Dienstag, 11. Oktober 2011

Wildlederschuhe


Jetzt ist es wirklich Herbst, man kann es nicht mehr leugnen. Ich merke es auch daran, dass ich in den letzten Wochen mehrfach Wildlederschuhe getragen habe. Braune Wildlederschuhe trage ich nur im Herbst, ich käme niemals auf die Idee, braune Wildlederschuhe im Frühling oder im Sommer zu tragen. Doch amerikanische Moderatgeber sagen ihren unsicheren Lesern immer wieder, dass braune Wildlederschuhe zu Zweireihern de rigueur sind. Habe ich einmal gemacht, bin mir dabei aber ziemlich blöd vorgekommen.

Die Sache geht natürlich wieder einmal auf den Prince of Wales zurück, der 1924 im Long Island Meadowbrook Country Club tan suede shoes zu einem Flanellanzug getragen hat. Shocking. Aber jemand aus der Entourage des Prinzen versicherte einem empörten Amerikaner, dass dies kein Fauxpas des Prinzen sei: It would be wrong if it were a mistake. But he knows better, so it's all right. Und auf diese Versicherung hin gilt es in Amerika fortan als der Höhepunkt der Mode, braune Wildlederschuhe zu Flanellanzügen zu tragen. Bis dahin galt das als prollig, Wie sich doch die Maßstäbe ändern, nur weil ein arbeitsloser, klamottenverrückter Prinz mit den goldenen Regeln des Geschmacks spielt!

Braune Schuhe dringen in den zwanziger Jahren langsam in die Herrenkleidung ein, wobei es immer wieder warnende Stimmen gibt, dass man die niemals mit blauen Anzügen kombinieren darf. Man muss dabei berücksichtigen, dass die braunen Schuhe der zwanziger Jahre nicht die eleganten braunen Schuhe der gut gekleideten Herren im heutigen Mailand sind, die immer dunkelbraune Schuhe zum blauen Anzug tragen. Nein, das ist ein fieses Braun, das gegen Gelb geht und an die yellow perils in der Geschichte The Story of Cedric von P.G. Wodehouse erinnert. Und da wir gerade bei unantastbaren Regeln sind, der Satz no brown after six heißt nicht, dass Sie um 18 Uhr die braunen Schuhe ausziehen müssen. Er bedeutet lediglich, dass Sie zu offiziellen Abendeinladungen mit Gesellschaftskleidung keine braunen Schuhe tragen sollten. Auch keine Wildlederschuhe.

Denn ansonsten sind braune Schuhe eigentlich immer O.K., sogar die Protokollchefs der englischen Königin fühlten sich vor einigen Jahren bemüßigt, diesen Satz auf Einladungen zum Nachmittagstee bei der Queen zu schreiben. Die zehn ultimativen Regeln sind vor kurzem im Forum des Stilmagazins von Des Esseintes aufgestellt worden: Meine Herren, die unverbesserlichen Schwarzträger unter Ihnen kennen offenbar noch nicht die berühmten zehn Stufen zum iGentry-Schuhnirvana:

1. Braune Schuhe tragen
2. Braune Wildlederschuhe tragen
3. Ausschließlich braune Schuhe tragen
4. Ausschließlich braune Wildlederschuhe tragen
5. Braune Wildleder-Doppelmonks tragen
6. Braune Bespoke-Wildleder-Doppelmonks tragen
7. Braune Bespoke-Doppelmonks aus dem Zwerchfell einer ausgestorbenen polynesischen Makakenart tragen, welches aus Gründen des Understatement für den uneingeweihten Laien exakt so aussieht wie... gemeines Wildleder natürlich
8. wie 7., Leder stammt aus einem kürzlich gehobenen portugiesischen Wrack (gesunken 1592, somit vieeeeeel älter als das popelige russische Zeugs bei Cleverley et al)
9. wie 8., Schuhe angefertigt von dem legendären Mystery Bespoke Shoemaker, der in den Pariser Katakomben sein Atelier hat und von dem hinter vorgehaltener Hand behauptet wird, er sei die Reinkarnation von Nikolaus Tuczek
10. wie 9., aber angesichts des mittlerweile erreichten Erleuchtungszustandes nicht laufen sondern schweben, damit die bevelled waist, auf die selbst Guarneri neidisch wäre, für alle sichtbar wird.

