Samstag, 3. September 2011

Eugène de Beauharnais


Als ich sah, dass Napoleons Stiefsohn Eugène de Beauharnais heute vor 230 Jahren geboren wurde, da dachte ich mir, dass ich unbedingt über ihn schreiben müsste. Interessanter Mann. Und ich hatte vor Jahren diese dicke Biographie über ihn gelesen, von einem Bayernprinzen, sozusagen einem Verwandten. Aber dann stand die nicht im Regal, in der Ecke, wo die ganze Napoleon Literatur steht. Bis mir einfiel, dass ich die Biographie mal in die zweite Reihe verbannt hatte. Weil sie ein klein wenig langweilig war. Die anglo-amerikanischen Historiker, Leute wie Christopher Hibbert oder Simon Schama, hätten mehr daraus gemacht. Dennoch ist Adalbert Prinz von Bayerns Buch Eugen Beauharnais: Der Stiefsohn Napoleons (Berlin: Propyläen, 1940) wohl das inhaltsreichste Buch über Beauharnais, der in Bayern zu seinen vielen Titeln den eines Herzogs von Leuchtenberg bekommen hatte. Denn der in Paris geborene Beauharnais ist ja ein richtiger Bayer geworden. Nachdem er (gerade von Napoleon adoptiert) auf Anweisung Napoleons die 17-jährige Prinzessin Auguste Amalie von Bayern geheiratet hatte. Aus dieser Hochzeit aus Staatsraison ist erstaunlicherweise eine lebenslange Liebesgeschichte geworden. Das allein rechtfertigt doch schon ein Buch über ihn. Adalbert von Bayerns Buch lässt sich übrigens (meist in der zweiten Auflage von 1950) heute noch antiquarisch finden.

Nachdem ich nun die dunkelbraune Leinenausgabe mit dem Goldwapperl vorne drauf aus der Verbannung der zweiten Reihe geholt hatte und kurz davor war, die highlights daraus zum besten zu geben, dachte ich mir, ich sollte vielleicht noch etwas weiter forschen. Ich weiß nicht mehr, was mich bewogen hat, gleichzeitig nach Fontane (den Bayern ja eigentlich nicht interessiert) und Beauharnais zu suchen, aber dabei stieß ich auf etwas Erstaunliches. Zwei Gedichte von Fontane auf den Herzog von Leuchtenberg. Gefunden und veröffentlicht von dem berühmte Fontane-Forscher Helmuth Nürnberger.

Der Grand Old Man der (west-) deutschen Fontane Forschung Helmuth Nürnberger hatte 1997 (30 Jahre nach seinem großen Buch Der frühe Fontane und der kleinen Rowohlt Monographie von 1968) mit Fontanes Welt eine große Fontane Biographie vorgelegt. 830 Seiten, mit Illustrationen. Nicht dass es bei uns einen Mangel an zuverlässigen und lesbaren Biographien gegeben hätte: wir haben Hans-Heinrich Reuters zweibändige Biographie (die sich eher an den Literaturwissenschaftler wendet), Heinz Ohffs Biographie (die ideal für den nicht so wissenschaftlich interessierten Leser ist) und Wolfgang Hädeckes Biographie aus dem Jahre 1998. Und es gibt auch noch Gordon A. Craigs Buch Über Fontane, das Fontane in das politische Umfeld des 19. Jahrhunderts einordnet. Hädecke ist genau so wie Nürnberger einhundert Jahre nach dem Tode des Dichters erschienen, aber ohne die Leistung Hädeckes schmälern zu wollen (seine Heine-Biographie ist unübertroffen), erscheint mir Nürnbergers Buch das bessere.

