Dienstag, 10. Mai 2011

Feuer


Als Grundlage für die symbolische Handlung im Verbrennungsakt ist die im folgenden gegebene Aufstellung zu benutzen und möglichst wörtlich die Rede des studentischen Vertreters zugrunde zu legen. Da es praktisch in den meisten Fällen nicht möglich sein wird, die gesamten Bücher zu verbrennen, dürfte eine Beschränkung auf das Hineinwerfen der in der folgenden Aufstellung angegebenen Schriften zweckmässig sein. Es wird dadurch nicht ausgeschlossen, dass trotzdem ein grosser Haufen Bücher verbrannt wird. Die örtlichen Veranstalter haben dabei jegliche Freiheit.  So lautetet der Text des Rundschreibens des Hauptamts für Aufklärung und Werbung der deutschen Studentenschaft vom 9. Mai 1933. Die spontane Veranstaltung, in der Feuerreden gehalten wurden, war einen Monat lang penibel durchorganisiert. Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen, heißt es in Heinrich Heines Tragödie Almansor. Er sollte Recht behalten.

Bei der Bücherverbrennung an der ➱Universität Kiel am 10. Mai 1933 ist ein gewisser Paul Karl Schmidt hervorgetreten. Neben einem Professor der Philosophie namens Ferdinand Ferdinand Weinhandl, der so schöne Sätze sagte wie: Deutsche Männer und Frauen! Deutsche Studenten und Studentinnen! In einer Stunde wird die deutsche Studentenschaft ein Stück des Ungeistes der letzten vierzehn Jahre den Flammen übergeben. In ganz Deutschland werden heute in dieser Nacht tausende von Schriften und Büchern verbrannt werden, die als zersetzendes Gift an unserem Volkskörper fraßen, war Schmidt einer der Hauptredner des Maiabends. Er forderte ein bewußtes Abtöten jener Giftherde, die das deutsche Volk vergifteten und warnte davor, es bei der einen Aktion zu belassen. Dies sei nur der Beginn einer kulturellen Aufgabe, die Generationen lang andauern könne, um Deutschlands kulturelle Siegfriedstellung zu halten auf Leben und Tod. Und in der Dunkelheit der Nacht rief er später noch, dass sich die Kieler Studentenschaft mit diesem symbolischen Verbrennungsakt geschlossen hinter das vereinigte Deutschland Adolf Hitlers stelle. Und dann wurde das Horst Wessel Lied gesungen.

Schmidt wird in Kiel promovieren und eine einzigartige Karriere machen. Sollte man sagen: eine einzigartige deutsche Karriere? Promotion zum Dr. phil., Eintritt in die SS, Legationsrat im Auswärtigen Amt, dann 1940 schon Obersturmbannführer der SS und Pressesprecher von Ribbentrop. Ein Jahr später ist er Ministerialdirektor. Danach gibt es für ihn einen kleinen Karriereknick, denn die Allierten sperren ihn 1945 für einige Jahre ein. Sie wissen nicht so recht, wofür sie ihn anklagen sollen. Er wird sich niemals vor einem Gericht für seine Taten, die ideologische Verherrlichung des Massenmords an den Juden, verantworten müssen. Auch ein Ermittlungsverfahren in den sechziger Jahren wegen Mordes verläuft im Sande. Und wenn ich es recht sehe, hat ihm die Christiana Albertina in Kiel seinen Doktortitel auch nicht aberkannt.

Man kennt Herrn Paul Karl Schmidt weniger unter seinem wirklichen Namen, weil er sich nach dem Krieg einen neuen Namen zulegt. Unter dem er einen Bestseller nach dem anderen schreibt: Die Wüstenfüchse: Mit Rommel in Afrika, Sie kommen! Die Invasion der Amerikaner und Briten in der Normandie 1944, Stalingrad: Sieg und Untergang der 6. Armee, Unternehmen Barbarossa: Der Marsch nach Rußland  etc. Er hat auch im Spiegel, der Welt und der Zeit Artikel geschrieben, in denen er das NS-Regime mit Blick auf den ➱Reichstagsbrand und die Kriegsursachen zu entlasten versuchte. Und er gehörte zu den Initiatoren des ➱Naumann Kreises, in dem sich ja der Bodensatz der Nazis in der FDP wiedergefunden hatte. Er ist dann auch noch einer der engsten Berater von Axel Springer geworden. Seine Bücher sind heute alle noch lieferbar, die Schriften des Herrn Dr. Schmidt alias ➱Paul Carell sind niemals verbrannt worden.

