Samstag, 4. Juni 2011

Nicolai Abildgaard



Ossian hat in meinem Herzen den Homer verdrängt. Welch eine Welt, in die der Herrliche mich führt! Zu wandern über die Heide, umsaust vom Sturmwinde, der in dampfenden Nebeln die Geister der Väter im dämmernden Lichte des Mondes hinführt. Zu hören vom Gebirge her, im Gebrülle des Waldstroms, halb verwehtes Ächzen der Geister aus ihren Höhlen, und die Wehklagen des zu Tode sich jammernden Mädchens, um die vier moosbedeckten, grasbewachsenen Steine des Edelgefallnen, ihres Geliebten. Wenn ich ihn dann finde, den wandelnden grauen Barden, der auf der weiten Heide die Fußstapfen seiner Väter sucht und, ach, ihre Grabsteine findet und dann jammernd nach dem lieben Sterne des Abends hinblickt, der sich ins rollende Meer verbirgt, und die Zeiten der Vergangenheit in des Helden Seele lebendig werden, da noch der freundliche Strahl den Gefahren der Tapferen leuchtete und der Mond ihr bekränztes, siegrückkehrendes Schiff beschien...

Das geht jetzt endlos so weiter, die Ossian Lektüre hat bei dem jungen Werther Spuren hinterlassen. Bei Goethe auch. Bei Napoleon ebenso, der schleppt immer seinen Ossian mit sich herum und beauftragt Ingres, ihm den blinden Barden Ossian zu malen. Seinen Ossian hat er auch bei sich, als er nach St Helena muss, denn auf sein Lieblingsstück Temora lässt er nichts kommen: Ces pensées, ces sentiments, ces images sont bien autre-ment noble que les rabâchages de votre 'Odyssée'. Voilà du grand, du sentimental et du sublime, Ossian est un poète; Homère n'est q'un radoteur. Die Ossian Begeisterung ist jetzt eine europäische Krankheit, soll man sagen eine Seuche?

Der dänische Maler Nicolai Abildgaard ist heute vor 202 Jahren gestorben. Er war einer der vielen Künstler, die sich des Ossian Stoffes angenommen haben. Hat auch so einen scheußlichen Ossian (links) gemalt. Der Lehrer von Caspar David Friedrich und Philipp Otto Runge hat das mehrfach gemalt, ich habe einmal eine ganz kleine Version von dem Bild gesehen. War auch scheußlich. Viel schöner ist sein Gemälde in Stockholm: Der Geist Culmins, der seiner Mutter erscheint (unten). Wahrscheinlich wußte Abildgaard, wie all die anderen Ossian Jünger nicht, dass das ➱Ganze eine Fälschung von dem Schotten James Macpherson war. Den Dichter, so voll Hoheit, Unschuld, Einfalt, Tätigkeit, und Seligkeit des menschlichen Lebens, wie Herder schrieb, hat es in grauer Vorzeit nicht gegeben. Man sollte also nicht Ossian bewundern, man sollte den genialen Fälscher James Macpherson bewundern. Es hat heute noch einen gewissen Reiz, ihn zu lesen. Die beste Ausgabe ist meiner Meinung nach James Macpherson, The Poems of Ossian and Related Works, herausgegeben von Howard Gaskill (Edinburgh, 1996), auf jeden Fall ist sie eine der wenigen vollständigen Ausgaben, die auch lieferbar ist. Man kann sich beim Lesen fragen, ob man wie damals Goethe darauf reingefallen wäre. Oder hätte man scharfsinnig wie Dr Johnson über den Autor gesagt a mountebank, a liar, and a fraud, and that the poems were forgeries? Sie können sich mal testen und ein bisschen in Napoleons ⥤ ➱Lieblingsliteratur Temora schmökern.

Der Ossianismus trifft die Maler noch mehr als die Dichter. Auf jeden Fall gewann man 1974 in der Hamburger Kunsthalle diesen Eindruck. Dort gab es nämlich im Rahmen der Ausstellungsreihe Kunst um 1800 eine ganze Ossian Ausstellung! Der wunderbare Katalog aus dem Prestel Verlag ist mittlerweile rar geworden; es lohnt sich aber, ihn antiquarisch zu suchen, es gibt nichts Besseres zu dem Thema.