Nürnbergers Fontanes Welt steht am Ende einer lebenslangen Beschäftigung mit Fontane. Der Autor ist Professor für Literaturwissenschaft gewesen, aber er will jetzt keine "wissenschaftliche" Biographie schreiben. Aber durchaus eine wissenschaftlich verantwortete Darstellung anstreben, wobei er einsieht - und das sieht der Leser gerne - ganz ohne nachschaffende narrative Phantasie geht es in einer Lebenserzählung ohnehin nicht ab. Befreit von überbordenden Anmerkungen (aber doch mit einem knapp gefassten wissenschaftlichen Apparat) gelingt Nürnberger die Quadratur des Kreises, gleichzeitig den wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht zu werden und eine wunderbar lesbare Erzählung des Lebens von Theodor Fontane zu schreiben. Ich musste diese kleine Laudatio auf Nürnberger hier mal eben einschieben, es gibt keinen Wikipedia Artikel für diesen verdienten Gelehrten.

Nürnbergers Aufsatz Erst die Fremde lehrt uns, was wir an der Heimat besitzen: Fontanes unbekannte bayerische Balladen - ein unverhoffter Fund im Preußenjahr, zuerst in den Fontane Blättern 2001 veröffentlicht, gibt auch einen schönen Eindruck vom Stil des Verfassers, auf den Fontanes Stil schon gehörig abgefärbt hat. Und er gibt uns natürlich die beiden Beauharnais-Balladen:

Eugen von Leuchtenberg

1. Wie Eugène nach Moskau kam

Ein freier Geist, im Wandel treu,
Fortunas Diplomat,
Beweglich zwischen Alt und Neu,
Ein Hofmann und Soldat,
Klug, doch an Mut den Bravsten gleich,
Flexibel, aber zäh -
Den Leuchtenberger rühm' ich Euch,
Eugène de Beauharnais.

Der Vater, Graf und General,
Küßt' einst die Guillotin';
Vor Mainz den Rückzug er befahl,
Das ward ihm nicht verziehn.
Die Witwe blieb nicht lang allein
Im prächtigen Palais -
Da sah das Kind die Mutter frei'n,
Der junge Beauharnais.

Der fremde Mann, der Bonapart,
Macht kühn und smart Karriere,
Den Stiefsohn fand er recht apart,
Und schon nach kurzer Lehre
Stieg der als Vizekönig ein,
Ein Star der Hautevollee,
Ließ sich's in Mailand bene sein,
Der schöne Beauharnais.

In München, in der Residenz,
Begehrte er die Braut.
Da gab es keine Abstinenz,
Sie ward ihm anvertraut.
Wenn er auch manchen Tort erfuhr,
Genealogenschmäh -
Er war geadelt von Natur,
Der kecke Beauharnais.

Man braucht für einen Königsthron
Nur Samt und etwas Holz.
In Warschau gab's genug davon
Für seines Gustchens Stolz.
Er zog des Kaisers Nähe vor -
Berichtet uns Darnay -,
Nach Moskau führte er sein Korps,
Der tapfre Beauharnais.

2. Wie Eugen nach Eichstädt kam

Napoleon retirierte,
Mit ihm fuhr Caulaincourt,
Murat prompt echappierte,
Standhaft blieb Eugène nur.
Im Schein des Monte Rosa
Und Rußlands tiefem Schnee,
Er war kein Mann der Prosa,
Le Prince de Beauharnais.

Da kam ein Herr Thurn-Taxis,
Der wußte schlauen Rat,
Und bot nach alter Praxis
Belohnung für Verrat -
Doch Eugène, gar nicht zögerlich,
Faßt kühl ans Portepee,
Schickt ihn retour zu Metternich
Und wahrt sein Renommee.

Bei Leipzig und bei Belle-Alliance
Zerbrach des Korsen Glück.
Postwendend fordert' Kaiser Franz
Die Lombardei zurück.
Nun ward Eugen - oh Leser, merk! -
Ein Bayer, tout à fait,
Zu Eichstädt, Duc de Leuchtenberg
Weiß-blau, der Beauharnais.

Am Ostseestrand, ich war ein Kind,
Hat man von ihm erzählt.
Ich merkt' es mir, hab ihn geschwind
Zum Liebling mir erwählt.
Ein nobler Sinn prägt uns Fontans,
Fehlt's gleich am Portemonnaie,
Wir träumen von den Lusignans,
Vom Charme des Beauharnais.

