Samstag, 30. April 2011

Operation Mincemeat


Heute vor 68 Jahren hat die Besatzung des britischen U-Bootes HMS Seraph vor Spanien die Leiche eines Mannes über Bord geworfen. Er trug eine Offiziersuniform und hatte eine Aktentasche mit Geheimpapieren an seinen Körper gekettet. Er war kein Offizier, war nicht der Major William Martin von den Royal Marines, wie es in seinem Papieren stand. Er war ein Alkoholiker aus Wales, der versehentlich Rattengift geschluckt hatte. Die Papiere waren auch nicht echt, sie sollten die Deutschen über die Invasionsabsichten der Briten im Mittelmeer täuschen, Operation Mincemeat hieß das Unternehmen. Das seriöseste Buch dazu, Denis Smyths Deadly Deception, ist im letzten Jahr bei der Oxford University Press erschienen.

Das Ganze klingt, als hätte sich Ian Fleming das ausgedacht. Der ja, bevor er den Commander James Bond erfunden hatte, in seiner Zeit beim Geheimdienst im Krieg die wildesten Pläne im Kopf hatte. Es ist aber der Plan von dem Royal Air Force Leutnant Charles Cholmondeley, der mit dieser Idee zu seinem Vorgesetzten Commander Ewen Montagu kommt. Vielleicht geht der Plan aber letztlich doch sogar auf eine Idee von Ian Fleming zurück. Ewen Montagu wird den Plan in die Realität umsetzen. Und die Deutschen fallen auf den minutiös vorbereiteten Plan herein. Das hier auf dem Filmplakat ist nicht der wirkliche Commander Montagu, das ist Clifford Webb, der im Film The Man Who Never Was den Lieutenant Commander Montagu spielt.

Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich den Film damals im Kino gesehen hatte. Es war an einem schönen Sommertag, damals ging ich im Sommer gerne ins Kino, weil es da so schön kühl war. In der Erinnerung ist ja alles anders: die Sommer waren wärmer, die Frauen schöner und die Filme besser. Aber der Film war gut, selbst Halliwell's Film Guide, der mit den Sternen als Auszeichnung geizt, gibt ihm zwei Sterne. Es war ein langsamer Film, er hatte noch nichts von dieser hysterischen Aufgeregtheit der neuen James Bond Filme. Ich kann mich noch an beinahe jede Szene erinnern, von den Wellen am Anfang, die den Leichnam an Land spülen bis zu der Szene am Schluss, wenn Commander Montagu das Grab von 'Major Martin' in Spanien besucht und seinen gerade verliehenen Orden auf das Grab legt. Und die wunderbare Szene, in der ein zerstreuter Wissenschaftler den Geheimdienstoffizieren ganz zum Schluss völlig beiläufig sagt, dass die Deutschen die Briefe natürlich geöffnet haben.

Und dann Gloria Graham als Lucy Sherwood, die den irischen Spion Patrick O'Reilly davon überzeugt, dass es William Martin wirklich gegeben hat. So langsam und unaufgeregt der Film war, er war von der ersten bis zur letzten Minute spannend. Er ist als DVD schwer zu bekommen. Ich habe den Händler verflucht, der mir eine NTSC Code 1 Fassung verkauft hat, weil mein DVD Player das nicht abspielte (andere Fassungen sind auch scheinbar nicht im Handel). Doch dann habe ich mir gedacht, wozu habe ich dieses kleine Mac Wunder auf dem Schreibtisch, was mir der nette Tim Trahn verkauft hat? Der kleine Kasten hat den Film dann auch anstandslos gespielt.

Und Ewen Montagu - das da links ist der wirkliche Right Honourable Ewen Edward Samuel Montagu, zweiter Sohn von Lord Swaythling - hatte in dem Film auch eine kleine Gastrolle als Luftmarschall, der seinem alter ego Clifton Webb gegenüber seine Zweifel äußert, dass dieser Plan jemals gelingen könnte. Sehr witzig. Montagu ist ein erfolgreicher Londoner Anwalt gewesen, bevor er als Reserveroffizier der Marine im Zweiten Weltkrieg zum Geheimdienst kam. Nach dem Krieg ist er als Judge Advocate of Her Majesty's Fleet der oberste Beamte der Gerichtsbarkeit der Royal Navy geworden. Sein Bruder, der Filmemacher und Tischtennisspieler Ivor Montague, war nicht so patriotisch. Der war Kommunist und Spion für die Sowjetunion.

Der Film hielt sich ziemlich genau an das drei Jahre zuvor erschienene Buch von Montagu, das den gleichen Titel hatte wie der Film. Darin kommen natürlich keine irischen Spione im Dienste der Deutschen und keine schönen Frauen namens Lucy Sherwood vor, es ist ein nüchterner Bericht über das Unternehmen Mincemeat. Montagu hatte sich ein Wochenende von seiner zeitraubenden Tätigkeit als Judge Advocat of the Fleet freigenommen, um das Buch zu schreiben. Der Geheimdienst hatte ihn darum gebeten, das große Geheimnis des Zweiten Weltkriegs war seit einigen Jahren nicht mehr geheim.

