Freitag, 17. Juni 2011

Freiligrath


Das war 'ne heiße Märzenzeit,
Trotz Regen, Schnee und alledem!
Nun aber, da es Blüten schneit,
Nun ist es kalt, trotz alledem!
Trotz alledem und alledem –
Trotz Wien, Berlin und alledem –
Ein schnöder scharfer Winterwind
Durchfröstelt uns trotz alledem!

Das ist der Wind der Reaktion
Mit Meltau, Reif und alledem!
Das ist die Bourgeoisie am Thron –
Der annoch steht, trotz alledem!
Trotz alledem und alledem,
Trotz Blutschuld, Trug und alledem –
Er steht noch und er hudelt uns
Wie früher fast, trotz alledem!

Die Waffen, die der Sieg uns gab,
Der Sieg des Rechts trotz alledem,
Die nimmt man sacht uns wieder ab,
Samt Kraut und Lot und alledem!
Trotz alledem und alledem,
Trotz Parlament und alledem –
Wir werden unsre Büchsen los,
Soldatenwild trotz alledem!

Doch sind wir frisch und wohlgemut,
Und zagen nicht trotz alledem!
In tiefer Brust des Zornes Glut,
Die hält uns warm trotz alledem!
Trotz alledem und alledem,
Es gilt uns gleich trotz alledem!
Wir schütteln uns: Ein garst'ger Wind,
Doch weiter nichts trotz alledem!

Denn ob der Reichstag sich blamiert
Professorhaft, trotz alledem!
Und ob der Teufel reagiert
Mit Huf und Horn und alledem –
Trotz alledem und alledem,
Trotz Dummheit, List und alledem,
Wir wissen doch: die Menschlichkeit
Behält den Sieg trotz alledem!

So füllt denn nur der Mörser Schlund
Mit Eisen, Blei und alledem:
Wir halten aus auf unserm Grund,
Wir wanken nicht trotz alledem!
Trotz alledem und alledem!
Und macht ihr's gar, trotz alledem,
Wie zu Neapel jener Schuft:
Das hilft erst recht, trotz alledem!

Nur, was zerfällt, vertratet ihr!
Seid Kasten nur, trotz alledem!
Wir sind das Volk, die Menschheit wir,
Sind ewig drum, trotz alledem!
Trotz alledem und alledem:
So kommt denn an, trotz alledem!
Ihr hemmt uns, doch ihr zwingt uns nicht –
Unser die Welt trotz alledem!

Wenn Sie jetzt an Hannes Wader denken, liegen Sie nicht falsch. Er hat es gesungen, immer wieder, auch mir anderen Texten. Aber das Lied ist von Freiligrath (der sich Freilichrat ausspricht), der heute vor 201 Jahren geboren wurde. Er war ein Dichter unserer 1848er Revolution. Das ehrt ihn, wir haben ja nicht so viel revolutionäre Dichter. Außer Heinrich Heine, aber den mag man nicht, weil er Jude war und Revolutionär. Man möchte lieber die Schlafmütze des deutschen Michel aufsetzen und sich im Biedermeier wohlfühlen. Revolution mögen wir nicht so sehr, das ist etwas für die Franzosen. Und wenn Sänger von der Revolution singen, wie Ernst Busch oder Hannes Wader, dann mögen wir das auch nicht so gerne. Der Norddeutsche Rundfunk hat Jahrzehnte lang nichts von Hannes Wader gespielt. Aber die Leute sind trotz alledem zu seinen Konzerten gegangen und haben seine Platten gekauft.

Der 17. Juni war mal ein Nationalfeiertag, weil es vor 58 Jahren in Berlin (Ost) eine kleine Revolution gab, die aber schnell von der Sowjetarmee niedergeschlagen wurde. Dem Volk, das sich zu einem Volksaufstand erhoben hatte, wurde gezeigt, wer wirklich die Macht hatte. Die spektakulären Bilder nahm die Wochenschau (Fernsehen gab es noch nicht, die Bild Zeitung auch noch nicht) auf der Stalinallee auf, aber es gab Aufstände quer durch das Land und durch die Betriebe.

Es ist für einen Arbeiter- und Bauernstaat nicht schön, wenn sich die Arbeiter gegen die Regierenden erheben. I hold it that a little rebellion now and then is a good thing, and as necessary in the political world as storms in the physical... It is a medicine necessary for the sound health of government, hat Thomas Jefferson (Revolutionär) gesagt. Er hat das anläßlich von Shay's Rebellion geschrieben. Wenn er von government redet, meint er aber nicht die Satrapen von Moskau in Ostberlin.

Und was taten die deutschen Dichter am 17. Juni 1953? Sangen sie Wir sind das Volk wie Freiligrath? Nein, sie sagten gar nichts oder sie schämten sich. Wie der Vorzeigedichter der SED Kurt Barthel. ➱Wie ich mich schäme, hieß sein Artikel im Zentralorgan Neues Deutschland. Und er gab den aufständischen Bauarbeitern den guten Rat: Da werdet ihr sehr viel und sehr gut mauern und künftig sehr klug handeln müssen, ehe euch diese Schmach vergessen wird. Zerstörte Häuser reparieren, das ist leicht. Zerstörtes Vertrauen wieder aufrichten ist sehr, sehr schwer. Acht Jahre später konnten sie dann beweisen, dass sie gut mauern konnten.

Aber Bertolt Brecht, der hat reagiert. Trotz alledem. Und dies kleine zynische Gedicht geschrieben:

Die Lösung

Nach dem Aufstand des 17. Juni
Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands
In der Stalinallee Flugblätter verteilen
Auf denen zu lesen war, daß das Volk
Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe
Und es nur durch verdoppelte Arbeit
zurückerobern könne. Wäre es da
Nicht doch einfacher, die Regierung
Löste das Volk auf und
Wählte ein anderes?

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