Montag, 3. Oktober 2011

Ode an Berlin


Berlin. Eine Stadt mit vielen Gesichtern. Berlin ist gar keine Stadt, sondern Berlin gibt bloß den Ort dazu her, wo sich eine Menge Menschen, und zwar darunter viele Menschen von Geist, versammeln, denen der Ort ganz gleichgültig ist; diese bilden das geistige Berlin, hat Heinrich Heine gesagt. Das Berlin von Theodor Fontane und Ludwig Pietsch ist ein anderes Berlin als das von dem Österreicher aus Braunau am Inn. Das Berlin, das Werner Hegemann in Das steinerne Berlin: Geschichte der größten Mietskasernenstadt der Welt geißelte, ist ein anderes Berlin als das nach 1945 mühsam durch Subventionen am Leben gehaltene Berlin. Steglitzer Kreisel und all diese Skandale. Das Berlin von Texas-Willi ist ein anderes Berlin als das von Angela Merkel. Diese Spezies Mensch, die man Bundespolitiker nennt, ist in Berlin immer noch ein Fremdkörper. Letztens sagte Wolfgang Schäuble über die Abgeordneten: aber die meisten leben hier sehr viel intensiver mit und in der Stadt, sie bleiben auch mal übers Wochenende und nehmen am äußerst vielfältigen kulturellen Leben der Stadt teil. Den Mittelteil finde ich toll: sie bleiben auch mal übers Wochenende. Wenn Politiker lange genug reden, entlarven sie sich in all ihrer Dürftigkeit. Da wollen wir denn mal hoffen, dass sie noch einen Koffer in Berlin haben und ihr Büro nicht wie bei Esther Silvana Koch-Mehrin einer Briefkastenfirma ähnelt.

Nein, lassen wir diese Bofkes wie Pofalla mal draußen vor, irgendwo gibt es noch die Reste von einem alten Berlin. Diesen Hauch von Zilles Milljöh. Auch wenn es bei Aschinger schon lange keine Brötchen mehr umsonst zur Bockwurst gibt. Aber wenn man sich die liebevoll gemachten Bücher von Harry Balkow-Gölitzer et.al. (wie zum Beispiele Eine noble Adresse: Prominente in Berlin-Dahlem und ihre Geschichten) anschaut, kann man noch ein altes Berlin entdecken. Wo sich ein halbes oder gar ein ganzes Jahrhundert so gut wie nichts verändert hat. Ich finde das sehr rührend, wenn man manche Orte der Jugend nach Jahrzehnten beinahe unverändert wiederfindet.

Ich möchte Sie heute am Tag der Einheit (der in der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn gefeiert wird) einmal mit dem Chanson Ode an Berlin von Walter Mehring in eine andere Zeit entführen. In die Zeit von Berlin Alexanderplatz, in das Berlin von Menschen am Sonntag. Walter Mehring liebte sein Berlin. Mode is et heute, det die meisten Leute schimpfen uff det ‚Babale an der Spree‘. Dieset Wujekeife, det ich nich bejreife, duht mir in de tiefste Seele weh. Hat ooch seine Reize – wat ick ohne Neid seh – München, Frangfurt, ‚Dräsen‘ und Polzin: det war wirklich klassig, wat patent un rassig, Mensch! det jiebt et doch bloß in Berlin! schrieb er um 1900. Dreiunddreißig Jahre klingt das ein wenig anders, da war der Autor Walter Mehring schon im Exil, aus de Innung ausjeschlossen.

Manchmal berliner ick aus'n Traume. 
Und sooo'ne Träne kullert mir auf's Schemisett. 
Ick höre ümmassu: 'Nu sind wa frei im deutschen Raume!' - 
Nee, Emil, nich det ick dir flaume: 
Emil, angtre nanu: jloobst'n det?
Ihr Spreeathener, rauh, mit defter Plauze,
Wir kenn'n uns doch - mir kommt ihr doch nich doof.
Der helle Deez - die wunderkesse Schnauze -
Der vierte Hinterhof mit Feez und Schwoof -
Die jriene Minna - und die Mutta Jrien -
Und sonntachs nach de Müggelberje peesen,
Mir wollt awas assähln von fremde Wesen?
Mir nich, Berlin!
Mir nich, Berlin!
Ick war doch ümma mang Euch mang mit Herz und Breejen!
Det is der Dank -
is das der Dank?
Von wejen!
Ihr duften Pankejöhrn - Ihr frechen Bollen!
Wir jing'n uns doch ins jleiche Freibad aal'n!
"Een Kissken, Schatz!"- "Herr Oba, noch sswee Mollen!" -
Der Mond da drob'n- der konnte uns wat mal'n!
Det war doch so - wir hatten doch wat los
Wenn wir zwee in de Lausekiste pennten.
Mir willste sahr'n von fremden Elementen?
Nee sach ma bloß!
Nee sach ma bloß!
War ick nich ümma mang Dir mang mit Herz und Breejen?
Det is der Dank -
is das der Dank?
Von wejen !
Ihr Bowkes - und ihr "Blauen Abführmittel!"
jetzt bin ick Neese, wenn's nach Treptow jeht? -
Nu brüllt ihr "Heil!" - und looft im braunen Kittel?
Wat denn? - Da hat woll eener dran jedreht?
Ick weeß doch, wo de Ferdeäppel blieh'n -
Ick stand doch Du und Du mit jedem Zossen,
Mir habt Ihr aus de Innung ausjeschlossen?
Sach ma, Berlin,
Schämste Dir nich?
Ick bleibe mang Dir mang mit Schnauze, Herz und Brejen!
Wat is dein Dank -
das is dein Dank?
Von wejen !!!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen