Donnerstag, 6. Januar 2011

Hüte


Wo ist sie hin, die Hutkultur? Vor einem halben Jahrhundert betrat der Mann von Welt niemals die Straße, wenn er nicht einen Hut auf dem Kopf hatte. Und Handschuhe trug. Das gehörte einfach dazu. Arbeiter trugen Mützen, Herren trugen Hüte. Heute tragen selbst Rentner, die sich eigentlich gut kleiden könnten, Basecaps. Wollen Sie irgendwelche New Yorker Rapper imitieren? Wirkt ja nur peinlich. Der Hutindustrie, wenn man von einer Industrie überhaupt noch reden kann, geht es schlecht. Was ist aus Vanzina geworden? Panizza scheint nur noch als Hutmuseum zu existieren. Borsalino soll es ja noch geben.

Christys stand vor wenigen Jahren vor dem Ruin, wurde aber gerettet. Lock & Co gibt es glücklicherweise noch immer, seit dreihundert Jahren im Familienbesitz. Ich weiß noch, als der Laden von Ernst Fricke in der Sögestraße in Bremen schloss, weil der Inhaber verstorben war. Und er war ein so feiner Herr, schluchzte die Verkäuferin, und er ist zweimal im Jahr London gefahren, um Hüte zu bestellen. Dafür hatten die Hüte, die er bei Lock & Co geordert hatte auch seinen Namen neben dem Firmenwapperl im Futter. Dass die Hüte aus England kamen, darauf legte man im anglophilen Bremen viel Wert. Aber die feinen Herren, die Hüte aus London tragen, sind eine bedrohte Spezies geworden.

Kennedy ist schuld, sagen manche Modehistoriker. Weil er Hüte gehasst hat. Das stimmt nicht so ganz, zu seiner Amtseinführung hat er einen Zylinder getragen, wie die Präsidenten vor ihm. Es war schweinekalt an dem 20. Januar 1961 als der Dichter Robert Frost sein Gedicht The Gift Outright vorlas. Und von der Sonne geblendet und Tränen in den Augen vom kalten Wind, mittendrin stockte. Kriegt er es zu Ende? fragten sich die Zuschauer. Er kriegte. Seit dem Tag gehören amerikanische Dichter schon beinahe zur Amtseinführung eines Präsidenten (Maya Angelou, Miller Williams, Elizabeth Alexander), Hüte nicht mehr. Das war der neue Kennedy Stil, der die Dichtung mit der Politik vermengte. Kennedy hat allerdings manchmal Hüte getragen, es gibt Photos davon. Aber die Kennedy Jahre markieren modehistorisch doch schon einen Einschnitt (nicht nur wegen des Zweiknopf Einreihers), der Hut verschwindet langsam aus der Öffentlichkeit.

Dabei ist die Öffentlichkeit der Ort, wohin der Hut gehört. Man trägt ihn nicht drinnen. Außer man heißt Indiana Jones (der das Modell Poet von Herbie Johnson trägt) oder Crocodile Dundee. Manchmal geht der Hut drinnen doch, da es Religionsgemeinschaften gibt, bei denen der Hut in der Kirche oder der Synagoge getragen wird. Der amerikanische Soziologe Richard Sennett hat in seinem Buch The Fall of Public Man einen Verfall der Umgangsformen nachgezeichnet. Über Jahrhunderte hat es - ich vereinfache Sennett mal ein wenig - Umgangsformen für das Draußen und das Drinnen gegeben. Die Umgangsformen für die Öffentlichkeit waren von anderer Art als die Umgangsformen im privaten Bereich. Sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, ist es aber nicht mehr. Verließ man das Haus und betrat die Straße, war man in einer anderen Welt, die ihre eigenen Gesetze hatte. Der Begriff des Straßenanzugs kommt noch aus dieser Zeit. Dem Rentner, der mit einer Adidas Hose und Adiletten auf die Straße schlurft, um sich seine Bild Zeitung zu kaufen, ist das heute egal. Man wird für diesen Aufzug nicht mehr gesellschaftlich ostraziert. Die clothes police nimmt heute niemanden mehr in Gewahrsam. Dabei wäre das ein Desideratum von größerer gesellschaftlicher Bedeutung als das Rauchverbot, dass es diesen public man, von dem Richard Sennett spricht, wieder gibt. Die clothes police könnte dann auch gleichzeitig das Handyverbot in der Öffentlichkeit kontrollieren.

