Samstag, 12. Februar 2011

Grant Wood


Ein seltsames Bild. Eine nächtliche Landschaft wie aus einem Traum, geheimnisvoll. In den Häusern rechts von der Kirche ist das Licht angegangen, Leute sind in die Tür getreten und blicken aus dem Fenster. Warum? Die Antwort liegt in dem kleinen schwarzen Reiter vor der Kirche, der gerade aus dem Licht in das Dunkel galoppiert. Das ist der berühmte Paul Revere, der jetzt in in der Nacht durch die Dörfer reitet und The British are coming! ruft. In der Wirklichkeit ist es wahrscheinlich etwas anders gewesen als in der schönen Geschichte, die in jedem amerikanischen Schulbuch steht. Das Bild ist von dem amerikanischen Maler Grant Wood, der heute, einen Tag vor seinem 52. Geburtstag im Jahre 1942 starb.

Ein Bild von ihm ist in jedermanns Bildergedächtnis, da wo wir unseren Bilderspeicher haben, der nicht auf eine Festplatte angewiesen ist. Es heißt American Gothic und zeigt die Schwester des Malers und seinen Zahnarzt vor einem Holzhaus im einem Stil, den man in Amerika Carpenter Gothic nennt. Das Haus sieht ein wenig so aus wie das Haus, in dem Grant Wood aufwuchs, aber es ist ein anderes Haus, das Wood durch Zufall entdeckte. Es steht noch, und man kann sich davor ➱photographieren lassen.

Im Ersten Weltkrieg hat er Tarnfarbe auf Militärfahrzeuge gemalt, das ist für einen angehenden Maler sicher auch eine interessante berufliche Erfahrung. Ich meine das gar nicht mal ironisch. Wenn man große Flächen bemalt, erwirbt man sich Fähigkeiten für die Wandmalerei. Und die wird in den dreißiger Jahren in Amerika wichtig, da durch die Regierungshilfsprogramme beinahe alle Maler öffentliche Gebäude mit Wandgemälden verzieren. Nicht nur der berühmte Diego Rivera.

Paul Klee hat übrigens im Ersten Weltkrieg Tarnfarbe auf Flugzeuge gemalt, aber bei seiner Art der Malerei war das wohl kein berufliches Training. Auf die Idee, einen Eiswagen mit einer Rocky Mountains Landschaft zu bemalen, wäre Klee wohl nicht gekommen. Grant Wood schon. Landschaften sind der wichtigste Gegenstand seiner Malerei. Mal jetzt von American Gothic und dem ebenso bekannten Daughters of the Revolution oder dem kleinen Washington (Parson Weem's Fable) beim Kirschbaumfällen abgesehen. Ich bleibe mal bei den Landschaften, ich könnte sonst die ganze Woche über Grant Wood schreiben, das ist ein interessanter Mann. Wir sind uns sicher darüber einig, dass er ein Realist ist. Wenn auch nicht diese Sorte Realist wie ➱Norman Rockwell.

Und dass Sie hier jetzt nicht auf falsche Gedanken kommen: das da links ist kein Missbrauchsopfer. Die sitzt vor der Tür des Direktors, weil sie die Klopperei gewonnen hat. Norman Rockwell ist witzig, deshalb lieben ihn die Amerikaner. Und weil das ein Maler ist, den man leicht verstehen kann. Doch Grant Wood ist mehr, er ist hintergründig und satirisch. Wenn er über sich und seine Kunst behauptet I am the plainest kind of fellow you can find. There isn’t a single thing I’ve done, or experienced that’s been even the least bit exciting, dann dürfen wir das nicht für bare Münze nehmen. Seine Bilder geben häufig Rätsel auf, das tun die Bilder von Norman Rockwell nicht.

Grant Wood ist nach dem Krieg in Paris gewesen, wie Hemingway und Fitzgerald und so viele Amerikaner, für die man den Begriff Lost Generation verwendet. Er hat sich da auch verkleidet, so wie man sich einen Künstler der Boheme vorstellt: roter Bart, schwarze James Joyce Brille, schwarzes Samtjackett und Schillerkragen. Damals hat er auch noch im Stil der Impressionisten gearbeitet, wie man an dem ➱Bild dieser Pariser Straßenecke sehen kann. Aber so wirklich hat ihn das nicht interessiert, seine Inspirationen kamen zwar aus Europa aber nicht aus der Gegenwartskunst. Was ihn beeinflusste war der mittelalterliche Realismus von Jan van Eyck. Und der kalte Realismus von Lucas Cranach.

