Sonntag, 5. Juni 2011

Samuel Richardson


Dieser Titel enthält alles, was man zur Anpreisung eines neuen Romans sagen kann, die nichts weniger als eine bloße Ergötzung zu ihrer vornehmsten Absicht hat. Ein viel edlerer Zweck ist von je her der Gegenstand des unterrichtenden Richardson gewesen, dessen schönem Geiste man es zu danken hat, daß man die schärfste Moral in seinen Schriften mit so viel reizenden Blumen ausgeschmückt findet. Die erste Sammlung seiner erzählenden Briefe, »Pamela« betitelt, zeigte die Schönheit und das vorzüglich Erhabene der Tugend in einem unschuldigen und unausgeputzten Gemüte, nebst der Belohnung, welche die schützende Vorsicht derselben oft auch in diesem Leben widerfahren läßt. Die zweite Sammlung, deren Aufschrift »Clarissa« heißt, enthält betrübtre Vorfälle. Ein junges Frauenzimmer von höherm Stande und zu größern Hoffnungen berechtiget, wird in eine Mannigfaltigkeit tiefer Unglücksfälle verwückelt, die sie zu einem frühzeitigen Tode führen. Gegenwärtige dritte Sammlung endlich legt der Welt die Abschilderung und die Begebenheiten eines wahr haftig redlichen Mannes vor, welcher in vielen und mancherlei prüfenden Umständen stets übereinstimmend und wohl handelt, weil alle sein Tun von einem einzigen unveränderlichen Grundsatze regieret wird; es ist ein Mann, der Religion und Tugend hat, Lebhaftigkeit und Feuer besizt, der vollkommen und angenehm, für sich glücklich ist, und andere glücklich macht. Das ist der Hauptinhalt dieser ersten zwei und der nachfolgenden Bände...Sagt Lessing über Samuel Richardsons The History of Sir Charles Grandison. Wir können Lessings Rezension entnehmen, dass es bei Richardson 1.) um Briefromane geht, 2.) um viel Tugend und Moral.

Samuel Richardson (der gestern vor 250 Jahren starb) hat seinen Roman The History of Sir Charles Grandison nur geschrieben, um auf Fieldings The History of Tom Jones zu antworten. Die beiden Herren leben in ständiger Literaturfehde miteinander. Kaum ist Pamela auf dem Markt, antwortet Fielding mit seiner satirischen Shamela. Die Engländer haben jetzt wieder etwas Neues, sie haben gerade den Roman erfunden. Alles an Wichtigem kommt jetzt von den Britischen Inseln: der Roman mit all seinen Formen (und natürlich Ossian), die Herrenmode, genau gehende Uhren, die bürgerliche Gesellschaft, die freie Presse.

Der englische Roman des 18. Jahrhunderts hat uns als Lesern eine Vielzahl von schönen Romanen geschenkt. Zum Beispiel Fieldings Tom Jones oder Sternes Tristram Shandy. Kann man heute noch lesen. Gut, sie sind alle ziemlich lang, die Leute hatten damals noch viel Zeit und hatten noch kein Fernsehen. Heute muss man sich diese Zeit nehmen, aber ob es heute noch lohnt, Samuel Richardson zu lesen, das weiß ich nicht. Ich würde es nicht tun. Autres temps, autres moeurs ist ja noch das Netteste, was der berühmte Leslie Fiedler in Love and Death in the American Novel über Richardson sagt. Pamela sollte ja ursprünglich eine Art conduct book werden, to instruct handsome girls, who were obgliged to go out to service, as they phrase it, and how to avoid the snares taht might belaid against their virtue.

Etwas Ähnliches hat ja auch Lord Chesterfield mit seinen Letters to His Son vor. Wo er so gute Ratschläge gibt wie: I would heartily wish that you may often be seen to smile, but never heard to laugh while you live. Frequent and loud laughter is the characteristic of folly and ill-manners; it is the manner in which the mob express their silly joy at silly things; and they call it being merry. In my mind there is nothing so illiberal, and so ill-bred, as audible laughter. I am neither of a melancholy nor a cynical disposition, and am as willing and as apt to be pleased as anybody; but I am sure that since I have had the full use of my reason nobody has ever heard me laugh.

Da ist kein Lachen drin. In Pamela auch nicht, in Tom Jones ist viel Gelächter. Und wirkliches Leben. Richardson hat es sich dann mit den Erziehungsbriefen anders überlegt und hat seinen pädagogischen moralinsauren Episteln eine magere Handlung hinzugefügt. You must read him for the sentiment, and consider the story as only giving occasion to the sentiment, hat Dr Johnson gesagt. Das reicht für die Dienstmädchenromane in der Gartenlaube im 19. Jahrhundert vielleicht aus, kann aber niemals gegen Tom Jones oder Tristram Shandy bestehen. Denn es ist ja absehbar, wie lange Pamela ihre Unschuld gegen den zudringlichen und etwas dümmlichen Mr B. verteidigt. Ja, genau bis zur Hochzeit, die sie in eine höhere soziale Klasse aufsteigen lässt. Aber hatten nicht schon immer alle Dienstmädchen davon geträumt, einen Adligen zu heiraten? Diese Formel ist ja bis Rosamunde Pilcher nicht totzukriegen.

Es wird nicht lange dauern, dass die englischen Autoren diese Formel mit der verfolgten Unschuld ein wenig variieren und die Gothic Novel erfinden. Wo die verfolgte Unschuld immer nächtens durch die Kellergewölbe eines verfallenen Schlosses gejagt wird. Und wir anstelle von Mr B einen richtigen Bösewicht und libertin haben. Richardson selbst hat mit seinem Lovelace in Clarissa die Vorlage dazu geliefert. Clarissa (eine Million Wörter lang) ist viel interessanter als Pamela, weil das literarische Böse immer interessanter ist als die stereotypisierte Tugend.

Richardson wird eine Vielzahl von Nachahmern haben, über die das Damen Conversations Lexikon 1837 sagte: Eine Unzahl von Berufenen und Unberufenen ergab sich dem Romanschreiben. Die Meisten nahmen sich Richardson zum Muster. Die Tugend mußte herhalten und sich streicheln und hätscheln lassen, wie ein Wickelkind. Man ward vor lauter Tugendhaftigkeit lasterhaft, weich, fade, sterbenslangweilig. Es gab nichts als weinerliche Familiengeschichten, moralische Leichenpredigten, und das Laster wurde so blöde, daß es nahe daran war am schwarzen Staar zu sterben.


Glücklicherweise hat sich das wirkliche Leben nicht an Pamela gehalten. So beklagt der Autor im Jahre 1751 in Dr Johnsons Rambler: But how is the case now? The ladies, maidens, wives and widows are engrossed by places of open resort, and general entertainment, which fill every quarter of the metropolis, and being constantly frequented, make home irksome. Breakfasting-places, dining-places; routs, drums, concerts, balls, plays, operas, masquerades for the evening, and even for all night, and lately, publick sales of the goods of broken housekeepers, which the general dissoluteness of manners has contributed to make very frequent, come in as another seasonable relief to these modern time-killers. Früher war, so Richardson, alles anders, nur Familie und Kirche. Aber heute haben die Frauen keine Scham mehr: As to the ladies who frequent those publick places, they are not ashamed to shew their faces wherever men dare go, nor blush to try who shall stare most impudently, or who shall laugh loudest on the publick walks.

Ja, der Verfall der Sitten, gegen den muss ein Schriftsteller natürlich schreiben. Nützt aber nix. Ob Richardson nun beklagt, dass die jungen Frauen in der Kirche nach jungen Männern Ausschau halten oder nicht. Schon in der alten Ballade von Little Musgrave macht dem die Gattin von Lord Arlen schöne Augen in der Kirche. Und hunderte von Jahren später singt Lonnie Donegan Sweet Sixteen, Goes To Church Just To See The Boys Laughs And Screams And Giggles At Every Little Noise Turns Her Face A Little And Turns Her Head Awhile But Everybody Knows She’s Only Putting On The Style. Da kann ein Schriftsteller noch so moralisch sein, gegen die Frauen kommt er nicht an.

Alle Bilder im Text sind von Joseph Highmore, dessen Bilder zu Richardson Pamela durch die Kupferstiche millionenfach verbreitet wurden.

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