Denn 1950 hatte Duff Cooper seinen Roman Operation Heartbreak veröffentlicht. Der Held, ein Offizier namens Willie Maryngton ist eine tragische Figur, zu jung für den Ersten Weltkrieg, zu alt um im Zweiten Weltkrieg eine aktive Rolle zu spielen. Es ist eine traurige Geschichte, die die damaligen Leser zu Tränen gerührt hat. Aber nach seinem Tod wird er doch noch ein Held, weil man seine Leiche für die Geheimdienstoperation verwendet, die die Deutschen täuschen soll. Das Cabinet Office war von den Romanplänen des ehemaligen Botschafters in Frankreich, der ja auch Minister im Kriegskabinett von Churchill gewesen war, nicht so begeistert, konnte aber die Publikation des Romans nicht verhindern. Ich habe Duff Coopers Roman Operation Heartbreak vor vielen Jahren gelesen, weil mir der Name des Autors etwas sagte (vor Jahren sind The Man Who Never Was und Operation Heartbreak in einem Band veröffentlicht worden). Ich hatte nämlich einmal seine Talleyrand Biographie zum Geburtstag bekommen, die man heute immer noch zur Lektüre empfehlen kann.

Die weibliche Hauptrolle in dem Film hatte (neben Josephine Griffin als Montagus Sekretärin Pam, auf dem Photo links) die Amerikanerin Gloria Grahame, die zwei große Szenen in diesem Film hat. Filmfreaks erinnern sich sicherlich auch an die Szene aus Fritz Langs The Big Heat, wo Lee Marvin ihr kochendheißen Kaffee ins Gesicht schüttet. Eigentlich gehört sie in den film noir, wo sie ihre besten Rollen hatte. Den Höhepunkt ihrer Karriere hatte sie 1953 mit der Golden Globe Nominierung und dem Oscar für die beste Nebendarstellerin in The Bad and the Beautiful. Sie war froh, dass sie diese Rolle als Bibliothekarin der Bibliothek der amerikanischen Truppen bekommen hatte, denn ihr Leben (und vor allem ihr Liebesleben) verlief in chaotischen Bahnen. Der Titel Suicide Blonde der Biographie von Vincent Curcio ist schon sehr passend. Ich lasse das alles mal lieber aus. Aber dass ihr Ehemann, der Filmregisseur Nicholas Ray, sie 1950 im Bett mit seinem dreizehnjährigen Sohn ertappte (den sie später heiratete), das kann ich nicht weglassen.

Irgendwie hat sie es mit jüngeren Männern. Nach vier Ehen beginnt sie eine Affäre mit den jungen englischen Schauspieler Peter Turner, aber daraus wird auch nichts. Jahre später, wenn sie in England auf der Bühne zusammenbricht, weil sie die Diagnose Magenkrebs der Ärzte nicht wahrhaben will, holt Peter Turner sie aus dem Hotel in Lancaster und bringt sie nach Liverpool zu seinen Eltern. Und die beiden Pensionäre, stolz auf ihre working class Herkunft, die jetzt einen Hollywood Star im Haus haben, kümmern sich rührend um die todkranke Gloria Grahame, die keine ärztliche Hilfe haben will. Filmstars Don't Die in Liverpool heißt das Buch, das Peter Turner später geschrieben hat. Es hat nichts Sensationshaschendes an sich, es ist rührend und herzzerreißend. Unfolds in the shadowy area where life and the movies overlap...rarely has the mortality of the gods been so poignantly brought home, schrieb der Literary Review.

Ich habe natürlich heute auch ein Gedicht, das etwas mit dem Kino zu tun hat. Es ist das Titelgedicht aus Don Patersons neuestem Gedichtband (2009) und heißt schlicht Rain.

I love all films that start with rain:
rain, braiding a windowpane
or darkening a hung-out dress
or streaming down her upturned face;

one long thundering downpour
right through the empty script and score
before the act, before the blame,
before the lens pulls through the frame

to where the woman sits alone
beside a silent telephone
or the dress lies ruined on the grass
or the girl walks off the overpass,


and all things flow out from that source
along their fatal watercourse.
However bad or overlong
such a film can do no wrong,

so when his native twang shows through
or when the boom dips into view
or when her speech starts to betray
its adaptation from the play,

I think to when we opened cold
on a rain-dark gutter, running gold
with the neon of a drugstore sign,
and I’d read into its blazing line:

forget the ink, the milk, the blood—
all was washed clean with the flood
we rose up from the falling waters
the fallen rain’s own sons and daughters

and none of this, none of this matters.

Damit geht in diesem Blog der Poetry Month erst einmal zu Ende (obgleich Gedichte immer wieder mal auftauchen werden). Morgen gibt es eine kleine Überraschung, einen richtig fetten langen Artikel für Filmfreunde. Den habe ich schon fertig, damit ich in aller Ruhe zum Flohmarkt gehen kann.

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