In München hatte er auch die Neue Sachlichkeit kennengelernt, und dieser altmeisterliche Realismus eines Christian Schad (links) erschien ihm nachahmenswert. Falls Sie bei dem Bild vom nächtlichen Ritt des Silberschmieds Paul Revere an Franz Radziwill (zum Beispiel in der Behandlung des Lichtes) erinnert fühlten, dann haben Sie natürlich Recht. Und falls Sie den kleinen Radziwill Artikel in diesem Blog verpasst haben sollten, dann lesen Sie ihn doch einfach ➱hier nach. Auf den bin ich ganz stolz, weil ich der erste bin, der den richtigen Namen des Piloten herausgefunden hat. Und falls Sie jetzt von der Malerei der Neuen Sachlichkeit fasziniert sind, dann sollten Sie unbedingt diesen ➱Blog besuchen. Viel mehr geht zur Bilderwelt dieser Zeit nicht.

Zurückgekehrt nach Iowa wird Grant Wood jetzt Landschaften malen, seltsame geheimnisvolle Landschaften. Man nennte diese Malerei auch Regionalismus. Regionalismus ist jetzt das große Ding in der amerikanischen Kunst. Wenn man so will, ist Faulkner auch ein Regionalist. Denn Sherwood Anderson hatte ihm gesagt You have to have somewhere to start from: then you begin to learn. It don't matter where it was, just so you remember it and ain't ashamed of it. Because one place to start from is just as important as any other. You’re a country boy; all you know is that little patch up there in Mississippi where you started from. Und so fängt ➱Faulkner an, über seinen little patch zu schreiben. Grant Woods Bilder der Landwirtschaft stehen in einem Gegensatz zur Wirklichkeit der dreißiger Jahre, wenn wir an einen Roman wie The Grapes of Wrath, die FSA Photographie oder einen Dokumentarfilm wie ➱The Plow that Broke the Plains denken (dazu gibt es mittlerweile ➱hier einen Posr).

Obwohl Grant Wood als Kind von Quäkern auf einer Farm in Iowa aufgewachsen ist, und obwohl er sich jetzt als Landwirt inszeniert und ein ganzes Pamphlet gegen die Großstädte schreibt, er hat das Landleben und die Arbeit auf der Farm immer gehasst. Vor allem den Gestank der Kühe und Schweine, er fürchtete, er würde den nie wieder los. Und andererseits erzählt uns der gleiche Mann, dass er das Bohemeleben in Paris im Café du Dome nicht ausgehalten hat: Da wurde mir klar, daß mir die besten Ideen, die ich jemals hatte, beim Melken einer Kuh kamen. Daher ging ich zurück nach Iowa. In das Bild, das den notorischen Lügner Parson Weems in einer ähnlichen Pose wie Charles Willson ➱Charles Willson Peale zeigt, könnte man genügend Doppelbödiges hineinlesen. Ich lasse das mal, weil ich wieder zu einer Landschaft zurückkommen will. Zumal man ➱hier eine exzellente Interpretation von Steven Biel lesen kann. Der Harvard Professor Steven Biel hat mit American Gothic: A Life of America's Most Famous Painting auch ein sehr, sehr gutes Buch über Woods Bild American Gothic geschrieben.

Was mich von den Bildern Grant Woods am meisten fasziniert hat, ist das hier: Death on the Ridge Road. Eins der wenigen Bilder von ihm, in dem Maschinen zu sehen sind. Er ist einer der wenigen Maler in dieser Zeit, dessen Bilder maschinenleer sind. Selbst sein Freund Thomas Hart Benton, der ihm in vielem ähnlich ist, hat Trecker und Eisenbahnen auf seinen Bildern. Von Charles Demuth oder Charles Sheelers kalter Technikwelt wollen wir jetzt gar nicht reden. 1934 hatte Alfred H. Barr im MoMA schon die erste Ausstellung zum Thema Machine Art organisiert. Von all dem lässt sich Grant Wood nicht anstecken, er scheint sich an Rilkes Alles Erworbne bedroht die Maschine zu halten.

Auch ohne den Titel des Bildes scheint das kommende Verhängnis für jedermann sichtbar, die große Limousine, die da den Hügel hinauf schleudert, hat etwas von einem Sarg an sich, dazu passt der Telephonmast, der einem Grabkreuz ähnelt. Wenn man genau hinschaut und ganz links im Hintergrund den Telephonmast mitzählt sind es sogar drei. Was manche Interpreten des Bildes an Golgatha erinnert, ich weiß aber nicht ganz weshalb. Grant Wood hat das Bild gemalt, als sein Freund Jay Sigmund einen Unfall auf der Straße nach Stone City hatte. Jay Sigmund war neben seinem Beruf als Versicherungsdirektor auch noch Dichter, und wir verdanken ihm das kleine Gedicht:

Death used to ride a white-maned horse 
Before these gray roads lined the sod 
But now he travels on his course 
Astride a sleek thing, rubber-shod.