Ich muss es gestehen, ich liebe Hüte. Natürlich habe ich auch diese englischen und irischen Mützen in allen Farben. Obgleich ich davon mehrere habe, trage ich in den letzten Jahren nur diese braune Tweedmütze von Lock & Co., die bestimmt schon dreißig Jahre alt ist. Diese Dinge werden ja im Alter, wenn sie nicht von liebenden Frauen entsorgt werden, immer besser. Ich hatte mal einen blauen Bowler von Barbisio, den habe ich aber leichtfertig einer Theater AG geliehen. Als ich ihn zurückbekam, war er nicht mehr der gleiche. Da habe ich ihnen den für den Fundus geschenkt. Mein Hutvorrat (von Lock& Co., Christys, Herbert Johnson) hat vor zehn Jahren eine schöne Erweiterung erfahren, als ich bei einem Second Hand Laden ein halbes Dutzend der feinsten Hüte der Welt (ungetragen) für einen Fuffi kaufte. Und der Händler gab noch einen dazu.

Und neben den ganzen Borsalinos, Vanzinas und Pannizas ist dieses Gratisgeschenk mein Lieblingshut. Es ist ein graugrüner weicher Sporthut, leider ist sein Etikett irgendwann mal herausgefallen (man liest nur noch Firenze - Paris - London), das mir versicherte, dass er aus lapin sei. Ich weiß, was das ist. Ich war vor Jahrzehnten der einzige in meinem Bataillon, der kein lapin au vin rouge gegessen hat, als wir ein Vierteljahr in Frankreich im Manöver waren (lesen Sie ➱hier mehr dazu). Weil ich Offizier vom Dienst war und zu spät zum Essen kam, da war das Kaninchen alle. Der Koch hat mir ein paar Spiegeleier gemacht. Wenige Stunden später war ich der einzige im Bataillon ohne Lebensmittelvergiftung. Seitdem weiß ich, dass lapins nicht zum Essen da sind, sondern nur für Hüte gut sind.

Wenn die meisten Männer heute keine Hüte mehr tragen, gibt es doch Bereiche, in denen die Kopfbedeckungen noch florieren. Zum Beispiel der jetzt bevorstehende Karneval, wo Männer, die niemals einen schönen Borsalino aufsetzen würden, sich die seltsamsten Papphüte auf den Kopp setzen. Und natürlich die Welt des Films. Viele Filme wären nichts ohne Hüte. Sean Connery trägt in den frühen James Bond Filmen selbstverständlich einen Hut, den er dann  elegant in Miss Moneypennys Büro durch die Luft segeln lässt. Solche Trilbys gibt es heute noch zu kaufen, schauen Sie doch einmal hier hinein. Und was wäre Alain Delon in Der eiskalte Engel ohne seinen Borsalino? Der ganze Film lebt doch von diesem Hut. Und auch Monsieur Hulot ohne porkpie geht nun gar nicht.

Ich habe beschlossen - einer der vielen guten Vorsätze für das neue Jahr - irgendwann an dieser Stelle noch mehr über Hüte zu schreiben, über Trilbys, Porkpies, Homburgs und ➱Bowler. Vielleicht gibt es dann wieder eine Hutkultur. Und wenn wir eine Hutkultur haben, kriegen wir vielleicht auch wieder einmal eine richtige Kultur. Ach, wäre das schön.

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