Mittwoch, 2. Februar 2011

Februar


Gedichte im Februar
zu schreiben ist 
eine aussichtslose
Sachlage: da gibt es

zu viele Worte
für ein und dasselbe Erinnern
und für die Minute
Schmerz

in der geschlossenen
Hand - da leg ich
also besser
Patiencen

aus oder schreibe
Briefe über Witterung
und Kindersegen: den 
Freunden biete

ich den Schatten
einer Vogelscheuche vom 
gewesenen Sommer an
voll schwarzen

Vogelgelächters
als gebliebenes Bild
für die sinnlos gewordene
Welt, die wir beleben.

Der junge Dichter übt noch. Er hat seinen Ton, seine Stimme, dieses aggressive Nölen gegen die Welt und die Zeit noch nicht gefunden. Don Quichotte auf dem Lande sollte der Gedichtband heißen, in dem seine Gedichte aus den Jahren 1959 bis 1961 waren. Zwei Jahre später schickt er alles, was er bisher geschrieben hat und was den Titel Vorstellung meiner Hände tragen soll, an den Kiepenheuer & Witsch Verlag (40 Pfennig für Rückporto liegen bei). Der Lektor des Verlages, kein Geringerer als Dieter Wellershoff, ist nicht begeistert und empfiehlt dem jungen Mann aus Vechta, sich lieber auf die Prosa zu werfen. Die Öffentlichkeit muss bis zum September 2010 warten, bis Die Vorstellung meiner Hände in Buchform erscheint.

Da wäre Rolf Dieter Brinkmann siebzig geworden. Aber er ist schon 35 Jahre lang tot. Wellershoff hatte sich den Namen des jungen Autors gemerkt und er wird seine literarische Karriere auch fördern. Zwei Jahre später wird Brinkmanns erster Band mit Erzählungen (Die Umarmung) bei KiWi erscheinen. Und zwei weitere Jahre später der erste Gedichtband Was fraglich ist, wofür. Der 45 Seiten schmale Band kostet heute antiquarisch zwischen 120 und 500 Euro. Die wenigen signierten Exemplare von Brinkmanns erster gedruckter Lyrik Ihr nennt es Sprache (Leverkusen: K. Willbrand, 1962) bringen heute zwischen 450 und 600 Euro. Da ist Vorstellung meiner Hände (Rowohlt September 2010) mit 16 Euro preiswerter.

Wir verdanken den Band einem Zufall. Wir verdanken die Existenz von Gedichtmanuskripten häufig dem Zufall. Hätte John Donne Junior nicht unter einem Vorwand die Manuskripte seines verstorbenen Vaters von dessen Freund Henry King entliehen, was wüssten wir von John Donne? Denn Cromwells Horden haben wenig später das Haus des Bischofs King verwüstet. Ganz so spektakulär ist das Überleben der frühen Brinkmann Gedichte nicht, aber abenteuerlich ist die Geschichte auch. Ein Freund und Mitschüler des Dichters, Peter Hackmann, hat das Konvolut (mehr als 500 Seiten DIN A4) im Jahre 2005 an die Bibliothek der Universität Vechta verkauft. Er hatte die Manuskripte Jahrzehnte lang in seinem Besitz gehabt und irgendwann den Leistungskurs seines Gymnasiums daran gelassen. Die Schüler haben die zerrissenen Seiten geklebt, sie in eine zeitliche Reihenfolge gebracht, haben die verschiedenen Varianten dokumentiert. Ein halbes Dutzend von Doktoranden der Germanistik wäre ja glücklich gewesen, mit solch einer Aufgabe berühmt zu werden, jetzt macht ein Leistungskurs Deutsch die editorische Basisarbeit. Cool! Ich kann nur hoffen, dass der Rowohlt Verlag die Schüler aufgespürt und ihnen ein Exemplar von Vorstellung meiner Hände überreicht hat.

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