Sonntag, 9. Januar 2011

Joan Baez


Die amerikanische Folksängerin Joan Baez wird heute siebzig, und dazu möchten wir von dieser Stelle aus ganz herzlich gratulieren. Aber bevor ich dazu komme, möchte ich noch etwas über Dufflecoats sagen. Auch wenn das auf den ersten Blick etwas weit hergeholt erscheint. Es freut mich natürlich, dass mein kleiner Artikel über ➱Trevor Howard (in dem ja schon von Dufflecoats die Rede war) bei manchen Lesern auf großes Interesse gestoßen ist. Aber jetzt möchte ich das Kleidungsstück der Royal Navy und seinen Weg in die zivile Bekleidung einmal in einem etwas größeren kulturhistorischen Zusammenhang sehen.

In dem Augenblick, in dem der Dufflecoat als ziviles Kleidungsstück appropriiert wird, entstehen nämlich auch die ersten Jugendkulturen. Wenn wir das Tragen von altdeutscher Tracht bei Studenten und Künstlern in Romantik und Vormärz und die Wandervogelbewegung einmal ausnehmen. In den vierziger Jahren haben wir in Amerika das Zoot Suit Phänomen (in Frankreich heißen sie zazous) inklusive der Zoot Suit Riots, und in England werden die ➱Teddy Boys geboren. Und von da an werden wir eine Vielzahl von youth cultures in immer schnellerer Abfolge haben: modernists (mods), folkies, beats/beatniks, existentialists, hipsters, rockers. You name them, wie der Engländer sagen würden. Die beste und kürzeste Übersicht bietet hier Ted Polhemus mit seinem Buch streetstyle: from sidewalk to catwalk, das ein Begleitbuch zu der Ausstellung Streetstyle des Victoria&Albert Museums 1994 war.

Und in Teile dieser neuen Kulturen wandern jetzt Ende der vierziger Jahre und in den fünfziger Jahren die ausgesonderten Kleidungsstücke von Army und Navy. Teddy Boys, Rocker und Hipster würden so etwas nie tragen. Mods eigentlich auch nicht, aber die Parkas nehmen sie schon, wenn sie auf ihren Lambrettas am Wochenende von London nach Brighton brettern, um sich da mit den Rockern zu kloppen. Unter der Parka tragen sie dabei natürlich scharfe Anzüge und Schlips und Kragen. Heimisch wird der army (beziehungsweise navy) surplus Outfit sehr schnell bei den Pariser Existentialisten, Photos aus den Jazz Clubs von Saint-Germain-des-Prés belegen das ebenso wie das berühmte Photo, das Henri Cartier-Bresson von Sartre 1945 auf einer Seinebrücke gemacht hat. Und genau so schnell übernehmen die folkies und die beatniks diese neue Mode. Allen drei youth cultures ist gemeinsam, dass sie intellektuellere Kulturen als Teddy Boys und Rocker sind. Sie haben wie die Exis ihre Philosophie oder wie die folkies die Musik und die Beatniks die Literatur. Sie sind vielleicht eine neue Form der Bohème des 19. Jahrhunderts, man könnte sie jetzt auch (das habe ich gerade erfunden) die Dufflecoat Bohème nennen.

Und damit bin ich nach einem kleinen Umweg wieder bei Joan Baez, denn bei den folkies hat sie ihre Wurzeln, bevor sie protest singer wurde. Das Revival der Folk Music der fünfziger Jahre ist inzwischen ein musikhistorisch gesichertes Phänomen, es gibt sogar einen informativen Wikipedia Artikel dazu. Wenn man damals in all diesen Bewegungen, kleineren und größeren Trends drinsteckte. Mein Freund aus Studententagen, Dietmar Dommi Dombrowski, war mit seinen Beda Folks in Norddeutschland schon eine Größe, als viele der deutschen Volkssänger noch nicht vor dem Mikrophon eines Studios erschienen waren. Ich bin sicher, dass er neben seinen Tweedjacketts auch einen Dufflecoat hatte. Das Faszinierende an der Folk Bewegung war, dass man noch (und das gilt für Deutschland genau so wie für England und Amerika) dabei sein konnte, das Ganze war glücklicherweise noch nicht so kommerzialisiert wie die Pop Music. Und so hatten die Auftritte von Joan Baez (trotz ihres Lampenfiebers) immer etwas Spontanes und Authentisches. Sänger brauchten damals nur ihre Gitarre und ihre Stimme. Und ihre Persönlichkeit. Heute haben wir Deutschland sucht den Superstar und andere Castingshows, aber wir haben nur selten gute Sängerinnen mit einem größeren Repertoire als drei abgekupferten Pop Songs. Wenn man bedenkt, was Joan Baez alles gesungen hat - hier kann man eine Liste der Songs sehen - kann man heute nur staunen. So nett Lena ist, das wird sie nicht hinkriegen. Als kleinen Geburtstagsgruß, stelle ich hier einmal We shall overcome hin, ein Song, der zu einem Markenzeichen von Joan Baez von geworden ist.

We shall overcome,
We shall overcome,
We shall overcome, some day.
Oh, deep in my heart,
I do believe
We shall overcome, some day.

We’ll walk hand in hand,
We’ll walk hand in hand,
We’ll walk hand in hand, some day.
Oh, deep in my heart...

We shall live in peace,
We shall live in peace,
We shall live in peace, some day.
Oh, deep in my heart...

We shall all be free,
We shall all be free,
We shall all be free, some day.
Oh, deep in my heart...

We are not afraid,
We are not afraid,
We are not afraid, TODAY
Oh, deep in my heart...

We shall overcome,
We shall overcome,
We shall overcome, some day.
Oh, deep in my heart,
I do believe
We shall overcome, some day.

Und ich lege jetzt eine alte Joan Baez Platte auf, die knistert und knackt, ist oft gespielt worden. Aber sie bringt einen zurück in die Sixties. Wollen wir da nicht immer wieder hin? Wo wir damals deep in our hearts davon träumten we shall overcome, some day.

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