt keine Geschichte der Generäle, sondern rekonstruiert das alltägliche Leben im Krieg, es ist eine faszinierende Lektüre.

Dienstag, 27. Juli 2010

Gilda


Heute vor 110 Jahren ist Vidor Károly in Budapest geboren worden. Wir kennen ihn als amerikanischen Regisseur namens Charles Vidor. Er würde mich ja nicht so besonders interessieren, wenn er nicht diesen einen Film gedreht hätte, den alle Cineasten lieben: Gilda. Niemand kann Gilda vierundzwanzig Stunden am Tag sein, hat Rita Hayworth gesagt. Und sie hat auch gesagt: Männer verliebten sich in Gilda, aber wachten mit mir auf. Sie sollte es wissen, sie war viermal verheiratet. Gilda ist kein wirklich guter Film, es ist auch eigentlich kein wirklicher film noir, der Film segelt nur im Fahrwasser des film noir. Da hatte der Kritiker der Zeit schon Recht, als er schrieb:

'Gilda' ist kein Film zum Nachschmecken und Räsonnieren, sondern einer zum Hassen und Lieben, zum Heulen und Zähneklappern: Gefühlskino im Superlativ. Wenn Männer hassen, erfinden sie Frauen wie Gilda: die Bestie, die in aller Unschuld lügt und betrügt und im schwarzen Seidenkleid 'Put the Blame on Mame' singt, das Lied von der Rachegöttin, die die Erde beben und Schneestürme heulen läßt. [...] Nie hat Charles Vidor einen besseren Film gedreht als diesen schlechten. Und nie war Rita Hayworth schöner als in 'Gilda'. Das letzte können wir natürlich mit einem Photo beweisen.

Das ist ja nun an coolness schwer zu übertreffen, ist natürlich auch alles bewusst so photographiert und inszeniert, der ganze Film ist eine einzige Studioproduktion. Rita Hayworth singt auch in dem Film, sie singt Put the Blame on Mame. Sie singt es nicht wirklich, Anita Kert Ellis hat es gesungen. Mame ist an allem Schuld, dem Erdbeben von San Francisco, dem Blizzard 1886 in Manhattan und dem Feuer von Chicago. Das ist jetzt der bekleidetste Striptease der Filmgeschichte, den Rita Hayworth da auf die Bühne legt. Aber nachdem sie die klassische Zeile I'm not very good at zippers, but maybe if I had some help... gebracht hat, wird sie leider von der Bühne gezerrt. Es ist kurz nach dem Krieg, jetzt ist die Zeit der Sexbomben. Und auch der wirklichen Bomben. Die Atombombe, die die Amerikaner auf das Bikini Atoll werfen, heißt Gilda und trägt das Bild von Rita Hayworth. Im Film Gilda geht es auch um böse Nazis und Atombomben. Es wäre ja verlockend, dazu etwas zu sagen, aber ich überlasse das Wort mal eben Michael Wood, der in seinem Buch America in the Movies ein schönes Kapitel mit dem Titel Put the Blame on Mame hat:

The symbolism is enough to frighten off any but the most intrepid Freudians: the bomb dropped on Bikini was called Gilda and had a picture of Rita Hayworth painted on it. The phallic agent of destruction underwent a sex change, and the delight and terror of our new power were channeled into an old and familiar story: our fear and love of women. We got rid of guilt, too: If women were always to blame, starting with Eve perhaps, or Mother Nature, then men can't be to blame. And in any case, as every steady moviegoer knows, women themselves aren't really to blame, because they can't help it. Sirens all, they sing men to their doom (sometimes doom is just domesticity), without meaning any harm.