Diese über ein Jahrzehnt laufende Ausstellungsreihe, die von dem Direktor Werner Hofmann organisiert worden war, ist wahrscheinlich das Wichtigste, was die Hamburger Kunsthalle Hamburg nach dem Krieg veranstaltet hat. Caspar David Friedrich, Johann Heinrich Füssli, Philipp Otto, Runge, William Blake, Joseph Mallord Turner, John Flaxman, Johann Tobias Sergel und Goya. Bis auf den Sergel, der mich nicht besonders interessierte, habe ich keine dieser Ausstellungen geschwänzt, in der Ossian Ausstellung war ich dreimal. Die Schuhe, die ich mir nach dem Besuch einer dieser Ausstellungen bei Prange gekauft habe (es war gerade Ausverkauf), habe ich auch immer noch.

Die Krönung in dieser Ausstellung der großformatigen Scheußlichkeiten, dieses Kitsch as Kitsch Can des Age of Sentiment, war für mich Girodet Huldigung an Napoleon, diese Apotheose der während des Befreiungskrieges für das Vaterland gefallenen französischen Helden. Gefühlte drei Meter mal vier Meter groß, in Wirklichkeit etwas kleiner. Da werden Napoleons gefallene Generäle im Himmel der Helden von Ossian empfangen. Und der am Himmel schwebende Adler weicht dem gallischen Hahn, das ist wirklich sehr komisch. Die Sache mit dem Federvieh da über den Helden soll natürlich den Frieden symbolisieren. Napoleon führt in seiner Grande Armee die Adler auf seinen Standarten ja nur, um den Frieden zu bringen.

In jeder Ausstellung, die ich besuche, überlege mich mir als erstes, was ich klauen würde. Und dafür hast Du Kunstgeschichte studiert? fragte mich meine Mutter, als ich ihr das einmal erzählte. Bei der Ossian Ausstellung hätte ich freiwillig nichts mitgenommen. Außer diesem kleinen John Sell Cotman Aquarell (Ossian Katalog S. 57). Monochrom in grau. Auch ganz lütt, hätte unters Jackett gepasst. Eine Illustration zu den letzten Zeilen von TemoraWe bend towards the voice of the king. The moon looks abroad from her cloud. The grey-skirted mist is near; the dwelling of the ghosts! Das ossianische Thema wäre mir völlig gleichgültig, ich kriege bei jedem Bild von ➱Cotman so ein Zucken in den Fingern.

Bei dem ganzen Rummel um Ossian, dem größten kulturellen Exportartikel der Britischen Inseln im 18. Jahrhundert, ist ein anderer Literaturfälscher aus England ein wenig in Vergessenheit geraten, Nämlich Thomas Chatterton, der arme Chatterton, wie er bei Ernst Penzoldt heißt. Der erfindet einen Mönch namens Thomas Rowley aus dem 15. Jahrhundert, der auch sehr lyrische Sachen schreibt. Aber nachdem ich mir Jahrzehnte lang in Prüfungen habe anhören müssen, wie sich arme Studenten durch Chaucers Mittelenglisch stotterten, tue ich mir das gefälschte Mittelenglisch von Chatterton heute nicht mehr an und lese das nicht noch mal. Obgleich das manchmal auf den ersten Blick ganz überzeugend aussieht. Wenn Sie nicht Middle English geschädigt sind und nicht Whan that Aprill, with his shoures soote The droghte of March hath perced to the roote And bathed every veyne in swich licour, so ausser Lamäng aufsagen können, dann schauen Sie ➱hier doch mal hinein.

Chatterton wird keine achtzehn Jahre alt, da begeht er Selbstmord. Die englischen Romantiker wie Keats, Shelley, Wordsworth und Coleridge werden ihn zu dem romantischen Dichter stilisieren. Und einem viktorianischen Kitschmaler namens Henry Wallis ist es vorbehalten geblieben, ihn für die Nachwelt so wie auf dem Bild da oben als eine Art Heiligen für selbstmordgefährdete Teenies zu stilisieren. Oder wie ein Anonymus im booksblog des Guardian am 5. November 2008 schrieb:

Henry Wallis has a lot to answer for. On exhibition in 1856, his deliciously necrophilic painting of the 17-year-old poet Thomas Chatterton –lolling in a garret, poisoned by his own elegantly consumptive hand and blighted by the unappreciative cruelty of the cold hard world – became instantly, and enduringly, iconic. Forget Benjamin Zephaniah or Carol Ann Duffy; this skinny eighteenth century Emo kid with a penchant for self-harm and a dodgy taste in cornflower blue pantaloons still epitomises most people's notion of what a poet should be. Ich bemühe mich ja immer, ähnlich frech zu schreiben, aber diese Engländer sind mir über.

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