Freitag, 8. April 2011

Briefmarken


Als ich klein war, habe ich Briefmarken gesammelt. Beinahe jeder sammelte damals Briefmarken. Wir hatten Alben, in die man die Marken stecken konnte, und wir hatten natürlich alle einen Michel-Katalog. Mein Opa hatte auch schon Briefmarken gesammelt. Er hatte eine Marke auf der Dfutsches Reich statt Deutsches Reich stand, die sei sehr selten, sagte er immer. Inzwischen weiß ich, dass die Germania mit dem Plattenfehldruck gar nicht so selten ist. Jeder wollte natürlich eine Zeppelin Marke haben, was die teuerste Marke im Michel-Katalog war, aber natürlich hatte die niemand. Sie ist heute noch viel teurer als vor 60 Jahren.

Die kleinen blauen Notopfer Berlin Marken (Wert zwei Pfennig) hat niemand von uns gesammelt. Wenn man einen Brief an die Verwandten in der Zone (wie die DDR damals noch hieß) schickte, klebte man die sowieso besser nicht auf den Brief. Niemand wäre auf die Idee gekommen, diese kleinen ungeliebten Dinger zu sammeln. Manche davon sind heute sogar etwas wert. Briefmarkensammeln ist eine völlig irrationale Sache, ein bisschen Farbabweichung, eine fehlende Ecke entscheidet über den Wert der Marke. Das ist ein wenig so wie bei den Rolexsammlern, wo auch das Zifferblatt den Wert der Uhr bestimmt. Sammler von alten Autos können das Teil ja noch umspritzen lassen. Mein alter Freund Keith hat gerade wieder einen neuen alten Ferrari, sah mir nach einem einem 72er 365 GT aus. Keith, gab's den nicht in einer anderen Farbe? Wie wäre es mit Ingridgrau (Grigio Ingrid) oder Ferrarirot? [P.S. Inzwischen hat Keith auch einen Ferrari in ➱Ingridgrau].

Niemand lässt eine blaue Mauritius umfärben, ich weiß. Uhrensammler überlegen es sich auch zwei- oder dreimal, ob sie eine Uhr zu Causemann oder Bethge geben, wenn das Zifferblatt unansehnlich ist. Siebzig oder achtzig Jahre alte Uhren sehen mit einem nagelneuen Zifferblatt sehr seltsam aus, was für Menschen gilt, sollte für alte Uhren auch gelten. Es sei denn, man heißt Dorian Gray. Ich bin damals auch nicht der typische Briefmarkensammler gewesen, der nur auf einen jungfräulichen Zustand der jeweiligen Marke aus war.

Mir war es egal, ob da ein paar Zähne an der Ecke fehlten. Ich sammelte auch Marken der Republik von San Marino obwohl sie nichts wert waren, aber sie waren so schön bunt. Was mich interessierte war das, was auf den Marken abgebildet war. Briefmarken brachten Bildung, auch wenn man dafür Eltern und Großeltern mit Fragen löchern musste: Was hat Victor Hugo mit Hernani zu tun? Das war eine ➱Marke aus der Serie von Sondermarken Frankreichs mit den großen französischen Schriftstellern. Auf Opas altem Globus von 1900, auf dem der größte Teil der Welt noch das englische Rot hatte, suchte ich fremde Staaten wie Kenya Uganda Tanganyika. Besonders das Wort Tanganyika hatte es mir angetan.

Es gab kein Internet, kein Google. Wenn man wissen wollte, was die Bilder und Wörter auf den Marken bedeuteten musste man Eltern und andere Sammler fragen, Konversationslexika wälzen und in Bibliotheken gehen. Briefmarken waren ein Bildungsprogramm. Vor Jahren fiel mir in einem Antiquariat ein Büchlein in die Hand, das United States Stamps & Stories hieß. Alle amerikanischen waren da drin, und zu allem, was auf den Marken abgebildet war, gab es eine kleine Geschichte. Hätte ich das schon dreißig Jahre früher gehabt, es hätte mir ein Studium der Amerikanistik erspart. Inzwischen sind die ersten Ausgaben von Stamps&Stories auch schon etwas für Sammler.

Irgendwann habe ich aufgehört zu sammeln und habe meine Briefmarkenalben meinem Vater geschenkt, der im Alter mit dem Briefmarkensammeln anfing. Aber ich habe meine Sammlung nicht vergessen, ich weiß noch genau, welche Marken ich gehabt habe. Ich habe auch Sammler kennengelernt, die das Deutsche Reich komplett hatten. Einschließlich der Zeppelin Marken (die USA hatten auch mal eine Graf Zeppelin Marke). Das war etwas, von dem man träumte, als man klein war.

Ein schöner Traum ist auch diese kleine Geschichte, die aus Amerika kommt und irgendwie in der Tradition der from rags to riches Geschichten von Horatio Alger steht: A young collector asked an old advanced philatelist how he made his collection so advanced and valuable. The old guy had a look at the young nuisance and said, "Well, young man, it was in 1940 when I got a bunch of old letters from an uncle, I soaked off the stamps, dried them and put them in a presentation folder. I spent four days on this, after which I sold the stamps at my school for a cool 4 dollars. The next morning, I invested those four dollars in some more stamps on paper. I spent the next four days on them and sold them afterwards for 6 dollars. I continued this system for a month, by the end of which I'd accumulated a fortune of 200 dollars. Then my uncle died and left me his collection worth two million dollars..."

Die ersten Dinge, die man als Briefmarkensammler lernte, war, dass die Weltpostsprache Französisch ist und das man wissen musste, wer Heinrich von Stephan (heute vor 114 Jahren gestorben) war. Und zu seinen Ehren gibt es heute ein kleines Gedicht von Joachim Ringelnatz, das den leicht zu merkenden Titel Die Briefmarke hat.

Ein männlicher Briefmark erlebte
was Schönes, bevor er klebte.
Er war von einer Prinzessin beleckt
Da war die Liebe in ihm erweckt.

Er wollte sie wiederküssen
Doch hat er verreisen müssen
So liebte er sie vergebens
Das ist die Tragik des Lebens.


1 Kommentar:

  1. Zu meinem Gemäkel über die Farbe des neuen Ferraris meines Freundes erreicht mich gerade eine Mail: ES IST EIN 412, 1986, MIT ORIG. 16.000 KM, VORBESITZER DER UHRENFABRIKANT TISSOT AUS DER SCHWEIZ, UND DIE FARBE FINDE ICH GENIAL. PASST ZU EINEM FERRARI 4-SITZER.

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