Samstag, 30. Juli 2011

Thomas Gray


Wir machen mal eben mit englischer Lyrik weiter. Ist aber heute nicht so witzig wie gestern. Der englische Dichter Thomas Gray starb heute vor 240 Jahren. In der Premier League der englischen Dichter des 18. Jahrhunderts steht er immer auf Platz zwei hinter Alexander Pope. Weil er die Elegy written in a Country Churchyard geschrieben hat. Die Kirche da im Hintergrund auf dem Bild, auf dem Thomas Gray aus einem Fenster guckt, ist die Kirche von Stoke Poges. Auf dem Friedhof soll er die Elegy geschrieben haben, dort liegt er auch begraben, far from the madding crowd's ignoble strife.

Er ist schon mehrfach in diesem Blog vorgekommen, wie zum Beispiel in dem ➱Horace Walpole Post. Das soll aber nicht heißen, dass ich ihn mag. Ich mag ihn eigentlich gar nicht. Wenn Sie alles über Thomas Gray wissen wollen, lesen Sie das hier auf dieser ➱Seite (in dieser Kürze geht es nicht besser) und benutzen Sie das hervorragende ➱Thomas Gray Archiv. Thomas Gray ist keiner von den Dichtern, die jung sterben. Wie Chatterton oder Keats. Er hätte Zeit für ein großes Werk gehabt. Zu seinen Lebzeiten werden mal gerade eben tausend Verse von ihm veröffentlicht. James Thomsons Winter ist so lang, und das ist nur ein Viertel der Seasons. Nein, er schreibt nicht viel. Seine gesammelten Werke könnten mistaken for the works of a flea sein, hat er gefürchtet. Wie recht er hat.

Er will auch gar kein Dichter sein. Er besteht bei dem Druck der Gedichte, dass Mr. Gray auf dem Titelblatt steht. Heute bedeutet dieses Mr. wenig, im 18. Jahrhundert ist man ein Gentleman wenn man ein Mr. vor seinen Namen setzt. Die englischen quality papers haben das noch bis in die jüngste Zeit - also bis sie von Rupert Murdoch gekauft wurden und keine quality papers mehr waren - beibehalten. Popstars, Schauspieler, Sportgrößen und dieser ganze riff raff waren auf der ersten Seite des Observer niemals ein Mr.

Wenn er seine Elegy nicht geschrieben hätte, die der General Wolfe seinen Offizieren angeblich vor der Schlacht von Quebec rezitiert hat (The paths of glory lead but to the grave), er wäre heute weniger berühmt als Mark Akenside. Oder John Dyer, dessen Gedicht ➱Grongar Hill ich origineller finde als vieles von Gray. Ich weiß auch nicht, ob Thomas Gray wirklich originell ist. Er ist auf jeden Fall belesen, er hat sein ganzes Leben studiert - aber kein Studium wirklich zu Ende geführt. Er hat sein ganzes Leben lang gelesen, wie er in einem Brief an seinen Freund Richard West schreibt: I am going into the country for a few weeks, but shall be never the nearer any society; so, if you have any charity, you will continue to write. My life is like Harry the fourth's supper of Hens, "Poulets a la broche, Poulets en Râgout, Poulets en Hâchis, Poulets en Fricasées." Reading here, Reading there; nothing but books with different sauces. Diese Lektüre und diese Bildung färbt natürlich auf seinen Stil ab, und so wird man bei genauerer Betrachtung vieles in seinem Werk finden, das schon so ähnlich bei anderen steht. Etwas Ähnliches hat George Saintsbury gemeint, als er in seiner Geschichte der englischen Literatur 1898 Gray als a man of less original poetical inspiration than Collins bezeichnet. Und der berühmte Dr Johnson war noch härter mit dem armen Gray umgesprungen: Sir, he was dull in company, dull in his closet, dull every where. He was dull in a new way, and that made many people think him GREAT. He was a mechanical poet.