Sigmund, der (wie der Maler Edward Hopper) nicht gut Autofahren konnte, hat den Unfall überlebt (er stirbt wenige Jahre später bei einem Jagdunfall), aber Grant Wood, der überhaupt keine Autos mag und der ein klein wenig morbide ist, nimmt den Unfall als Anlass, seine et in Arcadio ego Variante zu malen. Mit dem klein wenig morbide meine ich die Tatsache, dass Grant Wood einmal einen Sargdeckel als Tür seines Studios verwendet hat. Cole Porter hatte das Bild gekauft, hat es aber später dem Williams College Museum of Art geschenkt, so ist es seit 1947 in Massachusetts und nicht mehr in Iowa, wo es eigentlich hingehörte.

Neueren Kritikern bedeutet das Bild etwas ganz anderes. Bei denen ist Grant Wood natürlich schwul, und so heißt es dann über die Straßenzäune: As a homosexual living in Depression-era Iowa, Wood would have constantly felt himself fenced in, or out, trapped, excluded or isolated from the people on Main Street whose nature it was to feel threatened by persons or orientations foreign to themselves. Und der Interpret findet dann so schöne Sätze wie: In the enigmatic Death on the Ridge Road, 1935, Wood anticipates the fate of those luckless souls whose path through life lies not in the lush, green meadows but on the steep, perilous curves running between the fences, a path starkly delineated by dark, foreboding storm clouds and silhouetted ominously with crosses. Crosses serve as reminders of the power of repressive institutions like the church, the state and the family. Death can, of course, be figural as well as literal: 1935 was, not coincidentally and prophetically, the same year he was married.

Ja, was soll man da noch sagen? Seit die amerikanische Literaturkritik das symbol hunting erfunden hat, wo alles, was länger als breit ist, ein Penissymbol ist, ist ja vieles möglich geworden. Was mich immer wieder fasziniert, ist, dass dieser Schwachsinn auch noch gedruckt wird. Ich habe vor Jahren im Feuilleton der Frankfurter Rundschau einen Artikel gelesen, in dem bewiesen wurde, dass Schubert schwul war. Der Beweis wurde folgendermassen geführt: 1. Karl May war schwul, das hat Arno Schmidt in Sitara und der Weg dorthin bewiesen. 2. James Fenimore Cooper war schwul, weil Karl May von ihm abgeschrieben hat und seine Helden Lederstrumpf und Chingachgook ein Verhältnis miteinander haben. 3. Franz Schubert hat gerne Cooper gelesen - also war Schubert schwul. Ich habe erstmal geguckt, ob das die Ausgabe vom 1. April war, aber das war todernst gemeint.

Ich möchte jetzt lieber nicht wissen, was Kritiker dieser couleur in das Bild von Norman Rockwell ganz oben hineinlesen werden. Aber wenn wir bei einer ernstzunehmenden Interpretation bleiben wollen, kann ich nur die Lektüre von Eckart Gillens Das Bild Amerikas: Ein verlorenes Paradies. Zur Malerei der Regionalisten und magischen Realisten empfehlen. Der lange Artikel findet sich in dem Katalog Amerika: Traum und Depression 1920/40, welches der Katalog der groß angelegten Ausstellung in Berlin (1980) und Hamburg (1981) war. Es gibt nach dreißig Jahren nichts Besseres zur Kunst dieser Zeit, und man kann den Katalog beim ZVAB noch preiswert finden.

Manchmal glaube ich, dass Kritiker der Tod von Büchern und Bildern sind. Es gehört zum Wesen des Magischen Realismus - zu dem Grant Wood ebenso wie Edward Hopper gezählt werden kann - dass die Bilder Rätsel aufgeben. Aber muss jedes Rätsel gelöst werden? Kann man nicht einfach ein Bild betrachten, staunen und träumen? Ich möchte an dieser Stelle eine kleine Episode zitieren (die ich in meinem ➱Hopper Post schon einmal zitiert habe, aber zweimal kann nicht schaden), die sich in Carl Seeligs Wanderungen mit Robert Walser findet. Da sehen Walser und Seelig in Jakobsbad ein klosterähnliches, barockartiges Gebäude. Und Seelig fragt Wollen wir hineinschauen? Worauf Robert Walser erwidert: Das ist alles viel hübscher von außen. Man muss nicht hinter alle Geheimnisse kommen wollen: Das habe ich mein ganzes Leben so gehalten: Ist es nicht schön, dass in unserem Dasein so manches fremd und seltsam bleibt, wie hinter Efeumauern? Das gibt ihm einen unsäglichen Reiz, der immer mehr verloren geht.

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