Dem ist nun nichts mehr hinzuzufügen, witzig und geistvoll. Die braunen Wildlederschuhe, die der Prince of Wales in Amerika heimisch gemacht hat, sind nicht seine eigene Idee. Sie kommen (wie gleichzeitig die Rollkragenpullover) aus Oxford. David, der Prince of Wales, der Jahre später Edward VIII sein wird, wird neuerdings in einer Vielzahl von Style- und Modeblogs zu dem größten Style Guru des 20. Jahrhunderts erklärt. Wir sollten dabei aber einmal daran denken, dass er dumm wie Bohnenstroh ist. Bertie Wooster, den sein Butler Jeeves als mentally negligible bezeichnet, ist wahrscheinlich intelligenter als David. Der ist sicherlich ein armes Schwein, ein Produkt einer Hölle von Erziehung, der in seiner verzweifelten Hinwendung zur Herrenmode seine Form des Protestes sieht, um gegen den Vater zu rebellieren.

Die großen Dandies wie George Brummell, Fürst Pückler, Graf Robert Montesquiou-Fézensac oder Oscar Wilde besaßen neben ihrer Liebe zur vestimentären Selbstdarstellung auch noch ein wenig Geist und Intelligenz. Den natürlich all diese neuen jungen Leute in Oxford oder Cambridge - die wir die Brideshead Generation nennen können - besitzen, der arme Prince of Wales auf keinen Fall. Betrachten wir einen Augenblick den 21-jährigen Adelsspross Stephen Tennant auf diesem Photo von Cecil Beaton. Der Zweireiher (das gleiche Teil, das auch die königliche Kleiderpuppe propagiert) ist wahrscheinlich von Anderson & Sheppard, die Lederjacke ist eine von einem Schneider angefertigte Replik einer Pilotenjacke des Ersten Weltkriegs. Mit Chinchillakragen, was für eine Inszenierung!

Einer anderer aus dieser Generation, der Dichter Brian Howard, findet es in einem Brief an den Maler William Acton sehr vulgär, dass der Prince of Wales jetzt die Kleidung des kleinen Zirkels der Bright Young Things popularisiert. William Acton trägt zu seinen Wildlederschuhen einen flaschengrünen Anzug von Frederick Scholte (der auch der Schneider des Prince of Wales ist), ein himbeerfarbenes crêpe de Chine Hemd und einen Querbinder. Brian Howard taucht in Evelyn Waughs Roman Brideshead Revisited als Anthony Blanche auf: ... He had on a smooth chocolate-brown suit with loud white stripes, suède shoes, a large bow-tie and he drew off yellow wash-leather gloves as he came into the room. Wildlederschuhe werden also jetzt von einer kleinen ästhetischen Oxbridge Elite und der Bohème von Bloomington getragen. Jeder von ihnen ein kleiner genius manqué, jeder ein Verwandter von Lord Sebastian Flyte, ein Geistesverwandter von Oscar Wilde oder Ronald Firbank. Wenn Sie einmal den Wikipedia Artikel zu Brian Howard lesen, wissen Sie, worum es geht. Brian Howard hatte übrigens bei seinem Selbstmord Wagners Liebestod aus der Oper Tristan und Isolde aufgelegt. Wahrscheinlich trug er dazu auch Wildlederschuhe von Nikolaus Tuczek oder George Cleverley.

Philip Hoare hat die Renaissance der ➱englischen Dandies der zwanziger und dreißiger Jahre im Neo Edwardian Style süffisant ironisch folgendermaßen beschrieben: the New Edwardians, as they became known, evoked the same golden age in which Tennant, Beaton and Visconti had grown up, the era of the last dandies, of Saki and of Sitwell's eloquent memoirs (which would themselves appear in 1948). Where the Waffen SS wore silver skulls on their lapels, they sported coats with black velvet collars - originally a macabre tribute to the aristocrat victims of the guillotine during the French Revolution (and thus a kinship with the avant garde incroyables and merveilleuses dandies of the Directoire). With their narrow calvary twill trousers, and - the real mark of a bounder - suede shoes, theirs was a statement against the utilitarian restrictions of wartime, its utility suits and ubiquitous khaki.

