Freitag, 19. August 2011

Gustave Caillebotte


Wer kennt Herrn Caillebotte? Woher kommt er und wo erhielt er seine Ausbildung? fragte 1876 der Kritiker Maurice Chaumelin. Und er sagt auch: ich bin sicher, dass er früher oder später seinen Platz neben den Großen einnimmt. Heute erscheint uns das auch so, Gustave Caillebotte hat gerade Konjunktur, wird vermarktet wie Edward Hopper (mit dem er ja manches gemeinsam hat). Es gibt Poster und Postkarten seiner Gemälde. Man kann sogar einen Taschenschirm kaufen, auf dem eine Straßenszene von Paris im Regen abgebildet ist. Das Bild aus dem Jahre 1877, hier auf einer Photographie von Thomas Struth, kennen wir inzwischen alle.

Viele der Künstler des Impressionismus wussten im Gegensatz zu Maurice Chaumelin, wer der Monsieur Caillebotte war. Der malte zwar Bilder, aber er besaß auch ein großes Vermögen. Kaufte ihre Bilder, unterstützte sie. Monet zahlt er die Miete für dessen Studio in Paris. Mit dem Kaufen von Bildern der Impressionisten hat er 1875 angefangen, da hatte er gerade das väterliche Vermögen geerbt. Und sein erstes beim Salon eingereichtes Bild (oben) war abgelehnt worden. Man findet diesen Realismus schrecklich. Sogar Zola, der es ja sonst mit dem Realismus hat, lehnt das bourgeoise Gemälde auf Grund seiner Genauigkeit ab: Cependant c'est une peinture anti-artistique, une peinture bourgeoise, en raison de la précision de la copie. La photographie de la realité qui n'est par marquée du sceau original du talent du peintre - c'est une piètre chose. Der Bourgeois Caillebotte hat keine Botschaft. Wenn Courbet, Millet oder van Gogh Bauern oder Arbeiter malen, haben sie eine soziale Botschaft. Caillebotte will nur realistisch eine Szene wiedergeben. Und die Sonne anhalten, um das Licht einzufangen. Eigentlich hat er hundert Jahre vor dem Photorealismus diese Richtung der Kunst erfunden. Hat ihm nur niemand gesagt.

Obgleich Zola mit dieser Formulierung La photographie de la realité schon in die richtige Richtung denkt. Er hat in Briefen vom Mai 1876 diesen letzten Satz immer wieder variiert: La photographie de la réalité, lorsqu'elle n'est pas rehaussée par l'empreinte originale du talent artistique, est une chose pitoyable. Wenn man die Wirklichkeit realistisch malt, muss man ihr seinen eigenen Stempel aufdrücken, sonst ist man kein Künstler. Es ist eine interessante Position. Ein Jahr später hat Zola seine Haltung gegenüber Caillebotte geändert und hält ihn für einen bedeutenden Maler: Enfin, je nommerai M. Caillebotte, un jeune peintre du plus beau courage et qui ne recule pas devant les sujets modernes grandeur nature. Sa Rue de Paris par un temps de pluie montre des passants, surtout un monsieur et une dame au premier plan qui sont d'une belle vérité. Lorsque son talent se sera un peu assoupli encore, M.Caillebotte sera certainement un des plus hardis du groupe. Fragen Sie mich jetzt nicht, woher der Sinneswandel kommt.

Caillebotte ist in dieser Zeit nicht der einzige, der so hyper-realistisch malt. James Tissot (links), immer zwischen Kitsch und Großartigkeit oszillierend, malt manchmal ähnlich. Und wir sollten uns auch ins Gedächtnis rufen, dass Caillebottes Bruder Martial Photograph ist. Und auch Caillebotte selbst ein Photoamateur ist. Und von der Photographie her kommen sicherlich auch die ungewöhnlichen Perspektiven von Caillebottes Bildern, das ungewohnte Abschneiden der Bildränder (auf der regnerischen Straße von Paris fehlen die Füße des Paares unter dem Schirm) und eine Sehweise, die einem Teleobjektiv ähnelt. Vieles von diesen Elementen finden wir bei Edward Hopper wieder. Klicken Sie doch mal eben das ➱American Village von ➱Hopper an: das ist geradezu eine Caillebottesche Sehweise! Die Originalität der ungewohnten Perspektiven finden wir hauptsächlich bei Caillebottes Stadtansichten des neuen Paris, also des Paris, das der ➱Baron Haussmann neu erschaffen hat. Le vieux Paris n'est plus, dichtete Baudelaire in Le cygneParis change! mais rien dans ma mélancolie N'a bougé! palais neufs, échafaudages, blocs,  Vieux faubourgs, tout pour moi devient allégorie  Et mes chers souvenirs sont plus lourds que des rocs. Die neue Stadt erfordert offensichtlich eine neue Sehweise. Das Land nicht. Wenn Caillebotte Landschaften malt draußen vor den Toren von Paris malt (was er irgendwann tut), sind die relativ konventionell.