William Shakespeare hatte den Vorteil, dass er nur über small Latin and less Greek verfügte. Das Füllhorn der griechischen und lateinischen Dichtung wird spätestens durch John Milton zu einer Büchse der Pandora für die englische Lyrik. Es ist das, was man so schön poetic diction nennt. Die zweite Zeile in Grays Gedicht auf seinen Freund Richard West zum Beispiel: and reddening Phoebus lifts his golden fire. Kann er nicht einfach sagen, dass die Sonne aufgeht? Kann er nicht. Weil er glaubt, dass dieser Zeitstil mit all seinen Bildungsassoziationen erst Dichtung zu Dichtung macht. Und so reden die Dichter von einer Wollenheerde (wie unser guter Johann Heinrich Voß), wo sie Schafe meinen. Das ist ganz fürchterlich, sagt William Wordsworth eine Generation später: Gray was at the head of those who, by their reasonings, have attempted to widen the space of separation betwixt Prose and Metrical composition, and was more than any other man curiously elaborate in the structure of his own poetic diction. Und er zieht daraus für seine Dichtung Konsequenzen:

There will also be found in these volumes little of what is usually called poetic diction; I have taken as much pains to avoid it as others ordinarily take to produce it; this I have done for the reason already alleged, to bring my language near to the language of men, and further, because the pleasure which I have proposed to myself to impart is of a kind very different from that which is supposed by many persons to be the proper object of poetry.

Und da kann man ihm nur zustimmen. Die ganzen griechischen Götter, die sich in den Gedichtszeilen tummeln, dies verkrampfte Bemühen aller Bausteine der antiken Rhetorik, geht einem ja auf die Dauer irgendwie auf die Nerven. Aber es gibt auch redeeming features bei Thomas Gray. Und das teilt er mit James Thomson, mit William Cowper, mit Akenside und Dyer: sie können das auch lassen. Und können plötzlich die sie umgebende englische Landschaft beschreiben, ohne Phoebus und Nymphen zu bemühen. Und ohne die Muse anzurufen. Wie Thomas Gray am Anfang seiner Elegy:

The curfew tolls the knell of parting day,
The lowing herd wind slowly o'er the lea,
The ploughman homeward plods his weary way,
And leaves the world to darkness and to me.

Now fades the glimmering landscape on the sight,
And all the air a solemn stillness holds,
Save where the beetle wheels his droning flight,
And drowsy tinklings lull the distant folds; 


Na also, geht doch. Ist doch gleich etwas anderes als diese Verse:

But com thou Goddes fair and free,
In Heav'n ycleap'd Euphrosyne,
And by men, heart-easing Mirth,
Whom lovely Venus at a birth
With two sister Graces more [ 15 ]
To Ivy-crowned Bacchus bore;
Or whether (as som Sager sing)
The frolick Wind that breathes the Spring,
Zephir with Aurora playing,
As he met her once a Maying


Das ist John Milton. Ich habe gestern in einem Blog gelesen: I have a confession to make. I hate John Milton. And when I say, I hate John Milton, I don't just mean that I find him actively boring to read--although I do--or that I disagree with his politics, morals, ethics, and philosophy at almost every conceivable point--although I do--or even that I feel he personally would be someone to avoid being trapped in an elevator with, no matter what it took. Danke dafür. Was haben wir nur früher getan, bevor die Welt des Weblogs erfunden wurde?

Grays ➱Elegy ist eins der bekanntesten englischen Gedichte. Es immer wieder nachgedruckt worden, imitiert und parodiert (zum Beispiel ➱hier und ➱hier oder ➱hier) worden. So well liked as to have occasioned many humble imitations of it by the herd of versifying scribblers, schrieb ein Zeitgenosse. Einige Generationen zurück konnten noch viele Engländer es auswendig aufsagen, es bietet sich wegen der Vielzahl seiner Platitüden auch dafür an. Ich weiß immer noch nicht, ob es wirklich große Lyrik ist. Oder ob es nur eine geschickte Mixtur von Elementen des Klassizismus, Empfindsamkeit, ➱graveyard poetry und beginnender Vorromantik ist. Gray's Elegy pleased instantly, and eternally. His Odes did not, nor yet do they, please like his Elegy, hat Lord Byron über Gray gesagt. Vielleicht reicht das auch aus. Vor allem, weil Thomas Gray ja nie ein Dichter sein wollte.

1 Kommentar:

  1. Schauspieler sind also "riff raff". Was für ein amüsanter Hauch von Arroganz. Sehr lesenswert, wie üblich.

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