Ich sollte vielleicht hinzufügen, dass Philip Hoare (der gerade den Samuel Johnson Prize gewonnen hat) eine sehr seriöse Biographie über Stephen Tennant (Serious Pleasures: The Life of Stephen Tennant) verfasst hat. Und dass das Slang Wörterbuch von Eric Partridge das Wort bounder folgendermaßen definiert: A vulgar though usually well dressed man, an unwelcome pretender to Society, a vulgarly irrepressible person within Society. Diese Assoziation bounder wird der Wildlederschuh nie so richtig los. Zumal er in den fünfziger Jahren als Modeartikel noch eine Specksohle und den Beinamen brothel creepers bekommt.

Es gibt aber gleichzeitig nach dem Krieg eine Sorte Wildlederschuh, bei dem die Gedanken an die Bohème nicht aufkommt, obgleich er auch von der neuen Bohème getragen wird. Der desert boot, den die Firma Clarks nach dem Krieg auf den Markt bringt, ist eine einzigartige Erfolgsstory. Ich hatte Ende der fünfziger Jahre ein Paar in Dunkelgrün. Niemand außer mir hatte ein Paar dunkelgrüner Clarks. Konnte man mit Jeans tragen, aber genau so mit Flanellhosen oder Cordhosen. Gingen beinahe nie kaputt. Clarks hat das Modell (natürlich nicht in grün) heute immer noch im Programm, die Qualität der fünfziger Jahre werden diese Schuhe aber nie wieder bekommen. Man kann heute in England selbstverständlich noch chukka boots aus Wildleder von anderen Firmen als Clarks in besserer Qualität bekommen (ich habe ein Paar gelbe von Crockett&Jones), aber meinen alten grünen Clarks trauere ich immer noch nach.

In den fünfziger Jahren konnte man in den notorisch anglomanen Hansestädten noch eine andere Sorte Wildlederschuhe bekommen, die von der Firma Morlands kamen. Konnte man nur im Winter tragen, weil sie innen mit Lammfell gefüttert waren (oder man trug sie in notorisch kalten englischen Häusern, weil die Zentralheizung in dem Land sehr spät erfunden wurde, und die Türen noch nicht bis unten auf den Fußboden reichten). Während der Battle of Britain hatte die Firma Morlands gefütterte Pilotenstiefel hergestellt, diese chukka boots waren offensichtlich der zivile Abkömmling. Der Krieg ist der Vater aller Dinge, auf jeden Fall von Clarks' desert boots und Morlands' sheepskin boots.

Die meisten Wildlederschuhe sind leider potthässlich, geben Sie mal bei Google Bilder Wildlederschuhe ein und gucken Sie sich das an. Akzeptabel sind natürlich nur die, die ich hier oben abgebildet habe. Weil die genau so aussehen wie meine. Meine sind ein Vierteljahrhundert alt, sehen aber aus wie neu. Weil sie nur wenige Male in jedem Herbst getragen werden. Und weil sie geschont werden, schließlich sind es Schuhe von Edward Green, damit latsche ich doch nicht durch den Regen. Ein solcher tasselled loafer wie auf dem Bild hier ist natürlich auch noch akzeptabel, auf jeden Fall zu Jeans.

Und damit wären wir schon am Ende des Wildlederschuh Panoramas - und wir vergessen bitte nicht, dass unten auf jedem Wildlederschuh mit unsichtbarer Tinte das Wort bounder geschrieben ist. Aber einen Schuh müssen wir natürlich noch erwähnen. Der mit den unsterblichen Zeilen verbunden ist:

Do anything that you want to do, but uh-uh,
Honey, lay off of my shoes
Don't you step on my blue suede shoes.
You can do anything but lay off of my blue suede shoes

Wenn Sie jetzt zufälligerweise Carl Perkins oder Elvis heißen, dann dürfen Sie den natürlich tragen.













Das Bild von Diana Mosley (die auch zur Brideshead Generation gehört) ist von Brian Howards Freund William Acton, dem jüngeren Bruder von Sir Harold Acton. Diese blonde Göttin ist dieselbe Diana Mitford, die 1936 im Büro von Joseph Goebbels im Beisein von Hitler und Goebbels den Bund fürs Leben mit dem englischen Faschistenführer Sir Oswald Mosley schloss. Ich musste das mal hier plazieren, weil es so schön die zweifelhafte Welt der effete Dandies illustriert.

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