Wünscht man den Ehrgeiz schmächtiger
Und unverrückt das Handeln?
Auch Treue ist ein täglich Werk
Und muß spontan sich wandeln.
Das Leben ist doch mächtiger
Als jegliche Idee:
Das lehrt der Duc de Leuchtenberg,
Eugen von Beauharnais.

Was Fontane in der vorletzten Strophe von Wie Eugen nach Eichstädt kam eingesteht, finde ich richtig rührend. Aber es ist wohl wahr, die hugenottischen Fontanes erträumen sich ihre Wunschverwandten jenseits des Rheins. Fontanes Vater (der übrigens nie in Frankreich war) ist, und das färbt auf den Sohn ab, eine wandelnde Enzyklopädie von Anekdoten aus napoleonischer Zeit. Wo er alles herhatte, ist mir rätselhaft, sagt Fontane. Und wenn es den Fontanes mit dem noblen Sinn gleich am Portemonnaie fehlt, an Vorstellungskraft für imaginäre Familienstammbäume fehlt es ihnen nicht. So schreibt Fontane in Meine Kinderjahre:

Daß mein Vater solche Phantasiebeziehungen pflegte, durfte nicht wundernehmen; er war, wie schon oben kurz angedeutet, durch sein ganzes Leben hin der Typus eines humoristischen Visionärs und erging sich gern in mitunter grotesken Ausmalungen, über die er dann auch wieder zu lachen verstand. Aber daß meine ganz auf Verständigkeit und beinah Nüchternheit gestellte Mutter ihm in allem, was altfranzösische Verwandtschaft anging, nicht bloß nacheiferte, sondern ihn darin womöglich noch übertrumpfte, das durfte füglich überraschen. Es war das einer jener halb rätselhaften Widersprüche, wie sie sich in jeder Menschennatur vorfinden. Indessen, worin immer auch der Grund gesucht und gefunden werden möge, Tatsache bleibt es, daß sich meine Mutter – die, wenn dies Thema zur Verhandlung kam, selbst den sonst so gefeierten »Onkel Mumme« fallen ließ – für ganz nahe verwandt mit dem Kardinal Fesch hielt, der bis zur Wiederherstellung des bourbonischen Königstums Erzbischof von Lyon war. Kardinal Fesch, geboren zu Ajaccio und erst 1839 in Rom gestorben, war der Stiefbruder der Lätitia Bonaparte, also nicht mehr und nicht weniger als der Onkel Napoleons, durch dessen Beistand er denn auch seine große Laufbahn machte. Mit Hilfe welcher Überlieferung es meiner Mutter gelungen war, diese vornehme Verwandtschaft festzustellen, habe ich nie in Erfahrung gebracht; ich weiß nur, daß es ein Schauspiel für Götter war, wenn wir, selbst noch in späteren Lebensjahren, beide Eltern, wie auf den meisten andern Gebieten, so auch auf diesem, sich mehr oder weniger ernsthaft befehden sahen, gewöhnlich unter voraufgehender Feststellung der Rangverhältnisse zwischen einem Großmeister der Universität und einem Kardinal-Erzbischof. Daß wir Kinder dem allem sehr kritisch gegenüberstanden, braucht nicht erst versichert zu werden.

Ich fürchte, dass die Geschichte mit der Verwandtschaft mit Kardinal Fesch - der Joséphine Beauharnais und Napoleon getraut hat - auch nicht so ganz wahr ist. Sonst wäre der Dichter den Beauharnais ja noch näher gewesen. Fontane, der die Phantasiespiele der Eltern mit dem nüchternen Satz Daß wir Kinder dem allem sehr kritisch gegenüberstanden, braucht nicht erst versichert zu werden abschließt, hat bei den beiden Gelegenheitsgedichten auch eine kleine Moral parat: Das Leben ist doch mächtiger als jegliche Idee. Dafür lieben wir ihn, auch wenn er einmal bemerkte: der Franzose, je älter ich werde, kommt immer mehr heraus. 

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