Denn obgleich Rita Hayworth für ihren alten lover Glenn Ford, der sie unverhofft in Buenos Aires wiedertrifft, die Verkörperung von allem Bösen zu sein scheint, ist sie in Wirklichkeit herzensgut (auch im wirklichen Leben, selbst wenn sie einmal gesagt hat: Basically, I am a good, gentle person, but I’m attracted to mean personalities). Und ja, nach vielen Verwicklungen der komplizierten und total bescheuerten Handlung des Films gibt es ein happy ending. Im echten film noir gibt es kein happy ending, ein echter film noir endet wie Out of the Past. Obgleich auch echte films noirs eine total bescheuerte, unglaubwürdige Handlung haben können. The willing suspension of disbelief ist etwas, was man jetzt als Zuschauer ins Kino mitbringen muss.

Ich weiß, dass ich mich mit dieser Meinung im Gegensatz zu vielen Filmkritikern befinde, aber für mich ist dies das gute alte Melodrama des 19. Jahrhunderts, verkleidet als film noir. Es fehlt das existentialistische Geworfensein, dies no way out, das den wirklichen film noir ausmacht. Natürlich hat Charles Vidors Film viele noir Elemente, wie die Photographie, den Erzähler und das good-bad girl. Das good-bad girl ist eine Terminus von Martha Wolfenstein und Nathan Leites in ihrem Buch Movies: A Psychological Study. Das Buch erschien 1950 und die Autoren danken im Vorwort Margaret Mead, Geoffrey Gorer und David Riesman.

Hier schreiben keine Filmkritiker mehr über den amerikanischen Film, jetzt wird Hollywood von Psychologen, Anthropologen und Soziologen analysiert und seziert. Gleichzeitig mit diesem Buch hat Barbara Deming ihr Manuskript von Running Away from Myself: A Dream Portrait of America Drawn from the Film of the Forties fertig, aber davon sind in den fünfziger Jahren nur Teile erscheinen, dann war das City Lights Magazin pleite. Beide Bücher sind sich im Ansatz ähnlich (und auch Michael Wood geht so vor). Sie folgen, wenn man so will, Siegfried Kracauers Studie From Caligari to Hitler (1947), indem sie Filme als eine Art Symptom einer kranken Gesellschaft interpretieren.

Das good-bad girl ist eine rein amerikanische Erfindung, der todbringende Vamp ist ein europäischer Import (und mit Vamp sind jetzt nicht die Zahnspangenvampire von Fräulein Stephenie Meyer gemeint). Natürlich gibt es auch wunderbare films noirs mit solchen bösen Frauen, die sich ein wenig aus dem fin de siècle nach Hollywood verirrt zu haben scheinen, Double Indemnity wäre solch ein Film. Das links ist natürlich Franz von Stuck, nur er bringt diesen fin de siècle Kitsch so richtig. An dieser Stelle möchte ich auf den kalifornischen Kunstgeschichtsprofessor Bram Dijkstra hinweisen, der die besten Bücher über den todbringenden Frauentyp in der Kunst geschrieben hat, und über den es in dem Wikipedia Artikel heißt: He is probably best known for two books that have escaped the academic world into the world of popular culture: 'Idols of Perversity: Fantasies of Feminine Evil in Fin-de-siècle Culture' (1986), 'Evil Sisters: The Threat of Female Sexuality and the Cult of Manhood' (1996). Das finde ich das höchste Lob, das man einem Buch machen kann: escaped the academic world. Ich glaube, das schreibe ich bei mir ins Profil rein: escaped the academic world.

Im wirklichen Leben steht das ja leider bei Frauen so nicht dabei, wenn der amerikanische Mann eine Frau sucht. Er möchte ja jemanden haben so rein wie Doris Day, die er zuhause Mammie vorstellen kann. Da wo Mammie den besten apple pie Amerikas macht. Aber eigentlich möchte er natürlich lieber ein bad girl haben, jemanden wie Rita Hayworth. Wo man auch noch weiß, dass die eigentlich Mexikanerin ist und Rita Cansino heißt. Im Western gibt es immer heißblütige Mexikanerinnen und die Nutten im Saloon mit Netzstrümpfen und goldenem Herzen.

