Dienstag, 7. Juni 2011

Holterling

Der Sommer 

Die Tage gehn vorbei mit sanfter Lüfte Rauschen,
Wenn mit der Wolke sie der Felder Pracht vertauschen,
Des Tales Ende trifft der Berge Dämmerungen
Dort, wo des Stromes Wellen sich hinabgeschlungen.
Der Wälder Schatten sieht umhergebreitet,
Wo auch der Bach entfernt hinuntergleitet,
Und sichtbar ist der Ferne Bild in Stunden,
Wenn sich der Mensch zu diesem Sinn gefunden.

d. 24. Mai 1758,
Scardanelli

Als jemand, der sein Blogger-Leben mit einem kleinen Hinweis auf  Hölderlin begann, muss ich natürlich an Hölderlins Todestag wieder einmal an ihn erinnern. Obgleich es gar nicht so lange her ist, dass ich über ihn geschrieben habe. Aber ein wenig ⥤ Hölderlin kann ja nie schaden. Es gibt hier heute, passend zur Jahreszeit, drei Gedichte, die Sommer heißen. Neben dem Titel haben sie gemein, dass sie aus acht Versen bestehen und paarig gereimt sind. Und dass sie mit Scardanelli signiert sind und meist Datierungen enthalten, die außerhalb Hölderlins Leben liegen. Es ist keine pathetische Griechentümelei mehr in diesen Gedichten, es sind stille Gedichte, viele haben die Jahreszeiten zum Thema.

Einem Besucher, der ihm die neueste Ausgabe seiner Gedichte zeigt, sagt Hölderlin: Ja, die Gedichte sind echt, die sind von mir, aber der Name ist gefälscht, ich habe nie Hölderlin geheißen, sondern Scardanelli oder Scarivari oder Salvator Rosa oder so was. Ein anderes Leben, ein anderer Name. Manche Herausgeber haben die späten Gedichte des pauvre Holterling (wie die Landgräfin Caroline schrieb) nicht in ihre Sammlung aufnehmen wollen. 1806 ist das Jahr, in dem für viele der Dichter Hölderlin zu existieren aufhört. Manchmal glaube ich, dass an der Theorie des französischen Germanisten Pierre Bertaux etwas dran ist. Dass Hölderlin 1806 gar nicht wahnsinnig wurde, sondern sich nur gegen die ihm lästig gewordene Welt, die ihn auch vor 1806 nie verstanden hat, schützen wollte.

Der Sommer

Wenn dann vorbei des Frühlings Blüte schwindet,
So ist der Sommer da, der um das Jahr sich windet.
Und wie der Bach das Tal hinuntergleitet,
So ist der Berge Pracht darum verbreitet.
Daß sich das Feld mit Pracht am meisten zeiget,
Ist, wie der Tag, der sich zum Abend neiget;
Wie so das Jahr verweilt, so sind des Sommers Stunden
Und Bilder der Natur dem Menschen oft verschwunden.


d. 24 Mai 1778.
Scardanelli.

Der Sommer

Noch ist die Zeit des Jahrs zu sehn, und die Gefilde
Des Sommers stehn in ihrem Glanz, in ihrer Milde;
Des Feldes Grün ist prächtig ausgebreitet,
Allwo der Bach hinab mit Wellen gleitet.
So zieht der Tag hinaus durch Berg und Tale,
Mit seiner Unaufhaltsamkeit und seinem Strahle,
Und Wolken ziehn in Ruh, in hohen Räumen,
Es scheint das Jahr mit Herrlichkeit zu säumen.



d. 9ten März 1940.
Mit Untertänigkeit
Scardanelli

1 Kommentar:

  1. Und der dann mit den brutalen Methoden der damaligen Psychiatrie derart zugerichtet wurde, dass er nicht mehr herauskam aus seinem selbstgewählten Exil. Schade, dass so viele Gedichte von ihm aus der Tübinger Turmzeit weggeworfen wurden.

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