Dienstag, 26. Juli 2011

Hastenbeck


»Es ist mein Sohn, der mich zu Grunde gerichtet und sich selbst beschimpft hat.«
   Der dies Wort sprach, war der alte, nahezu siebzigjährige Kurfürst von Hannover und König von Großbritannien und Irland, Georg der Zweite, der Sieger von Dettingen, und sein Aufschrei fand einen zustimmenden Widerhall durch ganz Europa, vom Felsen Kalpe bis nach Asien hinein, und jenseits des Atlantischen Ozeans bis tief in die amerikanischen Urwälder.

   Wieder einmal war ein unbekannter Ort zu einem Namen in der Weltgeschichte gekommen, diesmal zu einem übelberüchtigten. Dieser Ort hieß Kloster Zeven in der Landdrostei Stade, der aber, welcher hier seinen Lorbeeren von Fontenoy, Lawfeld und Hastenbeck die Schleife anflocht und dadurch dem greisen Vater das gramvolle Gesicht in die Hände niederdrückte, hieß William Augustus, Duke of Cumberland, der Metzger Cumberland – butcher Cumberland, wie ihn die Schotten nach seinem einzigen Siegesfelde bei Culloden nannten. Und wie Schottland ihm nachsang:
   »Mourn, hapless Caledonia, mourn!« so klang ihm jetzt ein anderer Jammerruf nach. Der aber lautete: »Weh, Niedersachsen, weh!«
   Aber es war doch ein anderes: das Schlächtermesser-Wetzen auf dem Feld bei Culloden und der Ritt, Degen in der Scheide und die Faust auf dem Federhute, vom Felde bei Hastenbeck.


Wilhelm Raabe Leser haben das natürlich sofort erkannt, es ist der Beginn der Erzählung Hastenbeck. Der Anfang sagt eigentlich schon alles über den Prinzen William Augustus, den Herzog von Cumberland. Ich möchte den Jahrestag der Schlacht von Hastenbeck dazu benutzen, ein wenig Häme über diesen englischen General aus königlichem Haus auszuschütten. Mit 21 Jahren ist er schon Generalmajor, wenn Pappi König ist, dann geht so etwas. Mit 22 ist er in seiner ersten Schlacht, er hat da aber nichts zu sagen, George II führt seine Truppen selbst in die Schlacht von Dettingen. Das ist das letzte Mal in der Geschichte, dass ein englischer König eine Armee anführt. Eigentlich ist der siebzigjährige Earl of Stair der Oberkommandierende der englischen Armee, aber den schiebt George II zur Seite. Jon Manchip White sagt in seinem Buch Lorbeer und Rosen: Graf von Moritz von Sachsen süffisant: Den Oberbefehl führte, bis König Georg II. höchstpersönlich eintraf, Lord Stair, der sich einst mit Moritz in eine Pariser Mätresse geteilt und sich als Schüler Marlboroughs und Eugens hohes Ansehen erworben hatte. Unglücklicherweise galt Stairs militärische Erfahrung bei Georg II. und seinem jugendlichen Sohn Cumberland wenig, da beide auf dem bequemen Standpunkt verharrten, Fürsten von Geblüt seien zum Befehlen geboren.

Vom Befehlen und Anführen kann allerdings nicht die Rede sein, da Georgs Pferd mit ihm durchgeht, nachdem er vor der Schlacht einmal martialisch die Reihen abgeritten ist. Irgendwann fällt er vom Pferd und verpasst den größten Teil der Schlacht. Als er endlich wieder auf den Beinen ist (der Fähnrich Cyrus Trapaud soll ihn gerettet haben), bringt man ihm ein neues Pferd. Rot vor Wut brüllt er I don't want a damned horse! Nach anderen Quellen hat er Scheisspferd gesagt. Angeblich hat er sich dann mit den Worten Nun, wenn mein Pferd dann laufen will,  meine Füße sollen es wenigstens nicht mit gezogenem Degen an die Spitze der hannöverschen Infanterie gestellt. Was kaum wahrscheinlich ist, da sein Pferd ihn ganz bis zur Nachhut getragen hat. Friedrich II. von Preußen äußert sich in seinen Bemerkungen zum Siebenjährigen Krieg sehr sarkastisch über den angeblichen Helden George II : Ich weiß von einem Officier, der dabei zugegen war, daß der König von England während des ganzen Gefechts vor der Spitze seines hanöverischen Bataillons stand, den linken Fuß rückwärts gestellt, den Arm mit dem Degen in der Hand gerade ausgestreckt, ungefähr in der Positur, die ein Fechtmeister einnimmt, wenn er eine Quarte stoßen will. Es gab Beweise der Tapferkeit, aber keinen Befehl, der auf die Schlacht selbst Bezug gehabt hätte.