Der amerikanische Film typisiert eben gern. In High Noon hat der Sheriff Will Kane (Gary Cooper) die heiße Mexikanerin Helen Ramirez (gespielt von Katy Jurado), aber er gibt ihr den Laufpass, weil da diese eiskalte Westküstenschönheit namens Grace Kelly ankommt. Mit der Vermischung der weißen mit anderen Rassen kann es in der amerikanischen Kultur nix werden, geht seit Pocahontas schief, sagt auf jeden Fall Leslie Fiedler. Ja, und da kriegt Gary nun seine kalte Blondine, aber sieht er jetzt etwa glücklich aus?

Was ich eben in wissenschaftlich unzulässiger Weise gemacht habe, ist das Ausgangsargument von Wolfenstein/Leites in ihrem Kapitel The Good-Bad Girl. Ich habe noch ein wenig Leslie Fiedler dazugetan (seine Theorie von den vier basic myths der amerikanischen Kultur, die er in The Return of the Vanishing American äußert). Das good-bad girl ist Hollywoods Lösung des Problems, suggeriert Sexualität und Verworfenheit und ist am Ende doch Doris Day. Und damit spielt der Film der vierziger Jahre in raffinierter Weise.

Rita Hayworth hing mit diesem Photo im Spind der halben Armee: Eins der berühmtesten Pin-Up Photos des Zweiten Weltkriegs (die andere Hälfte der Armee hatte Betty Grable im Schrank). Aber kann man eine solche Frau seiner Mutter in Poughkeepsie mitbringen? Da müsste Mammie natürlich vorher Gilda gesehen haben, um zu erkennen, dass die scharfe Schlampe, die ihr Sohn da ins Haus schleppt, in Wirklichkeit das gute All-American Girl ist.

Aber manchmal, und das macht die wunderbare Zwielichtigkeit des film noir aus, haben wir im Film ständig Zweifel. Werfen Sie doch einmal einen Blick auf diese junge Frau. Gut oder böse? Das ist Lizabeth Scott in The Strange Love of Martha Ivers. Das Wort strange im Titel charakterisiert den Film schon ganz gut. Ich hätte auf dem Bild unten Lizabeth Scott noch einmal, und diesmal haben wir keine Schwierigkeiten mit der Zuordnung. Dies ist das Bild der Frau, das Hollywood uns in den fünfziger Jahren wieder vermitteln wird, wenn die First Lady der Nation Mammie heißt, und Hollywood von seiner beunruhigenden dunklen Version Amerikas Abschied genommen hat.

War alles nur ein böser Traum. Oder? But when a dream night after night is brought Throughout a week, and such weeks few or many Recur each year for several years, can any Discern that dream from real life in aught? Die Zeilen finden sich als Motto im Buch von Wolfenstein und Leites. Sie stammen von James Thomson (nicht dem aus dem 18. Jahrhundert, sondern dem anderen), aus dem Gedicht City of Dreadful Night. Und damit war nicht Los Angeles gemeint, das jetzt stereotyp zum Gegenteil des great good place wird. Der Film kam kurz nach Weihnachten 1949 in die deutschen Kinos, da hatte man aber die Handlung mit den deutschen Nazis schon rausgeschnitten. Die Illustrierte Film-Bühne schrieb damals:

In die Freundschaft zweier Männer in Buenos Aires dringt eine attraktive Frau ein, die der eine vergessen wollte und die ihn jetzt in ein zermürbendes psychologisches Duell verwickelt, bei dem sich Liebe durch Haß und Haß durch Liebe ausdrückt. Ein hervorragend gespielter und inszenierter Klassiker der "Schwarzen Serie", der jenseits der klischeehaften Kriminalhandlung von den Gefühlen zwischen Mann und Frau handelt und die Genre-Elemente zu einem beinahe philosophischen Essay über Liebe und die darin verkörperte Lebensutopie verbindet.