Dienstag, 1. Februar 2011

Kunsthalle


Ich war Sonntag in unserer Kunsthalle, das machen am Sonntag ja viele so, früher waren es allerdings mehr. Die Leute gehen heute nur noch zu blockbuster Ausstellungen. Ich weiß noch, dass die Schlange zur Van Gogh Ausstellung in Bremen (die Kunsthalle Bremen hat übrigens ➱hier einen Post) am letzten Tag kurz hinter ➱Charlie Hespen anfing und sich dann den ganzen Wall entlang schlängelte. An der Ecke zur Ostertorstraße traf die Schlange auf eine zweite Schlange, die vom Osterdeich herkam. Solche Großereignisse schenke ich mir. Ich habe mir auch die Ausstellungeröffnung letzte Woche geschenkt, zu solchen Veranstaltungen bin ich früher hingegangen, aber irgendwie kann ich das Publikum nicht mehr ab. Vor Jahrzehnten konnte man bei Ausstellungeröffnungen noch elegant gekleidete Menschen sehen, dieses kleine optische Vergnügen fällt heute weg.

Die Ausstellung Weltsichten: Landschaft in der Kunst vom 17. bis zum 21. Jahrhundert ist zuerst in Bochum zu sehen gewesen. Sie ist noch bis zum 25. April 2011 in Kiel. Wandert dann nach Wiesbaden (Mai bis September 2011), Chemnitz (November 2011 bis Januar 2012) und Maastricht (April bis Juni 2012). Es ist eine Privatsammlung von Alexander und Silke von Berswordt-Wallrabe, die langfristig an der Ruhr Universität Bochum ihr Zuhause finden soll. Der Katalog kostet an der Kasse 30€, bei Amazon ist er ein paar Euro teurer. Die Ausstellung lohnt sich unbedingt, Landschaftsmalerei satt. 200 Bilder, die meistens aus dem 17. Jahrhundert, dem großen Zeitalter der holländischen Landschaftsmalerei, für eine Privatsammlung eine erstaunliche Sache. Die Mondscheinlandschaft von Aert van der Neer oder das kleine Bild von Peder Severin Kröyer hätte ich gerne geklaut.

Es gibt in der Ausstellung auch eine Videoinstallation, das ist ja neuerdings auch Kunst. Wie sich dieses neumodische Zeug hasse. Und da waren auch die meisten Besucher, ich verstehe es nicht. Statt  Jan van Goyen, Jacob van Ruisdael oder Aert van der Neer zu bestaunen, hocken die da in einem abgedunkelten Raum und gucken sich Flimmerbilder auf der weißen Wand an. Ich habe für so etwas wenig Verständnis. Vor der Kasse maulte ein Ehepaar mit zwei Kindern, dass die nächste Führung erst in einer Stunde sei. Was sollen wir denn bis dahin machen? Das nette Mädel an der Kasse schlug vor, man könne ja die Ausstellung erst einmal auf eigene Faust erkunden. Fand ich nur vernünftig. Aber dann kam die Frage, die ich gefürchtet hatte: Ja, haben Sie denn keine Audioguides? Dahin werden wir kommen. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen, sagt Kant. Und deshalb bekommen wir blockbuster Ausstellungen, das Herdenverhalten in kilometerlangen Schlangen und Audioguides. Und dann finden sich alle vor der Videoinstallation ein. Oder die Kunsthallen stellen gleich die Bilder mit Audioguide ins Internet. Das sieht dann so aus. Da braucht man dann auch gar nicht mehr in die Kunsthalle. Das Google Art Project, das heute gestartet wurde, eröffnet für couch potatoes neue Möglichkeiten der Kunstbetrachtung.

Ich habe noch nie einen Audioguide benutzt und auch noch nie an einer Führung teilgenommen, ich entdecke lieber alles selbst. So auch an diesem Sonntag. Das letzte Mal, dass es hier eine Ausstellung zur Landschaftsmalerei gegeben hatte, hatte bei mir unschöne Erinnerungen hinterlassen. Damals hatte mich eine junge Volontärin, die die Ausstellung machte, angerufen um mich zu fragen, ob ich ihren Katalogtext einmal durchlesen würde. Sie hätte gehört, dass ich Fachmann zum Thema sublime and beautiful und der Veränderung des Empfindens der Landschaft im 18. Jahrhundert sei. Ich habe den Text gelesen und war fasziniert davon, wie man über etwas schreiben, von dem man keinerlei Ahnung hat. Zu dem Thema der Verfasserin steht bei mir bestimmt ein Meter Literatur im Regal, sie hatte keins dieser Bücher in der Hand gehabt. Zwar wurden manche dieser Titel erwähnt, sie wurden aber nur aus zweiter und dritter Hand aus einer Peter Lang Dissertation zitiert. "Bücher" aus diesem Verlag gelten in der wissenschaftlichen Welt nicht als sehr fein (obgleich es auch da Ausnahmen gibt). Solch ein Elaborat wäre einem früher um die Ohren gehauen worden, der Hamburger Ordinarius für Kunstgeschichte hat Studenten wegen kleinerer Fehler in seinen Seminaren öffentlich fertiggemacht.

Ich hatte den Text drei Tage zu Hause und mittlerweile mit dem Rotstift Blutbäder auf den Seiten veranstaltet, da rief die Verfasserin (deren Doktortitel nicht von einer Universität sondern von einer Kunsthochschule stammte) mich an und fragte, ob ich ihr den Text nicht ins Englische übersetzen könne. Ich hätte ihr sagen sollen, dass man diesen Text schreddern sollte, nicht übersetzen. Aber ich vermittelte ihr einen englischen Studenten, der sich mit solchen Dingen sein Studium finanziert. Der stand wenige Tage später mit einem hasserfüllten Blick bei mir vor der Tür und fragte mich Wie konnten Sie mir das antun? Ich verstehe keinen Satz von diesem Text. Ich habe den Colin damit getröstet, dass ich auch keinen Satz davon verstehe. Ich habe erst einmal Tee gekocht und Colin einen Whisky eingeschenkt, und dann haben wir uns über den Text hergemacht.

Viele Texte, die man nicht versteht, gewinnen in der englischen Übersetzung. Es gilt immer noch als Geheimtipp, Freud oder Marx auf Englisch zu lesen. Das Englische ist eine einfache klare Sprache, die nicht so versessen auf Abstrakta ist, die auf -heit oder -keit enden. Einer der berühmtesten deutschen Kunsthistoriker des 20. Jahrhunderts, Erwin Panofsky, musste das im amerikanischen Exil feststellen, als er seine Vorlesungen auf Englisch hielt und erste Aufsätze in englischer Sprache schrieb. Er hat das in seinem Aufsatz Three Decades of Art History in the United States festgehalten: the German language unfortunately permits a fairly trivial thought to declaim from behind a woollen curtain of apparent profundity and, conversely, a multitude of meanings to lurk behind one word. Und irgendwann kommt da noch der schöne Satz: In short, when speaking or writing English, even an art historian must more or less know what he means and mean what he says, and this compulsion was exceedingly wholesome for all of us.

Sie ahnen schon, dass ich jetzt sagen werde, dass der Text der jungen "Wissenschaftlerin" über das Erhabene ein Beispiel dafür war, dass man Dummheit und Faulheit hinter a woollen curtain of apparent profundity tarnen kann. Aber ich möchte diesen Absatz über den Unterschied des Deutschen vom Englischen in der Sprache der Wissenschaft noch mit einem der schönsten Beispiele abschließen. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein gilt ja allgemein nicht als ein Beispiel für einen Autor, der ein verständliches Deutsch schreibt. Als sein Hauptwerk von dem Engländer C.K. Ogden ins Englische übersetzt worden war, rannte Wittgenstein wutentbrannt zu Bertrand Russell, um dem zu sagen, dass Ogden ihn überhaupt nicht verstanden hätte. Worauf ihm Russell mit charmantem Lächeln sagte, dass er durch die englische Übersetzung zum ersten Mal Wittgensteins philosophisches Denken verstanden hätte.

Als ich ➱Kunstgeschichte studierte, war das ein so genanntes Orchideenfach, wenn man in der botanischen Bildlichkeit bleiben will, ist es heute ein Brennesselfach. Es gab damals so wenig Studenten, dass das ganze Institut, Studenten und Professoren, bei einer Exkursion in den Uni-Bus passte. Viele schöne Frauen, die reiche Väter hatten und schon ein Cabrio besaßen, als unsereins gerade mal eine Monatskarte für die Straßenbahn hatte. Die männlichen Studenten waren meistens bienenfleißige nerds, sie trugen Nyltesthemden und immer das gleiche unkaputtbare Tweedjackett und schrieben seit Jahren an einer Dissertation über die Backsteingotik. Aber alle bekamen eine hervorragende Ausbildung. Das war bei 28 Studenten, drei Professoren und einem Assistenten, unausweichlich. Heute ist Kunstgeschichte ein Massenfach geworden. Über die Bildung, die die Studenten mitbringen und die Ausbildung, die sie bekommen, möchte ich lieber nichts sagen. Was soll aus all denen werden? Wir haben promovierte Kunsthistorikerinnen, die hier die Postkarten verkaufen, hört die arbeitsuchende Heldin von Linda Grants Roman The clothes on their backs, als sie in der National Gallery anruft.

Was es früher nicht gab, sind diese karrieregeilen Tussis in schwarzen Wollkleidern oder Pradaklamotten, die von einem schlimmen Parfümduft umgeben sind. Die keine Ahnung von der Kunstgeschichte haben, sich aber bei der Museumsleitung einschleimen. Die Frau Dr. X, die niemals Burkes A Philosophical Enquiry into the Origin of Our Ideas of the Sublime and Beautiful gelesen hatte, aber eine Ausstellung zu dem Thema machte, hat noch Karriere gemacht. Sie macht jetzt auch Museumsführungen. Da fällt mir nur Wittgensteins letzter Satz aus dem Tractatus ein: Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.


Die Abbildungen heute sind (von oben nach unten) von Jan van Goyen, Joos de Momper, Aert van der Neer, Gustave Courbet, Sebastian Vranckx und Cuno Amiet. Alle Künstler sind (wenn auch nicht mit diesem Bildern) in der Ausstellung vertreten.

2 Kommentare:

  1. Vielleicht interessiert Sie dieses neue Projekt von Google, das heute vorgestellt wurde:

    http://www.googleartproject.com/

    Die Texte hier ersetzten allerdings leider ebenfalls keine Regalmeter an Spezialliteraur.

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  2. Danke für den Hinweis. Ich hatte die Adresse nach den 19 Uhr Nachrichten auch schon im Text untergebracht. Man sollte das Projekt nicht unterschätzen. Verbunden mit einem guten Text (und das machen ja schon manche Museen) kann das für viele Zwecke kunstpädagogisch nützlich sein.

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