Warum hat man ihn vergessen? Es ist ja nicht so, dass die Pariser Presse in den 1870er Jahren nicht über ihn berichtet hätte. Man hat ihn nach seinem frühen Tod immer nur als Mäzen und Wegbereiter der Impressionisten dargestellt, dass er selbst einer von ihnen war, wurde nicht mehr erwähnt. Sechs Jahre, nachdem er zum ersten Mal im Salon ausgestellt hatte, hat er keine Bilder mehr ausgestellt. Er hat wohl noch gemalt, aber sein Herz hing nicht mehr an der Malerei. Seine Freunde, die er finanziell und als Organisator von Ausstellungen gefördert hatte, waren untereinander zerstritten. Caillebotte zieht sich aus der Welt der Pariser Kunst zurück.

1876, als sein erstes Bild öffentlich ausgestellt wird, hat er zu segeln begonnen. Zuerst auf der Seine, später an der Küste der Normandie. Da wo ➱Eugène Boudin seine Strandbilder malt. 1882, als er aufhört, seine Bilder in Ausstellungen zu schicken, beginnt er mit dem Bau von Segelbooten. Das ist eine erstaunliche Wendung in einem ungewöhnlichen Leben. Im Gegensatz zu den anderen Malern seiner Zeit war er nie auf den Verkauf seiner Bilder angewiesen. Seine Bilder bleiben über mehr als ein halbes Jahrhundert im Privatbesitz - und werden deshalb einer größeren Öffentlichkeit nicht bekannt.

Die Caillebotte Renaissance beginnt wahrscheinlich in Amerika. Das Geschenk von Rue de Paris, temps de pluie aus der Charles H. und Mary F. S. Worcester Collection an das Art Institute of Chicago im Jahre 1964 bewirkt ein großes Interesse an dem bis dahin unbekannten französischen Maler. Und zehn Jahre später setzt der Ausstellungskatalog des Museum of Fine Art in Houston (Gustave Caillebotte: A Retrospective Exhibition) die Maßstäbe dafür, wie eine Gustave Caillebotte Ausstellung und ein Caillebotte Katalog aussehen sollen. Hinter der Ausstellung stand als treibende Kraft der junge Professor J. Kirk T. Varnedoe. Von ihm gibt es auch ein schönes Buch über Caillebotte, das bei der Yale University Press erschienen ist. Varnedoe, der den berühmten Adam Gopnik zu seinen Studenten zählen konnte, ist leider sehr früh gestorben. Er ist aber nicht vergessen, dafür hat sein Schüler und Freund Adam ➱Gopnik gesorgt.

Sehr schön und originell ist auch Pierre Wittmers Buch über Caillebottes Landsitz in Yerres, Caillebotte and his Garden in Yerres (Abrams 1991). Natürlich ist das Buch zuerst in Paris erschienen, aber da ich die englische Übersetzung geschenkt bekommen (und natürlich gelesen) habe, zitiere ich mal die. Es gibt von Pierre Wittmer auch ein charmantes kleines Kinderbuch (My Summer in Caillebotte's Garden) über den ➱Landsitz in Yerres, den Caillebotte und sein Bruder nach dem Tod der Mutter verkauften. Aber Caillebotte gibt das Landleben nicht auf und kauft sich einen Landsitz in Petit Gennevilliers an der Seine. Da, wo Monet dieses ➱Segelboot gemalt hat. Und Berthe Morisot das schöne ➱gelbe Weizenfeld.

Der Katalog von Houston, das Buch von Pierre Wittmer und die Bücher von Kirk Varnedoe sind heute leider vergriffen, aber es gibt seit 2009 eine deutschsprachige Monographie, Katrin Sagners Gustave Caillebotte: Neue Perspektiven des Impressionismus (Hirmer 2009). 200 Seiten, großformatig und reich illustriert. Bereits bestehende Erkenntnisse zu Caillebottes Stadtbildern werden damit entweder ignoriert oder nicht angemessen zitiert. Aus der fehlenden Berücksichtigung der aktuellen kunsthistorischen Forschung resultiert, dass dieser Band wissenschaftlich betrachtet für den informierten Leser wenig Neues enthält und mit seinen zahlreichen Farbabbildungen eher als Überblickswerk für die breite Öffentlichkeit geeignet ist, nörgelt stutenbissig die Rezensentin ➱Barbara Palmbach (die über Paris und den Impressionismus promoviert hat). Ja, schön, das Buch kommt auch nicht an den Katalog von Houston heran, aber die breite Öffentlichkeit wird Katrin Sagner sicherlich für das Buch dankbar sein. Wer keine 69 Euro für das Buch ausgeben will, kann sich ➱hier die Bilder von Caillebotte anschauen.

Sein erstes Testament hat Gustave Caillebotte (der heute vor 163 Jahren geboren wurde) 1876 gemacht, als sein Bruder René im Alter von 25 Jahren gestorben war. In diesem Testament bestimmt er eine große Summe dafür, dass die Impressionisten ihre nächste Jahresschau abhalten können. In seinem endgültigen Testament hat er seine Sammlung der Impressionisten dem Staat vermacht. Der sie nur zögernd und auch nur zum Teil angenommen hat, heute würden sich die Pariser Museen die Finger danach lecken.

1 Kommentar:

  1. Caillebotte's Bilder kommen mir immer dann in den Sinn, wenn ich Zola lese. Und selbst bei Proust ertappe ich mich dabei, wie ich Swann durch die von ihm gemalte Stadt laufen lasse.

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