Dann hält George auf dem Schlachtfeld Hof und lässt ein Mittagessen servieren, weil die Franzosen in der ganzen Konfusion, die man kaum eine wirkliche Schlacht nennen kann, abgerückt sind. George verfolgt den Feind nicht, aber er bestellt bei Händel das Dettingen Te Deum. Und wird natürlich hoch zu Ross gemalt. Dieses Bild ist wahrscheinlich von seinem Höfling Robert Darcy, 4th Earl of Holderness (der am Bildrand rechts zu sehen ist) bei John Wootton in Auftrag gegeben worden. Es schmeichelt den beiden Generälen George (Bildmitte) und William Augustus. So schlank waren sie in Wirklichkeit nicht. Die Maler verklären jeden königlichen Trottel zum Helden, und die zeitgenössischen Propagandisten der Hannoveraner tun mit ihrer Beschreibung der Schlacht das Übrige dazu.

Der fette Sohn des Königs trägt eine Schussverletzung am Bein davon. Zwei Jahre später ist er Oberkommandierender der Pragmatischen Armee in den Niederlanden. Bei Fountenoy zeigt ihm Moritz von Sachsen (links), wie man wirklich eine Schlacht schlägt. Der uneheliche Sohn von August dem Starken wird Jahre später bei der Schlacht von Lauffeldt wiederum die Nemesis von unserem dicken Cumberland sein. Maurice de Saxe, Marschall von Frankreich, ist sowieso ein viel interessantere Person als Cumberland, der als General eine Niete ist. Wenn Moritz von Sachsen 1748 Maastricht einnimmt, was Cumberland wieder nicht verhindern kann, ist der Österreichische Erbfolgekrieg zu Ende. Und auch die militärische Karriere von Moritz. Vierzig Jahre lang ist er Soldat gewesen, hat unter Marlborough und Prinz Eugen gekämpft, ist vom Fähnrich bis zum Feldmarschall auf allen Schlachtfeldern Europas gewesen. Er zieht sich in sein Schloss Chambord zurück und macht es zu einem Zentrum von Gelehrten und Künstlern.

Das wäre undenkbar bei unserem William Augustus (hier von Reynolds gemalt), Philosophen und Künstler sind nicht seine Welt. Er bleibt auch noch in der Armee. Der nächste Krieg steht schon vor der Tür. Das ist der Siebenjährige Krieg, von dem Cumberland aber nur zwei Jahre als Oberkommandierender der Observationsarmee erleben wird. Weil die Armee (nach Raabes Worten) nur noch ein Janhagel ist, zu dem der Duc de Cumberland das königlich großbritannische Hülfsheer heruntergebracht habe. Und weil da nämlich diese Schlacht von Hastenbeck ist. Und dann diese Schande der Konvention von Kloster Zeven. Wenn in Wilhelm Raabes Erzählung die Rede von seinen Lorbeeren von Fontenoy, Lawfeld und Hastenbeck, dann ist das natürlich bitterste Ironie. Nirgendwo hat der dicke Cumberland sich Lorbeeren erworben.

Eine einzige Schlacht hat er in seiner militärischen Karriere gewonnen, und die gereicht ihm zur ewigen Schande. Und damit sind wir wieder bei Wilhelm Raabes Text, wo die Rede ist vom Duke of Cumberland, der Metzger Cumberland – butcher Cumberland, wie ihn die Schotten nach seinem einzigen Siegesfelde bei Culloden nannten. Und wie Schottland ihm nachsang: »Mourn, hapless Caledonia, mourn! Dazu sage ich jetzt nichts mehr, weil ich vor einem Jahr etwas darüber ➱geschrieben habe.

William Augustus und Moritz, zwei Karrieren des 18. Jahrhunderts. Der uneheliche Sohn des Kurfürsten von Sachsen und Königs von Polen und der schwedischen Gräfin Aurora von Königsmarck hat in allen Bereichen des Lebens mehr vorzuweisen als der Dicke aus dem Haus Hannover. Ich will jetzt nicht seine Freundschaft mit Voltaire betonen, sein Werk über die Kriegskunst Mes Rêveries, seine militärischen Erfolge. Nein, es gibt etwas ganz anderes, was ihn von William Augustus unterscheidet, und dass ist seine Menschlichkeit gegenüber seinen Soldaten und seinen Feinden. Die Kriegsverbrechen, die Cumberland nach Culloden begeht, wären Moritz nicht in den Sinn gekommen.

Und doch gibt es etwas, was die beiden verbindet. Ein Stoff, aus dem Sir Walter Scott etwas hätte machen können. Oder Alexandre Dumas. Es ist ein historischer Krimi, eine Bluttat, die vor beider Leben stattfand. Manche meiner Leser ahnen schon, worauf ich jetzt hinaus will. Weil ich den einen Teil der ➱Geschichte im letzten Jahr schon einmal erzählt habe. Wahrscheinlich ist es dem Marschall von Frankreich ein besonderes Vergnügen gewesen, den Herzog von Cumberland auf dem Schlachtfeld zu besiegen, weil er wußte, dass dessen Opa seinen Onkel hatte ermorden lassen. Wenn das kein Stoff für einen Krimi ist.

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