Ich hatte am Gymnasium, und das ist ein halbes Jahrhundert her, einmal einen sehr schlechten Deutschlehrer. Ich hatte glücklicherweise mit Hermann Bollenhagen vorher einen hervorragenden Deutschlehrer gehabt, der auch mein erster Klassenlehrer war. Bollenhagen unterrichtete Deutsch, Latein und Geschichte und war auch noch Fachleiter am Studienseminar in Bremen. Ich habe noch eine Handvoll guter Lehrer gehabt, aber niemand konnte fachlich, menschlich und pädagogisch an den Mann heranreichen, den wir liebevoll Bolle nannten. Natürlich gab es in den fünfziger Jahren auch schlechte Lehrer, die gibt es immer. Aber schlechte Lehrer sind auch eine gute Schule. Mein namenlos bleibender Deutschlehrer ist später Direktor einer Privatschule geworden, unter normalen Bedingungen hätte er es damals wohl kaum zum Oberstudienrat gebracht. Ich habe mich über diesen Karrieresprung immer gewundert. Aber dann habe ich eines Tages erfahren, dass der Dr. Paul Karl Schmidt alias Paul Carell im Vorstand des Trägervereins dieser Schule war. Und mein Deutschlehrer war immer so stolz gewesen, dass er auf einer NAPOLA gewesen war. Ob das ein Zufall war? Oder wuchs da etwas zusammen, was zusammen gehörte?

1958 schrieb Alfred Kantorowicz in der ➱Zeit: Inmitten des Krieges, am 10. Mai 1943 — am 10. Jahrestage — wurden auf 300 der größten Bibliotheken der Vereinigten Staaten die Flaggen auf Halbmast gesenkt. Vier Jahre später, am 10. Mai 1947, vereinten sich auf deutschem Boden, in Berlin, an der Stätte, wo 14 Jahre zuvor die Scheiterhaufen gelodert hatten, Vertreter aller deutschen Parteien aus Ost und West und der vier Besatzungsmächte, um die Freiheit des Buches zu ehren. Aber als die widernatürliche Spaltung unseres Vaterlandes sich vertiefte, wurde auch dieser einigende Gedanke vergessen. In der DDR wurde der Tag des freien Buches am 10. Mai feierlich begangen, und in den achtziger Jahren hat der Börsenverein des Deutschen Buchhandels angeregt, diesen Tag auch bei uns zu feiern. Das hat sich nicht so durchgesetzt, weil wir ja den Welttag des Buches haben. Den der Herr von und zu Guttenberg in diesem Jahr sicherlich feierlich begangen hat, weil es auch der Tag des Urheberrechts ist. Aber während Herr von und zu Guttenberg über das Copyright nachsinnt, sollten wir anderen vielleicht einen Augenblick daran denken, was das Volk der Dichter und Denker am 10. Mai 1933 mit der ➱Bücherverbrennung angerichtet hat.

Müssen wir gegen Verfälschung unserer Geschichte und Herabwürdigung ihrer großen Gestalten, für Ehrfurcht vor unserer Vergangenheit eintreten? Was hier ähnlich klingt wie Paul Carell in den fünfziger Jahren waren die Worte, mit denen in Berlin am 10. Mai 1933 unter großem Gejohle der Menge die Schriften von Emil Ludwig dem Feuer übergeben wurden. Bei der Lektüre von Emil Ludwigs Roman Der Mord in Davos hatte Goebbels schon 1936 in seinem Tagebuch notiert:  ein gemeines jüdisches Machwerk … Da kann man zum Antisemit werden, wenn man es nicht schon ganz und gar wäre. Diese Judenpest muss ausradiert werden. Und so wandern die Bücher ins Feuer während die Rufer die Namen der Autoren brüllen:  Marx und Kautsky, Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner, Friedrich Wilhelm Foerster. Sigmund Freud, Emil Ludwig und Werner Hegemann, Theodor Wolff und Georg Bernhard, Erich Maria Remarque, Alfred Kerr, Tucholsky und Ossietzky. Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.

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